Neue Sachlichkeit im Volksstück "Nebeneinander" von Georg Kaiser


Hausarbeit, 1998

18 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Aufbau

2. Pfandleiher – Luise – Neumann
2.1. Inhaltliche Eigenheiten anhand der Personen
2.2. Lebenseinstellungen

3. „Der expressionistische [gescheiterte] Mensch zieht sich in seine Wunschwelt zurück oder sucht den Tod, gerade weil er an seiner Umwelt verzweifelt und in ihr nicht mehr leben will.“

4. Sprache im neusachlichen Volksstück

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit dem Volksstück Nebeneinander von Georg Kaiser. Das Volksstück entstand 1923. Für diese Arbeit wurde Nebeneinander der sechsbändigen Sammlung von Kaisers Werken, herausgegeben von Walther Huder, entnommen.[1] Kaiser gilt als Schriftsteller des Expressionismus, obwohl seine Werke nur zu einem Drittel expressionistisch sind.[2] „Den Utopien der Expressionisten wurde zunehmend ab ca. 1920 die `objektive` Wirklichkeit, dem expressionistischen Pathos ein sachlicher, um Exaktheit bemühter Stil entgegengesetzt.“[3] Das Volksstück Nebeneinander gehört zur „Neuen Sachlichkeit.“ Während die Betrachtungsweise der Wirklichkeit vom Autor eine sachliche ist, enthält jedoch die Figur des Pfandleihers expressionistische Züge. Im Volksstück prallen expressionistisch und sachlich veranlagte Figuren aufeinander. Am Ende unterliegen die beiden dem Expressionismus zugewandten Personen. Im ersten Kapitel wird die besondere Gliederung des Stücks in Bezug auf Szenenfolge und Personen dargestellt. Kapitel zwei schildert zuerst die inhaltlichen Eigenheiten anhand der drei wichtigsten Figuren in Nebeneinander: In 2.1. wird der ungewöhnliche und unerwartete Verlauf der Handlung kurz umrissen. Anschließend nimmt das Kapitel 2.2. eine eingehende Betrachtung der Lebenseinstellung von Pfandleiher, Luise und Neumann unter dem Aspekt der Problembewältigung vor. Das Kapitel geht den Fragen nach, welche Vorfälle von welcher Figur überhaupt als schwierig angesehen werden und wo die jeweilige Lebenshaltung die Personen hinführt.

Dem gescheiterten expressionistischen Menschen - dem Pfandleiher- wendet sich das dritte Kapitel zu: Wie gestaltet sich das Zusammentreffen mit anderen Menschen seiner Zeit? Die Entscheidung des Pfandleihers, Selbstmord zu begehen, ist ebenso Gegenstand dieses Kapitels wie der vorangegangene Einsatz desselben, den Selbstmord von Luise zu verhindern.

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Sprache im neusachlichen Volksstück Nebeneienander. Exemplarisch werden Mittel dargestellt, die eine besondere Art, die Wirklichkeit zu sehen, mit sich bringen.

Alle folgenden Zitate aus Nebeneinander sind kursiv gesetzt.

1. Aufbau

Das Volksstück Nebeneinander besteht aus fünf Akten. Jeder Akt teilt sich in drei Szenen. Zu Beginn eines Aktes erscheinen immer der Pfandleiher und seine Tochter. Danach wechselt das Geschehen zum Ort der Schleuse, wo Luise die wichtigste Rolle spielt. Die Schlußszene jeden Aktes bildet der Wohnraum Borsigs. Hier ist Neumann Hauptagierender. Während der Ort der jeweils ersten Szene eines Aktes immer ein anderer ist (Pfandleihe, Pension Elvira, Kasino, Polizeirevier, Pfandleihe), verlaufen die zwei folgenden Szenen immer in der Schleuse beziehungsweise in Borsigs Wohnzimmer. Steffens bezeichnet Nebeneinander als „rhythmisiertes Stationendrama“.[4] Die drei verschiedenen Szenen innerhalb eines Aktes sind nicht miteinander verbunden, sie verlaufen „nebeneinander“. Nur eine Begegnung zwischen zwei Personen - die sonst in einen eigenen Handlungsverlauf eingebunden sind - dem Pfandleiher und Neumann, ereignet sich im ersten Akt in der Pfandleihe. Die drei parallel verlaufenden „Geschichten“ besitzen jede eine Hauptperson: Pfandleiher, Luise, Neumann. Diese scheinen nur durch Neumanns Brief, den der Pfandleiher und Luise kennen, eine zukünftige Verbindung zu haben. Eine solche Verbindung oder Zusammenkunft der Hauptpersonen kommt aber nicht zustande. Es existiert jedoch eine dem Geschehen des Volksstücks vorangegangene Beziehung zwischen Luise und Neumann. Obwohl die nebeneinander ablaufenden Szenen eigene Hauptpersonen haben, kommt dem Pfandleiher insgesamt die größte Aufmerksamkeit zu: Seine Rolle nimmt den größten Raum des Stückes ein. Mit seiner Person geschieht etwas Außergewöhnliches, den anderen Figuren Neumann und Luise (besonders ab viertem Akt) Entgegengesetztes.

2. Pfandleiher - Luise - Neumann

2.1. Inhaltliche Eigenheiten anhand der Personen

Wie schon am Ende des letzten Kapitels angedeutet verläuft das Leben des Pfandleihers in eine andere Richtung als das von Neumann und Luise. Alle erleben zwar einen Einschnitt negativen Inhalts, der ihr Leben verändert - Luise verliert Neumann, Neumann ist „blank“, wie er selbst sagt[5] und der Pfandleiher findet den von Neumann nichtabgesendeten, scheinbar für Luise lebenswichtigen Brief - aber einzig der Pfandleiher überwindet ihn nicht. Die Erwartungen des Lesers können nun folgendermaßen aussehen: Luise wird Selbstmord begehen, falls der Pfandleiher sie oder Neumann nicht findet. Neumann führt entweder „krumme“ Geschäfte oder kann dem sozialen Abgrund nicht mehr entkommen. Für den Pfandleiher scheint es nichts Existenzbedrohendes zu geben.

Doch noch im ersten Akt ändert sich das Bild der Personen. Luise lebt. Sie ist aufs Land zu ihrer Schwester gereist, um sich zu erholen. Aus dem Dialog zwischen Luise und ihrer Schwester wird deutlich, daß Luises Gedanken an einen Freitod der Vergangenheit angehören, wenn sie sagt: Jetzt mach` ich`s euch billiger! Ich lebe - das verringert den Aufwand.[6] Sie hat eine Abschrift von Neumanns Brief erhalten. Dieser hatte das Abhandenkommen bemerkt und ihr eine Abschrift zugeschickt. Neumann hat einen Geschäftspartner gefunden und beredet mit ihm seine Ideen. Nur der Pfandleiher geht Wege, die sich nicht ins gesellschaftliche Umfeld der „Geschichte“ einfügen. Er fühlt sich verpflichtet, den in Neumanns Jacke gefundenen Brief zu übermitteln und hält starr daran fest. Seine Gedanken kreisen nur noch um den Brief und um Luise. So wird er zum Außenseiter und besiegelt damit auch das Schicksal seiner Tochter, die ihn ständig begleitet.

2.2. Lebenseinstellungen

Pfandleiher und Neumann werden zu Beginn des Geschehens als Geschäftemacher dargestellt. Menschen, die ihren letzten Besitz versetzen müssen und den Pfandleiher aufsuchen, lassen diesen kalt. Eine auf ihn einredende Frau mit ihrem Bettzeug kann ihn nicht dazu bewegen, ihr einen Pfandschein mit einem höheren Geldbetrag auszustellen. Nachdem die Frau schon gehen und die Bettwäsche wieder mitnehemen wollte, verpfändet sie diese doch, weil sie keine andere Wahl hat. Sie braucht das Geld. Ebenso kalt wird eine alte Frau vom Pfandleiher behandelt, die eine Tabakspfeife versetzen will. Der Pfandleiher nimmt die für ihn wertlose Pfeife erst gar nicht an: Das kann ich nicht beleihen.[7] Aber im Gegensatz zu Neumann, der nach seinem Bankrott und der Trennung von Luise weiterhin Geschäfte führt und nur an den Erfolg denkt, ändert sich das Leben des Pfandleihers durch Neumanns Brief. Seine Lebensaufgabe sieht er nun darin, den Brief zu übermitteln. Der Pfandleiher wird vollkommen aus seiner Geschäftstätigkeit herausgerissen. Nachdem er den Brief an Luise gelesen hat und bemerkt hat, daß er ihn nicht absenden kann, weil die Anschrift verwischt ist, kommt in diesem Moment die alte Frau ein zweites Mal in die Pfandleihe. Sie braucht nicht viel auf den Pfandleiher einzureden und erhält einen Pfandschein über Zehntausend Mark - den gleichen Betrag, den die Frau mit dem Bettzeug erhielt!

Von nun an ist die Ordnung im Leben des Pfandleihers gestört. Geradlinigkeit und Sachlichkeit verschwinden. Aber hat sich der Pfandleiher wirklich so plötzlich verändert? Hat sich nicht vielmehr Inneres nach Außen gekehrt? War der Brief nur der Auslöser für diese Umkehrung? Inneres und Äußeres ist mit zwei Polen vergleichbar, wobei einer (der Innere) seinen Ort gewechselt hat, indem er nach außen gedrungen ist. Die zwei Pole können mit Kälte (außen) und Wärme (innen) oder mit Transparenz und Undurchsichtigkeit (Magie) bezeichnet werden.[8] Des Pfandleihers Handlungen sind ein Versuch, zur expressionistischen Lebenshaltung zurückzukehren oder zu wechseln.

Luise bewegt sich im Laufe der Handlung in die genau entgegengesetzte Richtung. Neumann führt sein Leben in schon eingeschlagener sachlicher Richtung fort. Der Pfandleiher bezeichnet sich während des vierten Aktes selbst als schoflen Trödler, also als geizig und gemein. Ihn wundert es, warum er plötzlich mit einem Gewissen auf den Brief reagierte. Zugleich fragt er in der Szene auf dem Polizeirevier, ob der Kommissar nicht auch ein Mensch wie er sei: Mich schoflen Trödler packte es - sind Sie nicht vom gleichen Fleisch und Blut?![9] Die letzten Worte des Pfandleihers im fünften Akt bestätigen noch einmal die Verdrängung des äußeren Pols durch den von innen ausbrechenden: Aber wie kommt es, daß uns der Trieb - ausbrechend jählings - ins Blut gepflanzt ist????[10] Ist es ein Trieb im negativen oder im positiven Sinne - ein Trieb, der das Tierische beinhaltet oder mit einer Pflanze im Frühjahr vergleichbar ist, an der sich bald neue Blätter und Blüten entfalten werden? Zumindest erreicht der mit einer Pflanze verglichene Pfandleiher nie die Blütezeit.

[...]


[1] Walther Huder (Hg.), Georg Kaiser. Werke. Zweiter Band. Stücke 1918 - 1927. (Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1971).

[2] Vgl. Manfred Kuxdorf, Die Suche nach dem Menschen im Drama Georg Kaisers (Bern 1971), S. 141.

[3] Horst Dieter Schlosser, dtv-Atlas zur deutschen Literatur (München 71996), S. 244.

[4] Vgl. Wilhelm Steffens, Georg Kaiser (Velber bei Hannover 1969), S. 84.

[5] Vgl. Huder, Georg Kaiser. Werke. Zweiter Band, S. 290.

[6] Ebd. S. 287.

[7] Ebd. S. 282.

[8] Vgl. Helmut Lethen, Der Jargon der Neuen Sachlichkeit in: Pierre Vaydat, Die „Neue Sachlichkeit“. Lebensgefühl oder Markenzeichen? (ohne Ort und Jahr), S. 18ff.

[9] Vgl. Huder, Georg Kaiser. Werke. Zweiter Band, S. 326.

[10] Ebd. S. 338.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Neue Sachlichkeit im Volksstück "Nebeneinander" von Georg Kaiser
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Neuere deutsche Literatur)
Note
gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
18
Katalognummer
V14070
ISBN (eBook)
9783638195669
ISBN (Buch)
9783638787673
Dateigröße
401 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue, Sachlichkeit, Volksstück, Nebeneinander, Georg, Kaiser
Arbeit zitieren
MA Angela Exel (Autor:in), 1998, Neue Sachlichkeit im Volksstück "Nebeneinander" von Georg Kaiser, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14070

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Neue Sachlichkeit im Volksstück "Nebeneinander" von Georg Kaiser



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden