Wladimir Kaminer - Vermittler zwischen Kulturen


Bachelorarbeit, 2009

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Biographie

2. Kaminers Erfolgsrezept – Ein Russe als deutscher Bestseller-Autor

3. Der Vermittler zwischen der deutschen und russischen Kultur
3.1. Der deutsche Provinzdschungel: Fazit
3.2. Kaminers erworbene Vorurteile
3.3. Deutsche, russische, internationale und bestätigte Vorurteile
3.4. Die Sprache Wladimir Kaminers
3.5. Kaminer und seine Ansichten über die russische Heimat

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Journalisten versuchen mich oft in eine Schublade zu stecken: ‚Multikulti’, ‚russischer Schriftsteller in Deutschland’ oder ‚deutscher Schriftsteller russischer Herkunft’. Mir ist das egal, ich höre auf jeden Namen. Ich sorge dafür, dass Menschen mehr von anderen Kulturen erfahren. Der Ostblock war im Westen wegen der ideologischen Differenzen ein schwarzer Fleck. Ich möchte, dass die Leute hier aus meiner Hand etwas über ihre Nachbarn im Osten erfahren und nicht aus so einer falschen russischen Mafia-Hand. Aber ich würde auch niemals so hoch pokern und behaupten, die Völkerverständigung und der Kulturaustausch seien das höchste Ziel in meinem Leben.“[1] Seit seinem Bestseller „Russendisko“ und den nicht minder erfolgreichen Nachfolgebüchern gilt der in Berlin lebende Wladimir Kaminer, deutscher Schriftsteller russischer Herkunft, als Wandler zwischen den Welten postsowjetischer und deutscher Gegenwartskultur. Dem selbsterklärten Heimatlosen[2] wird die Rolle des humoresken Vermittlers zwischen den sich auch 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und 15 Jahre nach dem Ende der ideologischen Frontstellung beider Nationen im Kalten Krieg noch immer fremd gegenüberstehenden Ländern und ihren Sitten zugeschrieben. Die vorliegende Arbeit möchte anhand ausgewählter Bücher und Aussagen Kaminers in Interviews klären, ob er diesem Anspruch gerecht wird, oder aber über die amüsante Beschreibung alltäglichen, städtischen Wahnwitzes nicht hinauskommt.

1. Biographie

Als Kind eines Ingenieurs und einer Lehrerin mitten in die 50-Jahr-Feiern der Russischen Oktoberrevolution hinein geboren[3], legt er trotz des bereits in der Schule zu Tage tretenden künstlerischen Talents eine berufliche Ziellosigkeit und Widerstand gegen jedwede Anpassung an den Tag, die sich bis in seine Militärzeit fortsetzt. Mit der Ausbildung zum Toningenieur und dem anschließenden Studium der Theaterdramaturgie nimmt er Tätigkeiten in Arbeitsbereichen auf, denen er nachträglich nur noch eine geringe, ja sogar ablehnende Bedeutung beimisst[4]. Über seine Jugendjahre resümiert er: „Obwohl jung, brachte ich es schnell fertig, alles Negative, was ein Bürger der Sowjetunion nur anstellen konnte, zu akkumulieren. Ich war kein richtiger Russe, weil in meinem Pass ‚Jude’ stand, nicht Komsomolze [Mitglied der Jugendorganisation der KPdSU; Anmerkung], ein wenig Hippie und ein passiver Dissident. Ich trank Alkohol mit Unbekannten und versuchte, wenn sich die Möglichkeit ergab, schwarz Geld zu verdienen. Wie viele meiner Freunde hatte auch ich mehrere Auseinandersetzungen mit Organen des Ordnungsdienstes und in dem so genannten ‚Schwarzen Buch’ der Jugendabteilung des KGB war ich auch registriert. […] Alles in allem: kein schlechter Beginn.“[5]

Angeregt durch den Rat seines Vaters zur Emigration[6], nutzte Kaminer 1990 den durch Gorbatschows Machtverfall bereits gefährdeten politischen Frühling in der zu Ende gehenden Sowjetunion, um nach Berlin überzusiedeln. Das Ziel wählten er und sein Freund Mischa aus vorwiegend praktischen Erwägungen: „Für uns war Berlin am einfachsten. Man brauchte für die Stadt kein Visum, noch nicht einmal einen Reisepass, weil sie noch nicht zur BRD gehörte. Die Zugfahrkarte kostete nur 96 Rubel, das Reiseziel war nicht weit.“[7]

Bereits am Tag der Ankunft in Deutschlands heutiger Hauptstadt lernte Kaminer die unterschiedlichen Seiten der deutschen Mentalität innerhalb von 48 Stunden kennen: „Mein Freund Mischa und ich sind an einem besonderen Tag in Berlin angekommen - am 11. Juli 1990. An dem Tag wurde Deutschland in Italien Fußball-Weltmeister. Ohne irgendwas davon zu wissen, sind wir in Lichtenberg aus dem Zug gestiegen und haben überall unglaublich fröhliche Gesichter gesehen. Die Menschen liefen betrunken über die Straße, aus jeder Kneipe schallte Musik. Die Wirte gossen uns Schnäpse ein, für die wir nichts bezahlen mussten. Und wir dachten: Mein Gott, wir haben das Paradies auf Erden betreten. Aber am nächsten Morgen haben die Leute nicht mehr gelacht, die Straßen waren grau.“[8] Seit diesem Tag treibt eine Odyssee Kaminer durch Berlin. Der junge Russe lernt in Deutschland Deutsche, aber auch Landsleute kennen: Zunächst in Aufenthaltslagern und dem für Neuankömmlinge obligatorischen Spießrutenlauf innerhalb der Sozialmaschinerie, dann in neuen Wohnungen und ständig wechselnden Jobs: Kaminers Bild von seiner neuen Umgebung reift mit den Jahren, in denen auch seine Autorentätigkeit konkrete Formen annimmt. Das anfängliche Hindernis der fremden Sprache überwand er rasch[9], um seit rund sechs Jahren nicht nur in Buchform schriftstellerisch tätig zu sein, sondern sich auch auf anderen Feldern der deutschen Medienlandschaft zu präsentieren. Auch hier mutet seine Auswahl an Arbeitgebern wenn nicht skurril, dann doch willkürlich an. Neben den angestammten multikulturellen Tätigkeiten für den SFB [Sender Freies Berlin; Anm.] und als DJ der „Russendisko“ im Berliner „Kaffee Burger“ sowie Artikeln in der „taz“ und der „Zeit“ publiziert der erklärte Linksliberale[10] in der „FAZ“. Wohl im Zuge der „Verjüngung“ seines Images engagierte etwa auch das ZDF Kaminer für sein Morgenmagazin. Dem Auswärtigen Amt stellte er sich als kultureller Botschafter eines weltoffenen Deutschlands zur Verfügung, freilich nicht ohne Hintergedanken: „Außerdem arbeite ich an meinem Welt-Dschungelbuch. Dort werden unsere Auslandseinsätze beschrieben. Ich werde ja ständig auch vom Auswärtigen Amt ins Ausland geschickt, um dort Werbung für die deutsche Sprache und Kultur zu machen. Und auf diesen Reisen entstehen auch Geschichten. Das wird ein recht lustiges Buch.“[11]

Die Motivation zum Schreiben hat laut eigener Aussage des Autors eher beiläufigen Charakter: Darauf angesprochen, entgegnet Kaminer „Ich nehme Schreiben nicht ernst“ oder „[Ich schreibe; Anm.] Aus Spaß. Es ist meine Art, mit dem Leben klarzukommen.“[12] Zuweilen besitzt es für ihn aber auch eine Fluchtfunktion vor der Realität: „Literatur ist eine Lebensform, in der man sich verstecken und für kurze Zeit leben kann. Sozusagen ein Ausgleich zum realen Leben.“[13] Der russischen Heimat[14] bleibt er während seines räumlichen und sprachlichen Exils durch medialen Kontakt, entsprechende Radiosendungen und Zeitungslektüre, verbunden[15].

2. Kaminers Erfolgsrezept – Ein Russe als deutscher Bestsellerautor

„Alltagsbewältigungsprosa“[16] nennt Kaminer seine Werke des Öfteren. Das Quantum an allgemeingültiger Lebenshilfe, das in der Lakonik seiner Texte über den ganz normalen Wahnsinn des Berliner Großstadtlebens mitschwingt, ist sicher ein, wenn auch latent vorhandener, Faktor seines Erfolges. Der Russe schreibt, wie er denkt. Zynismus gehört nicht in sein Repertoire. Seine Geschichten und Figuren mögen komisch und manchmal bis ins Groteske überzeichnet sein, nie käme man jedoch auf die Idee, der Grad an Fiktion sei bei Kaminer höher als der Wahrheitsgehalt seiner Texte. Und immer schimmert dabei eine absolut bejahende Lebensphilosophie durch. Der schmale Grat, auf dem er dabei wandelt, ist durchaus beabsichtigt: „Guter Humor muss gefährlich sein, immer auf der Kippe. Guten Humor platziere ich irgendwo zwischen einem Hirnzusammenbruch und einem Totschlag. Es gibt dieses Sprichwort: ‚Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul’. So ist das Leben. Man muss sich auf den gefährlichen Ritt einlassen. Wenn man darauf neugierig bleibt, dann ist das ein Beweis menschlicher Größe.“[17]

Unterstützt wird Kaminer beim Schreiben durch das gemeinsame, fast traumatische Schicksal seiner eigenen russischen und der ostdeutschen Identität seines unmittelbaren Umfeldes: „Ostdeutsche können andere Geschichten erzählen als Westdeutsche. Meine Kollegen, die in der DDR aufgewachsen sind, kommen aus einem nicht mehr existierenden Land, so wie ich auch. Da ist schon ein bisschen Zauberei dabei, wie im Märchen oder wie in der Antike - Welten, die Anspruch auf Ewigkeit hatten und dann plötzlich von einer Sekunde auf die andere zusammenbrachen und spurlos verschwanden. Diese Welten leben jetzt in den Texten von jungen Leuten, die nicht mal dreißig sind.“[18] Bei einer solch gemischten Identifikationsstiftung verbietet sich für den Autor die übermäßige Betonung nationalen Dünkels: „Muss man eine Nationalität haben? Ich würde gerne auf Nationalitäten verzichten. Mit meiner Literatur über die verschiedenen Menschen und deren Kulturen stehe ich für Offenheit, Toleranz und Menschenachtung. Ich fühle mich lediglich als Mensch unter Menschen.“[19]

[...]


[1] Siehe hierzu: Interview mit Wladimir Kaminer auf Spiegel Online, 24. September 2005

[2] Siehe hierzu: Planet-Interview mit Wladimir Kaminer vom 6.7.2001: Frage: „Haben Sie sich jemals heimatlos gefühlt?“ Kaminer: „Ja, ich bin mit diesem Gefühl aufgewachsen. Ich betrachte das aber eigentlich als etwas positives, die Heimatlosigkeit.“

[3] Siehe hierzu: Kaminer, Wladimir: Militärmusik, München 2003, S. 12ff.

[4] Siehe hierzu: Planet-Interview mit Wladimir Kaminer vom 6.7.2001: „Ich würde erst mal alle Theater schließen. Theater hat immer noch den Status von staatlich geförderter Kultur und Kunst, das ist noch ein Teil der Aufklärung. Da gibt es einen Politiker, der sich für alles verantwortlich fühlt, fürs tägliche Brot und die Unterhaltung. Der sagt nun: ‚hier haben wir unsere Kasse, die Hälfte geht an die Arbeitslosenhilfe, damit alle was zum Essen haben’. Und abends geht es in die Oper oder ins Theater - dafür ist die andere Hälfte vorgesehen. Und die Menschen ziehen sich schick an und gehen ins Theater. Ein riesengroßes Haus mit großer Bühne, viel Dekoration etc. - das ist immer ein riesiger Aufwand. Das geht ja gar nicht mit normalem Licht und normalem Ton und Kostümen, weil alles muss anders als normal sein, die Erwartung der Zuschauer ist ja sehr groß. Und die Schauspieler müssen etwas Hochinteressantes sagen, was im Saal wirklich keiner versteht. Aber diese Schauspieler können nicht mal eigene Inhalte rüberbringen, alles was sie zur Verfügung haben ist ein angelernter Text von einem Anderen geschrieben, von einem Zweiten umgeschrieben und von einem Dritten in Szene gesetzt - absoluter Mist. Es ist absolut unmöglich unter solchen Umständen den Leuten noch irgendetwas rüberzubringen. […] Theater ist für mich eine große Selbstlüge.“

[5] Siehe hierzu: Kaminer: Militärmusik, S. 61f.

[6] Siehe hierzu: Kaminer, Wladimir: Russendisko, München 2002, 15. Auflage, S. 23

[7] Siehe hierzu: Kaminer: Russendisko, S. 24

[8] Siehe hierzu: Interview des Berliner Tagesspiegel mit Wladimir Kaminer, 28.8.2001

[9] Siehe hierzu: Interview des Spiegel mit Wladimir Kaminer in der Ausgabe 2/2003 vom 6. Januar 2003: „Das kam vom Kopf. […] Ich wollte, dass meine Geschichten gelesen werden.“

[10] Siehe hier etwa seine persönliche Abgrenzung zum deutschen Popliteratentum im Interview mit dem Titel-Magazin von 2001, zitiert nach Wienroeder-Skinner auf http://www.dickinson.edu/glossen/heft20/kaminer.html: „Während wir eine eher linke Position vertreten, verbindet diese eine konservative Gesinnung. Sie stehen für einen jungen Konservatismus, obwohl sie sich ja jeder politischen Aussage entziehen...“

[11] Siehe hierzu: Interview von BookOla.de mit Wladimir Kaminer, 8.10.2005

[12] Siehe hierzu: Interview der Jungen Literatur mit Wladimir Kaminer, Ausgabe 10/2000, S. 27

[13] Siehe hierzu: Interview von BookOla.de mit Wladimir Kaminer, 8.10.2005

[14] Kaminers wertfreier Heimatbegriff fokussiert sich trotz seiner generellen Multikulturalität eindeutig auf die nicht mehr existente Sowjetunion: „Ich kann keine Länder bewerten. Alle sind interessant und ich sehe, wie ein Wissenschaftler eben, dass auch die verschiedenen Länder ihre Vorteile und Nachteile haben. Meine Heimat... Ich finde, dass man eine Heimat nur einmal haben kann, genau wie eine Mutter. Meine Heimat ist die Sowjetunion, ein Land, das geografisch gar nicht mehr existiert. Aber ich trage natürlich nach wie vor die kulturelle Tradition meiner Heimat in meinem Herz und ich liebe sie natürlich, obwohl sie eine böse Mutter war in gewisser Weise. Aber genau wie mit der eigenen Mutter: Man hat sie zu lieben und zu ehren, aber man muss nicht unbedingt die ganze Zeit bei ihr wohnen. Wenn man mit 40 noch bei seiner Mutter wohnt, dann sagen auch alle, der hat wohl einen an der Klatsche. Insofern verstehe ich die Leute überhaupt nicht, die sagen ‚meine zweite Heimat’, ‚meine dritte Heimat’. Das ist sicherlich eine Übertreibung.“, zitiert nach dem Interview von BookOla.de mit Kaminer

[15] Beispielhaft dargestellt ist das etwa in: „Auf der kurzen Welle“, in: Kaminer, Wladimir: Schönhauser Allee, München 2001, 11. Auflage, S. 106ff.

[16] Siehe hierzu etwa: Bartels, Gerrit: Ein Perser und zwei schöne Frauen, zitiert nach: taz vom 23.6.2001, S. 10

[17] Siehe hierzu: Interview mit Wladimir Kaminer auf Spiegel Online, 24. September 2005

[18] Siehe hierzu: Planet-Interview mit Wladimir Kaminer vom 6.7.2001

[19] Siehe hierzu: Interview von BookOla.de mit Wladimir Kaminer, 8.10.2005

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wladimir Kaminer - Vermittler zwischen Kulturen
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V140688
ISBN (eBook)
9783640498550
ISBN (Buch)
9783640498390
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wladimir, Kaminer, Vermittler, Kulturen
Arbeit zitieren
Igor Schwarzmann (Autor:in), 2009, Wladimir Kaminer - Vermittler zwischen Kulturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140688

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