Die deutsche Sozialpolitik im internationalen Vergleich - Eine Politik des mittleren Weges?


Hausarbeit, 2001

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Definition Sozialpolitik/Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat
1.1. Zur Geschichte, Entwicklung und den Strukturen der Sozialstaatlichkeit in Deutschland

2. Stellenwert und Form der Sozialpolitik
2.1. in Skandinavien
2.2. in den USA

3. Vergleich der deutschen Sozialpolitik mit der amerikanischen/skandinavischen Sozialpolitik

4. Fazit

Literaturangaben

1. Definition Sozialpolitik/Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat

In der Meinung der Öffentlichkeit gelten Skandinavien und die USA als die Vertreter gegensätzlicher sozialpolitischer Ansätze. Um die spezifisch deutsche Sozialpolitik in den Kontext zu anderen Sozialpolitiken, wie etwa beispielsweise in Skandinavien oder in den Vereinigten Staaten von Amerika, setzen zu können, müssen erst einmal grundlegende Begriffe definiert werden.

Die staatliche Sozialpolitik, der Sozialstaat und das System der sozialen Sicherung gehören eng zusammen, ohne allerdings identisch zu sein. „Vielmehr bezeichnet die Sozialpolitik das Mittel, um soziale Benachteiligungen und Gegensätze innerhalb einer Gesellschaft durch politisches Handeln auszugleichen bzw. auszuschließen, während der Sozialstaat eine weit geschlossenere Zielprojektion verkörpert und das System der sozialen Sicherung den geeigneten institutionellen Rahmen zur Verfügung stellt.“[1] Die Sozialpolitik dient also als Hilfsmittel, um etwaige erwünschte gesellschaftliche Zustände herbeizuführen und zu manifestieren oder um unerwünschte auszuschließen, so zum Beispiel große soziale Ungleichheit. Dabei müssen auch der jeweilige gesellschaftliche Kontext beziehungsweise die unterschiedlichen Traditionen mit einbezogen werden. Denn auch der bewusste Verzicht auf weitgehende staatliche Einflussnahme auf die sozialen Strukturen ist gleichwohl Politik, wie der „compassionate conservatism“-Ansatz der Regierung Bush zeigt.[2]

Der Begriff des Wohlfahrtsstaates hingegen, wie er mit Skandinavien verbunden wird, charakterisiert grundsätzlich „(...) einen bestimmten Typus der Staatstätigkeit. Er kennzeichnet Länder, in denen der Staat eine aktive Rolle in der Steuerung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Abläufe übernimmt und einen beträchtlichen Teil seiner Ressourcen sozialpolitischen Zwecken widmet, die der Förderung nach einer größeren Gleichheit der Lebenschancen in den Dimensionen Einkommenssicherung, Gesundheit, Wohnen und Bildung dienen.“[3] Dieses Konzept bedingt eine umfassende Einflussnahme des Staates auf die Verwendung des Bruttoinlandsprodukts und den Ausbau sozialer Rechte. Nicht nur die Sicherung von Konsumchancen, sondern auch die Förderung von Wachstum und Vollbeschäftigung und Chancengleichheit bei der Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben gehören dazu.

So lassen sich auch die beiden Begriffe „Wohlfahrtsstaat“ und „Sozialstaat“ dahin gehend unterscheiden, dass der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ eine sozialwissenschaftliche, der Begriff „Sozialstaat“ eine normative rechtswissenschaftliche Funktion hat und mit freiheitlichen, demokratischen sowie rechtsstaatlichen, in Deutschland zusätzlich mit bundesstaatlichen Elementen verbunden ist.[4]

Dennoch gibt auch die Geschichte des Sozialstaates bzw. der Sozialstaatlichkeit keine zufriedenstellende Antwort hinsichtlich der Spezifik, den Zielen sowie den politischen Inhalten eines Sozialstaates. Auch eine umfassende Sozialstaatstheorie liegt bisher nicht vor. Es „(...) fehlt ein Gesamtkonzept, das schlüssig erklären könnte, warum der Sozialstaat entstanden ist (Konstitutionsproblematik), welche Aufgaben er hat (Funktionsproblematik), wie sich sein Handeln rechtfertigen läßt (Legitimationsproblematik) und ob eine grundlegende Strukturveränderung angesichts der Krisenphänomene, die ihn seit einiger Zeit heimsuchen, möglich erscheint.“[5]

Wenn es also möglich wäre, das Wesen des Sozialstaates exakt zu erfassen, so wird diese Erfassung wohl nicht allen Ansprüchen gerecht werden, die an die Definition eines Sozialstaates gestellt werden könnten. Dennoch lassen sich vier grundlegende Aufgaben des modernen Sozialstaates unter funktionalen Gesichtspunkten identifizieren:

- „die Schutzfunktion (durch kollektive Sicherung gegen die Risiken der Industriegesellschaft),
- die Verteilungs- und Umverteilungsfunktion (durch Eingriffe etwa in die Primäreinkommen),
- die Produktionsfunktion (durch Erhaltung und Förderung des Faktors Arbeit), sowie
- die gesellschaftspolitischen Funktionen (durch Integration und Legitimation)“.[6]

1.1. Zur Geschichte, Entwicklung und den Strukturen der Sozialstaatlichkeit in Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, wie es im Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes steht. Die Wichtigkeit dieses Artikels wird durch den Artikel 79 Absatz 3 in besonderem Maße hervorgehoben, da dieser eine Änderung des Artikel 20 für unzulässig erklärt. „Die verfassungsrechtliche Festlegung inhaltlicher Merkmale der Staatsform durch eine pauschale Kennzeichnung, noch dazu mit dem ausdrücklichen Verbot ihrer Abänderung, ist ein Novum gegenüber der deutschen verfassungsrechtlichen Tradition.“[7] Die Manifestierung des Sozialstaatspostulats durch das Grundgesetz ist der Endpunkt einer Entwicklung. Ihre erste praktische Ausformung erfuhr sie durch die Bismarcksche Sozialversicherungsgesetzgebung[8], die die Antwort des Staates auf proletarische Revolutions- und Emanzipationsbewegungen war. „Kurz, die deutsche Sozialpolitik trat gleichsam als wohlfahrtsstaatlicher Kontrapunkt zur polizeistaatlichen Unterdrückung ins Leben; nicht eigentlich aus eigenem Recht, sondern als Element staatlicher Kraft- und Machtentfaltung gegen die Arbeiterbewegung.“[9]

Diese stellte auch den Gleichheitsgrundsatz in den Vordergrund ihrer Vorstellungen und in eine Linie mit dem Freiheitsziel der Liberalen. Diese umfassende Vorstellung, geprägt durch sozialistische und kommunistische Gesellschaftstheorien, ging über die reine Verbesserung der Lebensbedingungen hinaus und wirkte auf Teilhabe hin. Dadurch wurden auch die Abwehr- oder Neutralisierungs-Bemühungen des Staates geprägt: Er nahm Einfluss auf die Verwendung der wirtschaftlichen Ressourcen. Diese Entwicklung fand so oder ähnlich auch in anderen industriell geprägten europäischen Ländern statt. „Besonders charakteristisch für den Sozialstaat á la Bismarck war die Trennung von Arbeiter- und Armenpolitik, wodurch er nicht nur die Klassenspaltung der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch das Demokratiedefizit des monarchischen Obrigkeitsstaates reproduzierte. Während die meisten Lohnarbeiter als potentiell Leistungsberechtigte anerkannt wurden, mussten Nichterwerbstätige mit Residualleistungen der Armenpflege vorliebnehmen.“[10]

In eine große Existenzkrise geriet der deutsche Sozialstaat in der Weimarer Republik infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 und der daraus resultierenden Massenarbeitslosigkeit. „Die Massenarbeitslosigkeit entzog dem Wohlfahrtsstaat den materiellen Boden. Je mehr die soziale Sicherung in der Krise gefordert war, um so weniger Sicherheit konnte sie bieten. So erschien der Wohlfahrtsstaat vielen nunmehr als aufgeblähter bürokratischer Apparat, der mehr seiner Selbsterhaltung als den Interessen der notleidenden Bevölkerung diente. Von der Integrationsformel wurde er nun selbst zum Konfliktherd, an dem sich die politischen Kräfte polarisierten.“[11] So kritisierte Reichskanzler von Papen die Richtung der Sozialpolitik seiner Vorgänger sowie die Erscheinung und Ausmaße des Wohlfahrtsstaates hart. „Die Nachkriegsregierungen haben geglaubt, durch einen sich ständig steigernden Staatssozialismus die materiellen Sorgen dem Arbeitnehmer wie dem Arbeitgeber in weitem Maße abnehmen zu können. (...) Sie haben ihm Aufgaben zuerteilt, die er seinem Wesen nach niemals erfüllen kann.“[12] Tatsächlich verlieh die Weimarer Reichsverfassung dem Sozialstaatsprinzip mit stärkerer Intensität Ausdruck als das Bonner Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Am deutlichsten wurde dies in der wirtschaftlichen Generalklausel des Artikel 151 WV: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.“[13]

Heute ist der sozialpolitische Grundsatz allgemein im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ausgedrückt und wird im Sozialrecht beziehungsweise im Sozialgesetzbuch präzisiert. Das Sozialrecht betrifft jeden deutschen Bundesbürger. Es regelt die Ausgestaltung des sozialen Netzes in Deutschland. Das Sozialbudget der Bundesrepublik macht heute ein Drittel des Bundeshaushaltes aus. Für jeden Bundesbürger werden vom Staat pro Jahr statistisch über 13.000 DM an Sozialausgaben aufgewendet.[14] Dieses Sozialbudget untergliederte sich 1997 wie folgt: 169,2 Mrd. DM für Ehe und Familie, 418,7 Mrd. DM für den Gesundheitssektor, 169,4 Mrd. DM für Beschäftigungspolitik, 452,7 Mrd. DM für Alte und Hinterbliebene (also hauptsächlich Rente und Pflegeversicherung), 22,4 Mrd. DM für sozialen Wohnungsbau, 19,9 Mrd. zur Unterstützung der Vermögensbildung und 3,8 Mrd. DM für das allgemeine Bildungswesen. Dies alles ergab 1997 für das Sozialbudget des Bundes und der Kommunen einen Gesamtbetrag von 1,256 Billionen D-Mark.[15]

[...]


[1] Christoph Butterwegge, Wohlfahrtsstaat im Wandel, 3. Auflage, Opladen 2001, S. 11

[2] Das Schlagwort eines «Konservativismus mit Mitgefühl» stand im Zentrum des Wahlprogramms von George W. Bush bei den Präsidentschaftswahlen 2000 in den USA. Das Konzept wurde von konservativen Denkern entwickelt, die von der katholischen Soziallehre beeinflusst worden waren. Es kreist um den Begriff der Subsidiarität, weshalb private Organisationen in der Sozialpolitik gestärkt werden sollen. Vgl. dazu auch „Compassionate Conservatism“ Der Kernbegriff des Wahlprogramms von George W. Bush und seine Hintergründe, Neue Zürcher Zeitung v. 5.8.00

[3] D. Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, München 1996, S. 705

[4] vgl. B. Schulte, Die Folgen der EG-Integration für die wohlfahrtsstaatlichen Regimes, in: Zeitschrift für Sozialreform Nr. 37, S. 562

[5] Christoph Butterwegge, Wohlfahrtsstaat im Wandel, a.a.O., S. 16f

[6] Heinze/Schmid/Strünck, Vom Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbsstaat, Opladen 1999, S. 15

[7] Hans-Hermann Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, Köln und Opladen 1970, S. 21

[8] Als Zeitpunkt der Gründung des deutschen Sozialstaates gilt vor allem die Verlesung der Kaiserlichen Botschaft zur Sozialversicherung durch Otto von Bismarck am 17. November 1881

[9] Volker Hentschel, Geschichte der deutschen Sozialpolitik. Soziale Sicherung und kollektives Arbeitsrecht, Frankfurt a. M., 1983, S.9

[10] Christoph Butterwegge, Wohlfahrtsstaat im Wandel, 3. Auflage, Opladen 2001, S. 29

[11] ders., a.a.O., S. 31

[12] Zitat von Reichskanzler v. Papen in: Werner Adelshauser (Hrsg.), Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat, Stuttgart 1987, S. 10

[13] Albert Hensel, Grundrechte und politische Weltanschauung, Tübingen 1931, S. 29

[14] vgl. www.jurathek.de/steude/sozial.html

[15] vgl. www.lpb.bwue.de/aktuell/puu/1_99/puu991y.htm

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Details

Titel
Die deutsche Sozialpolitik im internationalen Vergleich - Eine Politik des mittleren Weges?
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V14039
ISBN (eBook)
9783638195430
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialpolitik, Vergleich, Eine, Politik, Weges
Arbeit zitieren
Patrick Ehlers (Autor:in), 2001, Die deutsche Sozialpolitik im internationalen Vergleich - Eine Politik des mittleren Weges?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14039

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