EU - Russland - Kooperation im Bereich Energiesicherheit

Probleme der Institutionalisierung am Beispiel der Energiecharta und des Transitprotokolls


Bachelorarbeit, 2009

70 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Der Liberale Intergouvernem entalis mus

3 Die Energiecharta und das Transitprotokoll
3.1 Entstehung
3.2 Wesentliche Inhalte ECT
3.3 Wesentliche Inhalte und Streitpunkte bei den Verhandlungen zum ECTP

4 Analyse der Ebene der innerstaatlichen Präferenzbildung
4.1 Akteure und Konfliktlinien in der RF
4.1.1 Akteure
4.1.2 Konfliktlinien innerhalb der RF
4.2 Akteure und Konfliktlinien in der EU
4.2.1 Akteure
4.2.2 Konfliktlinien innerhalb der EU
4.3 Zwischenfazit zur Analyse der innerstaatlichen Präferenzbildung

5 Analyse der Ebene der internationalen Verhandlungen
5.1 Präferenzen und Verhandlungsposition der RF
5.1.1 Präferenzen der RF
5.1.2 Verhandlungsposition der RF
5.2 Präferenzen und Verhandlungsposition der EU
5.2.1 Präferenzen der EU
5.2.2 Verhandlungsposition der EU
5.3 Zwischenfazit zur Analyse der Ebene der internationalen Verhandlungen

6 Bewertung des Fallbeispiels

7 Ausblick

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

Literaturverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle (Tab.) I Der liberale Intergouvernementalismus am Beispiel des ECT

Tab. II Wichtige Akteure im ES in der RF

Abbildung (Abb.) I Energieimportabhängigkeitsquote in der EU

Abb. II Vergleich der nationalen Energiemixe von Deutschland, Frankreich, Österreich und Polen

Abb. III Übersicht über die russischen Erdgasimporte nach Westeuropa

Abb. IV Ölpreisentwicklung 1985-2005

Abb. V Gaspreisentwicklung 1999-2009

Abb. VI Geplante Öl- und Gasverbindungen nach China

Abb. VII Öl- und Gaspipelines der RF nach Europa

Abb. VIII Entwicklung der Energieimportabhängigkeit der EU

Abb. IX Öl-und Gas-Verbrauch in OECD -Europa 2003-2030

Abb. X Erdölimporte der EU 25

Abb. XI Erdgasimporte der EU 25

Abkürzungsverzeichnis

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1. Einleitung

Im Bereich der Energiesicherheit bestehen sowohl für Russische Föderation (RF), als auch für die Europäische Union (EU) erhebliche Anreize für eine institutionalisierte Kooperation. Für die Sicherstellung der Energieversorgung im Sinne einer möglichst effektiven Verwertung der unwiederbringlichen, zur Neige gehenden fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas sind große Investitionen und Know-how notwendig. Russland als eines der weltweit rohstoffreichsten "änder ist ökonomisch abhängig vom Energiesektor und wichtigster externer Energielieferant der EU. D ie Rolle des verlässlichen Energieversorgers im 21. Jahrhundert kann die RF vermutlich nur mit ausländischer bzw. europäischer Hilfe erfüllen. Erwartungssicherheit im Sinne institutioneller Rahmenbedingungen ist eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass sich der internationale Energiesektor und die Energiewirtschaft der EU umfassend in der RF engagieren.

Ein möglicher Weg ist der im Jahre 1994 unterzeichnete und seit 1998 völkerrechtlich verbindlich in Kraft getretene Energiechartavertrag (ECT). Als multilaterales Vertragswerk kann das „Energieregime“ die notwendige Voraussetzung für einen ausreichenden Kooperationsumfang darstellen. Im Gegensatz zur EU hat die RF als Unterzeichner den ECT bis heute nicht ratifiziert. Aktuell bedeutendstes Hindernis für eine formal vollwertige Mitgliedschaft der RF ist die Einigung in den bilateralen Verhandlungen zum Transitprotokoll des Energiechartavertrages (ECTP).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Ursachen für den scheinbaren Widerspruch zwischen dem zu beobachtenden Stillstand in den nunmehr fast 15 Jahren andauernden Verhandlungen und einer gleichzeitig wachsenden proklamierten Priorisierung energiepolitischer Kooperationsabsichten auf beiden Seiten. D ie zentralen Thesen der Arbeit lauten:

Zwischen der EU und Russland besteht im Energiesektor aufgrund divergierender Präferenzordnungen eine Dom inanz unvereinbarer Präferenzen.

Im weiteren Verhandlungsprozess besteht eine momentan ungleiche Machtverteilung aufgrund ungleicher Kooperationszwänge.

Die Kumulation kooperationshinderlicher Faktoren reduziert deutlich die Wahrscheinlichkeit einer institutionellen Zusam menarbeit.

Als zugrunde liegender Analyserahmen der Arbeit dient das Modell des liberalen Intergouvernementalismus (LI) von Andrew Moravcsik. Das Ausmaß und die Intensität der Kooperation werden bei intergouvernemental-theoretischer Betrachtung maßgeblich durch die Präferenzen der nationalen Regierungen vordefiniert. D er weitere Verlauf des Verhandlungsprozesses wird durch die jeweiligen Gestaltungsspielräume der utilitaristisch agierenden Staaten in den jeweiligen Verhandlungskonstellationen beeinflusst. Andrew Moravcsik erweitert dieses Modell um eine substaatliche D imension und ermöglicht es, die Ursache etwaiger Hindernisse für eine institutionalisierte Kooperation auf dieser Ebene zu verorten. D ie nationale Präferenzbildung entsteht unterhalb der eigentlichen Akteursebene als Resultat der jeweiligen innerstaatlichen Machtverhältnisse und einem Wettbewerb unterschiedlicher Akteure, die versuchen, auf die Regierungsentscheidung Einfluss zu nehmen.

Einleitend erfolgt eine D arstellung der zugrunde liegenden Integrationstheorie. Aufbauend auf das Analysemodell von Moravcsik werden zunächst die innerstaatlichen Präferenzbildungsstrukturen und -muster der beiden Akteure dargestellt. Im zweiten Schritt erfolgt die Analyse der Präferenzen und Verhandlungspositionen beider Akteure, um abschließend die Wahrscheinlichkeit einer Einigung zu bestimmen. D en Abschluss der Arbeit bilden ein Fazit hinsichtlich der tatsächlichen Kooperationschancen und ein Ausblick auf mögliche Ansatzpunkte für eine zukünftige Kooperation im Energiesektor.

Da bisher nur wenig politikwissenschaftliche Literatur speziell zur Bewertung des ECT vorhanden ist, stützt sich die Analyse auch auf Quellen im Internet, einschlägige Wirtschafts­und Energiefachzeitschriften sowie veröffentlichte Strategien und Politiken involvierter Akteure und Institutionen.

2 Der liberale Intergouvernem entalis mus

Der Intergouvernementalismus als realistischer Forschungszweig betrachtet Nationalstaaten nach wie vor als Basiselemente der Integration und die internationale Politik maßgeblich durch nationale Regierungen bestimmt.[1]D ie neofunktionalistischen Grundannahmen über eigene Triebkräfte von Institutionen und das grundsätzlich pro-kooperative Paradigma werden somit grundsätzlich bezweifelt. International institutionalisierte Kooperationen gelten aufgrund der Beschaffenheit des Systems der Staatenwelt als spieltheoretisch unwahrscheinliche und zeitlich instabile Phänomene. Sie erlangen keine politische Autonomie, da sie auf der Grundlage einer rationalen Kalkulation der nationalen Regierungen entstehen.[2]

Intergouvernementelle Ansätze interessieren sich primär für die Ursachen von Souveränitätsübertragung von nationalstaatlicher auf die supranationale Ebene.[3]Danach entstehen Ergebnisse in internationalen Verhandlungen als Ableitung aus der jeweiligen Verhandlungskonstellation, die durch ein strukturelles Machtverhältnis zwischen Staaten geprägt ist. Andrew Moravcsik, als einer der prominentesten Vertreter dieser Theorieschule, entwickelte daraus den „liberalen Intergouvernementalismus“ Die Erweiterung des staatszentrierten Modells um eine liberale D imension begründete sich in der Annahme, dass das Handeln von Staaten in den IB neben der Stellung im internationalen System insbesondere durch innergesellschaftliche Prozesse beeinflusst wird. D ie Vergesellschaftung der Außenpolitik als Präferenz konstituierendes Merkmal rückt damit in den Fokus der Analyse.[4]Vor diesem theoretischen Hintergrund formuliert Moravcsik folgende Grundthesen zur Erklärung von Integrationsentwicklungen in seiner liberalen Theorie der IB[5]:

1) Integrationsfortschritte sind das Ergebnis von Entscheidungen rational handelnder Regierungen. 2) Eine liberale Theorie der nationalen Präferenzbildung in Form eines innerstaatlichen Machtwettbewerbs und 3) das Ergebnis des aus der politischen Ökonomie entlehnten Konzepts der Interdependenz bzw. Interdependenzasymmetrie zur Beschreibung von Mechanismen beim Zustandekommen von Vereinbahrungen im Rahmen internationaler Verhandlungen.

Zu 1) Integration geht für Moravcsik zurück auf individuelle gouvernementale Entscheidungen. D er Entscheidung geht nach Maßgabe rationalistischer Bewertungsmuster eine Selektion der Handlungsalternativen voraus.[6]Aus der unterschiedlichen Dringlichkeit der Interessen und der möglichen Kombinationen von Handlungsoptionen entsteht im Rahmen einer spieltheoretischen Betrachtungsweise eine Präferenzordnung nach der sich gouvernementales Handeln ausrichtet. Drei Einflussfaktoren sind bei Entscheidungen von Regierungen charakteristisch:[7]

a) Innergesellschaftliche Einflüsse, welche durch mächtige innergesellschaftliche Akteure ausgeübt werden.

b) D ie relative Macht eines Staates innerhalb des internationalen Systems.

c) D ie Bedeutung internationaler Institutionen bei der Gewährleistung von Glaubwürdigkeit international eingegangener Verpflichtungen.

Zu 2) In Abgrenzung zu realistischen Theorien in den IB betrachtet der LI die Präferenzbildung bei staatlichen Akteuren nicht als „Black Box“.[8]Moravcsik deutet Staaten als pluralistische Gesellschaften, in denen soziale Akteure oder Gruppen in einem politischen Wettbewerb um Einfluss auf die Regierungsentscheidung kämpfen.[9]Die Regierungen sind diesem Wettbewerb ausgesetzt, in dem sie die Präferenzen gegeneinander abwägen und aggregieren. Unterstellt man Regierungen Machterhalt als handlungsleitendes Motiv, müssen sie die Präferenzen der einflussreichsten binnenstaatlichen Akteure bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Im Unterschied zu Strategien und Taktiken werden die Präferenzen unabhängig von externen Faktoren wie beispielsweise dem internationalen Umfeld oder den Interessen anderer Staaten begründet.[10]D ie innergesellschaftlichen Gruppen adressieren ihre Bemühungen nur an die eigenen Regierungen, wobei sie durchaus in der Lage sind, die transnationale Bedeutung ihrer Entscheidung zu antizipieren.[11]Zu 3) Ein weiterer liberaler Aspekt dieses Modells besteht in der grundsätzlichen Notwendigkeit zur zwischenstaatlichen Kooperation, infolge zunehmender gegenseitiger Abhängigkeit. D er jeweilige Anreiz eines Staates für die Zusammenarbeit wird durch die Anordnung seiner interdependenten Präferenzen festgelegt. Bei konvergierenden und komplementären Präferenzen zwischen den Akteuren entstehen Anreize zu Verhandlungen. Umgekehrt besteht nur wenig Raum für eine Kooperation, wenn die Präferenzen divergieren.[12]

Moravcsik entwickelt auf der Basis seiner Theorien ein Modell zur Betrachtung von internationalen Kooperationen.[13]

1. Innerstaatliche Präferenzbildung (National Preference Formation)

Die erste Analyseebene bedient den liberalen Aspekt der Theorie. Im Rahmen eines Integrationsprozesses erlaubt die Betrachtung innergesellschaftlicher Präferenzbildungsmuster Aufschlüsse über deren Vereinbarkeit untereinander und grenzt den generellen Umfang internationaler Verhandlungen auf ein Set von möglichen Ergebnissen ein.[14]

2. Internationaler Verhandlungsprozess (Interstate Bargaining)

Während in der ersten Phase die Nachfrage nach internationaler Kooperation lokalisiert wird, bestimmen die Verhandlungsprozesse in der zweiten Phase das Angebot an Koordination. D abei ist die relative Machtposition der Staaten untereinander für den Verhandlungsprozess und für den Verhandlungserfolg ausschlaggebend.[15]

3. Institutionalisierung der Verhandlungsergebnisse (Institutional Choice)

D ie Entstehung neuer Institutionen bildet die dritte Stufe des Integrationsmodells. Dabei ist die Schaffung neuer Institutionen kein Widerspruch zum Liberalen Intergouvernementalismus.[16]Internationale Regelwerke verbleiben nämlich im Schatten der souveränen Mitgliedsstaaten. D ie Institutionen sind, realismus-theoretisch betrachtet, lediglich gouvernementale Instrumente. Zum einen steigern sie die Effizienz der zwischenstaatlichen Verhandlungen und zum anderen stärken die Institutionen die Autonomie der Staats- und Regierungschefs gegenüber den innerstaatlichen sozialen Akteuren.[17]Gleichzeitig dienen Institutionen als supranationale Kontrollorgane. Diese sind effektiver als eine gegenseitige Überwachung und Kontrolle, welche sich insbesondere bei Regelverletzungen von mächtigen Mitgliedsstaaten als zu schwach erweisen könnte.[18]

Die Betrachtung der institutionellen Ausprägung des ECT in dieser Arbeit entfällt. Aufgrund der bisher nicht vollzogenen Ratifizierung durch die RF spielen sich die relevanten energiepolitischen Aktivitäten zwischen der EU und der RF im Rahmen meist bilateraler Verhandlungen und somit außerhalb des Rahmens des ECT ab.

Aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit wurden weitergehende D efinitionsmerkmale den jeweiligen Analyseebenen vorangestellt.

Die Stufen sind in einer Weise verbunden, dass zunächst die staatlichen Präferenzen und im darauf folgenden Verhandlungsprozess die Machtkonstellation das Set der Kooperationsmöglichkeiten selektieren und damit auch das Ergebnis. Moravcsik bedient sich einerseits zur Analyse der einzelnen Phasen des Verhandlungsprozesses unterschiedlicher Erklärungsansätze (Theoriesubstituten). Anderseits nutzt er komplementäre Modelle bei der Beschreibung der unterschiedlichen Phasen des Verhandlungsprozesses.19 D em Liberalen Intergouvernementalismus liegt dabei eine „weiche“ Ausprägung des Rationalismus zugrunde. Eine rein rationale Umsetzung im Sinne einer Nutzenmaximierung wird von den Regierungen zwar angestrebt, scheitert jedoch bereits am Umstand, dass sich die aggregierten innerstaatlichen Interessen nicht immer am maximalen Nutzen orientieren, z.B. aufgrund von begrenzter Informationsverarbeitungskapazität (bounded rationality)20.

Ein intergouvernementaler Ansatz erscheint als passendes Analyseschema, da Fragen der Energiesicherheit grundlegende Souveränitätsbereiche eines Staates betreffen. Darüber hinaus handelt es sich hierbei im weiteren Sinne auch um einen europäischen Integrationsprozess. Eine auf diesem Politikfeld erprobte Theorie bietet sich zur Feststellung der Einigungsaussichten an.21 Da die präferenzbildenden Strukturen der Akteure sich deutlich unterscheiden, soll die Betrachtung der substaatlichen Ebene helfen, die Thesen der Arbeit zu bestätigen.

Kritiker sprechen von mehreren Schwachstellen in Moravcsiks Theorie. Kritisiert wird die totale Ausblendung der gestaltenden Rolle von Institutionen als eigenständige Akteure im Integrationsprozess.22 Weitere Kritik erfährt der Umstand, dass beim LI die Möglichkeit des direkten Kontaktes von Interessengruppen mit den supranationalen Institutionen nichtvorgesehen ist. Ebenso wird die von Moravcsik diagnostizierte grundsätzliche D ominanz von Produzentengruppen kritisiert.[23]

3 Die Energiecharta (ECT) und das Transitprotokoll (ECTP)

3.1 Entstehungsprozess

1990 initiierte der damalige niederländische Ministerpräsident Rudolphus Lubbers auf einer Sitzung des Europarates in D ublin die Neugestaltung einer gesamteuropäischen Energiegemeinschaft unter ausdrücklicher Einbeziehung der ost- und mitteleuropäischen Staaten sowie der damaligen UdSSR.[24]Auf der Grundlage des Lubbers-Papiers entwarf die Europäische Kommission[25]die Europäische Energiecharta. D ie Verhandlungen darüber begannen im Juli 1991 in Brüssel und wurden am 17. D ezember 1991 mit der Unterzeichnung eines D okumentes abgeschlossen.[26]D iese zunächst völkerrechtlich unverbindliche Vereinbahrung wurde 1994 von 41 Staaten[27], einschließlich der RF, unterzeichnet. Die Vereinbarung sah die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Förderung langfristiger Zusammenarbeit im Energiebereich vor und zielte aus ökonomischer und sicherheitspolitischer Sicht auf die Sicherstellung des westlichen Zugangs zu den osteuropäischen und insbesondere russischen Energiereserven ab. Im Gegenzug sollte der Zugang der Energieexportstaaten zu den westlichen Energiemärkten geregelt und die benötigten Investitionen für den Energiesektor bereitgestellt werden.[28]Ausdrückliches Ziel des Vertrages bestand in der „[...] Umkehr der rückläufigen Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft durch Beschaffung von ausländischem Kapital, und zwar durch Verringerung des politischen Risikos.“[29]

Die rechtsverbindliche Version des Vertragswerkes wurde im Dezember 1994 in Lissabon gemeinsam mit einem Protokoll zur Energieeffizienz und verwandten Umweltaspekten unterzeichnet. D er Vertrag und das Protokoll traten im April 1998 in Kraft. Bis heute sind dem Vertrag 53 Staaten beigetreten. Dennoch fehlen wichtige Staaten. Kanada und die USA als Abnehmerländer und die OPEC-Staaten als Anbieterstaaten von fossilen Energieträgern blieben dem Abkommen fern. D ie RF hat das Abkommen zwar unterzeichnet, jedoch bis heute nicht ratifiziert. Anlässlich eines Treffens der G-8-Energieminister am 1. März 1998 in Moskau stellten Regierungsvertreter die baldige Ratifizierung durch die D uma in Aussicht.[30]Trotz fehlender Ratifizierung erklärte die RF, die Regelungen des Vertrages provisorisch anwenden zu wollen, soweit diese nicht im Widerspruch zu russischen Gesetzen stehen. D ie Ratifizierung des ECT wurde von russischer Seite von den Verhandlungen zum

Transitprotokoll abhängig gemacht.[31]D ie Verhandlungen zum ECTP fanden im Kontext des Beitrittsprozesses Russlands zur WTO statt, was zu Vermengung der Verhandlungsgegenstände führte. In der Folge wurden die Verhandlungen zum Protokoll bis zum Jahr 2004, bis sich Russland und die EU auf die Bedingungen des russischen WTO- Beitritts verständigt hatten, ausgesetzt.[32]

Die Verhandlungen zum ECTP begannen Anfang 2000 und mündeten 2003 in einem Kompromissvorschlag, der der Energiecharta als obersten beschlussfassendem Organ vorgelegt wurde. Eine einvernehmliche Entscheidung auf Grundlage des Kompromissvorschlages konnte jedoch nicht erzielt werden. 2006 deutete Russland an, den Vertrag aufgrund der energiepolitischen Souveränitätsbeschränkungen, die aus diesem Vertragsverhältnis resultieren, grundsätzlich abzulehnen. Im D ezember 2007 bekräftigte die Energiechartakonferenz ihre Unterstützung für einen Abschluss der Verhandlungen und die Beschließung des Transitprotokolls. 2008 wurde die Arbeitsgruppe „Handel und Transit“ von der Energiecharta beauftragt, die Verhandlungen zum Entwurf des Transitprotokolls wieder aufzunehmen.[33]

3.2 Wesentliche Inhalte des ECT

Die wesentlichen Vertragsbestandteile des Energiechartavertrages betreffen[34]:

1) den Schutz von Auslandsinvestitionen und den Schutz gegen die wichtigsten nicht kommerziellen Risiken;
2) die Schaffung nicht diskriminierender Bedingungen für den Handel von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen (PuE) sowie die energiebezogene Ausrüstung auf der Grundlage von WTO-Regeln und die Sicherstellung von verlässlichem grenzüberschreitenden Transport für energetische Rohstoffe (Transit);
3) Regeln der Streitbeilegung zwischen den Teilnehmerstaaten sowie zwischen den Staaten und den Investoren;
4) und letztlich die Förderung von Energieeffizienz und Umweltschutz im Energiesektor.

Unter anderem sieht der Vertragstext die Anwendung der GATT-Bestimmungen für alle Unterzeichnerländer vor, selbst wenn diese dem GATT bzw. der heutigen WTO nicht angehören.[35]In Art. 7 des Vertragstextes heißt es, dass jede Vertragspartei erforderliche Maßnahmen trifft, um den Transit von PuE zu erleichtern. Die Maßnahmen sollen dabei im Einklang mit dem Grundsatz der Transitfreiheit, ohne Unterscheidung hinsichtlich des Ursprungs, der Bestimmung oder des Eigentums der PuE, ohne Diskriminierung bei der Preisfestsetzung auf der Grundlage dieser Unterscheidungen und ohne Auferlegen unangemessener Verzögerungen, Beschränkungen oder Abgaben getroffen werden[36]Weitere damit zusammenhängende Vertragsteile betreffen den Wettbewerb, die Stellung von Unternehmen mit Vorzugsrechten und die Souveränität der Unterzeichnerländer. So sollen die Staaten darauf hinwirken, Marktverzerrungen und Wettbewerbsbehinderungen im Energiesektor zu verringern. Wo keine wettbewerbsfähigen Strukturen herrschen, sollen umfassende Liberalisierungsmaßnahmen eingeleitet werden.[37]Staatliche Unternehmen oder Unternehmen mit Vorzugsbedingungen sind zur Einhaltung der Vertragsbestimmungen anzuhalten.[38]

Rechtliche Rahmenbedingungen sollen es möglich machen, gegen einseitiges wettbewerbswidriges Verhalten vorzugehen. Staatliche Unternehmen oder Unternehmen mit Vorzugsrechten unterliegen den Bestimmungen des Staates im Rahmen des Energiechartavertrages. Hinsichtlich der Souveränität ist festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten, in Übereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts, weiterhin in vollem Umfang ihre souveränen Rechte über ihre Energievorkommen ausüben. Ein Zwang zur Akzeptanz ökonomisch nachteiliger Regelungen besteht nicht. Damit besteht auch kein Zwang Dritten einen Zugang zur Energie-Infrastruktur gewähren zu müssen. Darüber hinaus kann ein Land von seiner Mitgliedschaft im Energiechartavertrag nach fünf Jahren zurückzutreten.[39]

3.3 Wesentliche Vertragsinhalte und Streitpunkte bei den Verhandlungen zu m ECTP

Das ECTP enthält folgende wesentliche Bestimmungen[40]:

1) D as Verbot der Entnahme energetischer Rohstoffe und der Störung ihres Transits.[41]

2) Das Verbot der D iskriminierung energetischer Rohstoffe aufgrund von Herkunft, Bestimmungsort und Eigentumsverhältnissen, sowie das Verbot des Missbrauchs eines Transportmonopols.[42]

3) Die D efinition des Vertragsgebietes einer Organisation der regionalen Wirtschafts­integration (Regional Economic Integration Organisation/ REIO) als Transitgebiet im Sinne des Artikel 7 des ECT. D abei ist jede beigetretene Partei verpflichtet, für den Transit energetischer Rohstoffe D ritter durch das eigene Gebiet, dieselben Bedingungen einzuräumen, die für den Transit der eigenen Rohstoffexporte gelten.[43]

Laut Energie Charta Sekretariat (ECS) sind die wesentlichen Streitpunkte im Rahmen der Verhandlungen zum ECTP[44], der Vorschlag der RF zu einem „Right of First Refusal“, der Vorschlag der EU zu einer Bestimmung über die REIO sowie die Höhe der Transitzölle und Auktionen.

Laut Vorschlag der RF zu einem „Right of first Refusal“ sollen Energieexporteure, die an langfristige Lieferverträge gebunden sind und den Transit durch Drittstaaten nur durch kurzfristige Verträge abgesichert haben, als erste die Möglichkeit erhalten, ihre Verträge nach Ablauf zu verlängern. D er Abschluss soll dabei unter Wettbewerbsbedingungen durchgeführt werden, was für die Transitstaaten eine Verbesserung der Konditionen bedeuten würde. Für die RF würde dies die Verbesserung der Verhandlungsposition gegenüber anderen

Exporteuren energetischer Rohstoffe bedeuten. D ieser Vorschlag wird von der EU als unvereinbar mit dem Wettbewerbsrecht abgelehnt.

Auf Ablehnung durch die RF hingegen treffen die in Art. 20 des Entwurfes zum ECTP enthaltenden Bestimmungen zu den REIO. Diese hätten zur Folge, dass der Transit energetischer Rohstoffe zwischen den Mitgliedstaaten der EU als interner Transport gilt und damit nicht unter die Vertragsbestimmungen des ECTP fallen würde. Die RF befürchtet im Rahmen des ECT eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Veränderungen in der europäischen Rechtssetzung, ohnej edoch, wie vor der Souveränitätsübertragung, darauf Einfluss nehmen zu können. D ie EU verweist in diesem Zusammenhang auf das Prinzip der Nichtdiskriminierung und einem grundsätzlich höheren Grad von Rechtssicherheit.

Ein weiterer Streitpunkt besteht in der Höhe der Transitzölle. D er Entwurf definiert eine Spanne, die sich aus operationalen Kosten, den Investitionskosten und einer angemessenen Rendite zusammensetzt.[45]Unklar bisher ist, ob Auktionen zugelassen werden sollen.

Von der EU, der RF wie auch vom ECS wird die Ansicht vertreten, dass die Streitfragen bilateraler Natur sind und somit auch durch bilaterale Verhandlungen zwischen RF und EU geklärt werden sollen.[46]Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des angestrebten Energieregimes, da Transitfragen laut Vertragstext generell nur im multilateralen Kontext verhandelt werden sollen.[47]

[...]


[1]Vgl. dazu u.a. Welz/Engel 1933, S. 153ff.; Rosamond 2000, S. 75ff.; Bieling 2006, S. 91f.

[2]Steinhilber 2006, S 182.

[3]Vgl. Steinhilber 2006, S. 175f, Kohler-Koch/u.A. 2006, S. 71.

[4]„The first stage in explaining the outcome of internationale negotiation is to account for national preferences“ Moravcsik 1998, S. 24; dazu auch Moravcsik 1993, S. 509.

[5]Moravcik 1992:7 2002:162f.

[6]„The Central Argument [...] ist hat European integration can best be explained as a series of rational choices made by nationale leaders. These Choices responded to constraints and opportunitys[. ]“. Moravcsik 1998, S. 18.

[7]Vgl. Moravcsik 1998, S.18

[8]Kohler-Koch 2006, S. 72.

[9]„[...] the state is not an actor but a representatitv institution constantly subject to capture and recapture, construction and reconstruction by coalition of social actors.“ Moravcsik 1997, S. 518.

[10]„Preferences, unlike strategies and policies are, exegenous to a specific internationale political enviroment, [...].“ Moravcsik 1998, S. 24.

[11]„[...] the factors that determine the identity, interests and influence of domestic groups are themselves both domestic and transnational.” Moravcsik 1998, S. 24.

[12]Vgl. Moravcsik 1993, S. 518.

[13]Vgl. Moravcsik 1998, S. 24.

[14]Vgl. Moravcsik 1998, S. 24.

[15]Vgl. Moravcsik 1998, S. 50ff.

[16] „Strong supranational institutions are often seen as the anthitesis of intergovernmentalism. Wrongly so.“ Moravcsik 1993, S. 507.

[17]Vgl. Moravcsik 1993, S. 507.

[18]Vgl. Rittberger/Schimmelfing 2005, S. 29f.

[19]Vgl. Moravcsik 1998, S. 20.

[20]Vgl. Moravcsik 1998, S. 21, dazu auch Steinhilber 2006, S. 172.

[21]Moravcsik erprobt seine Theorie erfolgreich an verschiedenen Integrationsbeispielen in Form von Beschlüssen zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft bis hin zu den Verträgen von Maastricht 1991 an. Vgl. 1998, S. 18; Er beansprucht für seine Theorie aber auch andere Formen internationaler Zusammenarbeit erklären zu können. Vgl. Steinhilber 2006, S. 175.

[22]Vgl. Sandholtz/Stone Sweet 1997, S. 297ff..

[23]Vgl. Steinhilber, Jochen 2006, S. 190.

[24]Lubbers war der Ansicht eine Zusammenarbeit könnte helfen, „[...] die Wirtschaftsentwicklung dieser Länder zu beschleunigen und die Versorgungssicherheit der Gemeinschaft zu verbessern.“ EU 2007a.

[25]Zum damaligen Zeitpunkt war die offizielle Bezeichnung dieses Organs: „Kommission der Europäischen Gemeinschaften“.

[26]Vgl. EU 2007a.

[27]Zu den Unterzeichnern gehörten auch alle Staaten Mittel- und Osteuropas, die Baltischen Republiken und 11der 12 GUS-Staaten.

[28]Vgl. Mikulcak 2006, S. 6.

[29]ECT 1994, Präambel.

[30]Vgl. Energie-Chronik 1998.

[31]Zwischen den Jahren 1994 bis 1999 führten zunehmende Probleme, in Form von illegalen Entnahmen aus Pipelines beim Transit von Erdöl und Erdgas aus oder durch GUS-Staaten zu Bestrebungen, das ECT um ein sog. „Transitprotokoll“ zu ergänzen. Bisheriges Resultat der Anstrengungen ist der Entwurf für den Text eines solchen Protokolls, während eine Einigung indes bisher nicht erzielt werden konnte. Vgl. Kemper 2003.

[32]Vgl. ECS 2008b.

[33]Vgl. ECS 2008a.

[34]Vgl. ECS 2008a.

[35]Das GATT enthält zahlreiche Bestimmungen zu Zoll- und Außenhandelsangelegenheiten für den freien Verkehr von Waren. Vgl. GATT 1987.

[36]Art. 7 ECT.

[37]Vgl. Art 6 ECT.

[38]Vgl. Art. 22 ECT.

[39]Vgl. Art. 46 ECT.

[40]Vgl. ECTP, S. 8-27.

[41]Vgl. Art. 6 ECTP.

[42]Vgl. Art. 10 ECTP.

[43]Vgl. Art. 20 ECTP.

[44]Vgl. ECS 2008b.

[45]“[...] reasonable rate of return [... ]”. Vgl. Art. 10 ECTP.

[46]Vgl. ECS 2008b.

[47]Vgl. Ziele, ECT.

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
EU - Russland - Kooperation im Bereich Energiesicherheit
Untertitel
Probleme der Institutionalisierung am Beispiel der Energiecharta und des Transitprotokolls
Hochschule
FernUniversität Hagen
Veranstaltung
Internationale Organisationen
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
70
Katalognummer
V140353
ISBN (eBook)
9783640497430
ISBN (Buch)
9783640497614
Dateigröße
1585 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Umfangreicher Quellen- und Anmerkungsapparat, sowie umfangreicher Anhang mit Charts. Auszug aus dem Gutachten des Korrektors: "Die Arbeit überzeugt nicht nur wegen der umfangreichen Literatur, die verarbeitet wurde, sondern vor allem wegen der theorieangeleiteten und immer präzisen Argumentationsführung. Außerdem ist die formale Gestaltung vorbildlich." (09.06.2009)
Schlagworte
Russland, Kooperation, Bereich, Energiesicherheit, Probleme, Institutionalisierung, Beispiel, Energiecharta, Transitprotokolls
Arbeit zitieren
Alexander Schabowski (Autor:in), 2009, EU - Russland - Kooperation im Bereich Energiesicherheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140353

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