Zur Problematik der Erfassung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen vor dem Hintergrund der Europäisierung beruflicher Bildung


Diplomarbeit, 2008

137 Seiten, Note: 1,3

Meike Westermann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Thematische Einführung und Problemstellung
1.2 Vorgehensweise

2. Auf dem Weg zu einem europäischen Berufsbildungsraum
2.1 Megatrends als Herausforderungen an die berufliche Bildung
2.2 Reaktionen auf europäischer Ebene
2.3 Kernelemente des europäischen Berufsbildungsraumes
2.3.1 Der Europäische Qualifikationsrahmen
2.3.2 Leistungspunktesysteme zur Übertragbarkeit und Anrechnung von Qualifikationen
2.3.2.1 Das Europäische Credit Transfersystem zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen
2.3.2.2 Das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung
2.4 Implikationen für das deutsche Berufsbildungssystem

3. Informell erworbene Kompetenzen
3.1 Das informelle Lernen
3.1.1 Darstellung und Abgrenzung verschiedener Lernformen
3.1.2 Facetten des informellen Lernens
3.1.3 Grenzen informellen Lernens und sein Verhältnis zum formalen Lernen
3.2 Bildungstheoretische und -politische Einordnung informeller Kompetenzentwicklung
3.2.1 Gründe für die Hinwendung zum informellen Kompetenzerwerb
3.2.2 Zur Heterogenität des Kompetenzbegriffs
3.2.2.1 Definitionen des Konstruktes und Abgrenzung zu verwandten Konstrukten
3.2.2.2 Komponenten beruflicher Handlungskompetenz
3.2.2.3 Verschiedene Kompetenzverständnisse im europäischen Kontext

4. Kompetenzdiagnostik: Im Spannungsfeld zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Umsetzung
4.1 Methodische Grundlagen der Kompetenzdiagnostik
4.1.1 Funktionen und Ansprüche an die pädagogische Diagnostik
4.1.2 Ausgewählte Verfahren zur Erfassung informell erworbener Kompetenzen
4.1.2.1 Beurteilungsformen und Fehler der Beurteilung
4.1.2.2 Analyse und Bewertung der Instrumente
4.2 Schwierigkeiten der Erfassung, Bewertung und Anerkennung
4.2.1 Festlegung auf einheitliche theoretische Konzepte
4.2.1.1 Einleitende Vorbemerkungen
4.2.1.2 Divergenzen zwischen der beruflichen Handlungskompetenz und dem Kompetenzverständnis der Klieme-Expertise
4.2.1.3 Ausrichtung auf europäische Vergleichbarkeit und den Charakter informeller Lernprozesse
4.2.2 Systematisierung und Konkretisierung von Kompetenzen
4.2.2.1 Abbildung in Kompetenzmodellen
4.2.2.2 Problematik der Operationalisierung
4.2.3 Messtechnische Unschärfen
4.2.4 Fragen zur politisch-organisationellen Umsetzung

5. Analyse ausgesuchter nationaler und europäischer Verfahren der Diagnose und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen
5.1 Darstellung ausgewählter Verfahren und Instrumente aus Deutschland
5.1.1 Weiterbildung im IT- Bereich
5.1.2 Kompetenzbilanzen
5.1.2.1 ProfilPASS
5.1.2.2 CeKom®-System
5.2 Darstellung ausgewählter Verfahren und Instrumente aus europäischen Nachbarländern
5.2.1 Frankreich
5.2.1.1 Der „Bilan de compétences“
5.2.1.2 Die Validierungsverfahren
5.2.2 Das NVQ-System in Großbritannien
5.2.2.1 Hintergründe und Funktionsweise des NVQ-Systems
5.2.2.2 Verlauf des APL-Verfahrens
5.2.3. Anerkennung von Realkompetenzen in Norwegen

6. Kritische Reflexion der Berücksichtigung des informellen Kompetenzerwerbs im Rahmen eines europäischen Berufsbildungsraumes
6.1 Aktuelle Probleme und Herausforderungen
6.1.1 Vergleichende Analyse und Beurteilung angewendeter Verfahren der Dokumentation und Anerkennung
6.1.2 Erfolgs- und Risikopotenziale
6.2 Handlungsempfehlungen und Vorschläge zur weiteren Umsetzung

7. Schlussbetrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die Funktionsweise des EQR

Abb. 2: Bewertung und Anrechnung von informell erworbenen Kompetenzen im Rahmen von ECVET

Abb. 3: Übersicht über die verschiedenen Lernformen

Abb. 4: Gegenüberstellung der Vorgehensweisen aus der kognitions- und der handlungstheoretischen Perspektive

Abb. 5: Das IT- Weiterbildungssystem.60 Abb. 6: Phasen und Leitfragen des APL-Verfahrens

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1. Thematische Einführung und Problemstellung

In der aktuellen bildungspolitischen Diskussion um das lebenslange Lernen wird zunehmend die Bedeutung informellen Lernens hervorgehoben. Diese Lernform ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass sie im Gegensatz zu formalen, planmäßig gestalteten Lernprozessen in institutionellen Bildungseinrichtungen, vorwiegend außerhalb schulischer Lernkontexte im beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Umfeld, gewissermaßen als Begleiterscheinung des täglichen Lebens, stattfindet (vgl. Bjørnåvold, 2001, S. 222; Straka, 2003, S. 249-252).

Doch was sind die Gründe dafür, dass dieses ursprüngliche und nach Dohmen als „Grundform menschlichen Lernens“1 bezeichnete informelle Lernen in den vergangenen Jahren eine derart herausragende Bedeutung im europäischen bildungspolitischen Kontext erlangt hat, dass es in gegenwärtigen Maßnahmen, wie dem 2007 beschlossenen Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) zur Transparenz und Abstimmung von Qualifikationen und den Vorschlägen eines Leistungspunktesystems für die berufliche Bildung (ECVET) zur Übertragung und Anrechnung von Qualifikationen, explizite Berücksichtigung findet?

Angesichts tief greifender struktureller und dynamischer Veränderungsprozesse im ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Bereich kommt einer qualitativ hochwertigen Bildung eine zentrale Rolle zu. Die Notwendigkeit diesen Herausforderungen, die die Qualifikationsanforderungen einer Gesellschaft nachhaltig beeinflussen, wirksam entgegenzutreten, begründet die Forderung nach einem kontinuierlichen Lernen über die gesamte Lebensspanne. Diese Ansätze gehen auf europäische Dokumente und Initiativen, wie das „Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung. Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft“ (1995), das „Europäisches Jahr des lebensbegleitenden Lernens“ (1996) sowie das „Memorandum über Lebenslanges Lernen“ (2000) zurück, in denen die Erweiterung des Lernkonzeptes um informelle Lernprozesse als bedeutsame Voraussetzung und Erfolgsfaktor im Hinblick auf das Leitmotiv des lebenslangen Lernens hervorgehoben wird (vgl. Bretschneider, 2004). Diese Bestrebungen münden heute in die Konzeption des EQR und Leistungspunktesysteme im beruflichen und hochschulischen Bereich als wesentliche Gestaltungsprinzipien eines europäischen (Berufs-) Bildungsraumes.

Begleitet wird diese Hinwendung zum informellen Lernen von einer verstärkten Ausrichtung auf die in einem Bildungssystem hervorgebrachten Lernergebnisse. Dies kommt auf europäischer Ebene besonders in der Entwicklung des EQR und auf nationaler Ebene in der Ausarbeitung eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) sowie der Implementierung von Bildungsstandards, als fachbezogene Kompetenzkronketisierungen allgemeiner Bildungsziele, zum Ausdruck (Klieme et al., 2007, S. 9). Diese wurden von der Kultusministerkonferenz (KMK) bisher als Regelstandards im allgemeinbildenden Bereich eingesetzt. Für die berufliche Bildung existieren zurzeit noch keine Bildungsstandards. Die Orientierung an den Ergebnissen von Lernprozessen in Form von Kompetenzen, könnte sich für die Integration des informellen Lernens als förderlich erweisen. Kompetenzen werden im Allgemeinen als „menschliche Fähigkeiten, die dem situationsgerechten Verhalten zugrunde liegen und dieses erst ermöglichen“ verstanden (Reetz, 2006, S. 305). Durch die Konzentration auf den Output geraten hierbei die Lernkontexte in den Hintergrund und der Fokus der Betrachtung liegt darauf, über welche Kompetenzen Lernende2 tatsächlich verfügen, unabhängig davon, wo und auf welche Art und Weise diese erworben wurden.

Die Tatsache, dass informell erworbene Kompetenzen in Zukunft stärker berücksichtigt werden sollen, um bspw. die Bildungs- und Arbeitsmobilität wie auch die Durchlässigkeit innerhalb und zwischen nationalen Bildungssystem zu erhöhen, wirft folgende Fragen auf: Wie sollen diese Kompetenzen erfasst und anhand welcher Vergleichsmaßstäbe und Kriterien bewertet werden, um neben gesellschaftlicher Anerkennung auch formale Anerkennung in Form von Zeugnissen oder Anrechnungsmöglichkeiten auf Bildungsgänge zu erlangen? Welche Probleme und Konsequenzen sind mit der Umsetzung diesbezüglicher Maßnahmen im Rahmen eines zusammenwachsenden europäischen Berufsbildungsraumes verbunden?

Dabei gilt es hervorzuheben, dass einige europäische Nachbarländer wie Frankreich mit dem „Bilan de compétences“ (Kompetenzbilanz) als einem der ersten Verfahren oder Großbritannien mit den „National Vocational Qualifications“ (NVQs) als System beruflicher Qualifikationen bereits über ein Jahrzehnt Erfahrungen im Bereich der Erfassung, Bewertung und Anerkennung informelle erworbener Kompetenzen sammeln konnten.

Jedoch ist auch in Deutschland in den vergangenen Jahren eine verstärkte Hinwendung zu diesbezüglichen Fragen festzustellen. Neben zahlreichen regionalen und überregionalen Projekten und Initiativen wurde die Thematik zudem in die „Konzeptionellen Grundlagen für einen Nationalen Bildungsbericht“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aufgenommen (Baethge, Buss & Lanfer, 2003, S. 92-96).

Auch wenn bereits zahlreiche Beispiele und unterschiedliche Verfahrensweisen in Bezug auf die Erfassung informell erworbener Kompetenzen vorliegen und umgesetzt worden sind, so gibt es derzeit kein Instrument mit bedingungslosem Modellcharakter. Dies rührt daher, dass sich die diesbezügliche Problematik neben methodischen Aspekten zudem über politisch- institutionelle wie auch gesellschaftliche Dimensionen erstreckt, und sie durch die geforderte europaeinheitliche Vergleichbarkeit von Qualifikationen über vielfältige nationale Bildungssysteme hinweg, in ihrer Komplexität noch gesteigert wird. Daher steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, diese komplexen Problembereiche darzustellen, zu analysieren und zu reflektieren, um als Grundlage für Ansatzpunkte und Ableitungen von Handlungserfordernissen auf dem Weg zur vergleichbaren Abbildung informeller Lernergebnisse dienen zu können.

1.2 Vorgehensweise

Um diese Problematik ganzheitlich und fundiert darzulegen, werden im zweiten Kapitel zunächst die in diesem Zusammenhang relevanten europäischen Initiativen und Instrumente und ihre Begründungszusammenhänge, sowie die sich daraus ergebenden Implikationen und Handlungsnotwendigkeiten auf nationaler Ebene als Rahmenbedingungen aufgezeigt.

Im darauf folgenden Kapitel steht die bildungstheoretische Einordnung im Vordergrund. Es erfolgt die begriffliche und inhaltliche Klärung verschiedener Lernformen unter eingehender Betrachtung der Facetten informellen Lernens. Dadurch werden die Eigenschaften der der informellen Kompetenzentwicklung zugrunde liegenden Lernprozesse und der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten erfasst. Davon ausgehend wird auf die - mitunter relativ heterogenen - Kompetenzkonzepte in der allgemeinen und in der beruflichen Bildung wie auch im europäischen Kontext eingegangen.

Basierend auf diesen Konzepten erfolgt im vierten Kapitel die konkrete Auseinersetzung mit der Erfassung und Bewertung informell erworbener Kompetenzen mittels der Kompetenzdiagnostik. Dabei werden Spannungsfelder bzgl. der damit verbundenen Ansprüche, Verfahrensweisen und Methoden zwischen der theoretischen Perspektive und teilweise erforderlichen Zugeständnissen im Rahmen der praktischen Umsetzung beleuchtet.

Vor diesem Hintergrund werden ausgewählte Instrumente auf nationaler Ebene und europäischer Nachbarländer im fünften Kapitel dargestellt. Aufgrund der Fülle unterschiedlicher nationaler Ansätze, werden mit dem IT-Weiterbildungssystem, dem ProfilPASS und dem CeKom®-System drei Verfahren ausgewählt, die durch unterschiedliche Ansätze und Zielsetzungen die Betrachtung aus mehreren Perspektiven ermöglichen und bundesweit verbreitet sind. Zwar werden auch in anderen Ländern entsprechende Verfahren eingesetzt, jedoch zeichnen sich die jeweiligen Instrumente wie die Kompetenzbilanz und das Validierungsverfahren (Frankreich) oder das System beruflicher Qualifikationen (Großbritannien) durch ungleiche Herangehensweisen, weit fortgeschrittene Entwicklung und Verankerung in gesetzlichen Bestimmungen aus und werden daher separat vorgestellt. Aber auch das jüngere norwegische Projekt „Realkompetanse“ (Realkompetenzen) bietet durch Kombination vielfältiger Verfahrensweisen und Einsatzmöglichkeiten hohes Anschauungs- potenzial, weswegen die Verfahren der drei Länder Frankreich, Großbritannien und Norwegen in dieser Arbeit erläutert werden.

An diese Darstellung anschließend erfolgt im sechsten Kapitel eine kritische Reflexion der Gesamtproblematik. Dabei werden zu Beginn die dargestellten Verfahren analytisch gegenübergestellt und beurteilt, um daraus zentrale, übergreifende Problemstellungen der Erfassung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen im Rahmen eines zusammenwachsenden europäischen Berufsbildungsraumes aufzuzeigen. Die Thematik wird abschließend durch Handlungsempfehlungen und Vorschläge zur weiteren Umsetzung abgerundet.

2. Auf dem Weg zu einem europäischen Berufsbildungsraum

2.1 Megatrends als Herausforderungen an die berufliche Bildung

Megatrends beschreiben tief greifende strukturelle Entwicklungstendenzen in unterschiedlichsten Bereichen, die die beruflichen Tätigkeitsstrukturen und Arbeitsorganisationsformen international nachhaltig beeinflussen und somit erhebliche Herausforderungen für die Aus- und Weiterbildung darstellen. Hierzu zählen insbesondere die zunehmende Globalisierung der Ressourcennutzung und Internationalisierung der Wirtschaft. Die Möglichkeiten freier Standortwahl und weltweiter Absatzmärkte verschärfen ihrerseits die Wettbewerbssituation von Unternehmen und erzeugen dadurch immensen Innovationsdruck und wachsende Innovationsdynamik sowie die Notwendigkeit systematischer Rationalisierung und flexibler Strukturen, um auf dem globalen Markt zu bestehen. Auch den damit einhergehenden zahlreichen technologischen Veränderung und der verstärkten Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu: Sie begünstigen die seit längerem zu beobachtende Sektorenverschiebung von Produktions- zu Dienstleistungsgesellschaften mit der Abkehr von einer eher tayloristisch geprägten Arbeitsteilung hin zur Realisation wesentlich umfassenderer, komplexerer Arbeitsabläufe. Die Betreuung ganzheitlicher Geschäftsprozesse und der Einsatz von Gruppen- und Projektarbeit im Rahmen flacher Hierarchien gewinnen dabei kontinuierlich an Bedeutung (vgl. Achtenhagen, Nijhof & Raffe 1995, 15-21; Baethge & Schiersmann, 2000, S. 26-34; Buttler, 1992). Die Megatrends erstrecken sich zudem auf gesellschaftliche Aspekte, wie den demographischen Wandel mit Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung und Verbreitung wesentlich heterogenerer Lebenswege und individualisierter Wertmuster (Buttler, 1992, S. 164; Bizer, 2004, S. 19).

Aus diesen dargestellten Entwicklungen resultieren ein erheblicher Wandel der bisherigen Tätigkeitslandschaft und neue Anforderungen an die Qualifikationen der Arbeitskräfte. In flexibilisierten und dynamischen Arbeitsstrukturen werden - neben der fundierten berufsfachbezogenen Qualifizierung - auch Schlüsselqualifikationen als breit angelegte fach- und positionsübergreifende Fähigkeiten - verstärkt gefordert (vgl. Baethge & Schiersmann, 2000, S. 35-39; Mertens, 1974, S. 40-42). Bedingt durch den demographischen Wandel sinkt das Erwerbspersonenpotenzial, wobei infolge der Tertiarisierung eine Zunahme höher qualifizierter Tätigkeiten zu verzeichnen ist, so dass diese veränderten Qualifikationsanforderungen an Berufstätige ebenfalls neue Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung darstellen (Buttler, 1992, S. 165-169; Hardege, Neumann & Stettes, 2008). Es gilt, den Berufstätigen eine umfassende berufliche Handlungskompetenz zu vermitteln, auf deren Grundlage sie sich in komplexen und vernetzten beruflichen sowie gesellschaftlichen und privaten Situationen zurechtfinden und diese bewältigen können. Dieser Ansatz findet Niederschlag in Unterrichtsmethoden wie den komplexen Lehr-Lern-Arrangements (z.B. Planspiele, Fallstudien, Lernbüro, Übungsfirma etc.). Sie sollen den Lernenden, in didaktisch reduzierten, realitätsbezogenen Modellen, die Kompetenz zum Handeln in komplexen ökonomischen Situationen vermitteln (Achtenhagen, 1992, S. 3-11). Im Rahmen des informellen Lernens hingegen, können diese vernetzten Kompetenzen direkt durch Tätigkeiten im realen beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Umfeld erworben werden (vgl. Dehnbostel, 2004; Dohmen 2001, S. 42-47).

Der rasante technologische Fortschritt und die dadurch drohende Entwertung bisher erworbenen Wissens verdeutlichen die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und der Bereitschaft zur Weiterbildung für jeden Einzelnen. Auf diesen Trend sollten Bildungspolitik und Bildungsanbieter angemessen reagieren und zur Ergänzung bewährter, traditioneller Methoden auch andere Lernformen, wie das informelle Lernen, mit einbeziehen. In diesem Zusammenhang ist es daher von grundlegender Bedeutung, auch strukturelle und institutionelle Voraussetzungen zu schaffen, die das lebenslange Lernen erleichtern, unterstützen und fördern und somit die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und die Selbstständigkeit der Bürger zu sichern (vgl. Baethge & Schiersmann, 2000, S.39-45; Bizer, 2004, S. 30; Laur-Ernst, 2003, 65-70).

Da die Megatrends langfristig alle europäischen Länder und Bildungssysteme betreffen und die Volkswirtschaften vielfältig miteinander verflochten sind, sollten nationale Maßnahmen durch europäische Lösungen ergänzt werden, um den ökonomischen, gesellschaftlichen und technologischen Herausforderungen gemeinsam entgegenzutreten (vgl. Europäische Kommission, 2001a, S. 16-18). Zudem bedingt die Internationalisierung der Wirtschaft mit weltweiter Standardisierung von Produkten und Verfahren die Vereinheitlichung der Anforderungen der Unternehmen an die Qualifikationen ihrer Beschäftigten. Bildungssysteme werden somit zu Standortfaktoren, so dass nationale Traditionen im Bereich der Berufsbildung an Bedeutung verlieren und gemeinsame Aktionen auf europäischer Ebene nach und nach in den Vordergrund treten (Severing, 2005, S. 18-20).

Im weiteren Verlauf werden daher wesentliche Dokumente, Initiativen und Instrumente auf europäischer Ebene dargestellt, die die verstärkte Beachtung informell erworbener Kompetenzen in einem europäischen Berufsbildungsraum fordern und untermauern.

2.2 Reaktionen auf europäischer Ebene

Angesichts der beschriebenen Veränderungsprozesse ist auf europäischer Ebene vor allem im Verlauf der Neunziger Jahre eine intensivierte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten gemeinsamer Gestaltung von allgemeiner und beruflicher Bildung unter dem Oberziel des lebenslangen Lernens festzustellen. Einen wesentlichen Schritt stellt hierbei das 1995 erschienene Weißbuch der Europäischen Kommission zu dieser Thematik dar. Darin wird ausdrücklich die Bedeutung hervorgehoben, die Aneignung neuer Kenntnisse durch Entwicklung neuer Formen der Validierung3 von Kompetenzen zu fördern. Dabei sollen insbesondere auch solche Kompetenzen Beachtung finden, die informell erworben wurden, wobei informelles Lernen überwiegend in Verbindung mit beruflicher Bildung genannt wird. Zudem wird auf die Absicht der Entwicklung eines europaweit geltenden persönlichen Kompetenzausweises hingewiesen (vgl. Europäische Kommission, 1995, S.6, 48-51). Es wird explizit die Schaffung der Möglichkeit zur „Anerkennung von Teilkompetenzen in einem flexiblen, permanenten (je nach Wunsch nutzbaren) System der Validation von Wissenseinheiten“ betont (Europäische Kommission, 1995, S. 51). Dies kommt gegenwärtig in den entwickelten Leistungspunktesystemen für berufliche und universitäre Bildung zum Ausdruck.

Durch das im Jahre 2000 von der Europäischen Kommission veröffentlichte „Memorandum über Lebenslanges Lernen“ und die von derselben Stelle im darauf folgenden Jahr erarbeitete Mitteilung "Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen" wird die Idee des lebenslangen Lernens unter verstärkter Berücksichtigung informeller Lernprozesse bekräftigt (vgl. Europäische Kommission , 2000, S.4; Europäische Kommission , 2001b, S. 9). Unter lebenslangem Lernen wird in diesem Zusammenhang „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw.

beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“ verstanden (Europäische Kommission, 2001b, S.9).

Eine wesentliche wirtschaftspolitische Reaktion auf die Megatrends ist die im Jahre 2000 in Lissabon vom Europäischen Rat für die folgenden zehn Jahre festgelegte Strategie mit dem Ziel, die EU bis zum Jahre 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“ (Europäischer Rat, 2000). Die wirtschaftspolitischen Bestrebungen mit dem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit einerseits und die Bildungspolitik mit Ausrichtung auf Beschäftigungsfähigkeit andererseits, verschmelzen fortschreitend und münden in gemeinsame Zielsetzungen des Kopenhagen- Prozess 2002 und des daran anschließenden Kommuniqué von Maastricht im Jahre 2004. In diesem Kommuniqué wurde die Entwicklung des EQR, die Schaffung eines europäischen Leistungspunktesystems für die berufliche Bildung, die Einführung des Europasses und die Validierung informellen Lernens forciert. Die Teilnehmer waren: die europäischen Bildungsministern aus 32 Ländern, die europäischen Sozialpartner und die Europäische Kommission. Zusammengefasst werden diese Initiativen und Maßnahmen ab 2004 in dem Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ (Europäische Kommission, 2005, S. 11; Europäischer Rat, 2004, S.3-5).

Der Europass als Transparenzinstrument zum Ausweis persönlicher Qualifikationen wurde 2005 eingeführt und soll als Portfolio alle relevanten individuellen Dokumente zusammenfassen4. Damit soll eine einfache und klare Präsentation individueller Lernergebnisse gegenüber potenziellen Arbeitgebern und Bildungseinrichtungen erleichtert werden. Zudem sollen dabei klare Bezüge zwischen den Europass-Dokumenten und den Referenzniveaus des ERQ hergestellt werden (vgl. Europäische Kommission, 2005, S. 37).

Die Ausarbeitung des EQR wurde in dem Grundlagendokument der Europäischen Kommission „Auf dem Wege zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für das lebenslange Lernen“ im Jahre 2005 konkret umgesetzt, 2006 nach Abschluss des entsprechenden Konsultationsprozesses überarbeitet und im Oktober 2007 von Europäischem Parlament und -Ministerrat angenommen. Die Teilnahme an der Einführung des EQR ist freiwillig und zieht keine rechtlichen Verpflichtungen nach sich (Europäische Kommission, 005, S.4) Deutschland hat einer Beteiligung zugestimmt und der dafür erforderliche Nationale Qualifikationsrahmen (NQR) befindet sich gegenwärtig in der Ausarbeitung.

Auch die Konzeption für das Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) ist bereits abgeschlossen und der dazu gehörige Konsultationsprozess ebenfalls beendet. Bis 2012 soll die Umsetzung dazugehöriger Maßnahmen erfolgen (Europäische Kommission, 2008, S. 7; Europäisches Parlament, 2007, S. 6-7).

Die Strukturprinzipien von EQR und Leistungspunktesystemen stellen im Hinblick auf eine EU-kompatible Entwicklung nationaler Verfahren zur Validierung informell erworbener Kompetenzen den Orientierungsrahmen dar. Aus diesem Grunde werden im Folgenden zunächst die konzeptionellen Grundlagen dieser Maßnahmen erläutert, um anschließend die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das deutsche Bildungssystem herzuleiten.

2.3 Kernelemente des europäischen Berufsbildungsraumes

2.3.1. Der Europäische Qualifikationsrahmen

Der EQR als Instrument zur Transparenz und Vergleichbarkeit von Qualifikation bietet für diese ein gemeinsames Referenzsystem in Form einer Matrix mit acht vertikal angeordneten Niveaustufen und drei horizontal angeordneten Dimensionen bzgl. verschiedener Arten von Lernergebnissen. In diesem Kontext ist die Differenzierung der Begriffe Lernergebnis und Qualifikation im Sinne der Europäischen Kommission von Bedeutung: Lernergebnisse beschreiben, was ein Lernender nach Abschluss eines kumulativen Lernprozesses weiß, versteht und in der Lage ist auszuführen. Sie erlangen durch Zertifizierung5 einer autorisierten Stelle den Status einer Qualifikation (Europäische Kommission, 2006a, S. 17) und können dann einer Zelle der Matrix, d.h. einer bestimmten Hierarchiestufe und Dimension zugeordnet werden. Qualifikationen beziehen sich dabei sowohl auf komplette Ausbildungsgänge als auch auf einzelne Teilqualifikationen (Baethge et al., 2006, S. 19). In den Hierarchiestufen findet das zunehmende Anspruchsniveau und der zunehmende Komplexitätsgrad von Qualifikationen Berücksichtigung. Sie umfassen den Abschluss der Pflichtschule in der rsten Stufe bis hin zur Promotion in der obersten Stufe (Europäische Kommission, 2005, S. 19). Bei der Entwicklung des EQR folgte die Kommission u.a. den Empfehlungen des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop). Im Zuge der konkreten Ausarbeitung und Formulierung sowie der Festlegung der Niveaustufenanzahl ging es besonders darum, einen Kompromiss zwischen praktikabler, einfacher Handhabung für die Adressaten und einer eindeutigen Zuordnung zu finden sowie die bisherigen internationalen Erfahrungen mit Nationalen Qualifikationsrahmen mit einzubeziehen (Coles & Oates, 2005, S. 59-64). Der Einbezug bereits existenter Qualifikationsrahmen findet vor allem in der Prägung der EQR-Gestaltung nach angelsächsischem Vorbild Niederschlag, da Großbritannien bereits über einen NQR verfügt (Bohlinger, 2006, S.4). Demgegenüber werden in den Dimensionen die Qualifikationen der einzelnen Stufen des EQR jeweils in Bezug auf drei Arten von Lernergebnissen, den Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen, beschreibend zugeordnet. Die Kenntnisse erfassen dabei das Theorie- und Faktenwissen. Der Anwendungsbezug dieses Wissens kommt in den Fertigkeiten zum Ausdruck. Die dritte Dimension formuliert erworbene Kompetenzen als „ die nachgewiesene Fähigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und/oder methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und/oder persönliche Entwicklung zu nutzen“. Zudem sind Kompetenzen auf die Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit bezogen (Europäische Kommission 2006a, S.18). Basierend auf diesen Kriterien können daran anschließend Deskriptoren für jede Zelle als Referenzpunkte festgelegt werden, aufgrund derer die Einordnung von Qualifikationen vorgenommen wird (vgl. Anhang 1).

Der EQR erlaubt es, nationale sowie auch sektorale Qualifikationsrahmen aufeinander zu beziehen und dadurch

vergleichen zu können. Mittels festgelegter gemeinsamer Referenzpunkte wird er zum Übersetzungsinstrument und Meta-Rahmen (Europäische Kommission, 2005, S. 4). Verfügt ein Mitgliedsstaat über einen NQR, können nationale Qualifikationen über dessen Niveaustufen dem EQR zugeordnet und darüber mit den Qualifikationsrahmen und

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Funktionsweise des EQR

(in Anlehnung an Hanf & Fahle)

Qualifikationen eines europäischen Nachbarlandes verglichen werden.

Dieses zweischrittige Vorgehen, ermöglicht die Berücksichtung nationaler Individualitäten und die so geschaffene Transparenz begünstigt die nationale und internationale Arbeitsmobilität, da die ergebnisorientierten Befähigungen aus dem Kontext in dem sie erworben wurden herausgelöst werden und somit für künftige Arbeitgeber und Bildungsanbieter einfacher vergleichbar sind. Die beschriebene Ausrichtung auf Lernergebnisse als Outputs von Bildungsprozessen unterstützt die Gleichstellung schulischer, beruflicher, universitärer und informeller Qualifikationen. Weiter ist die Anrechnung und Akkumulierung erbrachter Leistungen vorgesehen. Es sind besonders diese beiden Charakteristika, die die Durchlässigkeit innerhalb eines und zwischen verschiednen Bildungssystemen erhöhen und eine höhere Bildungsmobilität für die Lernenden ermöglichen. Förderlich ist hierfür auch die vorgesehene Zertifizierung von informell erworbenen Kompetenzen. Zahlreichen Personen, wie Seiteneinsteigern oder ungelernten Arbeitnehmern, eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu dokumentieren und zum Anschluss an weiterführende Bildungsgänge zu nutzen (Hanf, 2006, S. 54-57). Die endgültige Anerkennung von Abschlüssen ist nicht die Intention des EQR. Diese Funktion übernimmt die EU-Richtlinie für Berufsqualifikationen aus dem Jahre 2005 (Europäische Kommission, 2005, S. 9).

2.3.2 Leistungspunktesysteme zur Übertragung und Anrechnung von Qualifikationen

2.3.2.1 Das Europäische Credit Transfersystem zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen

Zur Erhöhung der Mobilität von Studierenden in der EU durch Transfer und Anerkennung bisher erbrachter Studienleistungen, wurde ab 1989 im Rahmen eines Modellversuchs als Teil des EU-Mobilitätsprogramms Erasmus das „European Credit Transfer and Accumulation System“ (ECTS) entwickelt, dessen Implementierung in der Bologna-Erklärung 1999 beschlossen wurde (Bologna-Erklärung, 1999; ECTS Users` Guide, 2005, S. 3).

Das ECTS funktioniert, indem ein Lernprogramm, wie bspw. ein vollständiger Studiengang, als kohärenter Aufbau von Lerneinheiten verstanden und in Einzeleinheiten (z.B. Module) unterteilt wird. Die Lerneinheiten sind im Wesentlichen durch die Merkmale Zeitaufwand der Studenten, angestrebte Lernergebnisse, erzielbare Kreditpunkte und Prüfungsmodalitäten spezifiziert. Die Anrechnung der Kreditpunkte für die jeweilige Lerneinheit erfolgt bei Erfüllung der konkretisierten Anforderungen, d.h. nach entsprechender Überprüfung der Lernzielerreichung. Daneben sieht das ECTS-System, durch eine Level-Struktur mit sieben Stufen, die Klassifizierung der individuellen Leistungen im Vergleich zu anderen Absolventen eines nationalen Bildungssystems zur Erhöhung der Transparenz vor (ECTS Users` Guide, 2005, S. 4, 14-15).

Das ECTS ist mittlerweile zum zentralen Element in den gestuften Studienstrukturen mit Bachelor- und Mastergraden geworden. Dabei gewinnt auch zunehmend die Akkumulierung und Anerkennung bisher erbrachter Studienleistungen sowie die Anrechnung informell erworbener Kompetenzen an Bedeutung. Durch die mögliche Accreditation of Prior Experientation Learning (APEL) ergibt sich sein großes zukünftiges Potenzial für die Anerkennung informeller Lernleistungen und die Unterstützung lebenslangen Lernens. Vor dem Hintergrund einer angestrebten erhöhten Durchlässigkeit im Bildungssystem, Hochschulzugangserleichterung sowie Studienzeitverkürzung scheint das ECTS ein hilfreiches Instrumentarium zu darzustellen. Auch informelle Lernleistungen könnten dabei in Bezug auf bestimmte Module überprüft und somit angerechnet und anerkannt werden, wie es bspw. in den USA und Großbritannien bereits praktiziert wird (Bologna-Erklärung, 1999; Dohmen, 2001, S. 94-97, 110-111; ECTS Users ` Guide , 2005 , S. 17).

2.3.2.2 Das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung

Das European Credit System for Voational Education and Training (ECVET) dient dazu, die Lernleistungen einer Person zwischen verschiedenen Lernkontexten und Bildungssystemen sowohl transnational als auch innerhalb eines Landes zu übertragen (Europäische Kommission, 2006b, S. 3). Dabei sind die Gesamtheit von Kompetenzen einer Person, demzufolge auch informell erworbene Kompetenzen relevant (ebd., S.7-8).

Die Übertragung von Lernleistungen funktioniert ähnlich wie das ECTS-System: Eine Qualifikation wird in mehrere Lerneinheiten untergliedert und sowohl der Qualifikation als Ganzem sowie den verschiedenen Einheiten werden so genannte ECVET- Punkte zugeordnet (Europäische Kommission, 2008, S. 13). Anschließend besteht die Möglichkeit, dass die Lernenden die erforderlichen Lernergebnisse für die einzelnen Lerneinheiten in dafür vorgesehenen Prüfungsverfahren nachweisen und dafür Leistungspunkte erhalten (entsprechend der ECVET-Punktzahl). Diese Leistungspunkte können im Hinblick auf die angestrebte Qualifikation in anderen Settings (bspw. Unternehmen, Bildungsinstitution) und sogar in unterschiedlichen Bildungssystemen angerechnet werden (ebd., S. 9-10). Zunächst werden die verschiedenen Qualifikationen eines nationalen, regionalen oder sektoralen Bildungsraumes ermittelt, beschrieben und dann in einem zweiten Schritt in Form von Lerneinheiten dargestellt. Diese Einheiten als Teile der Gesamtqualifikation enthalten einen „Satz kohärenter Kenntnisse, Tätigkeiten und Kompetenzen, die bewertet und validiert werden können“ (ebd., S. 21).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Bewertung und Anrechnung von informell erworbenen Kompetenzen im Rahmen von ECVET

(Quelle: Europäische Kommission, 2008, S. 15)

Dabei wird die Notwendigkeit zusammengehörender, sinnstiftender Einheiten hervorgehoben, um eine Fragmentierung der Gesamtqualifikation zu vermeiden (ebd., S. 9). Die Spezifikation solch einer Einheit umfasst ihren Titel, den Verweis auf die zugehörige Qualifikation, die Gültigkeitsdauer und die erforderlichen Lernergebnisse. Außerdem sind Referenzwerte der Qualifikation zum EQR und ggf. auch das NQR-Niveau sowie die zugewiesenen ECVET- Punkte angegeben (ebd., S. 22-23). Als Basis EU-einheitlicher Konzeptionen gilt die Vorgabe, dass für die erwarteten Lernergebnisse eines Jahres formaler Vollzeit- Berufsausbildung 60 ECVET-Punkte vergeben werden. Bei informellen Lernergebnissen liegt keine formale Referenzlaufbahn vor, so dass die Punktezuordnung in diesem Fall durch den Vergleich mit Qualifikationen aus dem formellen Bereich vorgenommen wird. Diese formulierten Qualifikationen sollen sich zum Zweck der Vergleichbarkeit auf den EQR (bzw. NQR) beziehen und Ähnlichkeiten der Kompetenzen, Berufsfelder oder der Lernergebnisse mit aufgreifen (ebd., S. 25). Liegen die fixierten Qualifikationen und Lerneinheiten vor, so können die Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen bewertet, validiert und anerkannt werden. Bewertung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass durch bestimmte Methoden und Verfahren festgestellt wird, ob der Lernende diese Lernergebnisse erreicht hat. Ist dies der Fall, so werden diese darauf validiert wobei eine dazu befugte Stelle bestätigt, dass die bewerteten Lernergebnisse den Erfordernissen der spezifischen Einheit oder Qualifikation entsprechen. Anschließend kann ihre Anerkennung in Form einer offiziellen Bescheinigung durch Zuteilung von Einheiten oder der Gesamtqualifikation erfolgen (ebd., S. 21)

Doch welche Auswirkungen haben die beschriebenen Maßnahmen auf das deutsche Berufsbildungssystem? Welche Umsetzungsmaßnahmen sind auf nationaler Ebene erforderlich, um die europäische Anschlussfähigkeit zu sichern und sind diese innerhalb gegenwärtiger Strukturen ohne weiteres möglich? Um diese Fragen zu beantworten, werden nachfolgend wesentliche Grundzüge der Berufsbildung in Deutschland beleuchtet und daran bedeutsame Handlungsnotwendigkeiten und Konsequenzen aufgezeigt.

2.4 Implikationen für das deutsche Berufsbildungssystem

In den kommenden Jahren wird sich die Auseinandersetzung mit dem EQR in Deutschland noch weiter intensivieren: Die Entwicklung eines Deutschen Qualifikationsrahmens, inklusive seiner Zuordnung zum EQR, soll bis 2010 abgeschlossen sein. Bis 2012 sollen ebenfalls alle nationalen Qualifikationsnachweise dem EQR zugeordnet werden und die Einführung von ECVET wird ebenfalls bis 2012 empfohlen (vgl. Europäische Kommission, 2008, S. 7; Europäisches Parlament, 2007, S. 6).

Dabei entsteht ein gewisser Handlungsdruck, da in Deutschland die Thematik der Erfassung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen erst relativ spät in den bildungspolitischen Fokus gelangte. Dies wird vor allem auf die zentralen Merkmale des deutschen Berufsbildungssystems zurückgeführt (Gnahs & Bretschneider, 2005, S. 26). Zu seinen zentralen Ordnungsprinzipien zählen die Gültigkeit des Berufskonzepts bzw. Berufsprinzips, das duale System sowie von den zuständigen Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern durchgeführte öffentlich-rechtlichen Abschlussprüfungen (Kremer, 2007, S. 3). Das deutsche Berufsbildungssystem ist zudem durch seinen hohen Formalisierungsgrad gekennzeichnet. Ebenfalls angeführt wird die Konzentration auf Input- und Prozesssteuerung über Faktoren wie personelle und materielle Ressourcen, fachorientierte Lehrpläne und didaktische Konzepte. Demgegenüber steht die Steuerung von Bildungsprozessen über die Outputs bzw. Outcomes6, wie sie in Deutschland bislang (traditionell) weniger verbreitet ist (vgl. Gnahs & Bretschneider, 2005, S. 26; Hanf & Rein, 2007, S. 8).

Mit einem Anteil von etwa 60% (Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF]) absolviert die Mehrheit der Jugendlichen eine Ausbildung im dualen System mit den beiden Lernorten Betrieb und Berufsschule. Im Sinne des Berufskonzepts orientiert sich die Ausbildung an ganzheitlichen Bildungsgängen in anerkannten Ausbildungsberufen im Rahmen der jeweiligen Ausbildungsordnung (AO)7 und den schulischen Rahmenlehrplänen. Gerade diese Kombination theoretischer und praktischer Anteile hat zur hohen Wertschätzung der dualen Ausbildung geführt (Haugg, 2007, S. 207). Dennoch haben neben dem Wandel der Qualifikationsanforderungen aufgrund der Megatrends auch systeminterne Probleme, wie bspw. der Mangel an Ausbildungsplätzen, in letzter Zeit immer wieder Kritik an dem System der dualen Ausbildung aufkommen lassen. Diese bezieht sich vorwiegend auf ihre unzureichende Flexibilität, die mangelnde Durchlässigkeit im Bildungssystem und Probleme der Kompatibilität mit den dargestellten europäischen Instrumenten (Euler & Severing, 2006, S. 23-31).

Zur Lösung dieser Problematik werden in hohem Maße Konzepte angesprochen, die sich auch in zentralen Strukturprinzipien des EQR und ECVET wiederfinden. Dazu zählen die Kompetenzorientierung in Form von erwerbkontextunabhängigen Lernergebnissen, der dadurch begünstigte Einbezug informell erworbener Kompetenzen und die Schaffung modularer Strukturen8 in der Ausbildung. Durch Modularisierung von Ausbildungsgängen, in Form von einzelnen Ausbildungsbausteinen, könnte der Bezug zu ECVET hergestellt und die darin vorgesehene Übertragung und Anrechnung informeller Lernergebnisse unterstützt werden. In diesem Zusammenhang stellt Bjørnåvold (2001, S. 18) fest, dass es besonders Länder mit dualem Systemansatz wie Deutschland und Österreich sind, die der Anerkennung informell erworbener und damit verknüpfter Modularisierung eher zögerlich gegenüber stehen. Jedoch hat Österreich im Jahre 2007 in der verabschiedeten Novelle zum Berufsbildungsgesetz die Modularisierung bereits gesetzlich verankert (Archan & Wallner, 2007).

Anders verhält es sich dagegen mit der verstärkten Kompetenzorientierung: In der teilweisen Implementierung von Bildungsstandards kommt der in den vergangenen Jahren eingesetzte Paradigmenwechsel von einer Input- zu einer Output- bzw. Outcomesteuerung besonders zum Ausdruck9. Von einem solchen Paradigmenwechsel bei der Steuerung von Bildungssystemen werden eine effizientere Gestaltung von Bildungsprozessen, erleichterte Vergleichbarkeit und bessere Ergebnisse erwartet (Sloane, 2007, S. 23-24). Die in den Bildungsstandards vorgenommene Systematisierung von Kompetenzen in Form von Kompetenzmodellen mit Teildimensionen und Niveaus (Klieme et al., 2007, S, 9), könnte sich als hilfreich für die Ausarbeitung des DQR erweisen (vgl. Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Mittleren Schulabschluss, 2003). In den Konzeptionen der Bildungsstandards werden folglich durch die Ausrichtung auf dimensionierte und hierarchisierte Lernergebnisse wesentliche Gestaltungsprinzipien des EQR aufgegriffen (vgl. auch Sloane, 2007). Allerdings existieren derzeit noch keine Bildungsstandards für den beruflichen Bereich, wobei es wesentliche Aufgabe des DQR ist, alle nationalen allgemeinen und beruflichen Kompetenzen mit einzubeziehen (Hanf & Rein, 2007, S. 9). Dies ist auch im Hinblick auf informelle Lernprozesse von besonderer Bedeutung, da diese sich tendenziell eher außerschulisch, wie bspw. am Arbeitsplatz, vollziehen.

Auch wenn in Deutschland in letzter Zeit eine zunehmende Sensibilisierung zu verzeichnen ist, so findet die sektorübergreifende, bundesweite formale Anerkennung dieser Kompetenzen nur im Rahmen weniger Verfahren statt. An dieser Stelle sind vor allem die so genannte Externenprüfung sowie der mögliche Hochschulzugang ohne Abitur für Berufserfahrene (Dritter Bildungsweg) zu nennen (Frank, Gutschow, Münchhausen, 2005, S. 21-22). Die gesetzliche Grundlage für die Externenprüfung ist in § 45 (2) des BBiG festgelegt, wonach eine Personen in besonderen Fällen zur Abschlussprüfung in einem Ausbildungsberuf zugelassen werden kann, wenn sie nachweist, dass sie "mindestens das Eineinhalbfache der Zeit, die als Ausbildungszeit vorgeschrieben ist, in dem Beruf tätig gewesen ist, in dem die Prüfung abgelegt werden soll“. Jedoch bilden die beiden Möglichkeiten eher die Ausnahme im Gesamtsystem. Aus dem Bildungsbericht 2008 geht hervor, dass an Universitäten lediglich 1% und an Fachhochschulen 2% der Studenten über den Dritten Bildungsweg die Hochschulzugangsberechtigung erlangen. Bezüglich der Zulassung zur Abschlussprüfung in Industrie und Handel sind es durchschnittlich 5%. Dennoch kann die Externenprüfung als das wichtigste Instrument bezeichnet werden, dass wir in Deutschland haben (Klieme et al., 2008, S. 9; Frank, Gutschow, Münchhausen, 2005, S 21).

In Bezug auf einen weiteren Kernpunkt, die Modularisierung, sind zwar auch in Deutschland diesbezügliche Flexibilisierungsansätze im reformierten BBiG (2005) zu erkennen10, dennoch erscheinen diese noch nicht ausreichend im Sinne einer Kompatibilität mit dem ECVET- System. Im Hinblick auf die europäische Anschlussfähigkeit und die Berücksichtigung informell erworbener Kompetenzen, scheint die Modularisierung zur „Gretchenfrage“ zu avancieren (Münk, 2005, S. 5-6). Denn mit dieser wären erhebliche Umstrukturierungen verbunden und die Untergliederung ganzheitlicher Ausbildungsberufe in Module wird oftmals als Bedrohung für das duale Ausbildungssystem angesehen (vgl. Drexel, 2006, 13- 20). Es liegt daher auf der Hand, dass es stärker modularisierte und kompetenzorientierte Länder, wie bspw. Großbritannien oder auch Finnland, wesentlich leichter haben dürften, die erforderlichen Strukturen zu schaffen (vgl. Hofer, 2004, S.37; Laur-Ernst, 2003, S. 82). Internationale Ansätze sind jedoch nicht ohne weiteres übertragbar, da sie vor dem Hintergrund anderer Ausgangsbedingungen und Traditionen entstanden sind (vgl. Gnahs & Bretschneider, 2005, S 33).

Hierzulande geht es daher vorrangig um die Entwicklung eines DQR mit Dimensionen und Hierarchiestufen, die Kompetenzen unabhängig von Bildungs- und Berufsabschlüssen beschreiben. Parallel dazu ist eine dazu passende Umformulierung nationaler (beruflicher) Qualifikationen unter Berücksichtigung der Formulierung von Teilqualifikationen als Verrechnungseinheiten von Bedeutung. Auch wenn in den Dokumenten zu ECVET keine ausdrückliche Modularisierung vorgegeben ist und die Festlegung der Qualifikationen bei den einzelnen Mitgliedsstaaten liegt, implizieren die ECVET- Prinzipien dennoch die Implementierung modularer Strukturen (vgl. auch Drexel, 2006, S. 18-19).

Als Grundlage und Sensibilisierung für die Darstellung daraus resultierender Problematiken bei der nationalen Umsetzung dieser Maßnahmen, werden im folgenden Kapitel die Komponenten informellen Lernens und unterschiedliche nationale und europäische Kompetenzverständnisse erläutert.

3. Informell erworbene Kompetenzen

3.1 Das informelle Lernen

3.1.1 Darstellung und Abgrenzung verschiedener Lernformen

In der gegenwärtigen bildungstheoretischen Diskussion zu der Thematik des informellen Lernens existiert keine einheitliche Begriffsdefinition dieser Lernform, sondern vielmehr eine Vielzahl von Definitionen und Abgrenzungskriterien, die je nach Betrachtungsperspektive und Forschungsinteresse unterschiedliche Verständnisse und Akzentuierungen aufweisen (vgl. Overwien, 2005, S. 342).

Dabei wird im internationalen und europäischen Kontext vorwiegend zwischen dem formalen bzw. formellen Lernen, dem nicht-formalen bzw. non-formalen und dem informellen Lernen unterschieden. In Deutschland hingegen werden die Lernformen des informellen und des non- formalen Lernens meist unter dem Begriff „informelles Lernen“ zusammengefasst (Frank, 2005, S. 9-10). Im Rahmen der Analyse verschiedener Definitionen, lassen sich insbesondere die folgenden Abgrenzungskriterien bzgl. formaler Lernprozesse identifizieren: Nach Dohmen (1996, S. 29) wird diese Lernform unter dem Aspekt der räumlichen Komponente als Lernen in Bildungsinstitutionen beschrieben. Die Lernergebnisse werden dabei durch anerkannte Abschlüsse und Zertifikate belegt. Bedeutsam ist nach Dehnbostel (2004, S. 8) ebenfalls das hohe Maß an pädagogisch-didaktischer Planung und Strukturierung dieser Lernprozesse. Sie sind infolge dessen durch eine ausgeprägte Ziel- und Ergebnisorientierung sowie durch die Klarheit der Lerninhalte gekennzeichnet. Zudem ist dabei der relativ hohe Grad der Lernintention und Bewusstheit eigener Lernprozesse seitens des Lernenden von Bedeutung (Dehnbostel, 2004, S. 8; Laur-Ernst, 2000, S. 162-165). Besonders komprimiert sind diese Aspekte in dem Entwurf der Europäischen Kommission (2005) zum EQR formuliert, wonach formales Lernen „in einem organisierten und strukturierten Kontext (Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung, am Arbeitsplatz) stattfindet, explizit als Lernen bezeichnet wird und (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet und führt im Allgemeinen zur Zertifizierung“ (S. 56).

Laur-Ernst (2000, S. 163) definiert formalisiertes (formales) und informelles Lernen über das institutionelle Lernangebot und die individuelle Lernnachfrage. Das formale Lernen ist dabei der Angebotsseite in staatlichen oder privaten Bildungsinstitutionen zuzuordnen.

3. Informell erworbene Kompetenzen

Unter dem informellen Lernen wird die individuelle Nachfrageseite zusammengefasst. Informelles Lernen kann dabei sowohl als subjektgesteuertes Lernen intentional im Rahmen persönlicher Zielverfolgung und somit bewusst erfolgen, als auch inzidentell, d.h. nebenbei und somit (zunächst) unbewusst. Dennoch führen beide Lernformen zu den Voraussetzungen für Arbeitsbewältigung und Beschäftigungsfähigkeit (ebd.). Bei einer Zweiteilung in informelles und formales Lernen, umfasst das informelle Lernen im Bezug auf europäische Begriffsdefinitionen das gesamte Spektrum des nicht-formalen und des informellen Lernens (vgl. auch Laur-Ernst, 2003, S. 74). In Anlehnung an die Europäische Kommission (2005) wird nicht-formales Lernen wie folgt verstanden:

„Lernen, das in planvolle Tätigkeiten eingebettet ist, die nicht explizit als Lernen bezeichnet werden (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit und Lernförderung), jedoch ein ausgeprägtes „Lernelement“ beinhalten. Nicht-formales Lernen ist im Allgemeinen intentional aus der Sicht des Lernenden und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung“ (S. 57).

Informelles Lernen hingegen vollzieht sich in Anlehnung an die Europäische Kommission (2005, S. 56) in der alltäglichen Lebensführung am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit. Dabei ist informelles Lernen in Bezug auf Lernziele, Lernzeit und Lernförderung nicht organisiert oder strukturiert. Es ist vorwiegend nicht intentional und führt üblicherweise auch nicht zur Zertifizierung. Zudem ist auch der Lernbeitrag traditioneller und neuer Medien ist in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen (Schiersmann & Strauß, 2003, S. 151- 154). Die Grundlagen der europäischen Definitionen gehen vorwiegend auf Bjørnåvold (2001, S.222) zurück. Er bezeichnet dabei informelles Lernen als Bestandteil des nicht- formalen Lernens11. Aus den Dokumenten der Europäischen Kommission zum EQR und zu ECVET geht dieses Inklusionsverhältnis nicht eindeutig hervor und es werden vorwiegend informelles und nicht-formales Lernen als eigenständige Lernformen nebeneinander aufgeführt (vgl. Europäische Kommission, 2005, S. 37, 56-47; Europäische Kommission 2006b, S.8). Aufgrund dessen und zum Zwecke klarer begrifflicher Abgrenzungen werden die Begriffe in dieser Arbeit analog zu der Europäischen Kommission (2005) gehandhabt und im Hinblick auf das nicht-formale Lernen informelle Lernprozesse nicht automatisch mit einbezogen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Übersicht über die verschiedenen Lernformen

( in Anlehnung an Bjørnåvold, 2001 und die Europäische Kommission 2005)

Des Weiteren gilt es hierbei zu beachteten, dass in der Praxis die jeweiligen Übergänge fließend verlaufen. So kann bspw. auch in formellen Lernumgebungen informell gelernt und in eher informellen Bereichen wie Familie, Freizeit, sozialer Bereich und Arbeitsplatz ebenfalls intentional und geplant gelernt werden (Laur-Ernst, 2000,S. 164; Overwien, 2005, S. 342).

Bei einer Unterteilung des erweiterten Verständnisses des informellen Lernens in nicht- formales und informelles Lernen, zeichnet sich das nicht-formelle Lernen folglich durch seine relativ höhere Intentionalität und Strukturierung aus. Informelles Lernen ist dabei tendenziell nicht intentional, nicht strukturiert und verläuft eher inzidentell (beiläufig und zufällig).

Auch wenn die Abgrenzung dieser beiden Lernformen problematisch erscheint, da sie sich oftmals auf Nuancen bzgl. der Graduierung von Intentionalität, Strukturierung und Beiläufigkeit bezieht, so sind es doch gerade die daraus resultierenden zentralen Charakteristika des informellen Lernens, die die Grenzen dieser Lernform sowie potenzielle Probleme ihrer Erfassung ergeben. Diese Eigenschaften werden, insbesondere in Abgrenzung zum nicht-formalen Lernen, in den folgenden Ausführungen eingehender beschrieben.

3.1.2. Facetten des informellen Lernens

Im Gegensatz zu den, oftmals als fremdgesteuert beschriebenen Unterrichtsprozessen in Bildungsinstitutionen, steht beim informellen Lernen die Steuerung und Initiierung durch die Lernenden selbst im Vordergrund. Entscheidendes Kriterium des selbstgesteuerten Lernens aus Sicht der Konzentrierten Aktion Weiterbildung (KAW) ist, dass „die Lernenden über die Zielausrichtung und die Hauptwege ihrer Lernprozesse und in diesem Zusammenhang auch über die Nutzung der organisierten Lernangebote und institutionellen Lernunterstützungen durch die Lernorganisation im wesentlichen selbst entscheiden“ (Dohmen, 1999, S. 291). Das heißt, der Lernende legt dabei selbst fest, wann, wie, wo und was er lernt. Dieses selbstgesteuerte Lernen kann jedoch auch in Bildungseinrichtungen stattfinden, wenn die Unterrichtsgestaltung Freiräume zur Steuerung eigener Lernprozesse durch den Lernenden lässt. Aber auch die außerschulische, betriebliche und soziale Umwelt, kann vielfältige Möglichkeiten und Räume für mehr oder weniger bewusst gesteuerte Lernprozesse bieten. Selbstgesteuertes Lernen kann somit eine Facette informellen Lernens darstellen, ist jedoch nicht mit ihm identisch sind (Dohmen, 2001, S.39-41).

Problematisch erscheint hierbei allerdings die Abgrenzung zwischen den Konzepten des informellen und nicht-formalen Lernens auf europäischer Ebene. Denn da das bewusste, selbstgesteuerte informelle Lernen im außerschulischen Bereich durchaus ein „ausgeprägtes Lernelement“ und eine intentionale Komponente aufweisen, würde es gemäß des europäischen Verständnisses nicht dem informellen Lernen zugeordnet werden, sondern sich auf das nicht-formale Lernen beziehen (vgl. auch Bjørnåvold, 2001, S. 222; Europäische Kommission, 2005, S. 56-57).

Die selbstgesteuerten, intentionalen und daher bewussten Elemente informellen Lernens können aber auch aus einem anderen Blickwinkel erklärt werden, der mit dem europäischen Verständnis informellen Lernens kompatibler erscheint: Lernen ergibt sich dabei aus der aktiven und konkreten Auseinandersetzung mit Arbeits- und Handlungserfordernissen und resultiert vor allem aus der Bewältigung nicht alltäglicher Anforderungssituationen und Lösung konkreter Problemstellungen. Dabei gilt es jedoch zu betonen, dass informelle Lernprozesse zwar selbstinitiiert, subjektiv gestaltet und somit teilweise intentional sein können; jedoch handelt es sich hierbei um keine eigentliche Lernintention. Vielmehr ist die Intention auf andere Ziele und Zwecke wie die pragmatisch-instrumentelle Bewältigung einer realen Aufgabe gerichtet (Dehnbostel, 2004, S. 8-9).

Analytisch betrachtet unterteilt Dehnbostel informelles Lernen wiederum in ein reflexives Erfahrungslernen und in ein implizites, unbewusstes und unreflektiertes, Lernen (ebd.). Erfahrungen basieren auf der „aufmerksamen Wahrnehmung von Reizstrukturen, Sinneseindrücken, Erlebnissen, Begegnungen etc. aus der Umwelt und ihrer persönlichen Verarbeitung“ (Kolb, 1984; zitiert nach Dohmen, 2001, S. 27). Informelles Erfahrungslernen ist im Gegensatz zu dem formalen Lernen auf die direkte Verarbeitung von Primärerfahrungen zum Aufbau jenes Wissens ausgerichtet, welches im jeweiligen Kontext handlungs- und lösungsrelevant ist. So ist auch allgemein beim Erfahrungslernen der Fokus auf das Zurechtkommen in einer komplexen Umwelt und nicht auf den Aufbau von abstraktem Theorie- und Regelwissen gerichtet. Bedeutend ist hierbei die Tatsache, dass erst die reflexive und aktive Auseinandersetzung mit Sinneseindrücken und Erlebnissen diese zu einer Erfahrung werden lassen. Das ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer kritischen Reflexion des Erlebten, so dass gerade der Mangel dieser kritischen Komponente als Problembereich des Erfahrungslernens (und des informellen Lernens) angesehen wird. Zudem wird die subjektive Wahrnehmung in hohem Maße von persönlichen, biographischen und sozial-kulturellen Bedingungen beeinflusst (Dohmen, 2001, S. 27-33). In Bezug auf das Verhältnis zwischen informellem Lernen und Erfahrungslernen spricht sich Laur-Ernst gegen die oftmals zu findende Gleichsetzung von informellem Lernen und Erfahrungslernen aus. Sie ist der Ansicht, dass Erfahrungslernen nicht nur informell stattfindet, sondern sich auch in Schule und Betrieb - bspw. im Rahmen arbeitsnaher und handlungsorientierter Ausrichtungen- ergeben kann (Laur-Ernst, 2000, S. 164-166). Erfahrungslernen und informelles Lernen sind zwar nicht gleichzusetzen, weisen jedoch starke Berührungspunkte auf, da sich beide Lernformen aus der aktiven Auseinandersetzung mit Handlungserfordernissen, Konflikt- und Problemsituationen ergeben, wobei der Rückgriff auf theoretisches Erklärungswissen dabei weitestgehend unberücksichtigt bleibt (Dohmen, 2001, S. 28-29).

Des weiteren wird informelles Lernen oftmals als implizites Lernen bezeichnet, was im allgemeinen als nicht-intentionales, nicht-bewusstes und nicht-verbalisiertes Lernen, das auf einer unwillkürlichen Aufmerksamkeit, beruht beschrieben wird (Oerter, 2000, S. 194-196). Es entwickelt sich in verschiedenen Tätigkeitszusammenhängen vorwiegend beiläufig neben der Realisierung individueller Handlungsziele und ist in ganzheitliche Umwelterfahrungen eingebettet, so dass an dieser Stelle gemeinsame Kennzeichen mit dem Erfahrungslernen vorliegen. Implizites informelles Lernen ist handlungswirksam und dient der Aufgabenbewältigung. Durch die beiläufigen Lernprozesse führt informelles Lernen in solchen Fällen tendenziell zu implizitem, d.h. schwer verbalisierbaren und unbewussten, Wissens. Es kann festgehalten werden, dass der implizite Charakter zur Beschreibung informeller Lernprozesse herangezogen werden kann. Implizites und informelles Lernen sind dabei jedoch nicht als deckungsgleich zu betrachten. Auch in informellen Umgebungen kann explizites, einem bewussten Zugriff zugängliches Wissen, entwickelt werden. Dies geschieht z.B. dann, wenn der Lernende seine Aufmerksamkeit zielgerichtet auf bestimmte Verfahrensweisen lenkt, um sie das nächste Mal eigenständig anwenden zu können12

(vgl. Dohmen, 2001, S. 36; Laur-Ernst, 2000, S. 163; Straka, 2003, S. 251-253).

Aus den bisherigen Erläuterungen geht hervor, dass informelles Lernen an keine Lernorte gebunden ist und somit vielfältige und heterogene Lernbereiche, Lerninhalte und Lernergebnisse aufweist. Gleichzeitig wird deutlich, dass informelle Lernprozesse in komplexe, konkrete Handlungssituationen und jeweils spezifische Kontexte eingebunden sind. Diese Situiertheit und Kontextspezifität wird auch bei Bjørnåvold (2001, S. 14) hervorgehoben13. Er geht hierbei bzgl. des Lernverständnisses von einer situierten14 bzw. (gemäßigt) konstruktivistischen Perspektive aus und verweist auf zentrale Thesen der Situated-Cognition-Bewegung. Lernen erfolgt nach diesem Verständnis durch soziale Interaktion sowie Einführung und Beteiligung an einiger jeweiligen Comunity of Practice als „Praktikergemeinschaft“ (bspw. bestimmte Berufsgruppen) in einem konkreten situativen Kontext (Bjørnåvold, 2001, S. 14; Dohmen, 2001, S.22).

Aber auch aus der handlungstheoretischen Perspektive als einem anderem lerntheoretischen Hintergrund, lassen sich Zusammenhänge zu dem informellen Lernen herstellen: Nach der Theorie zum Lernhandeln sind es eben diese Handlungen, aufgrund derer sich Denkstrukturen aufbauen und die davon ausgehend wiederum die Basis für weitere Handlungen darstellen (vgl. Aebli, 1983, S. 386). Da informelles Lernen sich in hohem Maße im Rahmen ganzheitlicher Handlungen vollzieht, können diese als eine bedeutsame Entstehungsgrundlage informeller Lernresultate bezeichnet werden. Wenngleich hier unterschiedliche lerntheoretische Ansätze zugrunde liegen, so sind es doch zusammenfassend die in authentische Lebens- und Arbeitzusammenhänge eingebetteten Handlungen, also sowohl der Situations- als auch der Handlungsbezug, die die Bedeutung des informellen Lernens als kompetenzentwickelndes Lernen hervorheben (Dohmen, 2001, S. 42-47). Diese situative und tätigkeitsintegrierte Einbindung bedingt des Weiteren eine subjektive, emotionale Prägung und stark kognitive Verhaftung in dem jeweiligen Lernkontext (Dohmen, 2000, S. 42-47; Laur-Ernst, 2000, S.168).

Doch welche Probleme und Grenzen ergeben sich aus den ermittelten Eigenschaften informeller Lernprozesse und können diese Lernprozesse formales Lernen weitestgehend ersetzen? Die folgenden Darstellungen sollen Antworten auf diese Fragen geben.

3.1.3 Grenzen informellen Lernens und sein Verhältnis zum formalen Lernen

Wie bereits deutlich wurde, erfolgen informelle Lernprozesse vorwiegend integriert in andere Lebenstätigkeiten. Durch diese starke Verhaftung in einem situativen Kontext, sind die Lernprozesse in hohem Maße von Gegenstand und Struktur dieser Umgebung abhängig. Faktoren wie ausreichende Handlungsspielräume, ein hoher Grad an Eigenverantwortlichkeit, Problemgehalt15 der Aufgabe sowie Möglichkeiten zur Kooperation und Kommunikation können dabei besonders lernförderlich wirken (Laur-Ernst, 2000, S. 166). In diesem Zusammenhang werden als Gründe für informelles Lernen im beruflichen Kontext vor allem Veränderungen in der Anforderungsstruktur, beruflicher Wandel oder organisatorische Veränderungen sowie als häufige Quelle die Kommunikation mit Kollegen über fachliche Zusammenhänge angegeben (nach einer Studie von Gear, Mc Intosh & Squires, 1994; in: Overwien, 2000, S. 181).

Die Bedeutung der Bewältigung von Problemen und Herausforderungen für den informellen Lernzuwachs findet ebenfalls in der Definition des informellen Lernens nach Dehnbostel Niederschlag. Darin heißt es, dass der Erkenntnisgewinn besonders aus Handlungen, die „nicht repetitiv erfolgen, sondern mit Problemen, Herausforderungen und Ungewissheiten verbunden sind“ resultiert (Dehnbostel, 2004, S. 9). Daraus geht deutlich hervor, in welchem Grad informelles Lernen von den Umweltbedingungen beeinflusst wird. Die Grenzen informeller Lernprozesse liegen in der Qualität dieser jeweiligen Umweltbedingungen und alltäglicher Aufgaben, da folglich vor allem bei weniger komplexen, geringer kreativitätszulassenden, vorwiegend routinierten und sich kaum wandelnden Tätigkeiten ungünstigere Lernbedingungen vorliegen. Die Tatsache, dass informelles Lernen demnach eher anlassbezogen und sporadisch stattfindet und der persönliche Alltags- und Erfahrungshorizont des einzelnen die jeweilige Grenze bildet, kann als ein wesentlicher Nachteil dieser Lernform bezeichnet werden (Dohmen, 2001, S.28).

Daraus, dass Lernen hierbei ohne didaktische Anleitung und vor allem ohne direkte Lernintention im Rahmen der Lösung konkreter Einzelprobleme erfolgt, ergibt sich der eher unsystematische, aufgabenabhängige, unkritisch- unreflektierte und subjektive Charakter informell erworbenen Wissens, wobei sich auch Missverständnisse einschleichen können. Da diese Lernprozesse oftmals beiläufig, also inzidentell, neben der eigentlichen Aufgabenbewältigung ablaufen, sind die Lernergebnisse teilweise unbewusst, d.h. implizit vorhanden, somit schwer zu verbalisieren und zudem auch aufgrund der Situationsgebundenheit nicht voll abstrahier- und transferierbar (Dohmen, 2001, S.9, 19; Laur-Ernst, 2000, S. 163-166).

Der Vorteil des informellen Lernens besteht allerdings darin, dass sich diese Aufgaben direkt aus den benötigten Anforderungen in der (betrieblichen) Praxis ergeben und somit zur zeitnahen Entwicklung gefragter Kompetenzen beitragen. Denn es ist mitunter problematisch, in einer dynamischen Umwelt, im Voraus die gefragten und relevanten Lerninhalte und -ziele in Curricula festzulegen (Dohmen, 2001, S. 13; Wittwer, 2003, S 29).

Dennoch ist der Anwendungsbereich folglich auf ähnliche Anforderungssituationen und Aufgaben begrenzt, so dass an dieser Stelle eine effektive Verbindung zwischen formalem und informellem Lernen aufgezeigt werden kann: Formale Lernprozesse sollen verstärkt an informelles Lernen anknüpfen und können dadurch eine geeignete Balance zwischen Kasuistik und Systematik herstellen. Dass infolge von problem- und handlungsorientiertem Lernen aufgebaute kontextgebundene Wissen ist nur schwer übertragbar. Dazu wäre zunächst dessen Abstraktion durch (kritische) Reflexion und Systematisierung notwendig. Dies bietet einem geeigneten Ansatzpunkt, informelle Lernprozesse aufzugreifen, diese bewusst zu machen, kritisch zu reflektieren sowie Zusammenhänge und Systematiken in der Wissensstruktur herzustellen. Daran anschließend kann eine didaktisch-begleitete Anwendung dieses Wissens und Übung im Rahmen der Lösung ähnlicher und neuer Probleme es dem Lernenden ermöglichen, dieses Wissen eigenständig und fehlerfrei in multiple Kontexte zu Übertragen und dort anzuwenden. Daraus geht deutlich hervor, dass die Lernformen nicht in einem Substitutionsverhältnis zueinander stehen, sondern dass informelles, nicht-formelles und formelles Lernen sich in einem Wechselverhältnis befinden und sich gegenseitig ergänzen, ineinander greifen und unterstützen sollen, um somit die Potenziale aller Formen auszuschöpfen zu können (vgl. Dohmen, 2001, S. 9-10;29-32; Laur-Ernst, 2003, S. 67; Overwien, 2003, S.61).

Auch wenn das informelle Lernen alleine nicht ausreicht, um die theoretischen Grundlagen für systematisches und flexibles Wissen zu schaffen, wird es dennoch in der bildungspolitischen Diskussion für die Lösung vielfältiger Probleme in Bezug auf Aus- und Weiterbildung herangezogen. Die zentralen Begründungen für die Hinwendung zum informellen Kompetenzerwerb werden daher in den folgenden Ausführungen näher erläutert.

3.2 Bildungstheoretische und -politische Einordnung informeller Kompetenzent wicklung

3.2.1 Gründe für die Hinwendung zum informellen Kompetenzerwerb

Die Motive für die verstärkte Berücksichtigung informell erworbener Kompetenzen lassen sich aus verschiedenen Perspektiven heraus begründen. Die gegenwärtige Argumentation stützt sich vorwiegend auf die Notwendigkeit der Anpassung an die infolge der Megatrends veränderten Arbeits- und Beschäftigungsstrukturen. Informelles Lernen bietet, durch seinen Bezug zu aktuellen Qualifikationserfordernissen am Arbeitsplatz, die Möglichkeit, als Medium zwischen den gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Veränderungsprozessen und dem individuellen Kompetenzaufbau zu fungieren. Es unterstützt die kurzfristige Entwicklung aktuell relevanter Kompetenzen und kann somit zur Sicherung der Beschäftigungs- und Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen stetiger Veränderungen dienen (vgl. Erpenbeck, 2005, S.42-43; Kremer, 2003, S. 7-8; Wittwer, 2003, S. 29). Besonders die Unabhängigkeit des informellen Lernens von konkreten Lernorten und seine Integration in die alltägliche Lebensführung, scheint Potenzial für flexibles und individuelles Lernen ohne hohe Weiterbildungsausgaben zu bieten.

[...]


1 Vgl. dazu den Titel seiner Publikation „Das informelle Lernen. Die internationale Erschließung einer bisher vernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller“ (Dohmen, 2001).

2 Zur vereinfachten Lesbarkeit wird bei der Bezeichnung von Personengruppen in dieser Arbeit nur die männliche Form verwendet; gemeint sind selbstverständlich stets Frauen und Männer.

3 Validierung bezeichnet den „Vorgang der Bewertung und Anerkennung eines ganzen Spektrums von Fertigkeiten und Kompetenzen, die Personen im Laufe ihres Lebens in unterschiedlichen Zusammenhängen, z.B. durch Bildung, bei der Arbeit und in der Freizeit, erworben haben“ (Bjørnåvold, 2001, S. 232).

4 Der Europass beinhaltet dabei die folgenden Dokumente: Den Europass-Lebenslauf, den Europass Sprachenpass (beide Dokumente sind von dem Betreffenden selbst auszufüllen) sowie die Europass Zeugniserläuterung, den Europass-Diplomzusatz und den Europass- Mobilitätsnachweis zur Aufführung konkreter Mobilitätsinitiativen (werden von zuständigen Organisationen wie Unternehmen, Universitäten etc. ausgefüllt ) (Europäische Kommission, 2005, S.17).

5 Gemäß der EU-Kommission (2005) bezeichnet Zertifizierung die „Formelle Validierung von Kenntnissen, Know-How und/oder Kompetenzen des Einzelnen im Gefolge eines standardisierten Bewertungsverfahrens. Die Zertifizierung schließt mit der Verleihung einer (anerkannten) formalen Qualifikation (Befähigungsnachweis, Bescheinigung, Diplom, Zertifikat oder Zeugnis) durch eine akkreditierte ausstellende Stelle oder Behörde“ (S. 55).

6 In Anlehnung an Sloane kann zwischen Outputs und Outcomes von Bildungsprozessen unterschieden werden: Während Outputs sich auf den unmittelbaren Lernerfolg in Form von konkreten Lernergebnissen bezieht, zielt Outcome auf die Wirkung der Outputs in Bezug auf die Anwendung bzw. Übertragung des gelernten in Lebenssituationen ab (Sloane, 2007,S. 24).

7 Die Inhalte der Ausbildungsordnungen sind im Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO) geregelt.

8 Modularisierung bedeutet in der Berufspädagogik die „curriculare Zerlegung der Berufsausbildung in

unterschiedliche, in sich mehr oder weniger abgeschlossene Lehrgänge“. Sie wird auch oftmals als „BaukastenSystem“ umschrieben (Münk, 2006, S. 373).

9 Die Implementierung der Bildungsstandards ist u.a. die Reaktion auf die nicht zufriedenstellenden Ergebnise im „Programme for International Student Assessment“ (PISA, 2000) sowie der „Third International Mathematics and Science Study“ (TIMSS, 2000).

10 Diesbezügliche Änderungen beziehen sich u.a. auf die in § 5 des BBiG festgelegten Möglichkeiten, wie bspw. die Vereinbarung von Zusatzqualifikationen oder der Stufenausbildung. Es wurde jedoch (noch) keine Modularisierung festgelegt.

11 Bjørnåvold (2001) unterscheidet in diesem Zusammenhang die drei Lernformen folgendermaßen: Formales Lernen ist ein „Lernprozess in einem organisiertem Kontext im förmlichen Bildungswesen (Lernen, betriebliche Weiterbildung usw.), der als Lernen bezeichnet wird. Anmerkung: formales Lernen kann zu einem anerkannten Abschluss führen (Zeugnis, Bescheinigung)“ (S. 221). Nicht-formelles Lernen bzw. nicht-formales Lernen bezeichnet Lernen, „das in planvolle Tätigkeiten eingebettet ist, die nicht explizit als Lernen bezeichnet werden, jedoch ein ausgeprägtes „Lernelement“ beinhalten. Anmerkung: Im Gegensatz zum formalen Lernen umfasst das nicht-formale Lernen (a) etwas, das bisweilen als halb strukturiertes Lernen bezeichnet wird, d.h. Lernen in Umgebungen, die eine Lernkomponente enthalten (z.B. Quality Management), und (b) zufälliges Lernen, das sich aus alltäglichen Situationen (auch am Arbeitsplatz) ergibt und im Folgenden als informelles Lernen definiert wird“ (S. 222). Informelles Lernen beschreibt „Lernen, das aus alltäglichen Aktivitäten (am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Freizeit) erwächst. Anmerkung: Informelles Lernen ist Teil des nicht formalen Lernens. Es wird auch oft als Erfahrungslernen bezeichnet und kann bis zu einem gewissen Grad als zufälliges Lernen aufgefasst werden“ (S. 222).

12 Explizites Wissen bezeichnet „Wissen, auf das ein bewusster Zugriff möglich ist und das verbalisiert oder in anderer Form (durch Handeln oder Vermeidung von Handlungen) geäußert werden kann oder Wissen über ein Objekt bzw. einen Sachverhalt, auf den die Aufmerksamkeit gerichtet ist (fokales Wissen)“ (Bjørnåvold, 2001, S. 220).

13 Bjørnåvold spricht an dieser Stelle zwar vom nicht-formalen Lernen, da aber informelles Lernen nach ihm Bestandteil des nicht-formalen Lernens ist, können die Merkmale an dieser Stelle ebenfalls auf informelle Lernprozesse bezogen werden.

14 Die situierte Perspektive betrachtet Lernen als Verbesserung der Fähigkeit des Interagierens mit Personen und Dingen.

15 Probleme sind durch einen unerwünschten Anfangszustand, einen erwünschten Endzustand und einer Barriere, die die Überführung des Anfangs- in den Endzustand im Augenblick verhindert, gekennzeichnet. Die Barriere unterscheidet ein Problem von einer Aufgabe, bei der der Lösungsweg bekannt ist (Edelmann, 2000, S.209).

Ende der Leseprobe aus 137 Seiten

Details

Titel
Zur Problematik der Erfassung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen vor dem Hintergrund der Europäisierung beruflicher Bildung
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Wirtschaftspädagogik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
137
Katalognummer
V140174
ISBN (eBook)
9783640497379
ISBN (Buch)
9783640497553
Dateigröße
3384 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problematik, Erfassung, Bewertung, Anerkennung, Kompetenzen, Hintergrund, Europäisierung, Bildung
Arbeit zitieren
Meike Westermann (Autor:in), 2008, Zur Problematik der Erfassung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen vor dem Hintergrund der Europäisierung beruflicher Bildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140174

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