Mythen und Imaginationen des Wellenreitens - Zur Kultursoziologie einer Szenesportart


Examensarbeit, 2006

89 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhalt

1. EINLEITUNG

2. FRAGESTELLUNG UND ERKENNTNISINTERESSE

3. AUFBAU DER ARBEIT

4. HISTORISCHER ABRISS ZUR ENTWICKLUNG DES WELLENREITENS

5. SZENE
5.1 Auswahlkriterien
5.2 Definition des Szenebegriffs
5.3 Die Wellenreiterszene
5.4 Fokussierung

6. DARSTELLUNG DER METHODE ZUR AUSWAHL DER DREI KOMPLEXE

7. DARSTELLUNG DER KOMPLEXE/THEMENBEREICHE
7.1 Helden und Spots
7.1.1 Helden
7.1.2 Spots
7.2 Der Surftrip
7.3 Geisteshaltung, Bewegungsformen und Gefühle

8. WEITERF‹HRENDE FRAGESTELLUNGEN

9. FAZIT

10. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Seit ich 1999 in Australien meine persönliche Initiation in das Surfen durch den freundlichen Chef eines Backpackerhostels mit den ungef‰hren Worten ÑYou just take that thing down to the water and give it a go!ì erhielt, fasziniert mich die Auseinandersetzung mit den Kr‰ften des Meeres. Mit Aufnahme des Sportstudiums und insbesondere der Besch‰ftigung mit unterschiedlichen Themen der Sportsoziologie wuchs nicht nur mein persönliches, sondern auch mein wissenschaftliches Interesse an einem sich mir immer mehr öffnenden Sonderbereich der Sportausübung. Hatte ich mich noch vor meinen ersten eigenen praktischen Erfahrungen gar nicht mit dem Surfen auseinandergesetzt, so konnte ich in den folgenden Jahren feststellen, wie ich in immer tiefere Schichten einer ÇSportszeneí, wie sie hier genannt werden soll, vordrang. In beeindruckender Form konnte ich feststellen, wie sich meine auf Wellen und Orte bezogenen Wahrnehmung ‰nderte, ich meinen Sprach- und Kleidungsstil zumindest in Teilen an andere Surfern anglich und meine Urlaubsplanungen sich zunehmend in Bahnen vorher nicht bekannter Ideen und Vorstellungen entwickelten.

Die wiederkehrenden Mythen und Imaginationen - die ich mit vielen anderen Wellenreitern zu teilen schien - und an denen ich mich vermehrt orientierte, die ich hörte, erz‰hlte und lebte, haben mich dabei schon immer in besonderem Mafle interessiert. Meine Arbeit verstehe ich somit auch als Hinterfragung meiner eigenen Entwicklung.

Wissenschaftliche Betrachtungen zum Wellenreiten sind kaum vorhanden, die wenigen Abhandlungen, die ich hier benutze, stammen fast ausschliefllich aus dem englischsprachigen Raum. Sie behandeln, abgesehen von dem hervorragenden Werk von Nick Ford und David Brown1, meist kleine Teilbereiche des weiten Feldes des ÇSurfensí.

Ich möchte - unter anderem im Rückgriff auf die theoretischen Grundlagen des Szenekonzeptes von Hitzler, Bucher und Niederbacher - versuchen, ein vertieftes Verst‰ndnis dreier ausgew‰hlter Kernbereiche der Surfszene, noch genauer formuliert der Kultur dieser Szene, zu ermöglichen und somit einen weiteren, bisher wenig beachteten Teilbereich zu beleuchten. Neben dem Nachweis der besonderen Stellung und der herausragenden Bedeutung dieser Themen soll es also darum gehen, einige der Gründe anzuführen, die zu dem vertieften Interesse und den resultierenden Wirkungen auf Szeneg‰nger beitragen mögen.

Besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinen Eltern, die es mir erst ermöglicht haben die diversen ÇForschungsreisení durchzuführen, die nötig waren um ein vertieftes Verst‰ndnis der Wellenreiterszene zu erlangen und somit einen Teil des Fundamentes dieser Arbeit zu schaffen.

2. Fragestellung und Erkenntnisinteresse

Die vorliegende Arb eit besch‰ftigt sich auf unterschiedlichen Ebenen mit Fragen nach den Kernthemen der ÇWellenreiterszeneí, die sich in den Mythen und Imaginationen der Szene ‰uflern. In der anf‰nglichen Einengung auf das Szenekonzept sind Fragen nach der Konstitution von Szenen sowie der speziellen Kultur von Szenen angelegt, die ich in Form einer datengestützten Analyse und Konstruktion der (Kern-)Themenbereiche versuche zu beantworten. Fragen nach historischer Werdung, Hintergründen und möglicher Anbindung der Themen an bestehende Untersuchungen und theoretische Konzepte wird nachgegangen. Ziel ist es dabei, anhand unterschiedlicher Materialien (siehe 6.) die geteilten mythenhaften Erz‰hlungen, Vorstellungen und mögliche Wissensbest‰nde der Szene darzustellen und tiefer gehend zu beleuchten.

In einem weiteren Punkt soll in verkürzter Form ausgesuchten Fragen nach der tieferen Verbindung der Praktiken und Imaginationen, sowie den Mythen des Wellenreitens nachgegangen werden.

3. Aufbau der Arbeit

Nach den einleitenden Worten, der Formulierung des Erkenntnisinteresses und der Erkl‰rung des Aufbaus der Arbeit in Punkt 1,2 und 3 folgt eine kurze Darstellung der historischen Entwicklung des Wellenreitens in Punkt 4. Der folgende Punkt 5 beinhaltet Betrachtungen zur Szene, welche unterteilt sind in eine Begründung der Auswahl (5.1) des Szenekonzeptes, eine Definition des Szenebegriffes, die unter anderem zwölf grundlegende Kategorien enth‰lt (5.2), eine Kurzbeschreibung der Wellenreiterszene (5.3) sowie eine Fokussierung auf den Bereich der Szenekultur (5.4).

In Punkt 6 werden ausführlich die Methode zur Auswahl der drei Komplexe und damit einhergehende ‹berlegungen sowie die vorliegende Datensammlung aus ÑSzenedokumentenì vorgestellt.

Die folgende Darstellung der Themenbereiche in Punkt 7 beginnt je mit einer sehr kurzen Einleitung, gefolgt von Ausführungen zur (historischen) Entwicklung, auch im Rückgriff auf Punkt 4 (Geschichte des Wellenreitens). Im Weiteren werden der Bereich und seine bedeutendsten Eigenschaften, sowie szeneinterne Bedeutungen und Deutungsschemata beschrieben. Diese werden dabei je mit Beispielen versehen und wo möglich an bestehende Untersuchungen und theoretische Ans‰tze angebunden, um abschlieflend je noch einmal kurz zusammengefasst zu werden. Der Punkt wird von einem Zwischenfazit abgerundet.

In Punkt 8 wird weiterführenden Fragestellungen nachgegangen, die Konzentration liegt dabei auf der möglichen Verbindung von Imaginationen und Praktiken. Den Abschluss der Arbeit bildet das Fazit in Punkt 9, das unter anderem zusammenfasst, ein Resümee der Arbeit zieht und einen Ausblick gibt.

Ein Groflteil der fast ausschliefllich englischsprachigen Zitate wird in der Arbeit im Original wiedergegeben, um eine korrekte Wiedergaben des Sinnes zu gew‰hrleisten. Ebenso verwende ich ausschliefllich die m‰nnliche Form. Handelt es sich bei einem Groflteil der von mir zitierten und untersuchten Personen zwar tats‰chlich um M‰nner, so sind grunds‰tzlich doch immer beide, Frauen und M‰nner gemeint.

4. Historischer Abriss zur Entwicklung des Wellenreitens

Ich werde hier einleitend einen stark verkürzten Abriss der Geschichte des Wellenreitens geben, der die kulturelle Werdung und Ver‰nderung dieser Lebens- und Bewegungsform aufzeigt und als Grundlage zu den weiteren Ausführungen unerl‰sslich ist.

Ich beziehe mich dabei grunds‰tzlich in der gesamten Arbeit nur auf das im englischen als ÑStand-up-surfingì bezeichnete, also auf das Abreiten von Wellen im Stand, betrieben mit Hilfe eines Surfbretts. Die Begrifflichkeiten des Surfens und Wellenreitens werden dabei synonym verwendet.

Im Gegensatz zu den im deutschen Sprachgebrauch heute als Szenesportarten bezeichneten, wie etwa Skate- oder Snowboarding, BMX-fahren oder Paragliding, kann sich das Wellenreiten auf eine weit zurückreichende Geschichte berufen, im Rahmen derer trotz einiger Ver‰nderungen die Auseinandersetzung mit den Wellen und dem Ozean als elementarster Bestandteil immer im Vordergrund stand.

Anfang und Ende

Sch‰tzungen bewegen sich dahingehend, dass Wellenreiten als polynesische Erfindung auf den hawaiianischen Inseln seit ca. dem Jahr 1000 unserer Zeitrechnung betrieben wird, verwandte Formen sogar deutlich l‰nger.2 Der Praktik, die von einem Groflteil der Bevölkerung ausgeübt wurde, wird eine tiefe Verwurzelung in der hawaiianischen Kultur, beladen mit religiösen Zügen, nachgesagt.3 Wellenreiche Tage sollen dazu geführt haben, dass andere Besch‰ftigungen ruhten,4 Könige sicherten sich die besten Wellen und Pl‰tze, es gab sogar Wettk‰mpfe5 und bei Ausbleiben geeigneter Dünung hatte ein spezieller Priester, ein so genannter Kahuna Zeremonien abzuhalten, die helfen sollten Wellen heraufzubeschwören.6

Seine erste schriftliche Erw‰hnung findet das Surfen bei Captain James Cook, der nach der anf‰nglichen Fehlannahme, der von ihm beobachtete Hawaiianer habe etwas von einem seiner Boote gestohlen und befinde sich nun auf der Flucht, die wiederholten Ritte eines Kanu-Surfer auf einer Welle im Jahr 1777 mit den folgenden Worten beschreibt:

„I could not help concluding that this man felt the most supreme pleasure while he was driven on so fast and so smoothly by the sea.”7

Cook scheint, einer Form eines gemeinsamen Verst‰ndnisses des Meeres gleich, die Freude zu verstehen, die der Hawaiianer beim Ritt auf der Welle empfindet. Auch Cooks Erster Leutnant James King ergeht sich sp‰ter auf derselben Reise im Bezug auf stehende Surfer voller Begeisterung:

„their first object is to place themselves on the summit of the largest surge, by which they are driven with amazing rapidity toward shore î .8

Surfboards, die so genannten ÑPaiposì, ÑAlaiasì und ÑOlosì waren damals üblicherweise aus den verschiedenen vorhandenen Harthölzern gefertigt, wogen bis zu 75 Kilo und waren ungef‰hr 12 bis 17 Fufl lang. Der Prozess der Herstellung war extrem langwierig und wurde von verschiedenen religiösen Ritualen begleitet.9 Insgesamt nahm das Wellenreiten damit eine zentrale Stellung in der polynesischen Gesellschaft ein.10

Interessant zu folgen ist dazu auch der Argumentation Martin Reeds, der Verbindungen von den Anf‰ngen der Surfkultur und ihrer entscheidenden Rolle im Alltag der Hawaiianer - bezüglich der lockeren Einstellungen der Hawaiianer zu Arbeit, Freizeit und Müfliggang - zu den vermeintlichen sp‰ter und auch heute noch in Teilen, dem Wellenreiten grundlegenden Einstellungen und Grundhaltungen herstellt. In diesem Zusammenhang erw‰hnt er beispielsweise auch, Cook habe in seinem Logbuch explizit das Desinteresse der Hawaiianer ihm gegenüber erw‰hnt, wenn sie gerade dem Surfen nachgingen, eine Vorstellung, die sich mit der völligen Hingabe heutiger Surfer deckt.11

Hatten die Freuden der Hawaiianer an der Besch‰ftigung mit dem Meer und den Wellen also eine lange Tradition, so kam das Ende umso abrupter. Das Ende brachte die Besiedlung durch amerikanische Calvinisten und die Ankunft von Missionaren ab 1820.12 War ein beachtlicher Teil der Bevölkerung schon vorher von durch Seefahrer eingeschleppten Krankheiten dahingerafft worden, so setzten die Missionare dem nach ihrem Ermessen unproduktiven, sündenbehafteten Lebensstil der Hawaiianer und damit auch dem Spiel in den Wellen nun endgültig ein Ende.13

Renaissance

Mark Twain beschreibt zwar bereits 1850 in Roughing It seine Erfahrungen mit dem Surfbrett,14 doch erst deutlich sp‰ter, am Anfang des 20ten Jahrhunderts, erlebt das Surfen, infolge des abnehmenden Einflusses der Missionare und des zunehmenden Tourismus auf den Inseln seine Wiedergeburt.15 Romantisierte Reiseberichte über das Surfen, wie der Jack Londons im Women ¥ s Home Companion16, erweckten vermehrtes Interesse bei den vornehmlich reichen amerikanischen Touristen, die nach Hawaii reisten.17 Dort gründeten Alexander Ford und George Freeth dann auch die erste ÑSurforganisationì, den Outrigger Canoe and Surfboard Club.18 Diese Beiden, sowie ein Mann namens Duke Kahanamoku waren es, die sich zu den bedeutendsten Persönlichkeiten dieser frühen ƒra entwickelten. Freeth war 1907 der Erste, der das Surfen im Rahmen einer Werbeveranstaltung für eine Eisenbahnlinie auf dem amerikanischen Festland vorführte,19 Ford schrieb in seiner Funktion als Journalist diverse Artikelüber den Sport20 und Kahanamoku, als sp‰terer Olympia-Goldmedaillengewinner und Inbegriff des Beachboys, nutzte seine enorme Popularit‰t zur weiteren Bekanntmachung der Sportart auch etwa in Australien und Neuseeland.21 Die hawaiianischen Beachboys zu denen auch Kahanamoku z‰hlte22, waren es auch, die schon früh das Bild des sorgenfreien, immer fröhlichen und entspannten Surfers pr‰gen, der andere Ziele verfolgt, als viel zu arbeiten und reich zu werden.23 Der Sport erfreute sich insbesondere auf den Inseln, aber vermehrt auch auf dem Festland Amerikas und in Australien zunehmender Beliebtheit und erhielt 1928 mit der Erfindung des hohlen und damit deutlich leichteren Surfboards durch Tom Blake erstmals starken Zulauf.24 Die Erfindung des so genannten Hot- Curl-Boards 1937 erlaubte es Wellenreitern zum ersten Mal, Wellen nicht nur in gerader Richtung auf den Strand zu, sondern fast parallel abzureiten. Den Entwicklungen neuer Techniken und einer vermehrten Zuwendung zu der noch jungen Sportart, wurde durch den Zweiten Weltkrieg jedoch ein vorl‰ufiges Ende gesetzt.

1945-1966

Nach dem Weltkrieg kam es zu verschiedenen bedeutenden Entwicklungen. Zum einen wanderte das Zentrum der Surfkultur von den hawaiianischen Inseln auf das amerikanische Festland, genauer in die Gegend um Malibu, wo schon seit l‰ngerem ein hawaiianisch inspirierter Lebensstil von einer eingeschworenen Gemeinschaft von Aussteigern gepflegt wurde.25 Hier fand auch eine der groflen Innovationen der Zeit statt: die Erfindung des Malibu- oder Potato-Chipboards um 1940, das sich durch eine vorne leicht aufgebogene Form, die Verwendung von sehr leichtem Balsaholz und die Ummantelung mit Fiberglas, sowie das Anbringen einer Finne auszeichnete.26 Dieses fand seinen Weg interessanterweise aber erst in den 1950ern nach Australien, dem zweiten groflen Zentrum der Wellenreitbewegung.27 Mit seinen nur noch 30 Pfund Gewicht, aber einer gleich bleibenden L‰nge von immer noch üblichen 10-12 Fufl L‰nge, löste es die vorher gebr‰uchlichen ca. 50-100 Pfund schweren Bretter aus Redwood ab. Die Zahl der Surfenden nahm nun st‰ndig zu, und dank der neuen Bretter waren auch neue Manöver, wie etwa das berühmte Nose-Riding, also das Abfahren der Welle mit beiden Füflen auf dem vordersten Teil des Surfbretts stehend, möglich. Ab 1956 wurde der Balsaholz-Kern dann vollst‰ndig von auch heute noch gebr‰uchlichen Kernen aus Polyurethan abgelöst. Mit dem Erscheinen der Fernsehserie Gidget - gestrickt um die Erlebnisse einer Jugendlichen in einer Surfclique - im Jahr 1959 erlebt das Surfen seinen ersten wirklich groflen Boom.

Auch wenn sich der Sport langsam zum Massenph‰nomen entwickelte, hatte der spezielle Lifestyle der kalifornischen Surfer - etwa das von Tag-zu-Tag leben, ohne festen Job sein, am Strand schlafen, singen und leben - schon von Anfang an in weiten Teilen der Gesellschaft Missgunst erweckt. Surfer galten gemeinhin als subversive Elemente, die nicht in das Bild einer sauberen, fleifligen und am Fortschritt interessierten amerikanischen Gesellschaft passten und sich zunehmend Vorurteilen sowie Restriktionen ausgesetzt sahen.28

Ab 1960 erschienen dann die ersten Surfmagazine und Surfer fanden vermehrt Möglichkeiten Geld mit ihrem Hobby zu verdienen (etwa als Doubles in Surfmovies - die zur etwa selben Zeit hoch im Kurs standen, oder durch die Herstellung von Surfbrettern usw.).29 Das Big-Wave -Surfen entwickelte sich auf Hawaii gewissermaflen als höhere Form des normalen Surfens, mit einer kleinen - und den Schwierigkeiten des Unterfangens geschuldeten - exklusiven Anh‰ngerschaft.30 Die sp‰ten 1960er Jahre waren, wie Matt Warshaw schreibt, Ñawash in marketing hypeì, Surfmarken etablierten sich ebenso wie kommerziell organisierte Surfevents, die Band Beach Boys stürmte mit ihrer Surfmusic die Charts, und Bruce Browns Film Endless Summer brach Rekorde in den Kinos und brachtet eine weitere Welle begeisterter Anf‰nger an die Str‰nde.31

Revolution, Drogen und Kommerz

Die wohl gröflte ƒnderung in seiner Geschichte erfuhr das Surfen ab 1967 mit der graduellen, aber rapide voranschreitenden Verkürzung der Bretter von vormals 10 und mehr Fufl L‰nge auf nur noch zwischen 6 und 8 Fufl am Beginn der 1970er Jahre.32 Die Leash, die das Brett mit dem Bein des Surfers verbindet, wurde erfunden und erlaubte es nun in st‰rkerem Mafle auch ungeübten Schwimmern und Anf‰ngern, sich im Surfen zu versuchen, was wiederum das früh aufgekommene Problem der ‹berfüllung an bestimmten beliebten Spots33 noch verst‰rkte.34 Die Surfer gingen mit den Entwicklungen der sp‰ten 1960er und 1970er, inszenierten und etablierten die Surfkultur als Gegenkultur (was sich beispielsweise in den erscheinenden Surfmagazinen und ñfilmen widerspiegelte), Drogen spielten vermehrt eine Rolle und ein Groflteil der Surfer lehnte Wettk‰mpfe und die fortschreitende Kommerzialisierung des Sports als Auswüchse der etablierten Konsumgesellschaft ab.35 Das Bereisen fremder L‰nder wie Marokko oder Sri Lanka wurde zu einem zentralen Thema der Surfergemeinde, unter anderem durch Endless Summer und den aufkommenden Localism36 initiiert.37 War vorher die Technik, auf der Nase des Brettes zu reiten noch eine der höchsten F‰higkeiten, so wurde nun das Tube-Riding - der Ritt unter/in dem durch nach vorne geschleuderten Wasser geformten hohlen Teil der Welle - zur gröflten Herausforderung.38 Dem Eigenverst‰ndnis der Surfkultur als Gegenkultur wirkten in dieser Zeit sowohl verschiedene Veröffentlichungen entgegen, die versuchten, dem Wellenreiten ein Ñclean, healthy imageì39 zu verpassen, als auch die Tatsache, dass sich das Wettkampfsurfen und die Bezahlung von professionellen Surfern in Form von Preisgeldern, ebenso wie die Werbung, vermehrt als Verdienstmöglichkeit etablierten.40 Das Shortboard, welches die langen Bretter vollkommen verdr‰ngt hatte, wurde immer weiter entwickelt, von Brettern mit einer und zwei Finnen ging man ab 1981 dazu über, das tri-fin-Thruster Design des Australiers Simon Anderson an praktisch allen Brettern zu verwenden.41

Die 80er bis heute

Die 80er zeichneten sich weniger durch weitere technische Innovationen, als vielmehr durch neue Formen des Surfens selber aus. Seit 1982-1983 lebte das Big-Wave Surfen wieder verst‰rkt auf, 1986 entstand mit dem Quiksilver in Memory of Eddie Aikau der erste professionelle Wettbewerb, der bis heute nur in Wellen ab 20 Fufl stattfindet und zur Etablierung einer Gemeinde von professionellen Big-Wave Surfern führte.42 Ab den sp‰ten 80ern entwickelten sich, vorangetrieben insbesondere durch die Surfer Martin Potter und Christian Fletcher, völlig neue Manöver, so genannte Aerials, bei denen die Surfer auf ihren Brettern Sprünge ausführten und sich damit als Teil der New School Bewegung definierten. Die New School zog die Entwicklung weiterer neuer Manöver nach sich, auch Parallelen zu anderen Szenesportarten, insbesondere dem Skateboardfahren, wurden verst‰rkt gezogen.43 Doch der Hype um die New School und die Entwicklung hin zu immer kleineren und schmaleren Brettern, setzte auch eine andere Entwicklung in Gange: die Rückbesinnung zum traditionellen Longboarding, das auf weniger Konkurrenzdenken im Wasser und flüssigere und entspanntere Bewegungsabl‰ufe setzte. 1986 fand zum ersten Mal eine Longboard -Weltmeisterschaft statt und die Ñalteì Form des Wellenreitens erfand sich fortan in eigenen Clubs, Magazinen, Filmen und Shops neu.44

Kelly Slater wurde in den 90ern zur schillerndsten Figur des (New School -) Surfens, mit Gastauftritten bei Baywatch - eine der erfolgreichsten Serien der 90er - und einem j‰hrlichen Einkommen von gesch‰tzten 1 Million US-Dollar, sowie einer Vielzahl von Wettkampfgewinnen, setzte er sich mit Abstand an die Spitze der Popularit‰tsskala aller Surfer.45 Das tow-in Surfen, bei dem Surfer mit Hilfe eines Jetskis in riesige, vorher nicht bezwingbare Wellen gezogen werden, entwickelte sich ab 1992 und wurde in der Folgezeit in Magazinen und Videos, als Ñletzte grofle Herausforderungì hochstilisiert und für Werbezwecke intensiv genutzt.46

Die 90er Jahre erlebten einen besonders erfreulichen Trend: die vermehrte Aufmerksamkeit von und auf Frauen im und auf das Surfen. Waren die weiblichen Mitglieder der Surfercommunity vorher weitgehend ignoriert oder gar als unf‰hig diffamiert worden,47 so zeichneten sich nun endlich Neuerungen ab. Frauensurfen bekam eine eigene, ernstzunehmende Berichterstattung, 1995 gründete sich das erste Surf-Magazin von und für Frauen, die Preisgelder für Frauenwettk‰mpfe stiegen und die Surf-Marken brachten vermehrt Produkte speziell für Frauen auf den Markt.48 Dieser Trend h‰lt bis heute an - inzwischen sind diverse Videos erh‰ltlich, es gibt Surfcamps, ebenso wie Surfshops ausschliefllich für Frauen - kann aber nicht über die tiefe Verwurzelung von m‰nnlichem Imponiergehabe und Sexismus in der Surfkultur oder etwa herabwürdigen ƒuflerungen über surfende Frauen hinwegt‰uschen, die immer noch überdauern.49

Die Surfing World Tour wurde auf Druck der teilnehmenden Surfer und Surferinnen ab 2000 wirklich zur Welt-Tour, was bedeutete, dass die Wettk‰mpfe nun nicht mehr an Orten mit möglichst groflem, werbeempf‰nglichen Publikum ausgeführt wurden, sondern an den weltbesten Surfspots, wie etwa Tavarua auf den Fidschis, Mundaka in Spanien oder Jeffreys Bay in Südafrika.50 Das Longboarding befand sich weiterhin auf dem Vormarsch und für das Jahr 2002 gingen Sch‰tzungen sogar davon aus, dass sich die Zahl von Longboardern an der Gesamtzahl der Surfer um 40 Prozent bewege. Die Zahlen der Surfindustrie lesen sich ‰hnlich beeindruckend, Firmen wie Quiksilver, Billabong oder Rip Curl verdienten im gleichen Jahr ca. 4.5 Milliarden US-Dollar mit Surfartikeln wie Boards, Bekleidung, Accessoires und Videos.51 Neuere Entwicklungen umfassen diverse Internetangebote mit Surf-Vorhersagen und Spot- Kameras, welche die Wellenwahl erleichtern sollen, sowie den Flow-Rider, eine Maschine, die eine stehende Welle an Land produziert, die mit kleinen Brettern ohne Finnen geritten werden kann.52

Betrachte ich die von mir untersuchten Quellen und die Aussagen verschiedener Autoren, so scheint es, als ob der Surfsport und die Gemeinde der Surfenden immer noch weiter wachsen. Der sich durch einen groflen Teil der jüngeren Geschichte ziehende Trend zur Kommerzialisierung scheint unvermindert anzuhalten und neue Entwicklungen erweitern weiterhin die stilistischen und technischen Möglichkeiten. Rückbesinnungen finden statt und ein Bewusstsein für die Natur, in der Surfer sich befinden, scheint verst‰rkt einzusetzen. Immer mehr Frauen surfen und die Altersspanne der Surfer wird immer gröfler. Auch die gesurften Wellen, sowie die Massen an Surfern an beliebten Spots werden immer noch gröfler, die unschönen Entwicklungen des damit oft verbundenen Localism, bleiben ein bedeutendes Thema in Veröffentlichungen.

5. Szene

Im folgenden Kapitel werde ich den von mir verwendeten Begriff der Szene vorstellen.

Dabei werde ich in 5.1 zuerst erkl‰ren, warum ich mich haupts‰chlich an die Begrifflichkeiten aus ÑLeben in Szenenì von Hitzler/Bucher/Niederbacher53 anlehne. Ich werde den Begriff und den damit verbundenen thematischen Rahmen in 5.2 einführen, um mich dann in 5.3 dem Versuch einer kurzen Szenenbeschreibung der Wellenreiter zu widmen, infolge derer auch die Grenzen des Szenekonzepts ausgelotet und andere für das Wellenreiten bedeutsame Ans‰tze kurz diskutiert werden. In Punkt 5.4 wird eine Auswahl und Verengung der für die vorliegende Arbeit bedeutenden Gesichtspunkte vorgenommen, die wichtigsten Kategorien werden dabei auf den Gegenstand hingerichtet im Anschluss an die Szenebeschreibung Wellenreiter genauer erl‰utert und mit einem eigenen Thesenversuch versehen, um so (nach der Erl‰uterung der Methode in Punkt 6) eine ‹berleitung zu Punkt 7 zu schaffen.

5.1 Auswahlkriterien

Mit dem vorliegenden Szenekonzept glaube ich aus verschiedenen Gründen eine gute Grundlage für meine weiteren Ausführungen zu den Mythen und Imaginationen der Wellenreiter gefunden zu haben. Das Konzept bildet sowohl einen umfassenden und verst‰ndlichen Einstieg, als auch eine theoretische Folie, die ich, wie sich zeigen wird, als Basis für die von mir gefundenen und vorgestellten Themenkomplexe in Punkt 7 als unentbehrlich erachte. Das Konzept vermittelt dem Leser eine Vorstellung davon, welche Mechanismen und Wirkungsweisen zur Konstitution einer Gruppe wie die der Wellenreiter beitragen und liefert einen Einblick in aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Es mag stellenweise zus‰tzlicher Erkl‰rungen und Erweiterungen bedürfen (siehe 5.3), bleibt jedoch eine unentbehrliche und zusammenfassende Grundlage für die von mir angestellten Betrachtungen.

Ein Konzept, das sich auf rein sportliche Szenen bezieht, wie etwa das von Heike Egner54, halte ich hier für zu eng und beschr‰nkt, um der Breite der ÑSzene Wellenreiterì55 und meiner Betrachtungen gerecht zu werden.

5.2 Definition des Szenebegriffs

Hitzler/Bucher/Niederbacher besch‰ftigen sich in ÑLeben in Szenenì56, wie dem Untertitel zu entnehmen ist, mit ÑFormen jugendlicher Vergemeinschaftung heuteì, ein Zusatz zum Titel also, auf den ich an anderer Stelle noch zurückkommen werde, da ich, das sei voraus gesagt, nicht von einer rein altersm‰flig Ñjugendlichenì Szenegruppe ausgehe, wenn ich von Wellenreitern spreche.

Hitzler/Bucher/Niederbacher erörtern auf den ersten Seiten ihres Buches aktuelle gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen, um den Rahmen für die Ausführungen zu Szenen abzustecken, wobei das Hauptaugenmerk in diesem Teil auf Individualisierungsprozessen liegt. Die von ihnen als sp‰t- post- oder reflexivmodern benannten Gesellschaften zeichnen sich demnach durch eine hochgradige Individualisierung aus. Subjektivierungs-, Pluralisierungs-, sowie Globalisierungsprozesse tragen dazu bei, dass sich die vormals pr‰senten Klassen- und Schichtstrukturen sowie klassische Gesellungsformen, wie etwa Familie, Nachbarschaft, Vereine, Verb‰nde und diverse andere zusehends auflösen. Als treibende Kraft hinter diesen Entwicklungen sehen die Autoren - mit jeweiligen kleineren Einschr‰nkungen - den Anstieg des durchschnittlichen Einkommens, die Zunahme an frei verfügbarer Zeit, die Bildungsexpansion sowie den umfassenden Ausbau des Rechtssystems.57 Den so konstituierten Sozialstaat verstehen sie dabei als ÑVersuchsanordnung zur Konditionierung ich-bezogener Lebensweisenì58, eine Formulierung, die von Beck/Beck-Gernsheim59 geliehen wurde. Sie führen weiter aus, „Wo ein immer komplexeres Systemnetzwerk samt Formalismen und Standardisierungen entsteht, wird das Subjekt für seine Positionierung zunehmend selbst verantwortlich.60

Damit folgen sie im Wesentlichen - wie schon weiter oben - der Argumentation zur ÑIndividualisierung der Lebensformenì von Beck/Beck-Gernsheim61, wenn weiterhin die Rede von der Differenzierung, Liberalisierung und Globalisierung des Arbeitsmarktes und der damit verknüpften Zunahme von Kompetenz-, Flexibilit‰ts-, und Mobilit‰tserwartungen sowie eines immer höheren Konkurrenzdruckes, ist.62

Diese Ñstrukturellen Ver‰nderungenì63 führen zu einer gewissermaflen zweigeteilten Entwicklung. Auf der einen Seite gewinnen die Individuen an persönlicher Entscheidungsfreiheit im Sinne multipler Lebensoptionen, anderseits führt die Entwicklung auch zum Verlust an bisherigen Ñgesellschaftlich garantierten Verl‰sslichkeitenì etwa im Sinne eines vorgezeichneten und berechenbaren Lebenslaufes:64

Individualisierung führt - vereinfacht gesprochen - einerseits zu einer Vermehrung von Handlungsressourcen und Handlungsalternativen für jene Akteure, die die Kompetenzen haben, die zunehmende Komplexit ‰ t des ( Ç globalisierten í ) sozialen Lebens für sich zu nutzen. Andererseits bef ö rdert sie aber auch die Erfahrung vermehrter und einengender Restriktionen bei solchen Akteuren, die diese Kompetenzen (warum auch immer) eben nicht besitzen.65

Individualisierung beinhaltet, wenn wir der Argumentation folgen, also sowohl Chancen als auch Risiken und führt zu kultureller Transformation sowie im Weiteren zu einer Ver‰nderung der Sozialstruktur selbst.

Den beschriebenen Pluralisierungs- und Individualisierungsprozessen, die in einer Umstrukturierung des sozialen Lebens gipfeln, haben sich verschiedene aktuelle Forschungsans‰tze verschrieben, die im Versuch um ad‰quate Beschreibungsmodi mit dem Begriff des Milieus arbeiten. Entscheidend ist dabei, dass die Argumentation dahingeht, auch in der ver‰nderten sozialen Realit‰t f‰nden ÑOrientierungen und Sinnsetzungenì66 des Einzelnen nicht autonom statt, sondern im weitesten Sinne weiterhin in so genannten ÑSozialisationsagenturenì.67 Hitzler/Bucher/Niederbacher kritisieren jedoch, Akteure scheinen sich nicht an die in den unterschiedlichen Ans‰tzen formulierten Milieugrenzen zu halten, vielmehr werden im sozialen Raum auf komplexe Art und Weise Kontakte, Beziehungen und Verbindungen in verschiedene Richtungen geschaffen, die, so weiter, haupts‰chlich der ‹berwindung einer empfundenen ÑEinsamkeitì dienen sollen.68 Der in der postmodernen Gesellschaft empfundenen Verunsicherung begegnen die Akteure mit einem erhöhten Bedarf an Ñkollektiven Vorgabenì.69 Doch die herkömmlichen Sozialisationsagenturen - wie etwa Kirche, Familie oder Jugendverb‰nde - können, wie weiter oben bereits angedeutet, zunehmend die in ihrer Komplexit‰t gestiegenen gesellschaftlichen Anforderungen und die damit verbundenen Fragen nicht mehr zufrieden stellend beantworten.70

„Die Frage stellt sich also, welche neuen Erfahrungsr ‰ ume die Entwicklung

von Werthaltungen, Entscheidungskompetenzen, Verhaltensweisen,

Deutungsmustern oder gar von ganzen Ç Sinnwelten í (vgl. Hitzler 1988) angesichts dieser anspruchsgeladenen und zugleich risikoanf ‰ lligen Situation maflgeblich beeinflussen.”71

Die Autoren sehen diese Erfahrungsr‰ume in Ñneuartigen

Vergemeinschaftungsformenì, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ohne die herkömmlichen Verbindlichkeitsansprüche auskommen und stattdessen auf der ÑVerführung hochgradig individualit‰tsbedachter Einzelner zur (grunds‰tzlich partiellen) habituellen, intellektuellen, affektuellen und vor allem ‰sthetischen Gesinnungsgenossenschaft basierenì.72

Wie bei den traditionellen Gemeinschaften, so herrschen auch in diesen

neuen, jenen gegenüber als Ç posttraditionell í etikettierten

Gemeinschaftsformen eigenen Regeln, Relevanzen, Routinen,

Weltdeutungsschemata - allerdings mit Lebensbereich-, Themen- und/oder gar situations-spezifisch beschr ‰ nkter, also auf jeden Fall Ç partieller í , nichtexkludierender Geltung” .73

Doch die neuen Gemeinschaftsformen zeichnen sich ebenso durch die relative Einfachheit einer W‰hl- und Abw‰hlbarkeit aus und sind auflerdem gepr‰gt von kaum vorhandenen Sanktionen und Restriktionen, was die Mitgliedschaft in mehreren dieser Bereiche angeht. Die weiterhin als ÑPosttraditionelle Vergemeinschaftungsangeboteì bezeichneten, belassen also die für die heutige Gesellschaften typischen Wahlmöglichkeiten und gleichzeitig auch den ÇWahlzwangí, die „Chancen ebenso wie die Risiken der Ç existentiellen Sorge í , d.h. der Lebensführung, der Sinngebung und vor allem der materiellen Ç Ausstattung í beim einzelnen Akteur - letztendlich auch im Hinblick auf seinen Status als Mitglied [ Ö ].”74

Der Einzelne ist - anders formuliert - zur aktiven Herstellung einer eigenen Biographie geradezu gezwungen, beh‰lt jedoch die vermeintlich unsanktionierte Wahlfreiheit, auf welche Art und wie er seine Biographie erstellen, umdeuten und erweitern möchte.75

Im Weiteren argumentieren Hitzler/Bucher/Niederbacher, die posttraditionellen, individualisierten Formen der Vergemeinschaftung werden insbesondere für die Altersgruppe der Jugendlichen immer mehr zur ÑNormalit‰tì.76 Sie merken jedoch an, herkömmliche Ans‰tze, die sich unter dem Sammelnamen ÑPeer Groupsì mit der Thematik besch‰ftigen, würden die Strukturver‰nderungen des gewissermaflen neuen sozialen Erfahrungsraumes und hierbei insbesondere den Ñmehrdimensionalen Mobilit‰tszuwachsì und die damit einhergehende ÑLoslösung von traditionellen und lebenslagenspezifischen Bindungenì77 kaum beleuchten. Im Begriff der Szene glauben die Autoren nun eine ad‰quate Möglichkeit gefunden zu haben, eben jene sozialen Wandlungsprozesse greifen und teilweise erkl‰ren zu können. In einer kurzen Vorabformulierung sollen Szenen demnach idealtypisierend sein:

„Thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln” .78

ƒhnlich formulieren etwa Schröder/Leonhardt, wenn sie Szenen als Teil der Jugendkultur sehen, in denen sich ÑAnh‰nger eines Lebensstils in einem regional begrenzten Raumì zusammenfinden.79 Schulze, zu dem weitere Ausführungen folgen, argumentiert in ÑDie Erlebnisgesellschaftì, was gesellschaftliche Entwicklungen und insbesondere Tendenzen zur Individualisierung betrifft zwar sehr ‰hnlich wie Hitzler/Bucher/Niederbacher, benutzt den Begriff der Szene aber in einem leicht ver‰nderten Sinn, wenn er diesen an den des ÑPublikumsì anbindet und ihn als ÑNetzwerk von Publika, das aus drei Arten der ƒhnlichkeit entsteht: partielle(r) Identit‰t von Personen, von Orten und Inhaltenì, sowie einem ÑStammpublikum, [Ö] festen Lokalit‰ten und [Ö] typischen Erlebnisangebotenì, definiert.80

Hier folgend möchte ich nun die zwölf Kategorien erörtern, welche Hitzler/Bucher/Niederbacher als grundlegend für Szenen erachten. Generell werde ich mich dabei kurz halten, da die einzelnen Punkte zwar für ein Gesamtbild von Szenen entscheidend sind, jedoch von mir im Weiteren nur teilweise herangezogen werden. Ich habe weiterführende, sowie verwandte Ans‰tze und Themen hier in den Fuflnoten untergebracht, um so ein zusammenh‰ngendes Verst‰ndnis des Originals zu gew‰hrleisten.

1. Szenen sind Gesinnungsgemeinschaften

Hiermit gemeint ist die aus der Abkehr von traditionellen Gemeinschaftsformen resultierende Orientierung hin zu anderen Formen, von den Autoren als ÑGesinnungsfreundeì oder Ñsingle-issue-Gruppierungenì bezeichnet.

[...]


1 Ford, Nick/Brown, David: Surfing and Social Theory. Experience, embodiment and narrative of the dream glide, New York: Routledge 2006

2 Vgl. Warshaw, Matt: The encyclopedia of Surfing, Orlando (u.a): Harcourt 2005, S.XIII, gemeint ist etwa das Abreiten von Wellen mit Hilfe von aus gebündeltem Schilf bestehenden Schwimmkörpern.

3 Vgl. etwa: Kampion, Drew/Brown, Bruce: Stoked. Die Geschichte des Surfens, Los Angeles: Evergreen 1997, S.29/30.

4 Vgl. Duane, Daniel: Caught Inside: A Surfer¥s Year on the Californian Coast, New York: North Point Press 1996, S.85.

5 Vgl. etwa Wardlaw, Lee: Cowabunga! The Complete Book of Surfing, ohne Ortsangabe: Avon Books 1991, S.5.

6 Vgl. Kampion/Brown 1997 S.30f.

7 Cook in Duane 1996, S.18.

8 King 1784, zitiert in Finney/Houston 1996, S.21, in Reed, Michael Allen: Waves of Commodification: A Critical Investigation Into Surfing Subculture, Unveröffentlichte Arbeit zur Erlangung des Master-Titels, vorgelegt an der San Diego State University 1999.

9 Vgl. Wardlaw 1991, S.9f und Kampion/Brown 1997, S.30.

10 Vgl. Warshaw 2005, S.XIII.

11 Vgl. Reed 1999, S.19.

12 Vgl. Warshaw, Matt: Zero Break. An Illustrated Collection of Surf Writing 1777-2004, ohne Ortsangabe: Harcourt 2004, S.XII.

13 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.33.

14 Vgl. Duane 1996, S.20.

15 Vgl. Warshaw 2005, S.XIV.

16 Vgl. Reed 1999, S.21.

17 Ormrod, Joan: Endless Summer (1964): Consuming Waves and Surfing the Frontier, In: Film and History: An Interdisciplinary Journal of Film and Television Studies. Ausgabe 35.1 2005 S.45.

18 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.36.

19 Vgl. ebd., S.37.

20 Vgl. Warshaw 2005, S.XIV.

21 Vgl. ebd.

22 Als Beachboys wurden junge, meist einheimische M‰nner bezeichnet, die sich ihr Geld mit Surfunterricht, Lifesaving und anderen kleinen Arbeiten für die Hotels am Strand verdienten.

23 Vgl. Warshaw 2005, S.XV, sowie insbesonders S.48.

24 Vgl. Wardlaw 1991, S.27f.

25 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.53f.

26 Vgl. zur Entwicklung der neuen Bretter die ausführliche Geschichte in: Warshaw 2005, S.121 oder Kampion/Brown 1997, S.56/57.

27 Vgl. Warshaw 2005, S.XVI.

28 Vgl. Warshaw 2004, S.XIV/XV.

29 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.82.

30 Vgl. Warshaw 2005, S.XVI; Big-Wave Surfen meint das Surfen auf besonders groflen Wellen.

31 Vgl. ebd., S.XVII.

32 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.107-109.

33 Weitere Ausführungen zu Spots folgen in 7.1.2, Spots bezeichnen generell Orte und an ihnen zu findende Wellen.

34 Vgl. Warshaw 2005, S.XVII.

35 Vgl. ebd.

36 Localism meint im Surfjargon die Versuche von Surfern ein vermeintliches Vorrecht auf einen Surfspot, den sie als ÑEigenenì bezeichnen, mit unterschiedlichen, nicht selten bis zur Gewaltt‰tigkeit reichenden, Mitteln zu wahren.

37 Vgl. Warshaw 2005, S.XVII.

38 Vgl. ebd., S.XIX.

39 Vgl. ebd., S.478.

40 Vgl. ebd., S.XIX.

41 Vgl. ebd., ein tri-fin-Thruster meint ein relativ kleines und schmales Brett mit einer bis heute kaum ver‰nderten Anordnung von drei Finnen.

42 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.133-137.

43 Vgl. Warshaw 2005, S.543.

44 Vgl. ebd., S.XX.

45 Vgl. ebd., sowie Kampion, Drew: The way of the Surfer. Living it, 1935 to tomorrow, New York: Abrams 2003, S.157f.

46 Vgl. Kampion/Brown 1997, S.176-183.

47 Man beachte als eines von ungez‰hlten Beispielen den Ausspruch Nat Youngs, der nach dem Sieg der Weltmeisterschaft 1966 in einem Interview mit dem Surfing Magazine sagte: ÑGirls shouldn¥t surf; they make fools of themselves.ì (vgl. Warshaw 2005, S.704).

48 Vgl. ebd., S.704/705.

49 Hierzu findet sich eine schier endlose Anzahl von Beispielen, die alleine genug Stoff bieten würden eine gesamte Arbeit darüber zu verfassen, sei es in Biographien von surfenden Frauen (Lisa Andersen in Kampion/Brown 1997, S.154, oder Layne Beachley in Warshaw 2005, S.50 ), dem in Surfmagazinen gezeichneten Bild von der Frau als reines Ñsexyì Beiwerk (etwa die sexistischen Reef Werbungen, die knapp bekleidete Frauen nur von hinten zeigen, sowie diverse andere - zu finden in praktisch jeder der von mir untersuchten Zeitschriften) oder in seltenen Artikeln wie dem von Matt Warshaw, der unter dem Titel Sexism Sucks eben jene vielen Formen der Herabwürdigung von Frauen anprangert (Vgl. Warshaw in George, Sam (Editor): The Perfect Day. 40 Years of Surfer Magazine, San Francisco: Chronicle Books 2001, S.138).

50 Vgl. Warshaw 2005, S.XXI.

51 Vgl. ebd.

52 Vgl. Warshaw 2005, S.XXI, sowie S.207, ebenso Kampion/Brown 1997, S.193.

53 Ronald Hitzler; Thomas Bucher; Arne Niederbacher: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute - 2., aktualisierte Aufl. - Wiesbaden: VS, Verlag für Sozialwissenschaft 2005.

54 Egner, Heike: Trend und Natursportarten und Gesellschaft, in TrendSportWissenschaft : neue Methoden, neue Sportarten, neue Theorien, Hamburg: Czwalina 1998.

55 Selbstdefinition im deutschen Sprachgebrauch, etwa in Surfing Europe, Ausgabe 1, 1999, S.26, im Englischen werden diverse Begriffe gebraucht, etwa ÑSurfing Subcultureì, am öftesten wird nur von der Gruppe der ÑSurferì allgemein gesprochen.

56 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005

57 Vgl. ebd., S.13.

58 Ebd.

59 Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim: Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994.

60 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.13, vgl. dazu auch: Jürgen Schwier: Stile und Codes bewegungsorientierter Jugendkulturen, in: Schwier, Jürgen (Hrsg.): Jugend - Sport - Kultur. Zeichen und Codes jugendlicher Sportszenen, Dvs-Tagung vom 9. - 10.10.1997 in Jena 1. Auflage, Hamburg: Czwalina 1998, S.9f.

61 Vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994, S.10-17.

62 Vgl. Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.13-14.

63 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.14.

64 Vgl. ebd.

65 Ebd.

66 Ebd., S.17.

67 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S17.

68 Vgl. ebd.

69 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.17, zitiert nach Schulze 1992, S.35.

70 Vgl. Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.17.

71 Ebd., S.17.

72 Vgl. ebd., S.18.

73 Ebd.

74 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.18, sowie auch Beck/Beck-Gernsheim 1994, S.32.

75 Vgl. dazu: S.82 aus dem Aufsatz Ronald Hitzlers zur posttraditionellen Vergemeinschaftung, in dem er weitestgehend dieselben Argumente anführt (Hitzler, Ronald: Posttraditionelle Vergemeinschaftung. ‹ber neue Formen der Sozialbindung, in: Berliner Debatte INITIAL, 9. Jahrgang, Heft. 1/1998).

76 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.19.

77 Ebd.

78 Hitzler/Bucher/Niederbacher 2005, S.20.

79 Vgl. Schröder, Achim/Leonhardt, Ulrike: Jugendkulturen und Adoleszenz: verstehende Zug‰nge zu Jugendlichen in ihren Szenen, Neuwied (u.a.): Luchterhand 1998, S.17/18.

80 Vgl. Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart - 8. Auflage, Studienausgabe, Frankfurt/Main (u.a.): Campus-Verlag 2000, S.463.

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Mythen und Imaginationen des Wellenreitens - Zur Kultursoziologie einer Szenesportart
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
2.0
Autor
Jahr
2006
Seiten
89
Katalognummer
V140085
ISBN (eBook)
9783640490363
ISBN (Buch)
9783640490615
Dateigröße
936 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythen, Imaginationen, Wellenreitens, Kultursoziologie, Szenesportart
Arbeit zitieren
Florian Zibell (Autor:in), 2006, Mythen und Imaginationen des Wellenreitens - Zur Kultursoziologie einer Szenesportart, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140085

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