Singles als Thema in der Familiensoziologie

Stellenwert, Probleme und unterschiedliche Facetten in der sozialwissenschaftlichen Forschung


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

23 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

Begriffsklärung: Was ist ein Single?

Juristische und statistische Probleme

Fernbeziehungen: Liebe auf Distanz

Neue alte Werte in der Liebe

Singles in der zweiten Lebenshälfte

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einführung

Spätestens seit den 1980er Jahren wird in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft, besonders in der Familiensoziologie über zwei Entwicklungen diskutiert, die auf den ersten Blick nicht differenziert werden könnten, es aber müssen: zum einen fällt die rapide Zunahme von Einpersonenhaushalten (die auch häufig (oftmals fälschlicherweise) als „Single-Haushalte“ bezeichnet werden) auf und zum anderen die wachsende Verbreitung des Alleinlebens im mittleren Lebensalter, also im so genannten Familienalter. Das bedeutet, dass angeblich im Laufe der Zeit mehr Menschen zumindest in einer Phase ihres Lebens als Single und/oder alleine in einem Einpersonenhaushalt leben.

Es ergaben sich zahlreiche historische Veränderungen im Bereich Partnerschaft und Familie, die zu steigenden Single-Zahlen geführt haben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Thematisierung der Multioptionengesellschaft: „Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren die sozialen Möglichkeiten begrenzt. Von einigen Abenteurern und Ketzern abgesehen, wuchsen die Menschen an dem Ort auf, an dem sie auch starben. Sie waren innerhalb strikter Klassenschranken gefangen. Ein Landpächter (…) hatte wenig Auswahl für eine Heirat: Er konnte unter den Mädchen in seinem Dorf wählen, die das richtige Alter hatten und der richtigen Klasse angehörten. Die eine, die er wirklich liebte, war vielleicht unerreichbar und er musste eine andere nehmen, die für ihn ‚zweite Wahl’ war – aber immerhin hatte er alle Möglichkeiten abgeschätzt. (…) Die Mitglieder der Oberschicht lebten in einer Welt, die sich zwar geographisch weiter ausdehnte, die dafür aber dünn besiedelt war. Auch sie kannten letztendlich alle möglichen Heiratskandidaten und wussten daher, welche Möglichkeiten es gab.“ (SOLOMON 2001, S. 412) Das jetzt neue Gefühl der Verunsicherung beschreibt er weiter so: „Wenn sich eine solche Vielfalt überall auftut – Orte, an denen man leben kann, Dinge, die man tun kann, (…) Partner, die man heiraten kann -, so ist das Ergebnis kollektive Angst“.

Die Familie wird als tragende Säule der Gesellschaft betrachtet. Dabei existiert eine typische Familie schon längst nicht mehr, sondern neue Familienformen hielten Einzug in die Gesellschaft. Die „Gattenfamilie“ (DURKHEIM) stellt ein idyllisches Bild von der institutionalisierten Einheit von Gattenehe und Eltern-Kind-Beziehung dar und wird als tragender funktionaler Pfeiler der modernen Gesellschaft gesehen. Aus diesem Grunde erscheinen Ängste über die verstärkten Auflösungstendenzen innerhalb der „Normalfamilie“ verständlich und rufen die Familiensoziologie auf den Plan. Eheschließungen gehen zurück, man spricht von einem „Geburtenstreik“ der Frauen und einem „Zeugungsstreik“ der Männer sowie von gestiegenen Scheidungszahlen. Dies lässt auf eine fortschreitende Entstandardisierung der traditionellen Familienformen schließen. Überdies nehmen parallel die Zahlen über die so genannten „unvollständigen Familien“, nichtehelichen Lebensgemeinschaften und eben Singles zu. Man kann daraus einen soziokulturellen Wandel des Familiensystems annehmen. In diesem Zusammenhang wird von Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen gesprochen.

Begriffsklärung: Was ist ein Single?

Wenn von Singles gesprochen wird, dann weiß jeder, was damit gemeint ist oder hat zumindest seine eigene Ansicht davon. Doch diese Vorstellungen gehen in verschiedenen gesellschaftlichen Disziplinen auseinander. Der Begriff „Single“ ist im Alltag und in der Forschung verwirrend, wenn nicht genau definiert ist, wovon eigentlich gesprochen wird. Singles werden beispielsweise als ökonomisch erwünschte Zielgruppe anders definiert als Singles, verstanden als sozial unerwünschte Gruppe. Daher erscheint es angebracht, zunächst der Frage nachzugehen, was unter dem Begriff „Single“ verstanden wird und welche Auffassungen in unterschiedlichen Kontexten betrachtet mehr oder weniger sinnvoll erscheint. Also: die bereits in der Alltagssprache häufig vielseitige und widersprüchliche Verwendung des Begriffs „Single“ deutet darauf hin, dass es keine allgemein akzeptierte Definition davon gibt, dafür eine ganze Reihe von bereits vorhandenen unterschiedlichen Begriffsbestimmungen.

Erstmals wurde in den 1970er Jahren in den USA eine bestimmte Personengruppe als „Single“ bezeichnet. Damit waren Menschen gemeint, die wegen ihrer primären Orientierung am Berufsleben und um der Karriere wegen freiwillig auf eine feste Partnerschaft verzichteten. Sie wurden als hedonistisch bezeichnet. Daneben führte das veränderte Verhältnis der Geschlechter zueinander zu immer mehr Singles. In den 1960er Jahren war es nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, durchaus üblich, dass Ehefrauen auf ihre eigene Karriere zugunsten des Mannes verzichteten. Mit Beginn der 1970er Jahre änderte sich dieses Verständnis allmählich. Frauen wollten weder weiterhin die eigenen beruflichen Ambitionen bedingungslos zurückstellen noch waren sie gewillt, alleine für die Erziehung der Kinder zuständig zu sein.

Ende der 1970er Jahre hatte der Begriff „Single“ in den deutschen Sprachraum Einzug gehalten. Bald darauf erfuhr er durch die Pluralisierung der Lebensformen eine erhebliche Ausdehnung und musste von nun an differenzierter betrachtet werden.

Die wohl gängigste Definition von „Single“ ist die unmittelbare Verbindung der Lebens- mit der Wohnform. Konkret bedeutet das, ein Single ist jemand, der ohne feste, dauerhafte Partnerschaft alleine in einem Einpersonenhaushalt lebt. Dabei kommt nicht heraus, ob das Alleinleben ein beabsichtigter Lebensstil ist oder eine Not- bzw. Übergangslösung. Einpersonenhaushalte werden mitunter auch als „Singlehaushalte“ bezeichnet. Der Mikrozensus betrachtet die beiden Bezeichnungen auch als synonym. Die durch den Mikrozensus somit erfasste Personengruppe zeigt eine hohe Heterogenität.

Unter Single können im aktuellen Sprachgebrauch auch ältere Menschen, die ihren Lebenspartner um zum Teil viele Jahre überleben sowie allein erziehende Mütter und Väter verstanden werden, was jedoch umstritten ist. Genauso ungeklärt ist, ob alleine wohnende, aber eine Partnerschaft führende Personen als Singles gelten. Der Statistik nach fallen sie zwar unter die Bezeichnung „Single“, denn sie werden steuerlich, sozialversicherungstechnisch und hinsichtlich ihrer Wohnverhältnisse als alleine lebend geführt, aber ob dem tatsächlich so ist, geht aus den Zahlen nicht hervor.

Daneben gibt es ein geschlechtsspezifisches Single-Verständnis. Singles gibt es – mit anderen Bezeichnungen - schon immer: die männlichen Angehörigen dieses Personenkreises wurden eher neutral als „Alleinstehende“, „Junggesellen“ oder mit wertenden Elementen als „Hagestolze“ bezeichnet. Mit dem veralteten Begriff „Hagestolz“ wurden ältere unverheiratete Männer (heute noch überwiegend in ländlichen Regionen gebräuchlich sind die Bezeichnungen „alter Junggeselle“ oder auch „eingefleischter Junggeselle“) bezeichnet. Partnerlose Frauen mussten sich nicht selten öffentliche Herabwürdigungen gefallen lassen. Sie wurden als „alte Jungfer“, „Sitzengebliebene“, „späte Mädchen“ oder ähnliches bezeichnet. Dagegen war das Bild des „Hagestolz“ oder des „alten Junggesellen“ positiver gefärbt. Beide Begriffe dienten als gesellschaftliche Stigmatisierung. Der Begriff „Singles“ hat kein Geschlechtskriterium und klingt jung, dynamisch und werbewirksamer.

ROSENMAYR/KOLLAND (1997, S. 262) machen Singles an einer Altersbegrenzung fest, die auf ein bestimmtes Lebensmuster abzielt. „In unserer Studie bezieht sich der Begriff Single auf die Altersgruppe der 30- bis 54jährigen. Diese Altersgrenzen lassen sich damit begründen, daß Jüngere sich zu einem Teil noch in Ausbildung befinden und es für das Alleinleben oft keine Alternative gibt. Wer älter ist, lebt häufig allein, weil er/sie verwitwet oder geschieden ist.“ Außerdem fließt bei ihrer Definition der Individualisierungsgedanke mit ein: „Der Begriff Single zielt aber nicht nur auf eine bestimmte äußere Lebensform, sondern auch auf eine bestimmte Lebensweise, d.h. bestimmte Werthaltungen und Beziehungsmuster, die hier konzeptuell als Individualisierung gefaßt werden. Aus der Verknüpfung von Singularisierung (sozial akzeptierte Form des Alleinlebens) und Individualisierung ergeben sich verschiedene Typen von Lebensformen bzw. Lebensweisen."

Auch die viel zitierte Single-Studie 2005 der größten Online-Partneragentur im deutschsprachigen Raum „Parship.de“ definiert Singles anhand der Frage nach einer bestehenden Partnerschaft. Doch es gibt auch Singles, die formell in einer Partnerschaft leben. Wird eine rechtlich noch bestehende, also noch nicht geschiedene Ehe als eine Partnerschaft verstanden, so gibt es eine relativ hohe Dunkelziffer an Singles unter Eheleuten.

Francois HÖPFLINGER beschreibt den Single abhängig von dessen Wohnform und Lebenseinstellung, ergo: „Ein Single ist eine alleinlebende Person, die eine positive Einstellung zu dieser Lebensform hat und das Alleinleben, mindestens vorübergehend, geniesst.“ Darüber hinaus stellt er geschlechtsspezifische Ungleichheiten fest, wenn er sagt: „Männer haben mehr Schwierigkeiten, allein zurechtzukommen. Sie sind viel mehr auf Partnerschaft und Ehe angewiesen als Frauen.“ (BINZEGGER 1999, S. 16)

Für SEIFERT (1980, S. 24) steht das ausdrückliche Wollen von Einsamkeit und Alleinsein im Vordergrund: „Hier wird das Bedürfnis, allein für sich zu sein, nur selten Wohnung und Bett mit einem anderen zu teilen, zur tragenden, praktischen Lebensgrundlage.“

Der Begriff „Swinging Single“ stammt aus USA und ist ein Stereotyp. Damit ist eine Personengruppe gemeint, die nicht in dauerhaften Partnerschaften leben wollen, sondern ständig auf der Suche nach neuen Erfahrungen, oft sexueller Natur, sind: „singles are seen as leading hedonistic lives of pleasure, as having funds for exotic leisure pursuits and as being highly active sexually.“ (CARGAN 1986, S. 201; vgl. dazu auch S. 204ff.) Dieser Typ von Singles hat keinen festen Freundeskreis und steht einem konventionellen Lebensstil eher ablehnend gegenüber. Dieses Leben kann sich der Single nur „leisten“, wenn er über ein höheres Einkommen verfügt. Man könnte meinen, dieses Phänomen sei aus der „68er-Bewegung“ entstanden, aber diese Vermutung ist nicht richtig, denn schon in den 1950er Jahren diagnostizierte STERN (1957) „swingende Tendenzen“ unter Unverheirateten. Diese männlichen Singles wurden vom Autor als „Don Juan“ und das weibliche Pendant abwertend als „Dirnentypus“ bezeichnet. „Unter Don Juan verstehen wir hier den Mann, der mehr oder minder wahllos immer neue Frauen sucht, eine Frau, die er besessen hat, bald wieder verläßt, um sich einer anderen zuzuwenden.“ (STERN 1957, S. 88) Ein „Don Juan“ geht keine feste Bindung mit seiner (Sexual-)Partnerin ein, sondern distanziert sich emotional von ihr, verachtet sie sogar manchmal regelrecht. „Dirne“ bezeichnet keine gewerbsmäßige Prostituierte. STERN versteht darunter „die Frau, die mehr oder minder wahllos sexuelle Beziehungen eingeht, sich seelisch nicht bindet, und die jede Beziehung wieder aufgibt, um eine andere einzugehen.“ (STERN 1957, S. 88)

Singles werden die Attribute „jung“, „modern“, „berufsbezogen“, „mobil“, „flexibel“, „karriereorientiert“, „konsumbewusst“, „hedonistisch“ und einige andere zugeschrieben. BAUEREISS/BAYER (vgl. 1995, S. 57) definieren Single-Sein in diese Richtung als spezifischen Lebensstil, der besondere Ernährungsgewohnheiten, Geschmacksrichtungen, Freizeitgestaltungen, Konsum- und Modestile beinhaltet genauso wie eine singlespezifische Weltanschauung. BIEN/BENDER (1995, S. 63) nennen dazu „Bindungslosigkeit, Nomadentum, Ich-Sucht, absoluter Individualismus, ohne elterliche Pflichten, berufliche und finanzielle Eigenständigkeit, Narzissmus, Reichtums-, Schönheits- und Allmachtsphantasien“. Diese Attribuierungen haben eine Grundlage: „Hier werden (...) ‚Singles’ mit eher psychologischen Dispositionen beschrieben, die – so wird vermutet – durch einen stattgefundenen Wertewandel ausgelöst wurden.“ (NAVE-HERZ/SANDER 1998, S. 19)

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Details

Titel
Singles als Thema in der Familiensoziologie
Untertitel
Stellenwert, Probleme und unterschiedliche Facetten in der sozialwissenschaftlichen Forschung
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V140050
ISBN (eBook)
9783640474981
ISBN (Buch)
9783640475131
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Single, Singles, Familiensoziologie, Soziologie, sozialwissenschaftliche Forschung
Arbeit zitieren
Sonja Deml (Autor:in), 2009, Singles als Thema in der Familiensoziologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140050

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