Jean Baudrillards Medientheorie im Spiegel aktueller Entwicklungen zu einem partizipativen Journalismus


Hausarbeit, 2009

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Medientheorie von Jean Baudrillard
2.1 Hintergrund: Simulationsmodell
2.2 Medien als Effektoren von Ideologie
2.3 Medien als System der Nicht-Kommunikation
2.4 Perspektive: Destruktion der Medien

3 Partizipativer Journalismus
3.1 Grundlegendes Prinzip
3.2 Arten partizipativer Journalismusformate
3.3 Gatewatching
3.4 Beispiel: „myheimat.de“

4 Synopse: Baudrillard und partizipativer Journalismus
4.1 Wiederherstellung der Antwort?
4.2 Medien in Bürgerhand
4.3 Partizipation – Baudrillard‘sche Zukunftsutopie?

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„[...] die Medien sind dasjenige, welche die Antwort für immer untersagt, das, was jeden Tauschprozess verunmöglicht“

(Baudrillard 2004: 284)

Diese zentrale Aussage aus Jean Baudrillards Aufsatz „Requiem für die Medien“ deutet auf den finalen Ausweg hin, den der französische Soziologe für das Mediensystem vorsieht: Um eine Antwort auf medial vermittelte Aussagen wiederherzustellen, müssten früher oder später das Mediensystem und der Begriff „Medium“ verschwinden (vgl. Baudrillard 2004: 284/290).

Mittlerweile sind seit dem ersten Erscheinen dieses medienkritischen Aufsatzes fast 40 Jahre vergangen[1]. In dieser Zeit kam es im Bereich der interpersonalen und der publizistischen Kommunikation durch die fortschreitende Entwicklung des Internets zu tiefgreifenden Veränderungen, die auch die Medienlandschaft verändert haben. Web 2.0 ist das Stichwort, das Plattformen zusammenfasst, die allesamt auf Interaktivität, Partizipation und mediale Selbstverwirklichung ihrer Nutzer ausgerichtet sind.

Dieser Trend hat auch im journalistischen Bereich zu Innovationen beigetragen, die man als Formen partizipativen Journalismus‘ bezeichnet. Dabei wird der redaktionelle Inhalt einiger publizistischer Medien nicht mehr durch professionelle Journalisten kreiert, sondern durch Laien, sogenannte „Bürger-Journalisten“ (vgl. z.B. Brauck/ Müller 2009: o.S.).

Diese Hausarbeit soll nun der Frage nachgehen, inwiefern man aktuelle Entwicklungen hin zu einem partizipativen Journalismus im Internet im Kontext Baudrillards Medientheorie reflektieren kann. Ermöglicht partizipativer Journalismus die von Baudrillard geforderte Reziprozität der Medien? Oder bleiben auch solche Medien Systeme, die den Austausch von Rede und Antwort verhindern? Im ersten Teil soll Baudrillards Medientheorie und damit seine Kritik am Mediensystem dargelegt werden. Es folgen im zweiten Abschnitt grundlegende Aspekte zum online-basierten partizipativen Journalismus, bevor im dritten Teil die beiden Elemente zusammengeführt werden.

2 Medientheorie von Jean Baudrillard

2.1 Hintergrund: Simulationsmodell

Vor einer Beschreibung der Medientheorie Jean Baudrillards ist es sinnvoll, dessen übergeordnete Theorie der Simulation zu betrachten, um einen Kontext für den Bereich der Medien zu schaffen (vgl. Windgätter 2004: 139).

Laut Baudrillard leben wir in einer Welt der simulierten Realität (vgl. ebd.: 141). Das bedeutet, dass die von uns wahrgenommene Realität nur aus der „ästhetischen Halluzination der Realität“ (Baudrillard 1988: 159) besteht. Zeichen führen dazu, dass Realität erschaffen wird, ohne dass diese simulierte Realität ein Abbild der tatsächlichen Realität wäre, also eine Referenz zu ihr hätte (vgl. Windgätter 2004: 140f.). Diesen induzierten Realitätszustand bezeichnet Baudrillard (1988: 159) als „Hyperrealität“.

Geschaffen werden die Simulakren, also die Phänomene der simulierten Realität, durch die Medien, da diese unsere Wahrnehmung bestimmen und sie es sind, die Realität explizit hervorbringen und nicht abbilden (vgl. Windgätter 2004: 140f.). Diese Simulation folge dabei einer Zweistufigkeit: Erst parallel zur Realität, um auf sie zu verweisen und dann als ersetzender, substituierender Prozess, um selbst Realität hervorzubringen durch Zeichen des Realen (vgl. ebd.: 141). Medien spielen dabei die entscheidende Rolle. Welche Charakteristika Baudrillard außerdem an ihnen ausmacht, wird in den folgenden Abschnitten skizziert.

2.2 Medien als Effektoren von Ideologie

Eine weitere gesellschaftliche Wirkung der Medien neben der Simulation einer Realität sieht Baudrillard in ihrer Solidarisierung mit dem Machtsystem, in dem sie operieren (vgl. Baudrillard 2004: 287). Unabhängig von dem Inhalt, den sie transportieren, errichten sie durch ihre Form und ihre Tätigkeit, also auch nur durch ihre pure Existenz, eine gesellschaftliche Ordnung, die auf Erhaltung des jeweils gegenwärtigen Machtsystems ausgerichtet ist. Baudrillard sieht die Medien nicht als neutrale Mittel zur Verteilung von Botschaften, sondern als ideologisch in dem Sinn, dass es die Medien sind, die die Ungleichheit gesellschaftlicher Klassen aufrechterhalten und sogar mit verursachen (vgl. ebd.: 283f.).

Er erklärt dieses Phänomen beispielhaft an der revolutionären Bewegung im Mai 1968 in Frankreich. Dort hätten sich die Medien nicht mit der Bewegung, sondern mit der Macht solidarisiert, indem die Medien ihre Form bewahrt haben. Durch das Transportieren symbolischer Aktionen haben sie laut Baudrillard die Revolution ihres Rhythmus‘ beraubt, sie haben ihr eine tödliche Öffentlichkeit verschafft. So sei die Bewegung eingeebnet und nicht – wie von den Revolutionären vermutet – verbreitet worden. (vgl. ebd.: 286f.)

Daher kommt der französische Soziologe zu dem Schluss, dass Medien keine politischen Überschreitungen (wie zum Beispiel revolutionäre Bewegungen) übertragen können, sondern dass ihnen durch die Darstellung in Medien, also „in Modelle verwandelt, zu Zeichen neutralisiert“ (ebd.: 287, Hervorhebung JB), der Sinn geraubt wird. Nur traditionelle Politik, die sich solidarisch zu den ideologischen Verhältnissen verhält, werde durch die Medien ohne Sinnveränderung übermittelt (vgl. ebd.: 287). Darin besteht für Baudrillard die Solidarität der Medien mit den herrschenden Machtverhältnissen. Denn sie unterstützen diese Verhältnisse nicht nur (als „Koeffizienten“), sondern lösen sie aus (als „Effektoren“)[2] (vgl. ebd.: 283).

2.3 Medien als System der Nicht-Kommunikation

Baudrillard sieht Massenmediatisierung als einen Prozess, dessen Ergebnis „Nicht-Kommunikation“ ist. Kommunikation sei als ein Prozess des Austausches von Rede und Antwort zu sehen. Dabei entstehe durch den reziproken Austausch auch ein persönlicher Zusammenhang zwischen den Kommunikationspartnern (vgl. ebd.: 284).

Massenmedien beschreibt Baudrillard deshalb als „anti-mediatorisch“ und „intransitiv“ (ebd.: 284), weil sie ausschließlich in eine Richtung vektorisiert sind und nur das Senden der Information und das Empfangen dieser durch den Rezipienten bewirken. Sie ermöglichen keine autonome Antwort. Ein Feed-Back an das Medium ist für Baudrillard schon als Möglichkeit im Sendeprozess enthalten und deshalb keine wirklich eigenständige Antwort, weil das Medium wiederum nicht verpflichtet ist, auf ein Feed-Back zu reagieren. Durch Medien werde eine Antwort untersagt und ein Tauschprozess verhindert. In dieser Unmöglichkeit der Antwort sieht Baudrillard die Macht der Medien und die Basis für ihre soziale Kontrolle (vgl. ebd.: 284).

2.4 Perspektive: Destruktion der Medien

Als Lösung des medialen Dilemmas sieht Baudrillard nur eine „Umwälzung der gesamten gegenwärtigen Medienstruktur“ (ebd.: 284), deren Ergebnis in der Wiederherstellung der Antwort-Möglichkeit liegt. Im Grunde geht es Baudrillard in dieser Perspektive um die Aufhebung der vermittelnden Instanzen, der Medien, bei denen der „Code“[3] den Austausch von Rede bestimmt.

Die Voraussetzungen dieser einzig möglichen Revolution sind also die prinzipielle Gleichberechtigung von Sender und Empfänger, die ständige Umkehrbarkeit der Kommunikationsrichtung und der Autonomie- und Codeverlust des Mediensystems.

Es soll laut Baudrillard nichts Vermittelndes mehr zwischen den Gesprächspartnern stehen, was die ausgetauschte Rede durch Institutionalisierung und Reproduktion sterben lässt. Deshalb müsse auch der Begriff des Mediums als eine intermediäre Instanz verschwinden, weil er die Isolation von Sender und Empfänger durch den Code manifestiere. Davon apart sieht Baudrillard aber technische und körperliche Mittel, die bei der Übermittlung zur Verfügung stehen dürfen wie zum Beispiel Ton, Bild, Sprache oder Gestik. Daran wird deutlich, dass die Umwälzung vor allem in der Funktionsweise, der Operation der Medien stattfinden müsste, um ihre gesellschaftliche Form zu verändern (vgl. zu diesem Abschnitt Baudrillard 2004: 284 und 290).

3 Partizipativer Journalismus

3.1 Grundlegendes Prinzip

Unter partizipativem Journalismus[4] versteht man im Grunde genommen den Versuch, professionellen Journalismus durch journalistische Leistungen von sogenannten Laienkommunikatoren zu ersetzen (vgl. Neuberger 2009: 68).

Durch die Entwicklung des Internets und viel mehr die Entstehung von Web 2.0-Angeboten hat sich im Internet ein Raum gebildet, der sich durch mannigfaltige Partizipationsmöglichkeiten der Nutzer, ihre Gleichheit sowie ihre Vernetzung auszeichnet (vgl. ebd.: 30). Die technischen Verbreitungskapazitäten sind anders als bei klassischen Massenmedien wie Rundfunk oder Presse fast unbegrenzt, außerdem ist das Internet für alle potentiellen Kommunikatoren offen[5] (vgl. ebd.: 51).

Mittlerweile haben sich partizipative (auch kollaborativ genannte) Medienformate im Internet gebildet, die die Nutzer dazu motivieren, selbst Inhalte zu produzieren. Diese nutzergenerierten Inhalte werden auf den Plattformen dann strukturiert erfasst (vgl. Huber/ Möller 2008: 307). Der Unterschied zu klassischen Massenmedien liegt also eindeutig darin, dass nicht professionelle Journalisten die Inhalte der Medienprodukte erstellen, sondern, dass prinzipiell jeder die Möglichkeit dazu hat und auf Beiträge von anderen Nutzern reagieren kann. Es entwickelt sich dadurch eine Ambivalenz in der Charakterisierung der Nutzer partizipativer Medienangebote – sie sind sowohl Benutzer, als auch Produzenten, sogenannte „Produser“ (vgl. Bruns 2009: 117).

[...]


[1] Der Aufsatz ist erstmals erschienen in der Essay-Sammlung: Baudrillard, Jean (1972): „Pour une critique de l’économie politique du signe“. Paris: Gallimard.

[2] Deswegen sei auch der Glaube an eine kritisch-revolutionäre Verwendung der Medien, das heißt also auch ein Glaube an ihre Befreiung, illusionär (vgl. Baudrillard 2004: 290).

[3] Zum Begriff „Code“ macht Baudrillard keine konkreten Erläuterungen. Vermutlich bedeutet der Prozess der Massenmediatisierung von Botschaften das Auferlegen des Codes.

[4] Es existieren verschiedene Bezeichnungen wie „Bürger-Journalismus“, „interaktiver Journalismus“ oder auch „Journalismus 2.0“ (vgl. z.B. Neuberger 2009: 69).

[5] Partizipative Medienformate existierten auch schon vor der Entwicklung und Verbreitung des Internets, zum Beispiel in Form von Offenen Kanälen im Rundfunk. Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich jedoch nur auf online-basierten partizipativen Journalismus, da diese Art von Journalismus erst seit der Verbreitung des Internets als dessen Grundlage in größerem Umfang auftritt.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Jean Baudrillards Medientheorie im Spiegel aktueller Entwicklungen zu einem partizipativen Journalismus
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Medientheorien im Überblick
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V139928
ISBN (eBook)
9783640469840
ISBN (Buch)
9783640470167
Dateigröße
672 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Partizipation, Citizen Journalism, Bürgerjournalismus, Reziprozität von Massenkommunikation
Arbeit zitieren
Enrico Günther (Autor:in), 2009, Jean Baudrillards Medientheorie im Spiegel aktueller Entwicklungen zu einem partizipativen Journalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139928

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