Über die Mitleidsfähigkeit Parzivals


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Mitleidstheologie

3. Parzivals erste Schritte in die Welt (Überblick)
3.1. Erziehung durch Leid
3.2. Seine drei Sünden

4. Urteile gegen Parzivals Mitleidsfähigkeit
4.1.Die Forschungsmeinung von K. Mertens Fleury
4.2. Sigune und Cundrie

5. Urteile für Parzivals Mitleidsfähigkeit
5.1. Wolframs religiöse Darstellung
5.2. Gott als Zuchtmeister

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Mitleidsfähigkeit Parzivals. Einleitend werde ich das Thema Mitleid allgemein behandeln, wobei die Theologie des Mitleids den Schwerpunkt bilden wird. Mit diesem Vorwissen wird das Problem von der Mitleidsfähigkeit Parzivals verständlicher.

Als Erstes werde ich darauf eingehen was Mitleid überhaupt ist, wie sich die Theorie dazu entwickelte und was diese Theorie mit dem Mitleid Parzivals zutun haben könnte.

Als nächstes werde ich den Werdegang des jungen Parzival erläutern, denn diese Ereignisse könnten ausschlaggebend für seine, für Sünden, erklärten Handlungen sein. Dies werde ich noch unter dem Gesichtspunkt „Erziehung durch Leid“ bearbeiten und schließlich seine Sünden noch einmal kurz zusammenfassen.

Diese Hausarbeit wird nicht nur eine Meinung darstellen, sondern sie wird aus dem Für und Wider Parzivals Mitleidsfähigkeit bestehen.

Ich werde mit der Meinung gegen Parzivals Mitleidsfähigkeit beginnen, da dies die herrschende Meinung ist. Das Kapitel für Parzivals Mitleidsfähigkeit wird daher eher eine Kritik an der ersten Interpretation sein.

Die Argumentationen gegen Parzivals Mitleidsfähigkeit erarbeite ich zuerst anhand des Forschungstextes von Katharina Mertens Fleury und dann durch die Figuren Sigune und Cundrie, die Parzival aus diesem Grund verfluchen.

Das Kapitel, das die Argumentation für Parzivals Mitleidsfähigkeit behandeln wird, werde ich gliedern in „Wolframs religiöse Darstellung“ und in „Gott als Zuchtmeister“.

Darin werde ich versuchen Parzival für mitleidsfähig erklären zu können.

Ich hoffe, ich werde damit ein rundes, übersichtliches und stimmiges Konzept über die Mitleidsfähigkeit Parzivals fertigen können.

2. Die Mitleidstheologie

Im Zuge des frömmigkeitsgeschichtlichen Paradigmenwechsels im 12. Jahrhunderts wurde auch das Phänomen des Mitleids neu gedeutet. Die mystische Theologie interpretierte das Verhältnis des gläubigen Menschen zu Gott als persönliche Begegnung. Das soteriologische[1] Versprechen der Mystik besteht in der Erreichbarkeit des Heils auf dem Wege der affektiven Identifikation mit Christus.[2]

„Auf eben diesen konstituenten mystischer Spiritualität basiert auch die Neubestimmung und Neubewertung des Mitleids.“[3]

Die traditionelle Mitleidstheologie war an den Begriff der Misericordia[4] geknüpft. Es fand eine Debatte über die Frage statt, ob die Misericordia als Fehler oder Tugend einzuschätzen sei.[5]

Sie wurde von Platon, Aristoteles und den Stoikern als unbewältigten Seelenschmerz kritisiert, als eine nicht von der Vernunft, sondern vom Affekt geleitete Haltung. In diesem Sinne definierte Seneca[6] Mitleid als seelisches Leiden und lehnte es als Fehlhaltung einer schmächlichen Seele ab. Der stoische Weise vermöge kein Mitleid zu empfinden, da er über seelische Leiden erhaben sei. Augustinus[7] stellte den angeblichen Widerspruch von Affekt und Vernunft aber in Abrede, denn insofern Mitleid zu solidarischem Eingreifen und somit zu einer vernünftigen Tat führe, sei auch der auslösende Affekt selbst vernünftig.[8]

Aus dem moraltheologischen Konzept der Misericordia wurde im 12. Jahrhundert eine neue, mystisch geprägte Mitleidsvorstellung abgeleitet. Anknüpfungspunkt für die Neubestimmung des Mitleids war der Begriff der Compassio. Dieser Begriff bezeichnete ursprünglich ein definitorisches Teilelement der affektiven Identifikation mit dem Leid des Anderen.[9] Die Compassio geht auf die Bibel zurück und bezieht von dort ihre Faszination und Wertigkeit. Der Komplex der nicht fest definierten religiösen Nachfolge ist in den Evangelien und Apostelbriefen integriert. Diese Nachfolge besteht in einem völligen Freiwerden zum totalen Gehorsam gegenüber Christus.[10] Bezugspunkt für die Neuinterpretation des Mitleids wurde somit die Passion Christi.[11] Und es zeigt sich deutlich der Trend zur Compassio an den Basistexten für Lehre.[12]

Die viktorianische Mitleidstheologie ist christologisch ausgerichtet, denn sie propagiert ein Mitleiden, das in doppelter Weise im Leiden des Erlösers begründet ist: „als Mitleiden nach Christi Vorbild und als Mitleiden mit Christus selbst.“[13]

Bernhard von Clairvaux[14] stimmte mit den Viktorianern in der Einschätzung der Compassio insofern überein, als er sie ebenfalls auf das Leiden Christi bezog. Ihm ging es um die einfühlende Versenkung der Seele in das Leiden Christi und um die Begegnung des Gläubigen mit Christus im Affekt des Mitleidens.[15] Diese Idee rückte das Leiden der Gottesmutter mit ihrem gekreuzigten Sohn in den Mittelpunkt. Bernhard von Clairvaux deutete im Rahmen einer Marienpredigt das Mitleiden der Gottesmutter als Ausdruck unermesslicher Liebe.[16]

Im 12. Jahrhundert lassen sich mindestens zwölf Theologen benennen, die diesen Gedanken aufgriffen. Und auf dem Boden der viktorianischen und bernhardischen Mitleidstheologie erblühte die literarische Gattung der Marienklage.[17]

Wolfram von Eschenbach entwickelte in seinem Parzival den Wandel des Heldenbildes auf die Liebes- und Leidensmystik Clairvaux‘s, was ein frömmigkeitsgeschichtliches Phänomen des 12. Jahrhunderts war.[18]

3. Parzivals erste Schritte in die Welt (Überblick)

Herzeloyde hat sich, aus Schmerz über den Tod ihres Mannes und um ihren Sohn davor zu bewahren, nicht genauso umzukommen wie sein Vater, in die Einsamkeit von Soltane zurückgezogen.[19] Sie lässt ihrem Sohn keine höfisch- ritterliche Erziehung zuteil werden und kann doch nicht verhindern, dass er Ritter wird.[20] Eines Tages trifft Parzival im Wald drei Ritter und hält sie für himmlische Wesen.[21] Von den Rittern erfährt Parzival, dass der König Artus ihn selbst auch zu einem Ritter machen kann.[22] Parzival fasst daraufhin den Entschluss Ritter zu werden und bricht am nächsten Morgen auf.[23] Doch bei seiner Abreise packt Herzeloyde die Verzweiflung und sie bricht tot zusammen.[24] An einer Waldlichtung findet er das Zelt der Herzogin Jeschute.[25] Da er einen Ratschlag von seiner Mutter nicht richtig versteht, fällt er über Jeschute her und raubt ihren Ring und ihre Spange.[26] Der Ratschlag seiner Mutter lautete jedoch anders:

Sohn, lass dir befohlen sein,

so wie du den Ring und den Gruß einer guten Frau erwerben kannst

dann nehme es: es wird deinem Kummer Abhilfe leisten.[27]

Als ihr Ehemann Orilus nach Hause kommt, glaubt er, Jeschute habe ihn betrogen. Daraufhin hebt er die eheliche Gemeinschaft mit ihr auf und zwingt sie, auf alle Bequemlichkeiten des adligen Lebens zu verzichten.[28]

Parzival hört auf seiner Weiterreise eine Frau im höchsten Jammer weinen und in ihrem Schoß erblickt er den toten Fürsten Schionatulander.[29] Es stellt sich heraus, dass Sigune, die ihren toten Liebsten betrauert, Parzivals Cousine ist und ihr Geliebter in einem ritterlichen Kampf ums Leben gekommen ist.[30]

Auf seinem weiteren Weg zum Artushof begegnet er dem Ritter Ither, der in Unfrieden den Hof verlassen hat.[31]

Parzival wird auf dem Hof ausgelacht, nachdem er fragt:

„Wer wird mich zum Ritter machen?“[32]

Mit der Forderung, dass er die rote Rüstung des Ritters vor dem Hofe haben will, tritt Parzival Ither gegenüber.[33] Bei diesem Zweikampf kommt Ither ums Leben und Parzival erwirbt die Rüstung des Roten Ritters.[34] Was Parzival zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht weiß ist, dass Ither ein Verwandter von ihm ist.

Eines weiteren Abends kommt Parzival bei dem Fürsten Gurnemanz an, der ihn bewirtet und beherbergt.[35] Bei Gurnemanz bleibt Parzival vierzehn Tage und dieser lehrt ihm höfisches Benehmen und ritterliche Waffentechnik.[36] Nach dem Abschied von Gurnemanz gelangt Parzival in die Stadt Pelrapeire, die von König Clamide belagert wird.[37] Parzival besiegt am nächsten Morgen die Truppen und befreit die Stadt.[38]

Danach heiratet er die Königin Condwiramurs.[39] Nach einem kurzen Eheglück[40] nimmt Parzival Abschied von ihr, um seine Mutter aufzusuchen; von deren Tod er bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts weiß.[41]

Nach diesem Abenteuer gelingt Parzival nach Munsalwaesche, wo eine lähmende Trauer herrscht.[42] Als seinen Wirt erkennt er den Fischer wieder, den er zuvor an einem See getroffen hat. Es handelt sich um den Gralskönig Anfortas. Auf dieser Burg geschehen seltsame Dinge; die Ritterschaft versammelt sich in einem Saal und ein Knappe kommt mit einer Lanze herein, von deren Spitze Blut hinunterläuft.[43]

„Dort saßen viele tapfere Ritter,

als man etwas jammervolles vor sie trug.

Ein Knappe sprang zur Tür herein.

Er trug ein Schwert, aus dessen Spitze Blut hervor quoll und von dem Schaft bis auf die Hand rann, so dass es an den Ärmel tropfte.

Da wurde auf dem ganzen weiten Palast geweint und geschrien.“[44]

Daraufhin kommen vierundzwanzig Jungfrauen feierlich gekleidet herein und bringen kostbare Steinplatten und Kerzen. Am Ende erscheint die Königin Repanse de Schoye mit dem Gral auf einem Seidentuch tragend und setzt ihn vor dem König Anfortas ab.[45] Parzival, der seinen Wirt fragen möchte, was das alles bedeutet, unterdrückt die Frage, da er sich an Gurnemanz` Mahnung erinnert:

[...]


[1] Soteriologie: Die Lehre von der Erlösung des Menschen durch Jesus Christus in der christlichen Theologie.

[2] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden. S. 283.

[3] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden.S. 283 Zeile 16 -20.

[4] Lat. Barmherzigkeit.

[5] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden.S. 284.

[6] Seneca war ein römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Staatsmann und als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit.

[7] Augustinus war einer der bedeutendsten christlichen Kirchenlehrer und ein wichtiger Philosoph an der Zeitenwende zwischen Antike und Mittelalter.

[8] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden.S. 284.

[9] Ebd. S. 285.

[10] Schwarz- Mehrens, E.: Zum Funktionieren und zur Funktion der Compassio im ‚Fließenden Licht der Gottheit‘ Mechthilds von Magdeburg. S. 47f.

[11] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden.S. 285 Zeile 9 -10.

[12] Schwarz- Mehrens, E.: Zum Funktionieren und zur Funktion der Compassio im ‚Fließenden Licht der Gottheit‘ Mechthilds von Magdeburg. S. 57.

[13] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden.S. 285 Zeile 22 -23.

[14] Der Heilige Bernhard von Clairvaux war ein mittelalterlicher Abt, Kreuzzugsprediger und Mystiker.

[15] Kraß, A.: Die Mitleidsfähigkeit des Helden.S. 285 -286.

[16] Ebd. S. 286.

[17] Ebd. S. 286.

[18] Ebd.S. 282.

[19] Eschenbach, W.: Parzival. Vers 117, 7 -10.

[20] Bumke, J.: Wolfram von Eschenbach. S. 43.

[21] Eschenbach, W.: Parzival. Vers 120, 24 -28.

[22] Ebd. Vers 123, 7.

[23] Ebd. Vers 126, 9 -14.

[24] Ebd. Vers 128, 16 -22.

[25] Ebd. Vers 129, 27 -31.

[26] Ebd. Vers 130, 26 -29.

[27] Ebd. Vers 127, 25 -28.

[28] Ebd. Vers 33, 5 -134, 22.

[29] Ebd. Vers 138, 9 -24.

[30] Ebd. Vers 40, 15 -27; 139, 28 -29.

[31] Ebd. Vers 145, 15 -16.

[32] Ebd. Vers 147, 23.

[33] Ebd. Vers 154, 4 -7.

[34] Eschenbach, W.: Parzival. Vers 155, 7-11.

[35] Ebd. Vers 162, 6-7.

[36] Ebd. Vers 163, 2-6; 170, 7 -14; 173, 20 -22.

[37] Ebd. Vers 180, 15 -25; 180, 28; 194, 18 -23.

[38] Ebd. Vers 199, 18 -23.

[39] Ebd. Vers 200, 6 -9; 2001, 19 -20; 202, 23 -28.

[40] Ebd. Vers 202, 29 – 203, 5.

[41] Ebd. Vers 223, 17 -19.

[42] Ebd. Vers 227, 6; 229, 15 -17.

[43] Ebd. Vers 231, 17 -26.

[44] Ebd. Vers. 231, 15- 24.

[45] Ebd. Vers 235, 25 -26f.; 236, 10 f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Über die Mitleidsfähigkeit Parzivals
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Philologisches Institut)
Veranstaltung
Mitleid in geistlicher und weltlicher Literatur
Note
2,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V139887
ISBN (eBook)
9783640481170
ISBN (Buch)
9783640481033
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mitleidsfähigkeit, Parzivals
Arbeit zitieren
Julia Stekeler (Autor:in), 2009, Über die Mitleidsfähigkeit Parzivals, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139887

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