Rogier van der Weyden

„Junge Frau mit Flügelhaube“ in der Berliner Gemäldegalerie - Portrait bei Rogier van der Weyden und dem Meister von Flemalle


Hausarbeit, 2009

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation im 15. Jahrhundert

3. Einzelporträts
3.1. Rogier van der Weyden – P­orträt einer jungen Frau
3.2. Die Originale
3.3. Bildnisse Nicolas Rolins

4. Schluss

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

In der Geschichte der Malerei gab es viele bedeutende Phasen und Entwicklungen. Eine der wichtigsten Phasen im Spätmittelalter stellte die Renaissance dar. Die Umbrüche, die sie in der Kunstwelt bewirkte, konnten nicht radikaler sein. Andererseits vollzog sich eine nicht minder wichtige Umbruchsphase auch nördlich der Alpen. Diese Erneuerungsphase auf dem Gebiet der Malerei wird auch die altniederländische Malerei genannt. Der Schauplatz dieser altniederländischen Malerei sind die Städte der burgundischen Niederlande. Diese neue Malerei stellte vieles bis dahin gekannte auf den Kopf und brachte zahlreiche Erneuerungen für die europäische Kunst der damaligen Zeit mit sich. Die zentralen Figuren dieser Erneuerungswelle waren die Gebrüder van Eyck, der Meister von Flemalle und Rogier van der Weyden. Mit diesen Malern wird eine gänzlich neue Epoche beschrieben[1].

Die neue Epoche wird von Erwin Panofsky auch als „Ars nova“ beschrieben[2]. Die Kunst in den Niederlanden um 1400 stand noch unter dem Einfluss des „Internationalen Stils“. Bis in die ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts war der Internationale Stil allgegenwärtig und erst im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts bildete sich die Ars nova aus. Die Unterschiede zu der vorangegangenen Epoche des Internationalen Stils sind sofort erkennbar. Es werden verstärkt Licht- und Schattenphänomene auf eine virtuose Art und Weise wiedergegeben. Die Werke des Internationalen Stils enthalten noch recht viel Gold. Dieses Gold wurde verwendet, um bestimmte Lichtphänomene inhaltlich wiederzugeben. Die Neuerung der neuen Epoche bestand darin, dass malerische Mittel verwendet wurden, um das Licht in den Bildern darzustellen[3]. Meister der vorangegangenen Epoche spielten ebenfalls mit dem Licht, um Formen Plastizität zu verleihen. Durch die Abschattierungen und Höhungen wurde zwar eine gewisse Plastizität erreicht, sie blieb aber zu sehr schematisch, um den Eindruck einer Oberflächenbeschaffenheit zu erwecken. Dadurch war es nicht möglich die Materialien „mit ihrer spezifischen Oberflächenbeschaffenheit[4] “ darzustellen.

Ferner werden in der neuen Epoche die Interieurs präzise wiedergegeben und die Landschaften im Bildhintergrund erwecken den Eindruck, der wirklichen Welt zu entstammen. Somit werden die dargestellten Figuren und Gegenstände an die Wirklichkeit angeglichen und beinah real dargestellt. Die Bildgestaltung rückt somit in den Vordergrund und nicht mehr die Ikonografie der dargestellten Szenen, die im Internationalen Stil so üblich waren[5]. Neben diesen zahlreichen revolutionären Veränderungen und Neuerungen in der Bildgestaltung niederländischer Gemälde der Epoche „ars nova“ gibt es noch eine weitere wichtige Komponente, die eine Lichtdurchflutung der Gemälde erst möglich machte. Auf dem Gebiet der Technik gab es eine entscheidende Neuerung. Die traditionelle temperagebundene Malerei wird durch die Ölmalerei ersetzt. Die Pigmente werden ab sofort mit Öl gebunden. Diese Neuerung machte es möglich, dass Maler ihre Gemälde Schicht für Schicht aufbauten. Die Lasurentechnik wurde perfektioniert und „durch die mehrfache Überlagerung dieser transparenten Farbschichten erreichen altniederländische Gemälde eine zuvor nie gesehene, emailhafte Leuchtkraft und Farbintensität“[6]. Und eben dank dieser Leuchtkraft und Intensität wird es möglich einen unglaublichen Detailrealismus zu schaffen. Die Maler der „ars nova“ stellen ihre Meisterschaft zum Beweise, indem sie jede Hautunebenheit, Runzeln der Haut darstellen oder Oberflächenbeschaffenheit von kostbaren Tüchern realistisch wiedergeben. Außerdem gehen viele Meister dieser Zeit noch weiter und geben den Szenen der Heilsgeschichte eine noch realistischere Note, was zur Folge hat, dass die Akteure in ihren Handlungen auf den Gemälden und Altären tatsächlich Anteilnahme am Geschehen haben[7].

Zu den zentralen Erneuern der neuen Epoche zählten die Malerbrüder van Eyck, der Meister von Flemalle und insbesondere Rogier van der Weyden. Rogiers Geburt wird auf das Jahr um 1400 gelegt. Für sein Schaffen wurde Rogier auch schon zu seinen Lebzeiten in Europa bewundert. Er entwickelte einen herausragenden malerischen Stil, dessen Anfänge unter dem Einfluss des Meisters von Flemalle standen. Von der Kunstwelt wurde Rogier van der Weyden so denn als der „begabteste Schüler[8] “ des Meisters, angesehen.

Die hälfte aller erhaltenen Werke Rogiers sind entweder Porträts oder geistliche Szenen, die eines oder mehrere Porträts enthalten. Somit stellen die Porträts einen sehr wichtigen Zugang zum Verständnis der Malerei Rogiers. In meiner Arbeit möchte ich zunächst der Frage nachgehen, welche gesellschaftlichen Umwälzungen im 15. Jahrhundert zur Entstehung der Porträtkunst beigetragen haben. Im zweiten Teil wird dargestellt, wie Rogier seine Porträtkunst zwischen Bildnistreue und Idealisierung weiter entwickelt. Insbesondere werden dabei Bezüge auf seinen „Lehrer“, den Meister von Flemalle und seinen älteren Kollegen Jan van Eyck hergestellt, um zu verdeutlichen, in welche Richtung sich Rogier in der Porträtkunst weiterentwickelt. Dabei wird Rogiers meisterhafte Ausführung des „Porträts einer jungen Frau mit Flügelhaube“ als Beispiel für seine Meisterschaft genommen, um seine Entwicklung hin zur Spätphase zu verdeutlichen sowie die Frage zu klären, wie weit sich Rogier von seinem Lehrer abgrenzt und seinen eigenen Stil entwickelt. Im dritten Teil werden weitere wichtige Porträts skizzenhaft vorgestellt. Im Anschluss werden die Ergebnisse und Feststellungen im Schlussteil zusammengefasst.

2. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation im 15. Jahrhundert

Das fünfzehnte Jahrhundert für die westliche Kunst stand im Zeichen der Wirklichkeit. Auf dem Gebiet des heutigen Flandern entstand ein neuer Realitätssinn. Die in den Gemälden und Altären dargestellten Charaktere strahlten eine physische Wärme aus. Selbst in Italien fand diese Art der Darstellung großen Anklang. Die von Cyriacus d’Ancona im Jahre 1449 verfasste Beschreibung der Kreuzabnahme des Malers Rogier van der Weyden verdeutlicht das Staunen über die Kunst der neuen Meister. Mit großer Anteilnahme beschrieb der italienische Humanist die Kreuzabnahme: „Gesichter, die zu atmen scheinen, während tote Körper wie echte Leichen aussehen“[9]. Doch welche gesellschaftlichen und sozioökonomischen Umwälzungen fanden im 15. Jahrhundert statt, um diesen Realitätssinn zu entwickeln und um später die Porträtkunst dem breiten Bürgertum näher zu bringen?

In vorangegangenen Epochen war die Kunst des Porträtierens lediglich Königen und Fürsten vorbehalten. In der religiösen Malerei wurde der Stifter oft am Rande des Bildes dargestellt, was ihn keinesfalls in den Mittelpunkt der Darstellung rückte. Ein schönes Beispiel ist Masaccios Fresko „Die Dreifaltigkeit“.[10] Die Stifter konnten ihre eigenen Züge nicht nachbilden lassen, es hätte sonst als Eitel gegolten und deshalb wurden die Stifter stets von ihren heiligen Schutzpatronen in der Komposition begleitet[11]. Auch noch zu Ende des 14. Jahrhunderts war das persönliche Porträt Königen und Fürsten vorbehalten, in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhundert begann allerdings eine Umwälzung in den Künsten, die mit sozioökonomischen Veränderungen zusammenhing. Die gesellschaftliche Ordnung wurde zunehmend umgestaltet. Es gab nicht mehr das einfache Volk, den Klerus und den Adel, sondern es bildete sich konsequent eine vierte Schicht, das städtische Bürgertum. Die Städte erblühten und der Handel florierte. Das Bürgertum unterschied sich bezüglich seiner Weltanschauung radikal vom Adel. Nicht umsonst wird sich der Realismus in jener Zeit entwickelt haben. „(D)en Realismus darf man getrost als Spiegelbild einer sachlich gesonnenen Mittelschicht begreifen“[12].

Die wohlhabenden Bürger hatten sich nach Erreichen eines bestimmten finanziellen Niveaus stets an der aristokratischen Lebensweise orientiert und wollten ebenfalls für sich selbst dargestellt werden. Auf diese Weise bestellte das Bürgertum seine Tafelbilder bei den Malern, die inzwischen nicht mehr bei Hofe arbeiteten, sondern innerhalb der Stadt lebten und wirkten. Somit verschwand auch zunehmend die Bindung zum Fürsten als dem Mäzen[13].

Sehr oft wurden Porträts bestellt. Es gab zahlreiche Formen des Porträts: Gruppenporträts und Porträts von Paaren. Kaum oder selten wurden die dargestellten Personen als ganze Figur gemalt. Ein wunderbares und seltenes Beispiel ist das „Porträt des Ehepaares Arnolfini“ von Jan van Eyck[14]. Die ersten Maler, die eine neue Entwicklung der Porträtkunst angestoßen haben waren Jan van Eyck, Robert Campin und die Mitarbeiter in seiner Werkstatt, unter ihnen Rogier van der Weyden. Mit ihren realistischen Detailschilderungen beginnt auch eine neue Ära der Porträtkunst[15].

3. Einzelporträts

3.1. Rogier van der Weyden – P­orträt einer jungen Frau

­ Rogier war einer der gefragtesten Porträtmaler seiner Zeit. Die meisten seiner Porträts wurden nicht vor den 1450er Jahren, die meisten gar noch später ausgeführt[16]. Das älteste Porträt ist das Bildnis einer jungen Frau in der Berliner Gemäldegalerie[17]. Das Bild wurde schätzungsweise um das Jahr 1445 gemalt[18]. Es handelt sich um ein Brustbildnis einer jungen Frau, die den Betrachter direkt aus ihren freundlichen Augen anschaut. Der direkte Blick zum Betrachter kommt bei keinem anderen Porträt Rogiers wieder vor. Rogier lässt sich beim Porträt der jungen Frau höchstwahrscheinlich von seinem Vorbild Jan van Eyck inspirieren, denn drei von acht erhaltenen Porträttafeln Jans haben ebenfalls diesen direkten Blick zum Betrachter hin[19]. Ferner beweist die Tatsache, dass „die dichte, mit feinsten Abstufungen arbeitende Modellierung des Gesichts der Dame in Berlin generell an Jan van Eycks Bildnisse, insbesondere an das seiner Frau Margarete[20] von 1439[21] “ erinnert. Der direkte Blick auf den Betrachter erzeugt ein Gefühl von Vertrautheit und suggestiert ein enges Verhältnis zwischen Maler und Modell. Deshalb kursiert in der wissenschaftlichen Literatur die Meinung, Rogiers Frauenporträt stelle niemand anders als seine Frau, Elisabeth Goffaerts, dar[22]. Die neuere Forschung verweist allerdings auf die Tatsache, dass es sich keineswegs um Rogiers Ehefrau handle, denn Elisabeth war als das Bild entstand, bereits Mitte dreißig und zweifache Mutter. Das Mädchen auf dem Bild scheint allerdings um einiges jünger zu sein, in etwa Anfang zwanzig[23]. Es herrscht somit Unklarheit über die dargestellte Frau.

Das rundliche Gesicht ist vollständig gerahmt durch eine der damals üblichen weißen Hauben. Ein fein gefaltetes Tuch ist unter dem Kinn durchzogen[24]. Außerdem führen die „Querfalten in den Haubenflügeln die nach oben weisenden Mundwinkel verlängernd weiter“[25]. Auf diese Weise lächelt das ganze Porträt. Die Frau hat wunderschöne rosafarbene Wangen und die Haut ist hell. Des Weiteren hat sie wunderschöne sinnliche Lippen, eine feine, nicht zu große Nase und recht große, mandelförmige Augen[26]. Das Gesicht wirkt sehr plastisch. Diese Plastizität wird durch außerordentlich feine Übergänge im Gesicht von schattigen Partien deutlich.

Die Kleidung der Frau gibt nur eine wage Vorstellung über ihren Stand. Sie trägt ein mit Fell gesäumtes Kleid, kostbare Schmuckstücke fehlen, abgesehen von fünf Goldringen mit Steinen und Perlen. Das Kleid ist aus einem Wollstoff und ist mit einem Pelz besetzt. Weiterhin wird die Frau vor einem dunklem Grund gezeigt, wodurch sich die Figur etwas abhebt und in den Vordergrund rückt. Die beiden übereinander gelegten Hände am unteren Bildrand symbolisieren „Tugendhaftigkeit“[27].

[...]


[1] vgl. Sander 2008, S. 31 Ausstellungskatalog / Köllermann2008, S. 39 / Kemperdick 2000, S. 6.

[2] vgl. Sander 2008, S. 31 Ausstellungskatalog

[3] ebd. Vgl. S. 31

[4] ebd. S. 31

[5] ebd. Vgl. S. 31

[6] ebd. S. 32 f.

[7] ebd. Vgl. S. 33.

[8] Thürlemann 2006, S. 17.

[9] De Vos 2002, S. 9 f.

[10] Siehe Anhang BILD 1

[11] vgl. Delenda 1988, S. 143

[12] De Vos 2002, S. 14, Hervorhebung des Verfassers

[13] vgl. Delenda 1988, S. 143 / de Vos 2002, S. 14.

[14] Siehe Anhang BILD 2

[15] vgl. de Vos 2002, S. 15 / Delenda 1988, S. 144.

[16] vgl. Kemperdick 2000, S. 98

[17] Siehe Anhang BILD 3

[18] vgl. Kemperdick 2000, S. 98

[19] vgl. Ausstellungskatalog 2008, S. 278

[20] Siehe Anhang BILD 4

[21] Ausstellungskatalog 2008, S. 278

[22] vgl. Thürlemann 2006, S. 45

[23] vgl. Ausstellungskatalog 2008, S. 277

[24] vgl. ebd., S. 44

[25] ebd., S. 45

[26] vgl. Delenda 1988, S. 154

[27] Ausstellungskatalog 2008, S. 277

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Rogier van der Weyden
Untertitel
„Junge Frau mit Flügelhaube“ in der Berliner Gemäldegalerie - Portrait bei Rogier van der Weyden und dem Meister von Flemalle
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Rogier van der Weyden. Innovation im Spannungsfeld zwischen Werkstattbetrieb und Künstlerpersönlichkeit
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V139820
ISBN (eBook)
9783640499786
ISBN (Buch)
9783640499946
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rogier, Weyden, Frau, Flügelhaube“, Berliner, Gemäldegalerie, Portrait, Rogier, Weyden, Meister, Flemalle
Arbeit zitieren
Maxim Kimerling (Autor:in), 2009, Rogier van der Weyden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139820

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Titel: Rogier van der Weyden



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