Normbegründung beim ethischen Relativismus

Kleine Analyse des "Unzulänglichkeits-Einwandes" von Günther Patzig gegen den ethischen Relativismus


Examensarbeit, 2003

13 Seiten, Note: 5.75


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Skizze des ethischen Relativismus nach Richard Brandt

3. Kleine Analyse von Gunther Patzigs „Unzullinglichkeits-Einwand"
3.1 Der „Unzullinglichkeits-Einwand"gegen den ethischen Relativismus
3.2 Uberprufung der Stichhaltigkeit des „Unzullinglichkeits-Einwandes"

4. Abschliessende Bemerkungen

1. Einleitung

In der aktuellen Diskussion um den ethischen Relativismus herrscht viel Missverständnis bezuglich der Gilltigkeit und Begrindung moralischer Normen. In dieser Arbeit soll einer der Einwände gegen den ethischen Relativismus genauer untersucht werden. Ich werde den „Unzulänglichkeits-Einwand" von Glinther Patzig behandeln, den er im Aufsatz „Relativismus und Objektivität moralischer Normen" gegen den ethischen Relativismus vorbringt. Dieser Einwand besagt, dass die ethischen Relativisten es versäumen zu zeigen, wie sich verschiedene moralische Normen (objektiv) begrunden lassen. Ich werde im folgenden die Stichhaltigkeit dieses „Unzulänglichkeits-Einwandes" ilberpriifen und zeigen, dass es sich nicht um einen gerechtfertigten Einwand gegen den ethischen Relativismus handelt, denn einerseits sind die jeweiligen moralischen Normen im ethischen Relativismus klar begrundet, andererseits greift der Einwand die Theorie auf einer falschen Ebene an und damit ins Leere. Dazu ist es allerdings erforderlich, zuerst näher zu erläutern, welche Thesen der ethische Relativismus umfasst und wie und wodurch sich ihm zufolge moralische Normen begrinden lassen, d.h. begrundet sind (Abs. 2). Ich werde diese Position im Sinne Richard Brandts1 nachzeichnen, indem ich seine drei Thesen einzeln ausfahren und allfällige Missverständnisse ausräumen werde. In einem zweiten Schritt soll dann dargestellt werden, wie Glinther Patzig selbst die Begriindung moralischer Normen ansieht, welche Probleme er dabei aufwirft und wie sein Vorwurf gegen den ethischen Relativismus konkret aussieht (Abs. 3.1). Schliesslich werde ich in einem dritten Schritt zeigen, wieso der Einwand von Patzig nicht stichhaltig ist und der ethische Relativismus nach Brandt ihm folglich standhält (Abs. 3.2). Ich werde darstellen, dass sich Patzig in zweifacher Weise irrt, denn erstens vertreten die Relativisten sehr wohl eine bestimmte Form der Begrundung moralischer Normen und zweitens vermengt er den Geltungsbereich des ethischen Relativismus, als einer metaethischen Theorie, mit dem der ethischen Theorien. Abschliessend werde ich den Verlauf der Argumentation kurz nochmals zusammenfassend darstellen und einen Ausblick auf offene Fragen geben.

2. Skizze des ethischen Relativismus nach Richard Brandt

Der ethische Relativismus als metaethische Theorie nimmt das allerseits anerkannte Phänomen des moralischen Dissenses, d.h. dass sich die moralischen Uberzeugungen einzelner Individuen oder Gruppen widersprechen können, zum Ausgangspunkt in der Debatte fiber absolute moralische Standards, die fur alle Menschen und alle Zeiten verbindlich sind. Diese These der Dissenserfahrung ist eine rein deskriptive These und wird auch „Kulturrelativismus" (These 1) genannt; sie beruht nur auf Beschreibungen und besitzt kein wertendes Element. Man kann diese These allerdings auf zwei Arten verstehen: Entweder im Sinne der These, dass es unterschiedliche moralische Traditionen gibt, was dies These zwar richtig, aber uninteressant machen wurde, oder im Sinne der These, dass es Moralprinzipien gibt, die sich in „ganz fundamentaler Weise" widersprechen. Filr den ethischen Relativismus ist also die zweite Leseart die entscheidende, nämlich dass sich die Moralprinzipien verschiedener Individuen oder Gruppen in „ganz fundamentaler Weise" sowohl unterscheiden als auch widersprechen können: „Die ethischen Urteile verschiedener Individuen oder Gruppen unterscheiden und widersprechen sich häufig in grundlegender Weise" (Brandt 1976: 42). Ethische Urteile, die sich in fundamentaler Weise widersprechen, sind zu verstehen als ein Konflikt in den „grundlegenden moralischen Axiomen" bei verschiedenen Individuen und oder Gruppen, d.h. dass der Widerspruch oder diese Differenz in der Bewertung einer Handlung oder eines Ereignisses liegt, das far die verschiedenen Individuen oder Gruppen dieselbe Bedeutung hat, und nicht in einer Divergenz der Uberzeugungen. Anhand soziologischer und anthropologischer Studien lassen sich viele Beispiele gegensätzlicher Wertvorstellungen verschiedener Individuen oder Gruppen aufzeigen. Ob sich der Konflikt aber wirklich auf die grundlegenden moralischen Axiome bezieht, lässt sich hingegen nicht so leicht sagen. Ein Beispiel soll das veranschaulichen: Es gibt primitive Stämme, bei denen es üblich war, seine Eltern beim Erreichen des 60. Lebensjahres lebendig zu begraben oder zu verbrennen. Bei uns hingegen gilt das Töten der Eltern immer als ein Kapitalverbrechen, egal wann und aus welchen Beweggrunden. Es zeigt sich also eine Divergenz in der Bewertung der jeweiligen Handlungen in den verschiedenen Kulturen. Hat aber die jeweilige Tötungshandlung dieselbe Bedeutung f r beide? Nicht in jeder Beziehung. Trotz desselben Beweggrundes (=aus Respekt die Eltern zu ehren), wird bei uns aus Verboten gehandelt und bei den primitiven Stämmen aus religiöser Uberzeugung. Es lässt sich zwar dieselbe Bedeutung far die beiden Kulturkreise aufzeigen (=Ehrung der Eltern), die moralische Bewertung aber bezieht sich nicht eigentlich auf dieselbe Handlung, d.h. auf eine Handlung, die far beide die gleiche Bedeutung hat. Entgegen unserer Intuition gibt es also doch keinen Unterschied in den grundlegenden moralischen Axiomen dieser beiden Kulturen. Nichtsdestotrotz sind heute die meisten Sozialwissenschaftler der Meinung, dass es bei verschiedenen Kulturen einige Unterschiede in den grundlegenden moralischen Axiomen wohl gibt, jedoch nicht unbegrenzt viele. Aufgrund solcher Ansichten der Wissenschaften, geht Brandt im weiteren von der Richtigkeit der These des Kulturrelativismus aus.

Neben eben dieser ersten These des kulturellen Relativismus gibt es noch eine notwendige zweite These, die These der relativistischen Wahrheitswertbehauptung (These 2), um den ethischen Relativismus vollständig beschreiben zu können. Diese zweite These des ethischen Relativismus besagt, dass die Wahrheitswerte moralischer Normen relativ sind, d.h. dass die Wahrheitsbedingungen moralischer Prinzipien sowohl kultur- als auch zeitrelativ sind. Denn ob eine bestimmte Handlung einer bestimmten Person moralisch richtig ist, hängt von der Kultur des betreffenden Individuums und von der jeweiligen Epoche ab. Eine Handlung ist moralisch richtig r eine Gemeinschaft, und somit auch far das entsprechende Individuum als Teil eben dieser Gruppe, wenn sie den moralischen Normen eben dieser Gesellschaft entspricht, d.h. handlungsurteilende Normen stehen in Abhängigkeit zu den Moralprinzipien der jeweiligen Kultur. Diese relativistische Wahrheitswertbehauptung fart zur Ansicht, dass einige sich widersprechende Moralprinzipien, die von verschiedenen Menschen vertreten werden, gleichermassen gültig sein können. Brandt selbst formuliert diese These 2 in Anlehnung an den griechischen Philosoph Protagoras (5. Jh. v. Chr.): "Wenn die Urteile verschiedener Individuen oder Gruppen voneinander abweichen, ist es nicht immer möglich, einige von ihnen als [allein] richtig zu erweisen; im Gegenteil, manchmal sind einander widersprechende Prinzipien gleichermassen gültig oder richtig" (Brandt 1976: 42).

Wie ist allerdings die Gilltigkeit einander widersprechender moralischer Prinzipien zu beurteilen? Wenn verschiedene moralische Prinzipien einer Uberprufung durch anerkannte rationale Beurteilungsmethoden unterzogen und als gleichermassen gültig bezeichnet werden, dann bedeutet das entweder, dass der Begriff der Gilltigkeit uberhaupt nicht anwendbar ist, d.h. der ethische Relativist ist in diesem Falle ein ethischer Skeptiker der annimmt, es gäbe gar keine rationale Begrändungsmethode zur Beurteilung von Moralprinzipien, oder es bedeutet, dass diese Moralprinzipien einer Uberprilfung gleich gut standhalten und keines vorzuziehen sei. Beide Auffassungen sind Formen des ethischen Relativismus. Die Frage aber, ob es uberhaupt eine solche rationale Methode zur Uberprüfung ethischer Prinzipien gibt, beziehungsweise was damit erreicht werden kann, wird hier von Brandt nicht thematisiert2. Es geht hier lediglich um das Phanomen des „gleichermassen-göltig-Seins" aufgrund dessen der ethische Relativismus die Möglichkeit eines obersten moralischen Prinzips oder universell (=trans-kulturell) gilltiger Kriterien zu einer rationalen Beurteilung kategorisch bestreitet. Um allfalligen Missverstandnissen vorzubeugen, will ich nochmals explizit darauf hinweisen, dass der ethische Relativismus den moralischen Prinzipien nicht die Wahrheitswertfahigkeit abschlagt, sondern dass die verschiedenen, einander widersprechenden Moralprinzipien eben nicht universell wahr oder falsch, sondern manchmal gleichermassen gültig sein können. Die beiden voneinander unabhangigen Thesen, jene des Kulturrelativismus und die These relativistischer Wahrheitswertbehauptung, beschreiben also die (Kultur- und Zeit-)Relativitat zwischen den einzelnen Moralprinzipien, aber sie tangieren die Wahrheitswertfahigkeit innerhalb der einzelnen Moralprinzipien keineswegs und lassen eine entsprechende Normenbegrundung folglich auch zu (siehe 3.2).

In diese Diskussion fiber die Begrilndung handlungsanleitender Normen möchte ich noch auf die eigenstandige, normative dritten These des ethischen Relativismus, die Toleranzforderung (These 3), zu sprechen kommen: „Die Menschen sollten nach jenen moralischen Prinzipien leben oder zu leben versuchen, denen sie jeweils anhangen" (Brandt 1976: 42). Auch diese These birgt verschiedene Leseweisen. Wenn man sie so versteht, dass es f r ein bestimmtes Individuum bereits (objektiv) richtig sei, eine bestimmte Handlung zu tun, sobald es diese Handlung far (objektiv) richtig halt, dann ist die These höchst unplausibel, denn eine rein subjektive Betrachtungsweise ist fur eine (objektive) Begrundung unzulassig, weil die egoistischen Motive dem allgemeinen Wohlwollen einer Kultur meist zuwiderlaufen und dem Anspruch auf Objektivitat nicht gerecht werden. Die zweite Leseart ist eine nicht spezifisch relativistische und besagt, dass wir niemanden moralisch verurteilen oder tadeln sollten, der einer moralischen Uberzeugung, die das Ergebnis aufrichtiger Gewissensprilfung ist, gemass handelt und in Ubereinstimmung mit dieser lebt, sondern dass diese Person darin bestarkt werden sollte, falls die Handlung nicht zu Schaden gereicht. So scheint es, dass wir das Verhalten eines Menschen, der sich in seinen moralischen Anschauungen irrt oder etwas fur seine vermeintliche Pflicht halt, f r (objektiv) falsch halten können, obschon wir der Ansicht sind, wir sollten ihn nicht tadeln und er solle seinem Gewissen folgen.

[...]


1 R. Brandt (1976), Drei Formen des Relativismus, S. 42-51.

2 Zur Problematik der trans-kulturellen Normen, see J. W. Cook (1999): Moral. Relativism vs. Moral. Absolutism

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Details

Titel
Normbegründung beim ethischen Relativismus
Untertitel
Kleine Analyse des "Unzulänglichkeits-Einwandes" von Günther Patzig gegen den ethischen Relativismus
Hochschule
Universität Zürich
Note
5.75
Autor
Jahr
2003
Seiten
13
Katalognummer
V139687
ISBN (eBook)
9783640485789
ISBN (Buch)
9783640485475
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Normen, ethischer Relativismus, Relativismus
Arbeit zitieren
Michael Eugster (Autor:in), 2003, Normbegründung beim ethischen Relativismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139687

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