Die Rolle des Leidens im Zarathustra


Hausarbeit, 2009

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Aufgabenstellung
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Vorgehensweise

2 Das Leiden
2.1 Grundformen
2.2 Schaffendes Leiden
2.2.1 Umschlagsmoment von Freude und Leid
2.2.2 Menschwerdung durch die formgebende Kraft des Leidens
2.2.3 Integration des Leides
2.2.4 Der Untergang und das Opfer als Summe des Leidens
2.3 Das degenerierte Leiden
2.3.1 Christliche Leidenshyperthrophie
2.3.2 Mitleid als Verweigerung des Leides
2.3.3 Leidensverkleinerung

3 Die Grundsätzlichkeit des Leidens

4 Über die Möglichkeit eines Endzustandes (ohne Leid)

5 Fazit

Literatur

1 Einleitung

1.1 Aufgabenstellung

„‘Das Leben ist nur Leiden‘ – so sagen Andre und lügen nicht…“[1] Dies diene zunächst als Belegbeispiel für eine Vielzahl vorkommender Stellen der Leidensthematik innerhalb Nietzsches Zarathustra. Das Leiden ist von derart fundamentaler Bedeutung, dass sich die Frage nicht nur nach dem Leidenssinn, sondern auch nach dem Lebenssinn stellen wird. Es wird sich zeigen, dass der Menschheit das Joch des Leidens als solches nicht abzunehmen ist, was jedoch zur Disposition steht ist die Frage, in welcher Weise dem Leid begegnet werden soll, ob der Mensch es gar nutzbar machen kann, um eine Höherentwicklung des Lebens zu gewährleisten. Und so begegnet Zarathustra auf den obigen Eingangssatz: „So sorgt doch, dass das Leben aufhört, welches nur Leiden ist!“[2]

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Die Arbeit wird sich mit dem Leiden in seiner umfassenden Struktur innerhalb Nietzsches Werk ‚Also sprach Zarathustra‘ auseinandersetzen und aufzeigen, welchen Lebenssinn ein Leidenssinn stiften kann und in wie fern das Leiden und der Untergang ein Opfer für den Übermenschen darstellt. Ebenso wird die degenerierte, dekadente Form des Leidens beschrieben, welche sich unabdingbar mit der Geschichte der Menschen durch Moralität verknüpft. Es wird die explizite und implizite Annahme im Zarathustra untersucht, warum die Leidensproblematik als solche innerhalb des Lebens nicht zu eliminieren sei und Zarathustra sich mit dem Umgang, wohl aber nicht der Beendigung des Leidens befasste.

1.3 Vorgehensweise

Kapitel 2 beschäftigt sich zunächst mit dem schaffenden Leiden, sowie der These, dass das Leid als notwendiger Gegenpart zur Freude unabdingbar ist. Die Integration, Nutzbarmachung und positive Folgen des Leidens werden beschrieben. Es folgt die Beschreibung des passiven Leidens, im Speziellen, analog zu Nietzsches Zarathustra, auf das christliche Leidensbild abgestellt, welches auch das Mitleid umfassen soll.

Danach wird die Frage nach der Disposition von Leiden überhaupt ergründet. Unter der Verwendung von Sekundärliteratur wird der Originaltext als Beleghilfe zitiert werden. Der Autor versucht darüberhinaus eine Engführung des Zarathustra mit anderen literarischen und philosophischen Werken herzustellen. Ausblickend wird die Verquickung von Leben und Leid genauer thematisiert.

2 Das Leiden

2.1 Grundformen

Das Leiden innerhalb des menschlichen Lebens wird von Nietzsche als indisponibel angesehen: „So tief der Mensch in das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden.“[3] Das Martyrium des Lebens ist unausweichlich. Leid ist unumgänglich, es ist und bleibt existent. Die Unabdingbarkeit des Leides steht in engem Zusammenhang mit einem weiteren Haupt-gedanken Nietzsches, dem Willen zur Macht. Dieser wird im dritten Kapitel behandelt. Der Leidenssinn, der durch seine Totalität zum Lebenssinn wird[4], speist sich aus der Art und Weise der Leidensbewältigung. Der Mensch kann sich mit dem Leid arrangieren, dagegen rebellieren, das Leid integrieren oder sich fürchtend abwenden. Diese Varianten manifestieren sich in der christlichen Leidenshypertrophie[5], dem Mitleid, der Verdrängung oder der Integration.

2.2 Schaffendes Leiden

2.2.1 Umschlagsmoment von Freude und Leid

„Es gibt kein Licht ohne Schatten, und man muß auch die Nacht kennen.“[6] Wenn diese Beschreibung auf das Schicksal des Leidendsten aller Helden, auf Sisyphos zutrifft, dann gleichwohl auf das menschliche Leiden, welches der Welt immanent und nicht durch göttliche Bestrafung überhöht ist.

Das Leiden als schlechthin Böse zu stigmatisieren, ist das Produkt der Wirkungsgeschichte abendländischer, im Besonderen aber christlicher Traditionen.[7]

Dieses Denken hat die Menschen so lange beeinflusst, dass von Gut und Böse schwerlich zu abstrahieren ist. Hingegen ist gut vorstellbar, dass eine vermeintliche Leidenserfahrung sich als Ausgangspunkt einer höheren Entwicklung darstellen kann. Hiernach müsste in einem ersten Schritt die scharfe Trennung von Freude und Leid revidiert werden. Das Leid ist dem menschlichen Leben genauso immanent wie die Freude. Einer Trennung des christlichen Dogmatismus in einen unendlich leidenden Christus und einer nie endenden Freude im himmlischen Jenseits, steht eine ältere Auffassung einer Verquickung, nicht Negation, von Freude und Leid entgegen: Sie zeigt sich in der Gestalt des Dionysos, dem Gott des Rausches, der nicht nur die Lust, sondern auch das Leiden in sich vereint und in einem Punkt des Umschlages verbindet. Der Rausch kann zur Vergiftung werden, die Freude zum Leid. Das Dionysische steht für göttliche Trunkenheit und bildet nicht nur den Gegenpart zum Apollinischen[8], gleichwohl auch zum Christentum: „Dionysos gegen den ‚Gekreuzigten‘: da habt ihr den Gegensatz.“[9]

Zarathustras Verständnis eines schaffenden Menschen umfasst nicht nur das Zeugen, sondern zugleich das Vernichten als wichtige Aufgabe: „Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss.“[10] Nietzsche verlangt in ‚Also sprach Zarathustra‘ die Rückkehr zum dionysischen Prinzip: Die Hingabe an Lust und Schmerz im Wechsel. Zarathustra als Fürsprecher des Dionysischen bekennt:

„Ich Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens.“[11]

„Ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, alles blüht wieder auf…“[12]

„Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen…“[13]

Der allumfassende Einheitsgedanke besagt, dass Krankheit und Gesundheit sich nicht als Gegensätze erweisen, vielmehr nur Gradunterschiede sind. Wie eine Krankheit später ein überhöhtes Gesundheitsgefühl nach sich ziehen kann, so kann Leiden das Lebensgefühl steigern, wenn der Widerspruch zu einer höheren Ordnung überführt werden kann. Das Dionysische umfasst furchtbare und fragwürdige Eigenschaften des Lebendigen, wandelt sich gleichwohl in ein ‚verzücktes Ja-Sagen‘ wieder hin zum Leben.[14] Das Vermögen zum Widerspruch und das Vermögen zum Leiden sind Stimulans zur Überhöhung. „Die Lust ist eine Art des Schmerzes“[15] und Leiden notwendiges Ingredienz des Lebens.

Jede Positivität des Lebensgefühls wird durch einen Gegenpart hervorgebracht.[16] So gehört selbst der Tod zum Leben als sein gegensätzliches Verbindungsstück und erst die Unausweichlichkeit des Todes macht das Leben mächtig. Die vermeintlichen Gegensätze werden zu neuer Einheit geknüpft. Dieser Einheitsgedanke war bereits in der vorsokratischen Philosophie verwurzelt, so bei Heraklit[17], unterlag jedoch ideologisch dem christlichen Verständnis, welches Gut und Böse als scharfe Trennung in der Welt nicht zwingend erfand, zumindest jedoch im Abendland durchsetzte.[18]

2.2.2 Menschwerdung durch die formgebende Kraft des Leidens

In der Erfahrung des Zusammenspiels von Leid und Lust fügt sich die Überlegung, dass der Mensch erst durch die formgebende Kraft des Leidens zu einem Individuum wird. Durch die Erfahrung des Schmerzes taucht der Mensch auf, zeigt er sich, tritt aus einem nebelartigen Zustand in das Leben hinein. Das Leben ist Produkt einer Schwangerschaft des Schmerzes und ermöglicht so die Individualisierung.[19]

Um die Kraft des Leidens nutzbar zu machen, bedarf es indes nicht zwangsläufig einem auflehnenden Willen eines Prometheus. Auch ein resignierender Sisyphos kann das Leid für seine Selbstfindung nutzbar machen.[20] Ein absurder Held, der in einer überirdischen Qual dennoch stärker als sein Schicksal ist. Ein glücklicher Mensch, weil er sein eigenes Schicksal und sein eigenes Leiden in den Händen hält.

„Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er [Sisyphos] unheilvoll und verachtenswert findet.“[21]

„Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. […] Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“[22]

[...]


[1] Nietzsche, F., Colli, G. (Hrsg.), Montinari, M. (Hrsg.): Also sprach Zarathustra (KSA 4), München 1999, S. 56

[2] ebd.

[3] ebd., S. 199

[4] vgl. Veit, T.: Die Bedeutung des Leidens für den Menschen, Frankfurt 1988, S. 230

[5] Der aus der Medizin stammende Begriff der ‚Hypertrophie‘ bezeichnet eine krankhafte Vergrößerung eines Organs (vgl. Reuter, P.: Springer Lexikon Medizin, Berlin 2004, S. 980) und wird hier auf die krankhafte Überhöhung des Leidens bezogen.

[6] Camus, A., Wroblewsky, V. (Übers.): Der Mythos des Sisyphos, 9. Aufl., Hamburg 2007, S. 159

[7] vgl. Happ, W.: Nietzsches Zarathustra als moderne Tragödie, Frankfurt 1984, S. 21

[8] vgl. Prechtl, P., Burkard, F-P.: Metzler Philosophie Lexikon, 2. Aufl., Stuttgart 1999, S. 36

[9] Nietzsche, F., Colli, G. (Hrsg.), Montinari, M. (Hrsg.): Nachgelassene Fragmente 1887-1889 (KSA 13), München 1999, S. 266

[10] Nietzsche, F.: KSA 4, a.a.O., S. 75

[11] ebd., S. 271

[12] ebd., S. 272

[13] ebd., S. 402

[14] vgl. Veit, T.: a.a.O., S. 224

[15] Nietzsche, F., Colli, G. (Hrsg.), Montinari, M. (Hrsg.): Nachgelassene Fragmente 1884-1885 (KSA 11), München 1999, S. 650

[16] vgl. Veit, T.: a.a.O., S. 225

[17] Fragment B 10: „Einträchtig-Zwieträchtiges, Einstimmend-Mißstimmendes, und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“ Fragment B 58: „Gut und Übel ist eins.“ in: Heraklit, Snell, B. (Übers.): HHHHwwFragmente, München 1989

[18] vgl. Happ, W.: a.a.O., S. 21

[19] vgl. Veit, T.: a.a.O., S. 157

[20] vgl. Oduev, S.: Auf den Spuren Zarathustras, Berlin 1977, S. 403

[21] ebd., S. 159

[22] Camus, A.: a.a.O., S. 160

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Leidens im Zarathustra
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Veranstaltung
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V139477
ISBN (eBook)
9783640489589
ISBN (Buch)
9783640489725
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Leidens, Zarathustra
Arbeit zitieren
Diplom Betriebswirt (FH) Frank Merkel (Autor:in), 2009, Die Rolle des Leidens im Zarathustra, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139477

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