Legitimierung, Regulierung und Kontrolle von Lobbying bei der Europäischen Union


Diplomarbeit, 2004

54 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Darlegung der Fragestellung
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Lobbying und Demokratie
2.1 Was ist Lobbying - Begriffbestimmungen und Abgrenzungen
2.1.1 Lobbying / Interessenvertretung
2.1.2 Public Affairs
2.1.3 Politikberatung / Political Consulting
2.1.4 Public Relations / Öffentlichkeitsarbeit
2.2 Die Funktion von Lobbying im demokratischen System
2.3 Lobbying in der öffentlichen Meinung
2.4 Verschiedene Formen und Techniken von Lobbying

3 Lobbying in der Europäischen Union
3.1 Der Stellenwert von Lobbying im politischen System der EU
3.2 Lobbying im Mehrebenensystem der EU
3.3 Die Lobbying-Akteure bei der EU
3.3.1 Staatliche Akteure unterhalb der Regierungsebene
3.3.2 Private und öffentliche Unternehmen
3.3.3 Nationale Interessengruppen
3.3.4 Europäische (Dach)Verbände und
Nichtregierungsorganisationen
3.3.5 Anwaltskanzleien und Public Affairs-Agenturen
3.4 Die Adressaten von Lobbying in der EU
3.4.1 Europäische Kommission
3.4.2 Europäisches Parlament
3.5 Erfolgsfaktoren für das Lobbying in Brüssel

4 Legitimation von EU-Lobbying
4.1 Das Problem der Legitimierung
4.2 Lobbyisten als Informationslieferanten
4.3 Legitimitätsgewinn für die Kommission durch breite
Konsultationen?
4.4 Transparenz als notwendige Voraussetzung für Legitimation
4.5 Die Repräsentativität der angehörten Interessen
4.6 Rechenschaftspflicht für Lobbyisten

5 Regulierung und Kontrolle von Lobbying
5.1 Hintergründe der Regulierungsdiskussion
5.2 Selbstregulierung
5.2.1 Berufsverbände als Regulierungsakteure
5.2.2 Die Politik der Kommission
5.3 Gesetzliche Regulierung
5.3.1 Die Politik des Europäischen Parlamentes
5.4 Kontrolle von EU-Lobbying

6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Obwohl Lobbying, also die Vertretung von Interessen gegenüber Entscheidungsträgern[1], seit jeher mit Politik verbunden ist, scheint es im öffentlichen Bewusstsein bisweilen vernachlässigt zu werden. Wenn von Lobbyisten die Rede ist, dann häufig in einem negativen Kontext, etwa im Zusammenhang mit Spendenskandalen oder Betrugsvorwürfen. Dass aber z.B. die großen Wirtschaftsverbände oder Umweltschutzorganisationen im Prinzip nichts anderes als Lobbying betreiben, wird nicht immer in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. In der allgemeinen Wahrnehmung scheint ein diffuses und verzerrtes Bild vom Lobbyisten vorzuherrschen: Er agiert in einer rechtlichen Grauzone und versucht mit nicht immer sauberen Mitteln, (wirtschaftliche) Partikularinteressen durchzusetzen. Demgegenüber stehen die Gemeinschaftsinteressen, die sich durch Mehrheitsentscheide manifestieren und als ehrbares Ziel politischen Handelns gesehen werden. Diese Gegenüberstellung hält einer genaueren Betrachtung nicht stand, wenn man bedenkt, dass sich das Gemeinschaftsinteresse aus einer Vielzahl von partikularen, teils widersprüchlichen und konkurrierenden Interessen zusammensetzt und dadurch einem stetigen Wandel unterworfen ist. Die Auslotung des Gemeinwohls ist die Essenz einer pluralistischen Demokratie, in der der Vertretung von Interessen eine vitale Funktion im Rahmen der Entscheidungsfindung zukommt.

Auch in der (politik)wissenschaftlichen Diskussion scheint das Phänomen des Lobbyismus erst in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts allmählich an Beachtung gewonnen zu haben. Trotzdem muss man immer noch feststellen, dass es im Vergleich zu seiner praktischen Relevanz im politischen Tagesgeschäft nur mäßig erschlossen ist.[2] Dies wird nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass ein nicht unerheblicher Teil der spezifischen Lobbying-Tätigkeit hinter den Kulissen abläuft. Dies bedeutet auch einen erschwerten Zugang zu Datenmaterial, weshalb empirische Studien selten sind.

Doch dies beginnt sich seit einiger Zeit zu wandeln, da viele neuere Lobbyisten mit einem gewandelten Selbstverständnis auftreten, sich dann auch lieber als Politikberater, Public Affairs Professional o. ä. bezeichnen und ihre Tätigkeit als legitim und ganz im Sinne des demokratischen Systems betrachten und dies auch so kommunizieren. Parallel dazu hat auch die Wissenschaft - wie bereits angedeutet - ein stärkeres Interesse am Lobbying entwickelt und begonnen, die verschiedenen Facetten zu analysieren. Die gesteigerte Aufmerksamkeit für die organisierte Interessenvertretung[3] - gerade in Europa - hängt auch damit zusammen, dass sie auf der Ebene der europäischen Union eine gewichtige Rolle spielt. So wird die Behauptung vertreten, nirgends sei Lobbying so stark in die Regulierung und Entscheidungsfindung miteinbezogen wie in Brüssel, wofür sich eine Reihe von Argumenten finden lässt.[4] Fakt ist, dass Lobbyismus für die europäische Integration zugleich funktional und problematisch ist. Ohne eine aktive Partizipation der Interessengruppen bei der Politikgestaltung wäre eine Entwicklung, wie sie die EU erfahren hat, aufgrund der sehr beschränkten Ressourcen und Kapazitäten der Institutionen und der immensen Tragweite des Projektes nicht möglich gewesen. Andererseits wird das vielbeschworene Problem des Demokratiedefizits der EU durch die lange Zeit weitgehend unreglementierte und dadurch unter Umständen unausgeglichene Interessenvertretung noch verstärkt.[5]

1.1 Darlegung der Fragestellung

Eine Ausgangsüberlegung im Vorfeld dieser Arbeit war die Frage, warum trotz ihrer Relevanz relativ wenig über die konkrete und alltägliche Lobbyarbeit in der Europäischen Union bekannt ist und warum immer noch dieses eher negative Image vorherrscht. Ein plausibler Grund dafür scheint zu sein, dass in diesem Bereich ein Mangel an Transparenz zu beobachten ist, der unter anderem die demokratische Legitimität solcher Machenschaften in Frage stellt. Interessanterweise wird Lobbying in den USA in einem viel positiveren Sinne gesehen und hat dort einen unbestrittenen Platz im politischen Geschehen.[6] Da es dort anders als in Europa eine dezidierte Gesetzgebung bezüglich Lobbying gibt, kann - trotz der vielen Verschiedenheiten zwischen den politischen Systemen - vermutet werden, dass im unterschiedlichen Regulierungsgrad ein Grund für die divergenten Konnotationen liegt.

In dieser Arbeit soll einerseits untersucht werden, welche Funktionen Lobbying in der Europäischen Union erfüllen soll und erfüllen kann, und worin andererseits die möglichen Probleme in diesem Zusammenhang liegen können. Damit eng verknüpft ist die Frage der demokratischen Legitimierung organisierter Interessenvertretung: Wie kann gewährleistet werden, dass eine prinzipielle Chancengleichheit zwischen privaten und öffentlichen Interessen gegeben ist? Kann der „Markt“ die Vertreter und Adressaten von Interessen effektiv zusammen bringen, oder ist mit Wettbewerbsverzerrungen zu rechnen? Die Frage ist also nicht, ob organisierte Interessen vertreten werden sollen, sondern in welcher Form dies geschehen soll.

Die Debatte über eine Form von Regulierung für den Bereich der Interessenvertretung wird auch immer dann wieder aktuell, wenn ein Fall von ungerechtfertigter Einflussnahme bekannt wird oder illegitime Verstrickungen z.B. zwischen Wirtschaft und Politik aufgedeckt werden. In Bezug auf die Europäische Union entwickelte sich etwa Anfang der 90er Jahre eine verstärkte Diskussion um die Reglementierung von Lobbying, die bis heute u.a. aufgrund der institutionellen Weiterentwicklung der EU nicht abgeschlossen ist.[7] Ein vorläufiges Ergebnis dieser Diskussion ist der Ansatz der Regulierung durch Selbstverpflichtungen, wie er zur Zeit in der EU vornehmlich praktiziert wird. Die Kernfrage dieser Arbeit besteht darin, inwiefern diese Art der Regulierung in der Lage ist, die zuvor erarbeiteten Anforderungen an den Lobbyismus zu gewährleisten und wo eventuell weitergehende Maßnahmen in Erwägung gezogen werden müssen. In den Bereich dieser Fragestellung fällt nicht nur die Regulierung der Interessenvertreter, sondern auch der Adressaten von Lobbying. Da die Behandlung beider Seiten jedoch den vorgegebenen Rahmen sprengen würde, stehen im Folgenden die Lobbying-Akteure im Vordergrund der Betrachtungen.

1.2 Aufbau der Arbeit

In einem ersten Schritt werden in Kapitel 2 die für die Fragestellung relevanten allgemeinen Aspekte von Lobbying diskutiert. Zunächst wird eine Definition des Begriffes Lobbying vorgenommen und die verschiedenen vorzufindenden Konzepte einander gegenüber gestellt und verglichen. Darauf folgt eine skizzenhafte Analyse der Funktionen, die Lobbying in einem politischen System zukommen, verbunden mit der Frage, welche Schlüsse sich daraus für die Fragestellung ergeben. Im dritten Teil des zweiten Kapitels wird untersucht, welches Image Lobbying in der Öffentlichkeit hat, und wie dies zustande kommt. Im letzten Teil dieses Kapitels schließlich werden verschiedene Formen und Techniken von Lobbying vorgestellt, die dann im folgenden Kapitel mit Bezug auf die EU und die vorliegende Fragestellung teilweise vertieft werden.

Das dritte Kapitel befasst sich mit den Spezifika des Lobbying bei den Institutionen der EU, die im Mittelpunkt des Interesses dieser Arbeit stehen. Zunächst wird der besondere Stellenwert von Lobbyismus in Brüssel aufgezeigt und die Gründe dafür analysiert, um dann die Besonderheiten von EU-Lobbying und die Unterschiede zu nationalstaatlichen Bedingungen herauszuarbeiten. Dazu gehört das Mehrebenensystem der EU, dessen Bedeutung für die Interessenvertretung aufgezeigt wird, um in den beiden folgenden Abschnitten einerseits die Akteure und andererseits die Adressaten von Lobbying zu beschreiben und in diesem System zu verorten.

Im vierten Kapitel wird dann die Frage der Legitimation von Lobbying diskutiert und dadurch eine Grundlage erarbeitet, auf der Anforderungen an eine Regulierung aufgestellt werden können. Die beiden zentralen Punkte sind hier Transparenz der Vorgänge und Repräsentativität der vertretenen Interessen. Die damit verbundenen Probleme werden aus Sicht der Akteure und der Adressaten von Lobbying betrachtet.

Das fünfte Kapitel schließlich widmet sich dann der Regulierung und Kontrolle von Lobbying in der EU. Aufbauend auf die bis dahin angestellten Überlegungen wird untersucht, welche Ansätze es gibt und wo die jeweiligen Vor- und Nachteile liegen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Politik der Kommission und des Europäischen Parlaments bezüglich dieser Frage gelegt.

2 Lobbying und Demokratie

2.1 Was ist Lobbying - Begriffbestimmungen und Abgrenzungen

Um die im ersten Kapitel dargelegte Fragestellung gewinnbringend zu bearbeiten, ist zunächst eine möglichst griffige Definition von Lobbying zu leisten. Nur wenn deutlich wird, welche Akteure und Verfahren Gegenstand der Betrachtung sind, kann eine sinnvolle Diskussion der Frage der Regulierung erfolgen. So wird denn auch das Definitionsproblem als eine der Ursachen für die Schwierigkeiten bei bisherigen Ansätzen der Regulierung auf europäischer Ebene genannt.[8] Fällt es schon auf nationalstaatlicher Ebene nicht immer leicht festzulegen, welche Aktivitäten als Lobbyismus betrachtet werden sollen, so liegt es auf der Hand, dass auf europäischem Niveau zusätzliche Probleme durch das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen nationalen politischen Kulturen entstehen. Dennoch soll im Folgenden versucht werden, eine für das Ziel der Arbeit hinreichende Eingrenzung vorzunehmen und vor allem auch eine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Konzepten zu erreichen. Bleibt vorweg zu sagen, dass dies nicht immer in vollem Umfang möglich ist, da sich die Begriffe teilweise überlappen und sich in der Literatur in manchen Fällen konkurrierende Beschreibungen finden.

2.1.1 Lobbying / Interessenvertretung

Über den Ursprung der heutigen Bedeutung des Begriffs „Lobbying“ gibt es in der Literatur verschiedene Angaben, als gesichert gilt jedoch die sprachliche Herkunft des Wortes: „Lobby“ leitet sich ab vom lateinischen „labium“ und bedeutet soviel wie Vorhalle bzw. Wartehalle.[9] Gemeinhin wird angenommen, dass die heute geläufige Bedeutung des Begriffs Lobbying als die interessengeleitete Beeinflussung von politischen Entscheidungsträgern im 19. Jahrhundert in den USA entstanden ist und auf die Interessenvertreter zurück geht, die in der Lobby des amerikanischen Kongresses auf die Abgeordneten warteten.[10] Es bleibt zu betonen, dass sich unabhängig von der Begriffsbildung das Phänomen der gezielten Beeinflussung von Politikern wesentlich weiter zurückverfolgen lässt und sich vermutlich parallel mit der Entstehung von politischen Systemen entwickelt hat. Van Schendelen (2003: 302) vermutet, der Grund für diese langandauernde Namenlosigkeit könnte darin bestehen, dass Lobbyismus so etwas wie die Crux der Politik sei, für die man keine eigene Bezeichnung brauchte. Unbestritten ist die Entfaltung einer Sogwirkung von Machtzentren, und dies nicht erst in der modernen Demokratie, wie wir sie heute kennen.[11]

Eine aktuelle und brauchbare Definition der verschiedenen Kriterien von Lobbying liefert Köppl:

- „Beeinflusst werden legislative Entscheidungen von Behörden und offiziellen Institutionen und zwar
- durch Personen, die selbst nicht Teil des Entscheidungsprozesses sind.[12]
- Diese Beeinflussung muss gewollt und beabsichtigt sein und wird
- über spezielle Kommunikationsinstrumente bewerkstelligt.
- Lobbying zielt auf die punktuelle Beeinflussung spezifischer Sachentscheidungen ab, nicht jedoch auf anhaltende Mitgestaltung der (staats-)politischen Rahmenbedingungen“ (Köppl 1998: 2f., zit. n. Teuber 2001: 117).

Eine prägnantere aber zugleich offenere Definition liefert Fischer (1997: 35). Für ihn ist Lobbying schlicht „der Versuch der Beeinflussung von Entscheidungsträgern durch Dritte“. Ungeachtet der genauen Definition lässt sich beobachten, dass der Begriff des Lobbyismus im Laufe der Zeit eine Erweiterung und Verschiebung seiner Bedeutung erfahren hat. Ehemals bezog er sich auf verdeckte, eher illegitime Formen der Einflussnahme von undurchsichtigen Interessenvertretern auf einzelne Abgeordnete. Heute hingegen umfasst der Begriff - und dies im angloamerikanischen Raum stärker als etwa in Europa, wo die ältere Bedeutung noch häufiger zu erkennen ist - professionalisierte und legale Arten der Entscheidungsbeteiligung.[13] „Er [der Begriff, M.B.] oszilliert insofern zwischen legitimen, institutionalisierten und verborgenen Formen der Beeinflussung von AmtsträgerInnen“ (Schunter-Kleemann 2003: 194).

Im deutschen Sprachraum wird im Zusammenhang von Lobbying oft die etwas neutraler klingende Bezeichnung „Interessenvertretung“ verwendet, vor allem, wenn von der politischen Arbeit von Verbänden die Rede ist. Etwas unspezifischer wird dann manchmal auch von „Verbandsmarketing“[14] gesprochen, nicht zuletzt, um damit eine steigende Professionalisierung in diesem Bereich zu betonen. Auf die (Neo-)Korporatismus-Debatte, die sich mit der Beteiligung von Verbänden an der Formulierung und Ausgestaltung staatlicher Politik befasst, kann hier nicht näher eingegangen werden.[15]

Grundsätzlich können drei Arten von Lobbying unterschieden werden:[16] Erstens gibt es „legislatives Lobbying“ (Gesetzgebungs-Lobbying), bei dem es darum geht, die gesetzlichen Normen und somit die Rahmenbedingungen im Sinne der Auftraggeber zu beeinflussen. Beim „anwendungsorientierten Lobbying“ (Vollzugs-Lobbying) ist das Ziel die Beeinflussung von spezifischen Einzelentscheidungen von öffentlichen Instanzen, z.B. bei Fragen der Wettbewerbspolitik. Drittens gibt es das „Fonds -Lobbying“ (Subventions-Lobbying), bei dem Interessengruppen versuchen, die Verteilung von Subventionen und Unterstützungsprogrammen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Hierbei sind marketing-ähnliche Strategien verbreiteter als bei den anderen Lobbyingarten.

Eine andere Unterscheidung aus den USA bezüglich des Ansatzpunktes von Lobbying findet auch in Europa zunehmend Verbreitung, jene zwischen Inside-, Outside- und Grass-roots-Lobbying.[17] Unter Inside -Lobbying versteht man das direkte Lobbying bei den politischen Entscheidungsträgern und ihren Mitarbeiterstäben. Outside -Lobbying dagegen zielt auf das Umfeld der politischen Entscheidungsträger oder auf relevante Meinungsführer aus Wissenschaft, Medien und anderen Bereichen und wird oft unter dem Begriff Public Affairs subsumiert (s. nächster Abschnitt). Eine Unterform des Outside-Lobbying ist das sogenannte Grass-roots -Lobbying, bei dem versucht wird, mit Hilfe von Basis-Kampagnen großflächige Mobilisierung zu erreichen und dadurch Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.

2.1.2 Public Affairs

Wird schon unter Lobbying nicht immer das gleiche verstanden, trifft das in noch größerem Maße für den Begriff „Public Affairs (Management)“ zu, nicht zuletzt deshalb, weil er noch relativ neu ist. Wertet man die vorhandene Literatur aus, so fällt auf, dass nicht selten eine Abgrenzung zum klassischen Lobbying versucht und diesem Betätigungsfeld ein moderner Anstrich gegeben wird, um es vom manchmal etwas verstaubt anmutenden Lobbying abzuheben.[18] Generell wird unter Public Affairs (PA) Management eine umfassende (politische) Kommunikationstätigkeit verstanden, die Elemente der Öffentlichkeitsarbeit mit solchen der Interessenvertretung verbindet. Folgende Beschreibung von PA ist hilfreich:

„Das aktive Management der externen Beziehungen eines Unternehmens oder einer Organisation, vor allem mit Regierungen, Behörden, Parlamenten und gesellschaftlichen Gruppen vom Umweltschutzverband bis zur Nachbarschaftsinitiative, aber auch der Medien abseits der Produkt- und Marken-PR oder Investor Relations. Ziele: a) Verbesserung des allgemeinen wirtschaftlichen Klimas durch die Beeinflussung von Politik und Öffentlichkeit. b) Begrenzung negativer Auswirkungen der Aktivitäten der Politik. Public Affairs wenden sich anders als das Lobbying nicht nur an Politiker und Beamte, sondern auch an eigene Arbeitnehmer, Nachbarn, Verbraucher und örtliche Interessengruppen“ (Althaus 2001: 368).

Ein wesentliches Merkmal von PA im Unterschied zum klassischen Lobbying besteht darin, dass dieses oft von eigenständigen Agenturen betrieben wird, die für verschiedene Auftraggeber arbeiten und daher unterschiedliche (und unter Umständen auch konkurrierende) Interessen vertreten (Auftragslobbying). Althaus spricht von „Söldnern der Politik“ (Althaus 2002: 236), deren Loyalität nur solange andauert, wie das Honorar fließt. Für Unternehmen und Organisationen kann ein Outsourcing der Interessenvertretung an eine PA-Agentur lohnenswert sein, da so Spezialisierungs- und Kostenvorteile genutzt werden können.

2.1.3 Politikberatung / Political Consulting

Im deutschsprachigen Raum wird unter Politikberatung ursprünglich die wissenschaftliche Beratung politischer Entscheidungsträger verstanden. Die Träger von Politikberatung, in erster Linie Experten aus Forschungs- und Beratungsinstituten, unterstützen ihre Adressaten bei der Vorbereitung und Evaluierung von politischen Programmen und erfüllen dadurch vor allem zwei Funktionen: Information und Legitimation.[19] Zunehmend wird mit Politikberatung aber auch solche Zusammenarbeit bezeichnet, die sich auf unspezifischere Formen der Expertise und Erfahrung stützt oder auf einem persönlichen Vertrauensverhältnis basiert. Es ist offensichtlich, dass eine neutrale, rein wissenschaftliche Beratung von Politikern nicht vorausgesetzt werden kann, sondern immer die Möglichkeit besteht, dass dahinterliegende Interessen die Expertise beeinflussen oder zumindest selektiv wirken. Oder - anders ausgedrückt - es kommt zu einer Vermischung von Sach- und Wertaussagen. Besonders anschaulich wird das bei einigen Think Tanks, die sich einer gewissen politischen oder wirtschaftlichen Gruppe zuordnen lassen oder gar von ihr finanziert bzw. unterstützt werden.

Wird im englischen Sprachraum von „political consultants“ gesprochen, ist damit meist ein freiberuflicher Berater gemeint, der oftmals parteigebunden agiert und für konkrete Aufträge, z.B. Wahlkämpfe, andere Kampagnen oder Meinungsforschung engagiert wird.

2.1.4 Public Relations (PR) / Öffentlichkeitsarbeit

Eine weitere Form öffentlicher Kommunikation wird als Public Relations bezeichnet, größtenteils synonym wird der eingedeutschte Begriff „Öffentlichkeitsarbeit“ verwendet. PR ist in allen Lebensbereichen anzutreffen und scheint heutzutage für fast alle sozialen Zusammenhänge unumgänglich.[20] Eine Abgrenzung zu Werbung und Journalismus fällt häufig schwer, ebenso der Versuch, die Reichweite und Wirkung solcher Maßnahmen abzuschätzen. Auch besteht wenig Einigkeit darüber, ob Public Affairs ein Teil von Public Relations ist, oder ob das Umgekehrte der Fall ist, dies hängt vom jeweiligen Verständnis der Begriffe ab. Nicht nur Unternehmen (in ihrer Rolle als „corporate citizen“) und Organisationen greifen auf PR zurück, auch Staaten und Behörden sind darauf angewiesen, ihr Handeln der Öffentlichkeit zu erklären und um Verständnis zu werben, also letztendlich Imagepflege zu betreiben.[21]

Im Unterschied zum klassischen Lobbying, welches versucht, direkt auf die Entscheidungsträger einzuwirken, wird bei PR-Arbeit über die Mobilisierung von gesellschaftlichen Gruppen, der Öffentlichkeit und den Medien indirekt Einfluss ausgeübt. Im Bereich von Public Affairs wiederum scheinen sich beide Formen zu vermischen.

2.2 Die Funktion von Lobbying im demokratischen System

In einer pluralistischen, demokratisch organisierten Gesellschaft ist Lobbying ein wesentlicher Bestandteil politischer Entscheidungsbildungsprozesse, manche Beobachter gehen gar soweit, vom Lobbyismus als fünfter Gewalt zu sprechen.[22] Um in einer modernen Demokratie zu tragfähigen, von der Mehrheit akzeptierten Entscheidungen zu gelangen, die sich anschließend auch implementieren lassen, ist ein diskursiver Aushandlungsprozess nötig. Habermas (1962: 236) stellte bereits in den 60er Jahren mit Bezug auf Deutschland fest: „Politische Entscheidungen fallen in den neuen Formen eines „bargaining“, das sich neben den älteren Formen des Machtvollzugs: hierarchy und democracy herausgebildet hat“. In der Europäischen Union hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt. Öffentlichen und privaten Verbänden, Nichtregierungsorganisationen und anderen Lobby-Akteuren kommt dabei die Funktion zu, die unter Umständen diffusen und unpräzisen Meinungen und Interessen ihrer Klientel zu bündeln und zu kanalisieren, also Komplexität zu reduzieren. Dadurch werden die unterschiedlichen Standpunkte sichtbar und somit verhandelbar und können in den politischen Arenen zur Willensbildung beitragen.[23]

Die zunehmende Komplexität der verschiedenen Politikbereiche in der heutigen Wissensgesellschaft und der damit einhergehende Informationsbedarf als Grundlage für die Regulierung durch den Gesetzgeber machen es erforderlich, dass dieser mit externer Expertise versorgt wird. Nur so kann eine solide Fundierung politischen Handelns erreicht werden, auch wenn dadurch natürlich die Abhängigkeit von den Informationsgebern und der Korrektheit der Informationen erhöht wird.

Zuverlässige und relevante Informationen sind für den Lobbyisten das höchste Gut, denn damit kann er bei den für ihn wichtigen Entscheidungsträgern Zugang erhalten. Wenn die Informationen für den Entscheider wertvoll sind und er sie in seiner Arbeit einsetzen und sich damit nach außen legitimieren kann, wird er sie gegebenenfalls berücksichtigen. Lobbyismus kann also beschrieben werden als eine Art Tauschgeschäft, bei dem Informationen (und politische Unterstützung) gehandelt werden gegen Interessenberücksichtigung bei der staatlichen Entscheidungsfindung.[24] Vor diesem Hintergrund muss ein Lobbyist darauf achten, dass seine Informationen verlässlich sind, will er eine längerfristige Beziehung zu seinem Tauschpartner aufbauen und auch in Zukunft Gehör erhalten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Lobbying ein unerlässliches strategisches Instrument von gesellschaftlichen Gruppen darstellt, um die Interessenartikulation im politischen System zu gewährleisten.

2.3 Lobbying in der öffentlichen Meinung

Wie im letzten Abschnitt deutlich wurde, ist Lobbying ein fester Bestandteil im demokratischen Entscheidungsprozess, der zur effizienten politischen Willensbildung beiträgt. Dennoch wird immer wieder betont, welch schlechtes Bild von Lobbyismus in der öffentlichen Meinung verbreitet ist.[25] „Lobbyisten werden als lichtscheue Gnome charakterisiert, die abseits der öffentlichen Bühne eifrig Klinken putzen und ihren Einfluss primär durch die politische Hintertür zur Geltung bringen“ (Sebaldt 2002: 81).[26] Dieses schlechte Image von Lobbying ist im 19. Jahrhundert in den USA entstanden, als daraus ein Geschäft zwischen Politikern und mächtigen Persönlichkeiten aus der Gesellschaft geworden ist. Politische Entscheidungen wurden weniger im Plenum gefällt, als vielmehr hinter verschlossenen Türen vereinbart, und der Austausch von Gefälligkeiten und Korruption stellten durchaus übliche Praktiken dar. Die Bedeutung hat sich in den USA jedoch im letzten Jahrhundert gewandelt, und im Vergleich zum europäischen Raum genießt Lobbying im öffentlichen Ansehen einen höheren Stellenwert. Es ist eine verfassungsrechtlich geschützte Aktivität und wird als legitime Partizipation am Entscheidungsprozess betrachtet.[27] „To lobby“ bedeutet dort schlichtweg, sich für Interessen einzusetzen, politisch Druck zu machen (Lobby-Organisationen oder Verbänden werden auch als „pressure groups“ bezeichnet) und wird in Bezug auf jede Art von Interessenvertretung und ohne einen negativen Beiklang verwendet.[28] Als Gründe dafür werden einerseits eine relativ konsequente Gesetzgebung (auf Bundesebene seit 1946) und eine zunehmende Professionalisierung der Lobbying-Akteure genannt, andererseits spielen natürlich auch prinzipielle Unterschiede zwischen den Politiksystemen eine Rolle.[29]

In Europa taucht der Begriff Lobbying in der Berichterstattung der Medien oft in einem negativen Zusammenhang auf, z.B. wenn im Rahmen der Spendenaffäre der CDU bzw. der Leuna-Affäre vom „Waffenlobbyisten“ Schreiber die Rede ist. Einen ähnlichen Effekt hatte die Affäre Hunzinger, die im Sommer 2002 zum Rücktritt des deutschen Verteidigungsministers Rudolf Scharping beigetragen hat und wo die Beziehung zwischen dem PR-Berater Moritz Hunzinger und dem Politiker zweifelhaft war. Diese Vorfälle haben in Deutschland vor allem bei den freischaffenden Lobbyisten für Aufregung gesorgt und die Diskussion um Standesregeln und Selbstkontrolle entfacht.[30]

Ein weiterer Kontext, in dem das Wirken von Lobbygruppen in den Medien zumeist eher negativ dargestellt wird, sind Reformdiskussionen. Organisierte Interessen werden dann - wahrscheinlich nicht immer unberechtigterweise - als Reformblockierer oder -bremsen charakterisiert, die die Besitzstände ihrer Klientel wahren wollen und damit scheinbar unumgängliche Reformen verhindern. Das trifft in manchen Fällen sicherlich zu, lässt aber außer Acht, dass es genauso gut andersherum denkbar und auch beobachtbar ist, dass nämlich Lobbygruppen politische Veränderungen anstoßen, indem sie z.B. Themen aufgreifen, die politisch brisant sind, und öffentliche Informationsarbeit leisten.

Ein grundlegendes Problem im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung von Lobbying scheint darin zu liegen, dass ein erheblicher Teil davon im Verborgenen abläuft und so der Eindruck entstehen kann, dass demokratische Kontrolle umgangen werden soll. In der Tat ist die Intransparenz der Tätigkeiten von Interessengruppen ein ständiges Problem und widerspiegelt deren ambivalente Haltung gegenüber der Öffentlichkeit. Einerseits sind die Interessenverbände natürlich an einer möglichst großen Publizität ihrer Standpunkte und Forderungen interessiert, denn durch eine unterstützende öffentliche Meinung kann ihren Vorhaben mehr Druck verliehen werden. Andererseits jedoch soll den Konkurrenten möglichst wenig Einblick in die eigene Geschäftssituation und Praktiken gewährt werden, um strategische Vorteile nicht zu verlieren.

[...]


[1] Aus Gründen der Lesefreundlichkeit wird darauf verzichtet, jeweils die weibliche und männliche Form zu benutzen, selbstverständlich sind aber immer beide Geschlechter gemeint.

[2] Vgl. Teuber (2001: 20); Leif/Speth (2003a: 10 ff.).

[3] Die Begriffe Lobbying und (organisierte) Interessenvertretung werden in dieser Arbeit synonym verwendet.

[4] Vgl. v. Alemann (2000).

[5] Zur Diskussion um das Demokratiedefizit der Europäischen Union und die Frage der demokratischen Legitimation der Union siehe Grande (1996).

[6] Vgl. Thunert (2003).

[7] Vgl. Teuber (2001: 121).

[8] Vgl. Teuber (2001: 146 f.); Europäisches Parlament (2003a: 37).

[9] Vgl. Teuber (2001: 117).

[10] Vgl. Buholzer (1998: 6).

[11] Vgl. Ries (2002: 126 f.).

[12] Dieser Aspekt der Definition trifft auf das Lobbying bei der Europäischen Union nicht immer zu, wie im Kap. 3 gezeigt werden wird. Gleiches gilt für den letzten der fünf Definitionspunkte.

[13] Vgl. Schunter-Kleemann (2003: 194).

[14] Vgl. Sebaldt (2002: 81).

[15] Zu diesem Thema siehe z.B. v. Alemann (2000); Buholzer (1998: 73 ff.); siehe auch Fußnote 23.

[16] Vgl. Buholzer (1998: 8 f.).

[17] Vgl. Thunert (2003: 322).

[18] Siehe die verschiedenen Beiträge in Althaus (2001); Ries (2002); Althaus (2002); Kahler/Lianos (2003).

[19] Vgl. Andersen/Woyke (2003: 482).

[20] Vgl. Ronneberger/Rühl (1992: 9 ff.).

[21] So geht es um handfeste finanzielle Konditionen für die Kapitalaufnahme, wenn sich Staaten bei den großen internationalen Rating-Agenturen (z.B. „Standard & Poor’s“, „Moody’s“) durch überzeugende Selbstdarstellung um eine gute Einstufung ihrer Bonität bemühen.

[22] Vgl. Leif/Speth (2003: 16).

[23] Die klassische (politik)wissenschaftliche Beschäftigung mit organisierter Interessenvertretung geschah vornehmlich im Rahmen von zwei Organisationsmodellen: dem Korporatismus und dem Pluralismus. Im korporatistischen Modell gibt es eine begrenzte Anzahl von Verbänden, die für ihren Bereich über ein Repräsentationsmonopol verfügen, hierarchisch gegliedert sind und sich oft durch Zwangsmitgliedschaft konstituieren. Sie arbeiten bei der Politikgestaltung und -umsetzung eng mit dem Staat zusammen und werden teils ziemlich stark von ihm kontrolliert. Im pluralistischen Ansatz steht eine unbegrenzte Anzahl von Verbänden um ihre Mitglieder im Wettstreit, es gibt weder staatliche Kontrolle noch Einfluss, und die Willensbildung erfolgt autonom (vgl. Schmitter 1979). Während korporatistische Systeme eher auf Konsens ausgerichtet sind, stehen in pluralistischen Systemen eher Mehrheitsentscheidungen im Vordergrund. Auf eine nähere Befassung mit diesen Ansätzen muss hier verzichtet werden, jedoch wird an entsprechender Stelle auf einzelne Elemente zurückgegriffen.

[24] Vgl. Buholzer (1998: 97 ff.).

[25] Vgl. Ries (2002: 125 f.); Teuber 2001: 73 f.); Leif/Speth (2003a: 7 ff.). Außerdem wird folgendes bezeichnende Bonmot kolportiert: „Sag meiner Mutter nicht, dass ich als Lobbyist arbeite - sie glaubt, ich sei Pianist in einem Bordell.“

[26] Ironischerweise hat die Diskussion um die Regulierung von Lobbying in den Augen von Greenwood nicht zu einer Verbesserung dessen Ansehens beigetragen, im Gegenteil: „By its entry into the political arena, discussion about the management of interest representation had once again evoked popular images of lobbying as shady deals done in dark corners“ (Greenwood 1997: 97).

[27] Vgl. Thunert (2003: 320 ff.).

[28] Vgl. von Alemann (2000: 1).

[29] So beschreiben etwa Lahusen/Jauß (2001: 162) die Staat-Verbände-Beziehung in den USA als pluralistisch-kompetitiv strukturiert, während sie in der europäischen nationalstaatlichen Politik eher nach konsensuell-deliberativen Mustern (also korporatistisch) organisiert sei.

[30] Siehe z.B. die beiden folgenden Artikel aus der „Public Affairs-Szene“, in denen diese Fragen diskutiert werden: Greve-Grönebaum/von Hayek (o.A.); Vesper (2003).

Ende der Leseprobe aus 54 Seiten

Details

Titel
Legitimierung, Regulierung und Kontrolle von Lobbying bei der Europäischen Union
Hochschule
Universität Basel  (EuropaInstitut)
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
54
Katalognummer
V139384
ISBN (eBook)
9783640472789
ISBN (Buch)
9783640472437
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Legitimierung, Regulierung, Kontrolle, Lobbying, Europäischen, Union
Arbeit zitieren
Marc Biedermann (Autor:in), 2004, Legitimierung, Regulierung und Kontrolle von Lobbying bei der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139384

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