Plinius und die Geschichtsschreibung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

25 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einführung in die Thematik: Plinius‘ Ringen um Un- sterblichkeit

II. Plinius‘ Einstellung zur Geschichtsschreibung
1) Detaillierte Analyse des Briefes V, 8
2) Analyse des Briefes VII, 33

III. Plinius‘ Art der Geschichtsschreibung in Briefform
1) Plinius‘ Darstellung des Vesuvausbruches i. J. 79 als Ge- schichtsschreibung (Ep. VI, 16)
2) Plinius‘ Darstellung der Hinrichtung einer Vestalin auf Befehl Domitians (Ep. IV, 11)

IV. Zusammenfassung und Ausblick

Bibliographie

Plinius und die Geschichtsschreibung (dargestellt an vier Briefen)

I. Einführung in die Thematik: Plinius‘ Ringen um Unsterb- lichkeit und Ruhm

Gaius Plinius Caecilius Secundus könnte man heutzutage sicherlich salopp als ein antikes Multitalent bezeichnen, da er sich in der frühen Kaiserzeit sowohl als Politiker, als auch als Anwalt, als Redner und auch als Schriftsteller praktisch in allen Belangen des damaligen öffentlichen Lebens hervortat. Er war eben ein vielseitiger Mann. So ist es denn auch kaum verwunderlich, daß er sich als Literat nicht ausschließlich auf die schriftliche Überarbeitung seiner Reden und auf seine Briefe beschränkte, sondern daß er daneben auch einen Panegyricus auf Kaiser Trajan, unter dem er als Beamter mit häufig wechselndem Ressort Ruhm und Ansehen erlangte, verfaßte, und sogar begann, Gedichte zu schreiben. Für kurze Zeit trug er sich überdies mit dem Gedanken, als Geschichtsschreiber tätig zu werden, was er aber scheinbar doch recht schnell wieder verwarf. Dieses Vorhaben hätte er wohl auch weniger aus literarischem Interesse für das Genre, als vielmehr aus dem alten menschlichen Verlangen heraus, sich mit seinem Werk verewigen zu wollen und so Unsterblichkeit und Ruhm bei der Nachwelt zu erlangen, in Angriff genommen. So sagt Plinius z. B. in III, 7,14: „Wenn es uns schon nicht vergönnt ist, länger zu leben, so wollen wir doch etwas hinterlassen, das später einmal unsere Existenz bezeugt“. Angesichts dieser Furcht vor dem Nichts, das den Menschen nach dem Tod zu verschlucken droht, und aufgrund des Glaubens, daß nur das Vollendete eine Chance besitze zu überleben, ist solche existenzielle Angst der Hintergrund von „amor immortalitatis“ (III, 7,15), die er durch literarischen Ruhm zu erreichen strebt.[1] Er sieht sich quasi einem Wettlauf mit dem Tod ausgesetzt, dem er durch die gloria zu entrinnen sucht.

Ziel dieser Arbeit wird nun sein, anhand der Briefe V, 8; VI, 16; IV, 11 sowie VII, 33 Plinius‘ Einstellung zur Geschichtsschreibung darzustellen und aufzuzeigen, inwiefern er trotz seines Entschlusses, keine Geschichte schreiben zu wollen, dies dann letztendlich doch tut. Hierbei werde ich in detaillierter Analyse auf den für das Thema zentralen Brief V, 8 eingehen (wobei ich diesen nach mir sinnvoll erscheinenden Abschnitten, denen jeweils ein Übersetzungs-vorschlag vorangestellt wird, gliedern werde) und die drei übrigen Briefe VI, 16; IV, 11 und VII, 33 als Beispiele für Plinius‘ Darstellung von Geschichte heranziehen. Zitate beziehen sich dabei auf die Teubnerausgabe von Schuster/ Hanslik (Stuttgart 1992).

II. Plinius‘ Einstellung zur Geschichtsschreibung

1.) Detaillierte Analyse des Briefes V, 8

Der Brief entstand wohl im Jahre 105 oder 106.

Gaius Plinius grüßt seinen Titinius Capito.

Über den Adressaten Titinius Capito ist nur wenig bekannt. Er war ein pensionierter kaiserlicher Sekretär, der sich wie Plinius für Geschichte interessierte[2] und zudem ein Geschichtswerk über die Herrschaft Domitians verfaßte. Er wird außer hier noch in den Briefen I,17 und VIII,12 erwähnt.

Du rätst mir, Geschichte zu schreiben, und du rätst mir das nicht als einziger; viele haben mich schon oft dazu aufgefordert, und ich möchte es auch, nicht, weil ich glaubte, es wäre leicht zu tun (das könnte man so ohne weiteres glauben, wenn man darin unerfahren ist), sondern weil es mir vor allem schön erscheint, diejenigen Männer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, denen Ewigkeit gebührt, und den Ruhm anderer zusammen mit dem eigenen zu vergrößern.

Plinius wird hier also von Capito aufgefordert, sich als Geschichtsschreiber zu betätigen und begrüßt diesen Vorschlag sogar zuerst, da es ihm dadurch möglich wäre, sowohl den Ruhm großer Männer zu bewahren, als auch seinen eigenen Ruf zu steigern. Außerdem scheint er aufgrund seiner Vielfältigkeit von der Idee, einfach einmal etwas Neues auszuprobieren, durchaus nicht abgeneigt gewesen zu sein.[3] „Diese Neigung, verborgener Größe nachzuspüren und ihr die gebührende Anerkennung zu verschaffen –was aeternitas verdient, darf nicht untergehen- gehört zu seinen besonderen Wesenszügen“ (Bütler, 24).

Mich aber reizt nichts in gleicher Weise wie heftiges Verlangen nach dauerhaftem Fortleben, eine dem Menschen würdige Angelegenheit, zumal für den, der sich -keiner Schuld bewußt- das Andenken der Nachwelt nicht zu scheuen braucht. Daher überlege ich Tage und Nächte lang ‚wie nur auch ich mich vom Boden erheben könnte‘; dies nämlich würde meinem Wunsch genügen; das, was folgt, würde über meinen Wunsch hinausgehen, nämlich ‚siegreich mich zu verbreiten durch die Münder der Leute...; doch ach...!‘ Aber das erste genügt mir, was allein die Geschichtsschreibung zu verheißen scheint. Der Rede und der Dichtung gebührt nur wenig Dank, wenn sie nicht höchste Gewandtheit im Ausdruck aufweisen.

Diesen Abschnitt analysierte Traub (220f.) treffend, indem er schrieb: “Pliny admits that he is passionately interested in his own fame, and that the writing of history seems almost the only means of assuring it, oratory and poetry meeting with little success unless they be of the highest genius“. Dieser Gedankengang stellt für ihn gewiß die größte Motivation dar, Geschichte zu schreiben, denn hier kommt Plinius‘ sehnlichster Wunsch (in einem Zitat aus Vergils Georgica III, 9, wo dieser gerade darüber nachsinnt, wie er sich unsterblichen Ruhm verschaffen könne, und daraufhin mit der Aeneis ein neues Werk ankündigt, das auf einer literarisch höheren Ebene stehen werde) zum Ausdruck, nämlich: „victorque virum volitare per ora...“, um so dem Grauen, nach dem Tode in Vergessenheit zu geraten, zu entrinnen. Auch die beiden anderen Zitate in diesem Abschnitt entnahm er dabei aus Vergils Georgica III, 8 [qua...humo] bzw. aus der Aeneis V,195 [quamquam o...!]. Seine Aussage „orationi enim et carmina parva gratia nisi eloquentia est summa (§ 4)“ impliziert, daß er sich nun, nachdem er bereits Reden und Gedichte geschrieben hat, auch an das dritte literarische Genre, eben der Geschichtsschreibung, heranwagen will. Somit muß er seine ‚Hendecasyllabi‘ schon davor veröffentlicht haben (vgl. Sherwin-White, 333).

Geschichte bereitet Freude, in welcher Art auch immer sie geschrieben ist. Die Menschen sind nämlich von Natur aus wißbegierig und lassen sich durch jede beliebige auch noch so schmucklose Erkenntnis der Ereignisse anziehen, zumal sie sich ja selbst von Klatsch und Märchen fesseln lassen.

Mit der Aussage „historia quoquo modo scripta delectat“ (§ 4) dürfte Plinius wohl auf das Geschichtswerk seines Onkels Plinius d. Ä., die Naturalis Historia, anspielen, das er gleich im folgenden Abschnitt erwähnt, dessen historischer Stil aber scheinbar nicht seiner eigenen Idealvorstellung von Geschichtsschreibung entsprach (vgl. Sherwin-White, 333). Obgleich sich die Historiographie in seinen Tagen offensichtlich großer Beliebtheit erfreute, so daß selbst die einfachste, ungekünsteltste historische Darstellung etwas Anziehendes für den Leser behielt, suchten die Alten deren Zweck tiefer: Sie sollte nützen und eine Philosophie in Beispielen sein; doch verkannten sie auch nicht ihre vorzügliche Befähigung zu ergötzen und zu vergnügen.[4]

Mich aber treibt zu dieser Beschäftigung auch das Vorbild im eigenen Hause an. Mein Onkel, der durch Adoption zugleich auch mein Vater ist, hat Geschichte –und zwar äußerst gewissenhaft- geschrieben. Ich finde aber bei den Weisen den Ausspruch, daß es äußerst ehrenhaft sei, den Spuren der Vorfahren zu folgen, wenn sie eben auf rechtem Wege vorangeschritten sind.

Die dritte Motivation für Plinius, Geschichte zu schreiben, stellt nun also die große Tradition seines Onkels C. Plinius Secundus, genannt „der Ältere“, dar, der ihn einige Jahre nach dem Tode seines Vaters -wahrscheinlich testamentarisch- adoptierte (daher ist hier in § 5 auch von „idemque per adoptionem pater“ die Rede) und bereits Geschichtswerke verfaßt hatte. So hatte dieser in 20 Büchern die Kriege in Germanien dargestellt (Bellorum Germaniae libri XX) sowie 31 Bücher A fine Aufidii Bassi (ein stoffreiches Geschichtswerk mit nerofeindlicher und flavierfreundlicher Tendenz) und seine eben erwähnte Naturgeschichte in 37 Büchern geschrie-ben. Bis zu der Adoption war Verginius Rufus (etwa 14 – 97), ein angesehener Ritter aus der Nähe von Comum, der in den Jahren 63, 69 und 97 consul ordinarius war und in den Jahren 68/69 zweimal die Kaiserwürde abgelehnt hatte, sein legaler Vormund (vgl. Sherwin-White, 334). Er bemühte sich rührend um Plinius‘ Erziehung und Fortkommen.

Das Adverb „religiosissime“ möchte hier laut Döring (288) weniger den lebhaften Eifer be-zeichnen, als die Gewissenhaftigkeit, mit der Plinius d. Ä. die Tatsachen aufzeichnete; eine Tugend, die gewöhnlich als die erste eines Historikers genannt wird.

Warum also zögere ich noch? Ich habe bedeutsame und schwierige Prozesse geführt; diese beabsichtige ich zu überarbeiten, auch wenn ich mir von ihnen nur wenig verspreche, damit mein so großer Aufwand nicht zusammen mit mir untergeht, wenn ich nicht das, was an Beschäftigung damit noch fehlt, hinzugefügt habe. Denn wenn man die Nachwelt berücksichtigt, gilt all das, was nicht vollendet ist, als gar nicht erst begonnen. Du wirst sagen: “Du kannst gleichzeitig sowohl die Prozeßreden überarbeiten, als auch Geschichte schreiben.“ Wenn ich es doch nur könnte! Aber beides ist so schwierig, daß es mehr als genug ist, eines von beiden zu bewältigen.

Trotz der drei guten Gründe, sich nun auch der Geschichtsschreibung anzunehmen (1. Bewah-rung des Ruhms großer Männer; 2. Steigerung des eigenen Ruhms, und 3. Fortsetzung der Tradition seines Onkels), will Plinius dieses Unternehmen also erst einmal auf unbestimmte Zeit aufschieben, da es seine Pläne der Überarbeitung und Veröffentlichung seiner Reden durch-kreuzen würde. Er befürchtet, daß er, falls er versuchte, beides gleichzeitig zu tun, keinem der beiden Genres gerecht würde (vgl. Traub, 221). Darüber hinaus klingt auch hier in § 7 wieder die Angst an, nach dem Tode bei der Nachwelt in Vergessenheit zu geraten, falls ihm die Vollendung und die Herausgabe seiner überarbeiteten Reden noch zu Lebzeiten verwehrt bleiben sollte: “...quidquid non est peractum, pro non cohato est.“ Diese -durchaus berechtigte- Sorge gründet sich wohl auf Ep.V,5, 7-8, in der er dem Maximus über den Tod des C. Fannius berichtet, den eben dieses Schicksal ereilte.

Mit 19 Jahren habe ich begonnen, auf dem Forum zu sprechen, und erst jetzt sehe ich, bisher allerdings nur durch einen Schleier, was ein Redner leisten muß. Was wäre, wenn zu dieser Last noch eine neue hinzukäme? Freilich haben Rede und Geschichtsschreibung viele Gemeinsam-keiten, aber noch mehr Gegensätzliches gerade in dem, was ihnen scheinbar gemeinsam ist.

Plinius‘ Karriere als Redner begann also im Jahre 79 oder 80 (je nachdem, ob man das Jahr 61 oder 62 als sein Geburtsjahr ansieht), ein (oder im) Jahr nach dem Tod seines Onkels beim Ausbruch des Vesuvs i. J. 79. Sein erster eindrucksvoller Auftritt war in dem Fall des Junius Pastor, als er noch ein adulescentulus war. Nun stellt er im Folgenden einen kurzen Vergleich zwischen der oratio und der historia bezüglich des jeweiligen Gegenstandes an.

Die Geschichte erzählt, die Rede erzählt auch, aber anders: In der Rede finden am meisten Gemeines, Schmutziges und aus dem Leben Entnommenes Anwendung, in der Geschichts-schreibung alles Abgelegene, Glänzende und Hervorragende; zur Rede passen recht häufig Mark, Muskeln und Sehnen, zur Geschichtsschreibung ein gewisser Wulst und sozusagen Mähnen; die Rede findet am meisten durch Kraft, Bitterkeit und Heftigkeit Beifall, die Geschichtsschreibung durch ruhigen Fluß, Annehmlichkeit und sogar durch Anmut; schließlich sind der Ausdruck, der Ton und der Periodenbau anders.

Entgegen den geläufigen Grammatikregeln, die ja eigentlich besagen, daß sich hic auf das nächst Vorhergenannte und ille auf das entfernter Stehende beziehen müsse, steht haec hier in § 9 („narrat illa, narrat haec, sed aliter“) für die Beredsamkeit, da diese Plinius hier zunächst angeht, und illa auf das ihm entfernter Liegende, also die Geschichtsschreibung, die man ihm gleichsam aufbürden wollte (vgl. Döring, 289). Sherwin-White begründet dies folgendermaßen: “Pliny is on the side of his master Quintilian [...] in regarding history as more poetical than oratory, especially in its vocabulary and figures of speech. Hence in the following comparison haec must refer to oratory and illa to history,...“ (Sherwin-White, 334). „Nun sah sich allerdings der Redner genötigt, oft von Dingen zu sprechen, die das alltägliche Leben berührten, also auch gemein waren. Der Geschichtsschreiber hat nur Denkwürdiges aufzuzeichnen“ (Döring, 289). Bei Plinius‘ Verdeutlichung der Eigenschaften einer Rede durch „ossa, musculi, nervi“ (§10) symbolisieren diese drei Begriffe für Döring nicht bloß die männliche Kraft der Rede, sondern vielmehr jene gedrängte Kürze, an der man gleichsam alle Muskeln, Knochen und Nerven bemerken kann, und die bei der füllreicheren Darstellung der Geschichte gleichsam durch das volle Fleisch und die wallende Mähne („iubae“) bedeckt werden (vgl. Döring, 289f.).

[...]


[1] Vgl. H. P. Bütler, Die geistige Welt des jüngeren Plinius. Studien zur Thematik seiner Briefe, Heidelberg 1970. 22. (Im Folgenden: Bütler)

[2] Vgl. A.N. Sherwin-White, The Letters of Pliny. A Historical and Social Commentary, Oxford 1966, 333. (Im Folgenden: Sherwin-White)

[3] Vgl. Henry W. Traub, Pliny’s Treatment of History in Epistolary Form, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 86 (1955), 220. (Im Folgenden: Traub)

[4] Vgl. M. Döring, Plinius‘ Briefe mit berichtigtem Text erläutert, Freiberg 1843, 288. (Im Folgenden: Döring)

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Plinius und die Geschichtsschreibung
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Philosophische Fakultät I)
Veranstaltung
Lateinisches Hauptseminar
Note
2
Autor
Jahr
2000
Seiten
25
Katalognummer
V13922
ISBN (eBook)
9783638194457
ISBN (Buch)
9783638643221
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Arbeit wird anhand der Briefe V.8, VI.16 (der berühmte Brief der Schilderung des Vesuvausbruchs), IV.11 und VII.33 Plinius' Verhältnis zur Geschichtsschreibung analysiert.
Schlagworte
Plinius, Geschichtsschreibung, Lateinisches, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Oliver Kast (Autor:in), 2000, Plinius und die Geschichtsschreibung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13922

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