Pocketbook und soziotropisches Wählen in den USA und Westeuropa


Hausarbeit, 2009

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Klärung der verwendeten Begriffe

3. Erklärungsansätze für die Ergebnisse in den USA

4. Westeuropa
4.1 Studien in Westeuropa
4.2 Ergebnisse für Westeuropa

5. Resumee und Ausblick

1. Einleitung

„It’s the economy, stupid.” (Gavin/Sandlers 1997, 633) ist wohl der bekannteste Wahlkampfslogan des 20. Jahrhunderts. Bill Clinton brachte es 1992 damit auf den Punkt: Außer in Fällen, in denen die nationale Sicherheit betroffen ist, spielt die Wirtschaft bei Wahlentscheidungen wohl die größte Rolle. So profitiert in den USA die amtierende Partei, bzw. der amtierende Präsident, in Zeiten des Wohlstands, während eines wirtschaftlichen Abschwungs allerdings profitiert die Opposition, bzw. der oppositionelle Herausforderer.

Für die Wahlforschung ist dagegen von besonderer Bedeutung, auf welche Informationen der Wähler zurückgreift, um die Wirtschaftssituation zu bewerten. Die zwei wichtigsten Konzepte stellen hier Pocketbook Politics und Sociotropic Politics dar. Wobei das Prinzip des Pocketbook Votings auf Grund seiner Einfachheit in der Vergangenheit sehr viel größere Beliebtheit erfuhr. Für Kinder und Kiewiet hat laut ihrer Studie von 1981 Pocketbook Politics für die USA jedoch keine Relevanz. Vielmehr lässt sich die Wahlpräferenz durch soziotropische Variablen voraussa- gen.

Da sich die USA vor allem wirtschaftspolitisch in vielen Punkten von den westlichen Staaten in Europa unterscheidet, ist es fraglich, ob das Konzept des Pocketbook-Votings generell für Wahl- prognosen unbrauchbar ist oder ob es unter anderen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen von Belange sein kann. Gerade in diesem Jahr, in dem sich die Weltwirtschaftskrise und etliche Wahlen auf regionaler, nationaler und supranationaler Ebene überschneiden, ist diese Fragestel- lung besonders gegenwärtig.

Um die Relevanz der jeweiligen Vorstellungen für Westeuropa und insbesondere Deutschland zu bestimmen, wird in dieser Arbeit zunächst näher auf die Begriffe Pocketbook Politics und Soci- otropic Politics vor dem Hintergrund des Retrospektiven Wählens und Economic Votings einge- gangen. Im nächsten Schritt werden die Erklärungsansätze für den Fall der USA präsentiert und in Relation zum westeuropäischen Fall, am Beispiel von Deutschland, gesetzt. Anschließend wird näher auf die Unterschiede zwischen den USA und Westeuropa in wirtschaftspolitischer Hinsicht eingegangen, um im Anschluss die Relevanz von Pocketbook Politics und Sociotropic Politics für den westeuropäischen Fall zu untersuchen.

2. Klärung der verwendeten Begriffe

Sowohl Pocketbook Voting, als auch Sociotropic Voting vereinen Aspekte des Economic Votings und des Retrospektiven Wählens in sich. Economic Voting bezeichnet die Bildung der Wahlpräferenz nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, der Begriff Retrospektives Wählen bezieht sich auf eine Bildung der politischen Präferenz auf Grund der Bewertung der Regierungs- bzw. Oppositionsleistung in der Vergangenheit. Somit weisen Pocketbook Voting und Sociotropic Voting die Gemeinsamkeit auf, dass die Wahlentscheidung in beiden Konzepten von einer Diagnose der wirtschaftlichen Lage in der Vergangenheit abhängt.

Die jeweiligen Konzepte unterscheiden sich hinsichtlich der Indikatoren, auf welche sich Wähler beziehen, um herauszufinden, ob die amtierende Regierung erfolgreiche Leistungen in der Wirt- schaft vollbracht hat. Der Wähler zieht nach der Pocketbook-Hypothese seinen eigenen, konkreten und unmittelbaren wirtschaftlichen Umstand zu Rate, wie zum Beispiel die eigene Arbeitslosig- keit, bzw. Arbeitslosigkeit in seinem nahen Umfeld oder ein verringertes Einkommen auf Grund von höheren Einzelhandelspreisen oder höheren Lohnnebenkosten. Der Wähler bewegt sich mit dieser Annahme auf der Individualebene, die lediglich wirtschaftliches Eigeninteresse darstellt. Das Sociotropic Voting zielt hingegen auf die nationale wirtschaftliche Lage ab. Der Wähler stützt sich also bei seiner Wahlentscheidung auf ein Fremdbild der nationalen Wirtschaftslage, das er durch die ihm zur Verfügung stehenden Informationsressourcen bildet. Das Sociotropic Voting kann dabei allerdings keinesfalls nur altruistische Formen annehmen, bei dessen Annahme der Wähler um das Wohlergehen seines Landes besorgt ist. Soziotropisches Wählen kann durchaus auch egoistisch geprägt sein. So ist es möglich, dass der Bürger den Gedankengang, je besser es um die nationale Wirtschaft bestellt ist, desto besser sind die Chancen für eine Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage, vollzieht (Kinder/Kiewiet 1981, 132 ff).

3. Erklärungsansätze für die Ergebnisse in den USA

Wie bereits erwähnt, führte die einflussreiche Studie der Kongresswahlen 1972, 1974 und 1976, sowie der Präsidentschaftswahlen 1972 und 1976 von Kinder und Kiewiet (1981) zu dem Ergeb- nis, dass in den untersuchten Wahlen die Pocketbook-Hypothese einen nur sehr geringen oder gar keinen signifikanten Effekt auf die Wahlentscheidung vorweisen konnte. Entgegen bisherigen Forschungsergebnissen konnten soziotropische wirtschaftliche Beurteilungen durchaus zu präzisen Wahlprognosen führen.

Die wichtigsten Erklärungsansätze, deren Verallgemeinerung und Übertragung in andere Kontexte allerdings Diskussionspotential aufweisen, lassen sich vor allem in der psychologischen Sparte finden: Den amerikanischen Bürgern wird die Eigenschaft zugeschrieben, dass sie persönliche wirtschaftliche Probleme eher durch persönliches Scheitern erklären und demnach nicht den Weg wählen, die Verantwortung auf die Regierung zu lenken. Die persönlichen Probleme und vor allem die wirtschaftlichen sind indessen sehr lebendig, unmittelbar und konkret, so dass sie sich - auch auf Grund der Tatsache, dass amerikanische Bürger tendenziell eher durchschnittlich oder wenig politisch informiert sind - nur schwer auf breitere Themen, wie z. B. der nationalen Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik, zurückführen lassen (Kinder/Kiewiet 1981, 156 ff). Dieser Aspekt stellt allerdings, abseits des Informationsdefizits, einen Zusammenhang zum oft betonten amerikani- schen Individualismus dar (Elazar 1988, 87). Demnach gehören die individuelle Selbstverwirkli- chung, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit zum „American Dream“. Dieser ist vor allem in den Bereichen Krankenversicherung, Bildung und Altersvorsorge, in die der US-Staat größten- teils nicht eingreift und die somit primär Privatangelegenheiten sind, sichtbar.

Die nationalen wirtschaftlichen Probleme sieht der amerikanische Wähler hingegen durch das po- litische System bedingt, hier liegt also die Verantwortlichkeit beim Präsidenten bzw. dem Kon- gress. Die Informationen über die nationalen wirtschaftlichen Probleme, für die die politischen Amtsinhaber die Verantwortlichkeit tragen, bezieht der amerikanische Wähler aus den Massenme- dien, die ihm diese in bereits verarbeiteter, zusammenhängender und abstrakter Form präsentieren. Es fällt dem Wähler dadurch noch schwerer, diese Form der Information in den persönlichen Be- reich zu integrieren (Kinder/Kiewiet 1981, 158). Auf Grund des stark marktwirtschaftlich ge- steuerten Amerikas, das soziale Angelegenheiten nur sehr schwach reglementiert und beachtet, scheint so die eigene Verantwortung für ein erfolgreiches persönliches Leben sehr viel präsenter, als es in Wohlfahrtsstaaten mit einer sozialen Marktwirtschaft, wie in Deutschland, ist. In vielen westeuropäischen Staaten wird die Verantwortung für persönliche Missstände durchaus auch in der Regierung gesucht. In Wohlfahrtsstaaten tritt die Regierung nicht nur als Nachwächter auf, sondern greift mit politischen Maßnahmen in gegebenen Fällen auch aktiv in die Wirtschaft ein, wie z. B. durch Subventionen, Steuern, Sanktionen und allen gewährten Sozialleistungen.

Die weiteren von Kinder und Kiewiet (1981, 154 f) genannten Erklärungsansätze, wie z. B. die generelle Benachteiligung der Amtsinhaber durch retrospektive Beurteilung, lassen sich sehr unproblematisch in andere Kontexte übertragen und bedürfen in der Unterscheidung zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa keiner weiteren Berücksichtigung.

4. Westeuropa

Die westeuropäischen Staaten unterscheiden sich von den USA vor allem hinsichtlich der Vorstellungen von Außenpolitik und Binnenwirtschaft, aber auch in Bezug auf die Sozial- und Staatspolitik (Kleinfeld 1988, 266).

Wie schon oben erwähnt, entwickelten sich die westeuropäischen Staaten entgegengesetzt zum li- beralen Markt der USA eher zu Wohlfahrtsstaaten. Daher dominiert in Deutschland im Gegensatz zu den USA auch der Wert Gleichheit vor der Freiheit, was zur Folge hat, dass die Verteilung materieller Güter an Hand des Bedürfnis- oder Gleichheitsprinzip erfolgt. Die wesentlichen Ein- griffe der deutschen Politik in die Wirtschaft zur Reduktion von Einkommensungleicheiten und zur Schaffung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen finden in den USA nicht annähernd die gleiche Verbreitung (Roller 2000, 94 ff). Aus diesen essentiellen Maßnahmen im Bereich des Marktes zur Herstellung von Gleichheit resultiert, dass die wirtschaftliche Verantwortlichkeit im Zuge der Handlungsmöglichkeiten sehr viel stärker bei der Regierung und weniger beim einzelnen Bürger liegt. Einen ähnlichen Effekt haben auch die Leistungen zur Krankenversicherung und zur Renten- versicherung, die klar staatlich reglementiert sind: Jeder Bürger hat das Recht auf medizinische Versorgung und Rentenbezüge im Alter. Einschränkungen auf Grund des Leistungsprinzips sind zwar vorhanden, eine ausreichende Grundversorgung steht trotz dem allen Bürgern zu.

Somit liegt die Annahme nahe, dass die Integration der persönlichen wirtschaftlichen Missstände in die Wahlentscheidung von höherer Bedeutung ist, als im amerikanischen Fall (= H1). Allerdings könnte die Tatsache, dass in Europa das Mehrparteiensystem geprägt von Koalitionsregierungen dominiert, auch dazu führen, dass es den Wählern schwieriger fällt, die politisch Verantwortlichen für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg zu identifizieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Pocketbook und soziotropisches Wählen in den USA und Westeuropa
Hochschule
Universität Mannheim
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
12
Katalognummer
V139062
ISBN (eBook)
9783640488995
ISBN (Buch)
9783640488797
Dateigröße
399 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pocketbook, Wählen, Westeuropa
Arbeit zitieren
Sarah Odrakiewicz (Autor:in), 2009, Pocketbook und soziotropisches Wählen in den USA und Westeuropa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139062

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