Das Fenster-Motiv in Trakls Dichtungen


Hausarbeit (Hauptseminar), 1993

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Bedeutung des Themas und organisatorische Vorbemerkungen

2. Das Fenster-Motiv in Trakls lyrischem Gesamtwerk
2.1. Komposita, Attribute und grammatischer Kontext
2.2. Textualer Kontext

3. Das Fenster als Ausdruck des Lebens und Fensterlyrik

4. Literaturverzeichnis

1. Bedeutung des Themas und organisatorische Vorbemerkungen

Das Thema der vorliegenden Arbeit ist, soweit ich feststellen konnte, von der Forschung bisher nicht beachtet worden – so bedenkt zum Beispiel auch Martin Heidegger in seinem berühmten Aufsatz Die Sprache bei der Besprechung des Traklschen Gedichts Ein Winterabend anhand der Verse

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,

Lang die Abendglocke läutet [58]

lediglich „Schneefall“[1] und „Läuten der Abendglocke“[2], nicht aber das Fenster.

Aus der Forschungslage ergeben sich einige Besonderheiten, die in Wechselbeziehung zu meiner Vorgehensweise bei der Bearbeitung des Themas stehen, nämlich, daß

1. das Thema seine Bedeutung erst noch eigens nachweisen muß

sowie

2. die Bearbeitung im Wesentlichen auf das Ganze zielt, insofern statistische Untersuchungen (Häufigkeit, Komposita, Attribute, Kontext) zur Verwendung des Fenster-Motivs im Gesamtwerk des Dichters im Mittelpunkt stehen sollen.

Deutlich wird, daß statistische Untersuchungen am Gesamtwerk gegenüber Detailuntersuchungen zu spezifischen Verwendungen des Motivs an zwei oder drei willkürlich ausgewählten Belegstellen den Vorteil bieten, daß auf diese Weise Aussagen über 1. möglich werden.

Zur Häufigkeit des Motivs vorab einige Hinweise:

1. In Trakls erster Prosaveröffentlichung Traumland vom 12.05.1906 bildet das Fenster (neben den Rosen, die der Ich-Erzähler der kranken Maria wiederholt in den Schoß legt) das zentrale durchgängige Motiv. Auffällig ist, daß das Fenster-Motiv hier als in sich gedoppelt erscheint, nämlich als zwei Orte, die die beiden Handlungspole der Erzählung ausmachen:

a. als der Ort, von dem aus der Ich-Erzähler beobachtet

sowie

b. als ein zweiter Ort, der vom Ich-Erzähler beobachtet wird.

Die erzählte Wirklichkeit in Trakls erster Veröffentlichung ist also so beschaffen, daß der durchmessene Raum von Fenster zu Fenster reicht.

Ob diese spezifische Doppelung des Fenster-Motivs (einerseits Ausgangspunkt, andererseits Zielpunkt der Beobachtung) als paradigmatisch für die Verwendung des Motivs im Gesamtwerk des Dichters angesehen werden kann, soll genauer untersucht werden.

2. Auf den wenigen erhaltenen Blättern der Dramenentwürfe Don Juans Tod (entstanden zwischen 1906 und 1908) und Blaubart (1910) taumeln die verschiedenen Protagonisten nacheinander ans Fenster, stoßen es auf, sprechen am Fenster und stürzen sich hinaus. Die Regieanweisungen, die Trakl jeweils vorgesehen hat, erschöpfen sich hierin schon.

3. Vor 1909 hat ein Trakl ein Gedicht geschaffen, das den Titel trägt: An einem Fenster [142].

4. Noch die letzte Überarbeitung des Gedichts Traum des Bösen in der Zelle in Krakau, wenige Tage oder Stunden vor dem Tod des Dichters, nennt das Fenster:

Verhallend eines Sterbeglöckchens Klänge –

Ein Liebender erwacht in schwarzen Zimmern,

Die Wang‘ an Sternen, die am Fenster flimmern. [197]

Aus diesen ersten Hinweisen ergeben sich für die Frage nach der Bedeutung des Themas als vorläufige Ergebnisse:

1. Trakl verwendet das Fenster-Motiv durchgängig über den gesamten Zeitraum seines dichterischen Schaffens.

2. Trakl verwendet das Fenster-Motiv nicht gattungsgebunden, sondern für alle literarischen Gattungen (Lyrik, Prosa, Drama), in denen er gedichtet hat.

Diese ersten vorläufigen Ergebnisse haben Konsequenzen für die Anordnung des Materials der Untersuchung. Ich habe mich für eine chronologische Ordnung nach den Entstehungsdaten entschieden, d.h. daß ich nicht berücksichtigen werde:

1. ob das Material veröffentlicht wurde, dem Nachlaß entstammt oder von Trakl für eine Veröffentlichung vorgesehen war

sowie

2. die Anordnung der Dichtungen zueinander, wie Trakl sie für die Veröffentlichung bestimmt hat.

Gegenüber anderen Anordnungen des Materials bietet die chronologische Ordnung nach den Entstehungsdaten, d.h. dem dichterischen Schaffensprozeß folgend, den Vorteil, daß so am ehesten Aussagen über einen etwaigen Bedeutungswandel bei der Verwendung des Fenster-Motivs erwartet werden können.

Dieser Aspekt ist wegen der engen Verquickung von Dichtung und Person des Dichters, die bei Trakl unbestritten ist, von besonderem Interesse.

Die Datierungen folgen der historisch-kritischen Ausgabe[3]. Zitiert ist (unter Angabe der Seitenzahlen in eckigen Klammern) nach der dtv-Ausgabe[4].

2. Das Fenster-Motiv in Trakls lyrischem Gesamtwerk

2.1. Komposita, Attribute und grammatischer Kontext

Trakl verwendet das Fenster-Motiv in seinem lyrischen Gesamtwerk mit vier Ausnahmen, auf die ich später eingehen werde, ausschließlich adverbial. Hierin dürfte, abgesehen davon, daß Fenster im Vergleich zum übrigen Wortschatz der TrakIschen Dichtungen eine eher unscheinbare Vokabel ist, ein Hauptgrund dafür zu sehen sein, daß das Fenster-Motiv, obwohl es mit insgesamt 84 Belegstellen zu den häufigsten Motiven gehört, einen Eindruck von Beiläufigkeit macht.

Ich habe im Folgenden die Belegstellen daraufhin geordnet, ob das Satzglied, das Fenster enthält, grammatisch:

1. entweder

a. ein Ortsadverbiale

oder

b. ein Richtungsadverbiale

ist; sowie

2. Fenster

a. im Singular

oder

b. im Plural

nennt.

Fenster als Ortsadverbiale im Singular

am Fenster

Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale

meinem die Nacht weint

kleiner Blätter zittern

Schatten

offenen Weinlaub schwankt flimmernd

sie (die junge sieht Reseden

Magd)

ein wächsern regt sich

Antlitz

Blumen welken warm und rot

das vergittert die Närrin weint mit offenem Haar

starrt

der Student schaut ihr (der lange

nach fremden

Schwester)

des Toten regt

Antlitz sich

die stille Gestalt erscheint am Abend

die Georginen darben

Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale

rote Pelagonien verdorren wieder

offenen die Stunden welken still

des Liebenden

die Hyazinthe war auf - blau

geblüht

vorm Fenster

Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale

der Silber- hehlt verschlungene

vorhang Glieder, Lippen

zarte Brüste

tönendes Grün und Rot

im Fenster

Attribut(e) Subjekt Verb Objekt(e) Adverbiale

Flammen flimmern

Fenster als Ortsadverbiale im Plural

[...]


[1] Martin Heidegger: Die Sprache. In: Unterwegs zur Sprache. Stuttgart: 1959, S. 21.

[2] Ebda.

[3] Georg Trakl: Dichtungen und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Walther Killy und Hans Szklenar. Band 2. Salzburg: 1969.

[4] Georg Trakl: Das dichterische Werk. München: 131992.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Fenster-Motiv in Trakls Dichtungen
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Seminar für Deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Georg Trakl
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1993
Seiten
24
Katalognummer
V138452
ISBN (eBook)
9783640465354
ISBN (Buch)
9783640462438
Dateigröße
598 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aus dem Gutachten: "Methodisch mustergültig ist die überaus umsichtige, exakte Darstellung der Textbefunde. Die interpretatorische Auswertung ist [...] überzeugend oder zumindest sehr bedenkenswert [...] Insgesamt eine ausgezeichnete Leistung!"
Schlagworte
Lyrik, Expressionismus, Jugendstil, Heidegger, Ästhetik, Poetologie
Arbeit zitieren
Michael Ebers (Autor:in), 1993, Das Fenster-Motiv in Trakls Dichtungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138452

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