Die Faszination der Volksmythologie im frühen Werk Kandinskys


Hausarbeit, 2007

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Erste Berührungen mit der Malerei und der Volkskunst
2.1. Kandinsky und die Volkskunst von Vologda
2.2. Erfahrungen aus „Rückblicke“, die Kandinsky dazu bewegen, sich endgültig der Kunst zu widmen

3 Erste Jahre in München

4 Volkstümliche Motive

5. Die farbige Welt der Volkskunst: Märchenmotive
5.1. „Das bunte Leben“
5.2. „Die Braut“
5.3. „Die Nacht“

6. Fazit

7. Abbildungen

8. Abbildungsverzeichnis

9 Literaturquellen

1. Einführung

Wassily Kandinsky (1866-1979) ist von allen russischen Künstlern des 20. Jahrhunderts der im Westen bekannteste und beliebteste. Er verbringt fast 30 Jahre seines schöpferischen Lebens in Deutschland (und Westeuropa) und entwickelt sich hier zum Pionier der Moderne und eigentlichen Begründer der Abstraktion. Seine Bilder werden nicht nur in seiner Heimat Russland ausgestellt, sondern auch in mehreren Städten Westeuropas sowie in den Vereinigten Staaten. Seine Lehrertätigkeit beeinflusst viele Künstler und seine theoretischen Texte über Kunst werden noch zu Lebzeiten in vielen anderen Sprachen übersetzt.

Die frühen Schaffensjahren Kandinskys (1900-1910) werden von vielen Kritikern als eher unbedeutend bezeichnet. “Bis 1910 hinterließ Kandinsky keine außergewöhnlichen Spuren in der zeitgenössischen Kunst. Er war einer von vielen, es schien, als warte er noch auf seine Stunde und als sammle er einstweilen alles, was für seine künftigen Entdeckungen von Bedeutung sein würde.“1 Doch die wunderschönen farbenfrohen Landschaftsbilder, die “Kleinen Ölstudien“, die zahlreichen Holzschnitte und die zauberhaften Märchenbilder mit ihrer mystischen Ausstrahlung und rätselhaftem Hintergrund fesseln bis heute den Betrachter.

Wer ist diese russische Schönheit (Die Braut, 1903), die traurig auf der Wiese sitzt? Eine Prinzessin, die auf ihren Prinzen wartet? Oder eine feierlich geschmückte Braut, die bald heiratet?2 Und wer ist die geheimnisvolle Frau auf dem Holzschnitt Die Nacht (1903)? Ist sie eine Verkörperung der Nacht selbst in Menschengestalt? Oder trägt sie die Nacht in sich, den Kummer und den Schmerz eines Volkes zu kriegerischen Zeiten?3

Diese märchenhaften Bilder verraten nicht nur die romantische Sehnsucht Kandinskys nach seiner Heimat. Sie sind auch eine konkrete Verarbeitung stilistischer und inhaltlicher Elemente der russischen Volkskunst, eine Mischung von Heidnischem und Christlichem.4

Als Ethnologe ist Kandinsky mit der Volkskunst seines Landes sehr gut vertraut. Seine Reise in das Gouvernement Vologda im Jahre 1889 dient der Erforschung von Resten heidnischer Religion bei der syrjänischen Bevölkerung. Die volkstümlichen Bilderwelten und ihre bunte Farbensprache hinterlassen einen bleibenden Eindruck auf Kandinsky und bringen ihn dazu, seine ethnographischen Kenntnisse durch weitere Studien zu vertiefen. Was er dabei, vor allem in der russischen Volkskunst, entdeckt, ist der Sinn für das Versteckte und das Verborgene, der Sinn für Symbole und Zeichen. Sein großes Interesse an der Vergangenheit wird hier offenkundig. Daraus resultiert nicht nur seine Beschäftigung mit dem Mittelalter in München, sondern auch die Hinwendung zur bayerischen Hinterglasmalerei und Volkskunst zur Zeit des “Blauen Reiters“.

Seit 1904 dominieren die Bilder mit russischen Motiven immer stärker. Ihre größte Dichte finden sie 1906/07, als sich Kandinsky in der Nähe von Paris aufhält. Der Inhalt ist verschlüsselt. Und der Schlüssel ist in den russischen Mythen, Sagen und Riten, sowie in der russisch-orthodoxen Religion und den heidnischen Gebräuchen zu suchen.5 Es bedarf also eines umfangreichen Wissens über die russische Volksmythologie, um diese geheimnisvollen Bildergeschöpfe Kandinskys zu enträtseln, eine Menge Fantasie, um sie zu interpretieren und viel Liebe zur farbigen Welt der Märchen.

2. Erste Berührungen mit der Malerei und der Volkskunst

„Die Sonne ist schon niedrig und hat ihre vollste Kraft erreicht, nach der sie den ganzen Tag suchte, zu der sie den ganzen Tag strebte. Nicht lange dauert dieses Bild: noch wenige Minuten und das Sonnenlicht wird rötlich vor Anstrengung, immer rötlicher, erst kalt und dann immer wärmer. Die Sonne schmilzt ganz Moskau zu einem Fleck zusammen, der wie eine tolle Tuba das ganze Innere, die ganze Seele in Vibration versetzt. Nein, nicht diese rote Einheitlichkeit ist die schönste Stunde! Das ist nur der Schlussakkord der Symphonie, die jede Farbe zum höchsten Leben bringt, die ganze Moskau wie das fff eines Riesenorchesters klingen lässt und zwingt. Rosa, lila, gelbe, weiße, blaue, pistaziengrüne, flammenrote Häuser, Kirchen- jede ein selbständiges Lied- der rasend grüne Rasen, die tiefer brummenden Bäume, oder der mit tausend Stimmen singender Schnee, oder das Allegretto der kahlen Äste, der rote, steife, schweigsame Ring der Kremlmauer und darüber, alles überragend, wie ein Triumphgeschrei, wie ein sich vergessendes Halleluja der weiße, lange, zierlich ernste Strich des Iwan Weliky-Glockenturmes. Und auf seinem hohen, gespannten in ewiger Sehnsucht zum Himmel ausgestreckten Halse der goldene Kopf der Kuppel, die zwischen der goldenen und bunten Sternen der anderen Kuppeln die Moskauer Sonne ist.-Diese Stunde zu malen, dachte ich mir als das unmöglichste und das höchste Glück eines Künstlers.“6

So beschreibt Kandinsky in seiner autobiographischen Schrift „Rückblicke“ seine Kindheitserinnerungen an „die schönste Stunde des Moskauer Tages“. Diese Hymne an die Schönheit Moskaus, dieses außergewöhnliche Empfinden sind deutliche Beweise dafür, dass ein großer Teil seiner schöpferischen Kreativität russische Wurzeln hat. Dabei spielt Moskau eine zentrale Rolle in der Phantasiewelt nicht nur des Kindes und Heranwachsenden Kandinsky, sondern auch des gereiften Künstlers, der immer wieder in seine Heimat zurückkehrt.

Wassily Wassiljewitsch Kandinsky ist am 4. Dezember 1866 in Moskau geboren. Sein Vater war Teekaufmann und seine Mutter von adliger Abstammung. Er verbringt seine Kindheit in einer kultivierten Familie mit ausgeprägter Neigung zur Musik und Kunst. Schon früh beschäftigt er sich mit Zeichnen und Malen. Als Kind sammelt er erste Erfahrungen mit Wasserfarben; als Gymnasiast lässt ihn sein Vater Zeichenstunden nehmen und der Dreizehnjährige kauft sich vom Ersparten einen Malkasten mit Ölfarben:

„Die damalige Empfindung- besser gesagt: das Erlebnis der aus der Tube kommenden Farbe habe ich heute noch.“7

Freilich ist das Experimentieren mit Stift und Farbe kein direkter Ausbruch einer künstlerischen Karriere. Zunächst studiert Kandinsky Jura und Nationalökonomie in Moskau. Aber er fühlt sich auch „von verschiedenen anderen Wissenschaften machtvoll angezogen“8: vom Römischen Recht, vom Kriminalrecht, von der Geschichte des russischen Rechts, vom Bauernrecht und von der Ethnographie.

„Alle diese Wissenschaften habe ich geliebt und denke noch heute mit Dankbarkeit an die Stunden der Begeisterung und vielleicht Inspirationen, die sie mir schenken. Nur verblassen diese Stunden bei der ersten Berührung mit der Kunst, die allein die Macht hatte, mich außer Zeit und Raum zu versetzen. Nie hatten mir die wissenschaftlichen Arbeiten solche Erlebnisse, innere Spannungen, schöpferische Augenblicke geschenkt.“9

2.1. Kandinsky und die Volkskunst von Vologda

Als der Junge Forscher und Ethnologe seine Expedition in die Provinz Vologda unternimmt, die der Erforschung des Bauernrechts und der heidnischen Glaubensreste dienen soll, wird Kandinsky auf äußerst intensiven Art und Weise mit der ursprünglichen, unverfälschten Kunst der ostfinnischen Stämmen der Sysol- und Vecegda - Syrjänen vertraut. Sein Reisetagebuch beinhaltet nicht nur die reine Beschreibung des Reiseverlaufs und von den dabei entstandenen Eindrücken, sondern auch zahlreiche Skizzen von Kostümen, Möbeln, Ornamenten und weiteren volkstümlichen Gegenständen.10 In seinen

„Rückblicken“ (24 Jahre später) beschreibt Kandinsky sein großes Staunen über die „Wunderhäuser“ in Vologda:

„ Die großen, mit Schnitzereien bedeckten Holzhäuser werde ich nie vergessen. In diesen Wunderhäusern habe ich eine Sache erlebt, die sich seitdem nicht wiederholt hat. Sie lehrten mich, im Bilde mich zu bewegen, im Bilde zu leben.

[...]


1 D. V. Sarab’ Janov: Wassily Kandinsky – Künstler und Bürger Europas. In: Schirn Kunsthalle Frankfurt: Wassily Kandinsky. Die erste sowjetische Retrospektive. Gemälde, Zeichnungen und Graphik aus sowjetischen und westlichen Museen, Frankfurt 1989, S. 26.

2 Abb. 1: Die Birke links im Bild gilt als altes russisches Symbol für Liebe und Heirat.

3 Abb. 2: Darauf lassen z.B. die Ritter im Hintergrund andeuten.

4 Magdalena M. Moeller: Märchenbilder, russische Motive. In: Magdalena M. Moeller: Der frühe Kandinsky (1900-1910), München 1994, S. 162.

5 Magdalena M. Moeller: Zur Ausstellung. In: Magdalena M. Moeller: Der frühe Kandinsky (1900­1910), München 1994, S. 12.

6 Wassily Kandinsky: Rückblicke. In: Hans K. Roethel, Jelena Hahl-Koch: Kandinsky – Die Gesammelten Schriften, Band 1, Bern 1980, S. 29.

7 Peter A. Riedl: Kindheit, Jugend, frühe Mannesjahre – Die Zeit bis zur Übersiedlung nach München. In: Kurt und Beate Kusenberg: Wassily Kandinsky, Hamburg 1983, S. 14.

8 Wassily Kandinsky: Rückblicke, S. 31.

9 Wassily Kandinsky: Rückblicke, S. 32.

10 Magdalena M. Moeller: Zur Ausstellung. In: Magdalena M. Moeller: Der frühe Kandinsky (1900­1910), München 1994, S. 12.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Faszination der Volksmythologie im frühen Werk Kandinskys
Hochschule
Universität der Künste Berlin  (Gestaltung: Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation)
Veranstaltung
Kandinsky zwischen freier und angewandter Kunst
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V138283
ISBN (eBook)
9783640509782
ISBN (Buch)
9783640509737
Dateigröße
1990 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pionier der Moderne, Moderne, Abstraktion, Kunst, Malerei, Märchenmotive, Märchenbilder, Volksmythologie, Mythologie, Russische Volkskunst, Volkskunst, Ethnologie, Ethnographie, Landschaftsbilder, Kleine Ölstudien, Holzschnitt, Die Nacht, Die Braut, Das bunte Leben, Vologda, Rückblicke
Arbeit zitieren
Raliza Petrova (Autor:in), 2007, Die Faszination der Volksmythologie im frühen Werk Kandinskys, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138283

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