Verträge als Weg zur moralischen Vollkommenheit. Kants „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die widerstreitenden natürlichen Anlagen in der Menschheit
2.1. Die Ausgangssituation
2.2. Die Natur und die Willensfreiheit des Menschen
2.3. Die praktische Vernunft als natürliche Anlage
2.4. Der Antagonismus der Menschen in der Gemeinschaft

3. Die vertraglich gesicherte Gemeinschaft- Ein Rahmenmodel für den Entwicklungsfortschritt der Menschheit
3.1. Staatsverhältnisse unter latenter Bedrohung als Folge aus den menschlichen Anlagen
3.2. Vorläufige Aussagen über das Entwicklungsziel
3.3. Das Problem der Staatsführung und des perfekt ausgebildeten Menschen
3.4. Ziel des Staatenverhältnisses

4. Schlussdiskussion

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1. Einleitung

Im Rahmen der Geschichtsphilosophie der Aufklärung entwarf Immanuel Kant (1724 - 1804) mit seinem Aufsatz „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ in der „Berlinischen Monatsschrift“ November 1784 (S. 385 - 411) einen Versuch, die Geschichte der Menschheit in neun Sätzen moral- politisch zu ordnen, um so eine Zukunftsperspektive aufzutun, die vom Fortschrittsgedanken geprägt ist. Hierbei unterlegt er als theoretische Begriffskonstruktion der Entwicklung der Menschheit einen unabwendbaren Naturplan,[1] der auf den widersprüchlichen Anlagen der Menschen beruht und sich über sie verwirklicht. Durch das Entlarven einer regelmäßigen Entwicklung in der Vergangenheit sucht Kant die Annahme eines ständigen Fortschreitens der Geschichte zu einem Besseren zu untermauern.[2] Das Ziel dieses hypothetischen Naturplans muss für ihn der praktischen Vernunft (da dies die typisch menschliche Anlage ist) des Menschen folgen und zwangsläufig gut, also erstrebenswert sein, sodass der Mensch sich willentlich dafür einsetzen muss. Seine Ausgangsfrage lautet also, „Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei“[3]. Diese soll ihn zu dem Schluss führen, dass der Werdegang der Menschengattung „auf die vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung abziele“[4], denn in „weltbürgerlicher Absicht“ geschrieben, begreift der Philosoph seine Theorie als universal gültig.

Diesem ersten Ansatz folgend, führte Kant seine geschichtsphilosophischen Überlegungen in anderen Schriften, wie dem 1795 erschienenden Werk „Zum ewigen Frieden“ und dem „Streit der Fakultäten“ (1798) weiter aus. Während der Philosoph diesen Schriften konkrete politische Begebenheiten, wie z.B. die umwälzenden Ereignisse der französischen Revolution zwischen 1789 und 1799 zur Beweisführung zugrunde legt, bezieht er sich in seinem Aufsatz nur vage auf politische Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Seiner sog. kritischen Phase von 1781 bis 1790 entsprechend, bemüht er sich um eine rein begriffliche Auseinandersetzung, deren Erkenntnisse a priori festgehalten werden sollen. Vor allem in der „Kritik der Urteilskraft“ von 1790 differenziert er im Aufsatz verwandte Begriffe näher aus.

Im Folgenden sollen die von der Natur im Menschen veranschlagten Anlagen diskutiert werden, die nach Kant in der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ zunächst zu einer natürlichen Notwendigkeit von Verträgen zwischen den Menschen führen. Diese augenscheinlich determinierte Entwicklung der Menschen soll hinterfragt werden, ehe die Dimension und das Ziel dieser menschlichen Anlagen problematisiert wird, um die eigentliche Bedeutung der Verträge, Rechtsgrundlagen und Staatenbündnisse aufzuschlüsseln. Anschließend soll Immanuel Kants Motivation, das theoretische Konstrukt eines vernünftigen Naturplans im historischen Verlauf der Menschheitsgeschichte anzunehmen, erörtert werden.

2. Die widerstreitenden natürlichen Anlagen in der Menschheit

2.1. Die Ausgangssituation

Immanuel Kant trifft zunächst die empirische Aussage über die Natur des Menschen, dass dieser sowohl instinktmäßig, als auch mit Verstand handelt, was ausschließt, dass es der Menschheit im Ganzen möglich ist, nach einer rein planmäßigen Geschichte der Menschheit zu handeln. Der Ausgangspunkt, den Kant daraufhin konstruiert, unterstellt aber allen Vorgängen und Ereignissen einen vernünftigen und logischen Beweggrund, der somit alles zu ordnen ermöglicht,[5] insofern die tiefere Absicht angenommen wird. Dies schafft eine Gewissheit, dass nichts grundlos geschieht oder existiert und gestattet Kant die Betrachtung aller Vorgänge als zielgerichtete Fortschrittlichkeit und somit deren rationale Analyse.

Er entwirft also zuerst ein sehr negatives Bild der Menschheit, welche in ihren Handlungen und Absichten sehr chaotisch und egoistisch zu sein scheint. Diese Undurchsichtigkeit, in der sich keine bewusste Entwicklungsstringenz auszumachen scheinen lässt, führt Kant zu der transzendentalphilosophischen[6] Annahme, es müsse noch eine andere Macht geben, die dem trostlosen Durcheinander einen Sinn gibt.[7] Diese Macht nennt er die Natur, der der Mensch seine Anlagen verdankt. Die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft geht unter anderem aus ihr hervor und ist ihr gegenüber mangelhaft in der Hinsicht, dass er nur schwerlich in der Lage ist, „wie vernünftige Weltbürger nach einem verabredeten Plane im Ganzen (zu) verfahren“[8], geschweige denn, den Naturplan voll zu erfassen. Im Gegensatz dazu unterstellt Kant der Natur ein planvolles Vorgehen (auch in der widersprüchlichen menschlichen Schöpfung).[9]

2.2. Die Natur und die Willensfreiheit des Menschen

Kant stellt die Prämisse auf, dass die Natur als Träger einer Zweckmäßigkeit die ganze Welt durchdringt, was ihn zu der These führt, „alle Naturanlagen eines Geschöpfes [sind] seien bestimmt, sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln.“[10] Gerade aus diesem beobachtbaren Funktionalismus ergibt sich für Kant auch die Möglichkeit der Konklusion, einen Zweck[11] einer Anlage anzunehmen, auch wenn er nicht offensichtlich oder beobachtbar ist, wodurch er auf die Existenz eines a priorischen Naturzwecks schließt.[12]

Als empirisches Argument führt er die besondere Anlage des Menschen, in Erweiterung zu dem bloßen Instinkt bei den Tieren, an, die die Vernunft sei, weshalb sie auch das höchste Ziel seiner Entwicklung bilden müsse. Der Mensch besitzt die Freiheit seines Willens und ist somit nicht von vornherein durch die Natur determiniert, sondern hält das Handwerkzeug zu seiner Entwicklung selbst in den Händen. Die Natur bestimmt demnach auch die Geschöpfe selbst (besonders den Menschen) zu Trägern bestimmter Zwecke.[13] Allerdings ist diese Entwicklungsfreiheit nicht der Natur konträr gegenüber gestellt, sondern ist ein Teil von ihr.[14] Der Zweck liegt demnach nicht nur im Wesen des Seienden, sondern auch im übergeordneten Willen der Natur. Die Freiheit des Willens ist darum von vornherein bestimmten Naturgesetzen untergeordnet, mit denen er sich in eine bestimmte Richtung entwickelt- lediglich die Entwicklungsdauer scheint offen zu sein.

Als empirisches Argument benennt Kant dazu im ersten Satz die tierischen Entwicklungen. An keinem Tier seien Anlagen zu beobachten, die für seine Art nicht sinnvoll wären und nicht vollständig ausgeprägt würden.[15] Somit hätten auch alle Anlagen der Menschen das Ziel sich bis zu ihrer Perfektion zielgerichtet auszubilden. An dieser Stelle wäre einzuwenden, dass auch an Tieren bestimmte Anlagen (meist evolutionsbedingt) nicht vollends ausgebildet werden, oder nur noch in verkümmerter Form auftreten, wie beispielsweise bei Maikäfern belegt werden konnte. In Maikäfereiern konnten im Embryonenstadium Ausstülpungen nachgewiesen werden, die in ihrer Position an der Larve den Anlagen von Brustfüßen entsprechen, womit diese neun weitere Fußpaare ausbilden können müsste, als sie heutzutage gebraucht. Kant bezieht also nicht eine evolutionäre Rückenbildung bestimmter Anlagen zur Anpassung an veränderte Lebensbedingungen ein.

Kant argumentiert nichtsdestotrotz, dass die Tiere durch ihren unbewussten Instinkt in ihren Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind, wodurch sich auch in jedem Tier die Anlagen komplett ausbilden können. Beim Menschen aber entstehen durch die Freiheit des Willens über den Gebrauch der Vernunft unendlich viele Handlungsoptionen, die es einem Menschen allein in einem Leben unmöglich machen, voll erschöpft zu werden und von ihm verlangen sich frei und völlig bewusst für Handlungen zu entscheiden.[16] Die zugrunde liegenden Prämissen sind zum einen die Annahme, dass der im Menschen bestehende Instinkt nur die Grundbedürfnisse decken kann und der Mensch sich also nicht gänzlich von ihm leiten lassen kann, und zum anderen die Annahme, dass die Natur auch der Vernunft nicht unzweckmäßig in den Menschen gelegt haben kann, womit die in der menschlichen Vernunft begründen Freiheit des Willens die Absicht der Natur zeigt. Der Mensch, im Gegensatz zu den Tieren, „bedarf Versuche, Übung und Unterricht, um von einer Stufe der Einsicht zur andern allmählich fortzuschreiten.“[17] Daher die Konklusion, dass sich das Ziel der Menschen nur in der Gattung als Ganzes verwirklichen kann[18] (wodurch der Einzelne ein Mängelwesen sein muss), auch, weil nach Kant „deren Gattung aber unsterblich ist“[19]. Ist es indessen nicht genauso möglich, dass eine ganze Gattung aussterben kann, ehe sie ihre kompletten Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, wenn sich die Lebensbedingungen in der Evolution ändern, wie am Beispiel der Neandertaler historisch belegbar? Damit wären die Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur zeitlich, sondern auch von natürlichen äußeren Einflüssen begrenzt.

[...]


[1] Heinz-Dieter Kittsteiner nimmt an, dass Kant vom 1776 erschienenen Werk Adam Smiths „Wealth of Nations“ beeinflusst wurde, der von einer Naturabsicht („invisible hand“) schreibt, die sich über den Egoismus der Menschen in der Gesellschaft verwirklicht und für ein am Ende gutes Ziel sorgt. Vgl. Kittsteiner, Heinz-Dieter: Listen Der Vernunft. Motive Geschichtsphilosophischen Denkens, Frankfurt am Main 1998, S.13.

[2] Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, In: Ders.: Schriften zur Geschichtsphilosophie. Riedel, Manfred (Hrsg.), Stuttgart 1985, S.21-39, hier S.21.

[3] Kant, Immanuel: Der Streit der Fakultäten. Zweiter Abschnitt. Der Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen. Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei. In: Ders.: Schriften zur Geschichtsphilosophie. Manfred Riedel (Hrsg.), Stuttgart 1985, S.183.

[4] Kant: Idee (wie Anm. 2), S.36.

[5] „Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl als jede andere Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt.“ Kant: Idee (wie Anm. 2), S.21.

[6] Die Transzendentalphilosophie bezeichnet die erkenntniskritische Wissenschaft Kants, die a priorisch vorgeht, also unabhängig von Vorerfahrung die Erkenntnis von Gegenständen ermöglichen will und sie damit als zwangsläufig wahr ansieht.

[7] „Es ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als daß, da er bei Menschen und ihrem Spiele im Großen gar keine vernünftige eigene Absicht voraussetzen kann, er versuche, ob er nicht eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken könne; aus welcher von Geschöpfen, die ohne eigenen Plan verfahren, dennoch eine Geschichte nach einem bestimmten Plane der Natur möglich sei.“ Kant: Idee (wie Anm. 2), S.22.

[8] Kant: Idee (wie Anm. 2), S.22.

[9] Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, In: Ders.: Weischedel, Wilhelm (Hrsg.). Werkausgabe. Bd. X. Frankfurt a. M. 1992, S.349: „Wir haben nämlich unentbehrlich nötig, der Natur den Begriff einer Absicht unterzulegen, wenn wir ihr auch nur in ihren organisierten Produkten durch fortgesetzte Beobachtung nachfolgen wollen […]“

[10] Kant: Idee (wie Anm. 2), S.23, Vgl. „Ein Organ, das nicht gebraucht werden soll, eine Anordnung, die ihren Zweck nicht erreicht, ist ein Widerspruch in der teleologischen Naturlehre.“ Kant: Idee (wie Anm. 2), S.23.

[11] Ein Zweck ist keine Eigenschaft von Gegenständen im eigentlichen Sinn, sondern wird von außen erdacht und in die Objekte hineingelegt, um ihre Vorgänge und Entwicklungen logisch zu ordnen.

[12] Vgl. Kant: Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 9), S.351: „Objektiv können wir also nicht den Satz dartun: Es ist ein verständiges Urwesen; sondern nur subjektiv für den Gebrauch unserer Urteilskraft in ihrer Reflexion über die Zwecke in der Natur, die nach keinem anderen Prinzip als dem einer absichtlichen Kausalität einer höchsten Ursache gedacht werden können“

[13] „Die Natur hat gewollt: dass der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines tierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe [...]“ Kant: Idee (wie Anm. 2), S.24.

[14] Vgl. Kant: Idee (wie Anm. 2), S.21: „Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willes machen mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl als jede andere Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt.“

[15] Das zeigt auch, dass alle Lebewesen Zwecke an sich selbst und nicht Mittel für ein anderes sind.

[16] Vgl. Kant: Idee (wie Anm. 2), S.23: „Die Vernunft in einem Geschöpfe ist ein Vermögen, die Regeln und Absichten des Gebrauchs aller seiner Kräfte weit über den Naturinstinkt zu erweitern, und kennt keine Grenzen ihrer Entwürfe.“

[17] Kant: Idee (wie Anm. 2), S.23.

[18] Wie oben beschrieben entwickeln sich auch Tiere in einem generationsübergreifenden Prozess und sind nur schwerlich als jeweils ganze Einheit zu verstehen. Die Exemplare, die sich nicht anpassen konnten, oder die entsprechenden Anlagen nicht durch Vererbung ihrer Vorfahren nutzen können, verschwinden einfach von der Bildfläche.

[19] Kant: Idee (wie Anm. 2), S.25.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Verträge als Weg zur moralischen Vollkommenheit. Kants „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V138184
ISBN (eBook)
9783640477494
ISBN (Buch)
9783640477722
Dateigröße
658 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Immanuel Kant, Philosophie, Recht, Völkerrecht, Moral, Vernunft, Verstand, Geschichte, Weltbürger
Arbeit zitieren
Kati Neubauer (Autor:in), 2007, Verträge als Weg zur moralischen Vollkommenheit. Kants „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138184

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