Eine Untersuchung des Aufsatzes "Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat" von Ernst Fraenkel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

26 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Zum Autor: ERNST FRAENKEL

2 Zum Aufsatz „Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat“ von 1958
2.1 Der hypothetische und der empirische Volkswille
2.2 Repräsentative und plebiszitäre Elemente im englischen Regierungssystem
2.3 Repräsentative und plebiszitäre Elemente im Regierungssystem der USA
2.4 Volksbegehren, Volksentscheid und Repräsentativverfassung
2.5 Repräsentative und plebiszitäre Elemente in der französischen Verfassungsentwicklung
2.6 Repräsentative und plebiszitäre Elemente in der Verfassungsdiskussion der deutschen Linken vor 1918
2.7 Repräsentative und plebiszitäre Elemente im Regierungssystem der Weimarer Republik
2.8 Repräsentative und plebiszitäre Elemente unter der Herrschaft des Grundgesetzes

3 Darstellung und Kritik des Pluralismuskonzepts von FRAENKEL

4 FRAENKELs Thesen im Lichte der Lehre und des Grundgesetzes

5 Möglichkeiten der Einführung von plebiszitären Elementen in der Bundesrepublik

6 Literatur

Primärtext:

Sekundärliteratur:

1 Zum Autor: ERNST FRAENKEL

Fraenkel wurde am 26. Dezember 1898 als Sohn wohlhabender jüdischer Eltern in Köln geboren. Nach dem Tod seiner Mutter wuchs er seit seinem 16. Lebensjahr bei einem Onkel mütterlicherseits in Frankfurt/ Main auf, dessen weltoffen-gebildetes und progressiv-liberales Haus ihn prägte.

Von 1916 bis 1918 nahm FRAENKEL freiwillig am 1. Weltkrieg teil und studierte nach dem Krieg in Frankfurt Rechtswissenschaft und Geschichte. 1921 machte er dort sein Referendarexamen. Sein wichtigster akademischer Lehrer war HUGO SINZHEIMER, bei dem er 1923 über das Thema ‚ Der nichtige Arbeitsvertrag ’ promovierte. In dieser Zeit wurde er auch Mitglied der SPD und arbeitete in Gewerkschaften mit.

1925 folgte sein Assessorexamen und er ging als Dozent an die Wirtschaftsschule des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes in Bad Dürrenberg. 1927 nahm FRAENKEL seine Anwaltstätigkeit in Berlin auf und gründete dort eine Praxis zusammen mit seinem Studienfreund FRANZ NEUMANN. In der Endphase der Weimarer Republik kämpfte er mit seinen Publikationen leidenschaftlich für die Erhaltung der demokratischen Verfassung. Vor allem setzte er sich für die Bewahrung der Menschen- und Grundrechte, von Rechtsstaat, Parlamentarismus und Demokratie ein. Besonders wichtig war ihm seit 1932 die Zurückdrängung der auf Artikel 48 der WRV (Weimarer Reichsverfassung) gestützten Diktatur, die durch CARL SCHMITTS Konzeption einer ‚ autoritären Demokratie ’ legitimiert wurde. Ihr setzte FRAENKEL 1932 das Modell einer ‚ Dialektischen Demokratie ’ entgegen, die auf seiner bereits 1929 entstandenen Konzeption der ‚ Kollektiven Demokratie ’ beruhte. Innerhalb dieser Konzeptionen sollte sich der Staatswille – innerhalb des rechtsstaatlichen und parlamentarischen Rahmens – durch immer neue Auseinandersetzungen und Kompromisse zwischen den Parteien und sozialen Gruppen bilden, die unterschiedliche Interessen repräsentieren. Grundvoraussetzung hierfür seien die liberalen Freiheitsrechte, die ein ‚politisches Kulturwerk überzeitlicher Bedeutung’ darstellten. Sein Interesse bestand vor allem darin, den Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung die 1918/ 1919 erkämpften politischen Mitwirkungsmöglichkeiten zu erhalten.

Diese Konzeptionen bildeten die Grundannahme seiner ‚ Pluralismustheorie ’, die er seit Ende der 50er Jahre vertrat – und die für den zu behandelnden Aufsatz grundlegend ist. FRAENKEL gab zudem bereits 1932 die Anregung zum ‚ Konstruktiven Misstrauensvotum ’, welches in Artikel 68 des Grundgesetzes verankert wurde.

FRAENKEL durfte wegen seines freiwilligen Kriegseinsatzes auch nach 1933 in Berlin als Anwalt tätig sein und setzte sich vor allem für die Gegner des Nationalsozialismus ein. In dieser Zeit entstand auch sein Werk ‚ Der Doppelstaat ’, welches die frühe Phase des Nationalsozialismus kritisch beleuchtet.

1938 musste FRAENKEL emigrieren und studierte von 1939 bis 1941 in Chicago amerikanisches Recht. 1944 trat er in den amerikanischen Regierungsdienst ein und war von 1945 bis 1950 Berater bei amerikanischen Behörden in Südkorea, wo er u.a. an der Ausarbeitung der Verfassung mitarbeitete. 1951 kehrte er nach Berlin zurück und wurde zunächst Dozent, ab 1953 dann Professor an der Deutschen Hochschule für Politik, dem späteren Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Nach seiner Emeritierung 1967 lebte er bis zu seinem Tode am 28. März 1975 in Berlin. Sein wissenschaftliches Interesse galt in dieser Zeit vor allem der Festigung der theoretischen Grundlagen der wiedererstandenen deutschen Demokratie und der praktischen Funktionsfähigkeit ihrer Institutionen. Sein wichtigstes Thema wurde die bereits erwähnte ‚ Theorie des Pluralismus ’, die er seit Ende der 50er Jahre entwickelte und die im Anschluss an die folgende Vorstellung des Aufsatzes kurz dargestellt werden soll.[1]

2 Zum Aufsatz „Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat“ von 1958

Dieser Aufsatz beruht auf einem Vortrag, den FRAENKEL anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft am 2. Mai 1958 in Tutzing gehalten hat.

2.1 Der hypothetische und der empirische Volkswille

FRAENKEL beginnt seine Ausführungen mit einer Definition des Begriffes Repräsentation:

„Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mittelbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legitimieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen Willen zu vollziehen.“[2]

Diese Definition findet sich auch heute noch in diversen Lexika und Wörterbüchern, so z.B. bei DIETER NOHLEN.[3]

FRAENKELs Auffassung nach stützt sich ein idealtypisches repräsentatives Regierungssystem auf die These eines vorgegebnen und objektiv feststellbaren Gesamtinteresses. Grundlegend sei hierbei die Hypothese, „dass der Wille des Volkes auf die Förderung des Gesamtinteresses gerichtet sei“[4]. Man spricht daher auch vom ‚ Hypothetischen Volkswillen ’.

FRAENKEL schränkt jedoch ein, dass in der politischen Realität immer das Bestreben vorhanden sei, den Ansichten der Volksmehrheit Rechnung zu tragen und in jeder Nichtbeachtung dieses empirisch feststellbaren Volkswillens eine Gefährdung des Gemeinwohls zu erkennen. Daher sei es Aufgabe einer Repräsentativverfassung, zu versuchen, den Volkswillen dergestalt zu realisieren, dass dem hypothetischen Volkswillen gegenüber dem ‚ empirischen Volkswillen ’ Vorrang zugestanden wird.

In der Gegenwart bekennen sich die Verfechter des Repräsentativgedankens zu den Grundsätzen der Volkssouveränität, wobei Modifikationen der Prinzipien einer formalen Demokratie nicht ausgeschlossen werden. Dazu zählt auch das Gewähren von Rechtssicherheit und Einflussmöglichkeiten von Minoritätsgruppen und Individualinteressen.

In der Geschichte des Parlamentarismus ist eine Entwicklung zu beobachten, in welcher sich der Begriff ‚ demokratisches Parlament ’ „aus einem Paradoxon in einen Pleonasmus verwandelt hat“[5]. Damit ist gemeint, dass das Parlament zunächst – bis Ende des 18. Jahrhunderts – nur privilegierte Interessen vertrat und sich erst langsam zu einer ‚ Volksvertretung ’ entwickelte.

Das Repräsentativsystem erkennt den empirischen Volkswillen nicht in seiner ursprünglichen, „sondern in seiner durch Wahlen und Delegationen sublimierten Form“ als verbindlich an. Für das Repräsentativsystem in seiner reinen Form gilt auch heute noch die Vorstellung, dass die Nationalversammlung – und nur sie – den hypothetischen Volkswillen, d.h. das Gemeinwohl, den ‚ volonté générale ’, repräsentiere.

Ein idealtypisches plebiszitäres Regierungssystem dagegen geht – so FRAENKEL – von der „stillschweigenden Voraussetzung eines einheitlichen Volkswillens aus“[6]. Von diesem wird a priori angenommen, dass er mit dem Gesamtinteresse identisch sei. Diese Sichtweise erblickt in der Existenz von Minoritäts- und Sonderinteressen Störungsfaktoren, da sie die Bildung des einheitlichen Volkswillens verhindern könnten.

Die Aufgabe eines plebiszitären Regierungssystems liege darin, einen Zustand zu erreichen und zu erhalten, in welchem empirischer Volkswille und Gesamtinteresse möglichst deckungsgleich sind. Dabei gilt die Maßgabe, „dass bei einer Divergenz zwischen empirischem und hypothetischem Volkswillen dem empirischen Volkswillen der Vorrang gebührt“[7]. Ein parlamentarischer Beschluss wird aus plebiszitärer Sicht lediglich als ‚Surrogat eines Volksentscheides’, also als Ersatzmittel, angesehen, wobei jedoch die Notwendigkeit repräsentativer Organe z.T. nicht in Frage gestellt wird. Die Bildung eines eigenständigen parlamentarischen Bewusstseins sei jedoch „nicht eine Sublimierung, sondern eine Pervertierung des als höchsten Wert anerkannten empirischen Volkswillen“[8].

Es läßt sich festhalten, dass das repräsentative und das plebiszitäre Regierungssystem auf verschiedenartigen Legitimitätsprinzipien beruhen.

FRAENKEL ist der Auffassung, dass das Zusammenfließen dieser Betrachtungsweisen zur Konfusion beigetragen habe, die eng mit dem Namen JEAN JACQUES ROUSSEAU verbunden sei. ROUSSEAUs Widersprüchlichkeit – so FRAENKEL – sei darauf zurückzuführen, dass er auf der einen Seite dem Volk die Souveränität zugestehe, es auf der anderen Seite jedoch zur Einhaltung allgemeingültiger Maximen verpflichte. Die einzige Lösung dieses Problems sei der Glaube an das Dogma der Unfehlbarkeit des Volkes, welches aber wohl verworfen werden könne. ROUSSEAU habe in seinem ‚Contrat Social’ (Gesellschaftsvertrag) dargelegt, dass das Volk zwar immer nach dem Rechten strebe, es aber nicht immer erkennen könne. Daher sei eine Art ‚ Erziehungsdiktatur ’ nötig. ROUSSEAUs Ablehnung des Repräsentativsystems ist laut FRAENKEL nicht nur theoretisch begründet, sondern stützt sich auf seine Kenntnisse des englischen ‚ unreformed parliament ’: Zur Zeit des spanischen Erbfolgekrieges wurden wahlberechtigte Bürger auf Veranlassung des Parlamentes verhaftet, weil sie ihren Abgeordneten eine regierungsfreundliche Petition überreichten. Begründet wurde dies damit, dass ihr Recht auf Wahlen nicht die Befugnis miteinschließe, die Beratungen des Parlaments zu beeinflussen. ROUSSEAU habe „das englische Parlament seiner Zeit als Herrschaftsinstrument einer ‚politischen Klasse’ (im Sinne Moscas) analysiert und den virtuellen Charakter der englischen Repräsentation als ideologische Verbrämung einer volksfremden und volksfeindlichen Oligarchie enthüllt“[9]. Er habe zudem erkannt, dass jedem souveränen Repräsentationsorgan die Gefahr innewohnt, durch Isolation, Kooptation und Korruption zu einer Clique zu erstarren und dadurch seinen repräsentativen Charakter zu verlieren. Dies bedeute, dass ein Repräsentativsystem, dem es nicht gelingt, dem ‚ehernen Gesetz der Oligarchie’ zu entgegnen, zur Selbstauflösung verurteilt sei.

Die Gefahr der Selbstauflösung drohe laut FRAENKEL allerdings auch dem plebiszitären Regierungssystem. Solange an dem Gedanken festgehalten werde, dass Regieren identisch sei mit dem Vollzug eines einheitlichen Volkswillens, würde jede Repräsentativversammlung unter dem Verdacht stehen, gegen den einheitlichen Volkswillen zu verstoßen, da sie eventuell Sonderinteressen ihrer Wähler und nicht Kollektivinteressen voranstellt. Daher sei eine plebiszitär organisierte politische Gemeinschaft eher bereit, sich mit einer dem Gesamtwillen symbolisierenden Repräsentation durch eine Einzelperson abzufinden, als eine die gesellschaftliche Differenzierung reflektierende Repräsentation durch ein Parlament zu akzeptieren. Diese systemimmanente Tendenz zur zäsaristischen Diktatur führe zwangsläufig zu dessen Selbstauflösung, es sei denn, die gesellschaftlichen Differenzierungen würden als nicht gravierend genug empfunden.

FRAENKEL ist nun der Auffassung, dass, sofern sich der theoretische oder empirische Nachweis erbringen läßt, dass beide Systeme diesen ‚ Kern der Selbstvernichtung ’ in sich tragen, „beide Prinzipien zu Komponenten eines gemischten plebiszitär-repräsentativen, demokratischen Regierungssystems auszugestalten“[10] sein.

2.2 Repräsentative und plebiszitäre Elemente im englischen Regierungssystem

FRAENKEL greift in diesem Abschnitt vor allem auf die Repräsentationstheorie von BURKE zurück. Diese stellt die theoretische Rechtfertigung des Bestrebens dar, die Souveränität des englischen Parlaments sowohl gegenüber dem Souveränitätsanspruch der Krone als auch dem des Volkes zu sichern und dafür zu sorgen, dass die Funktion des Parlaments, Vertretung des Volkes zu sein, dabei nicht verloren geht. Sie beinhaltet zwei wesentliche Aspekte:

1. Das imperative Mandat ist mit dem Repräsentativsystem unvereinbar.

[...]


[1] Vergl. A. v. Brünneck (Hrsg.): Ernst Fraenkel. Deutschland und die westlichen Demokratien, erweiterte Ausgabe, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1991, S. 362ff. (im Folgenden zitiert als: A. v. Brünneck: E. Fraenkel. Deutschland)

[2] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in H. Rausch (Hrsg.): Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968., S. 330. (im Folgenden zitiert als: E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente.)

[3] Vergl. U. v. Alemann: Repräsentation, in: D. Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik, 4. Auflage, München 1996, S. 655.

[4] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S. 330.

[5] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S. 331.

[6] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S. 332.

[7] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S. 332.

[8] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S. 333.

[9] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S. 335.

[10] E. Fraenkel: Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente, a.a.O., S.336.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Eine Untersuchung des Aufsatzes "Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat" von Ernst Fraenkel
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Politische Wissenschaft, Kiel)
Veranstaltung
Hauptseminar: Grundprobleme der Demokratie
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V1378
ISBN (eBook)
9783638108546
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Komponente, Verfassungsstaat, Fraenkel), Hauptseminar, Grundprobleme, Demokratie
Arbeit zitieren
Thomas Reith (Autor:in), 2002, Eine Untersuchung des Aufsatzes "Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat" von Ernst Fraenkel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1378

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