Die Konzeption der Waldleben- bzw. Minnegrotten-Episode im „Tristan“ Eilharts von Oberg und Gottfrieds von Straßburg


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Übersetzung: Die Minnegrotten-Episode bei Gottfried von Straßburg

3. Vergleichende Interpretation
3.1 Zur Vergleichbarkeit und Struktur der beiden Textabschnitte
3.2 Wahl des Zufluchtsortes und Beschreibung der Landschaft - „in dem wilden walde“ und „diu fossiure“
3.3 Das Leben in der Wildnis - „sie hâtin ein lebin herte“ und „wunschleben“

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Quellen

Darstellungen

1. Einleitung

In keiner Episode ist die Differenz des Tristans Gottfrieds von Straßburg zum Tristrant Eilharts von Oberg größer als in der Minnegrotten- bzw. Waldlebendarstellung. Die vorliegende Arbeit unternimmt daher den Versuch, anhand eines Vergleichs dieses fest umrissenen Erzählabschnitts die unterschiedliche Konzeption Gottfrieds und Eilharts darzustellen.[1]

Zunächst soll die Vergleichbarkeit und Struktur der Abschnitte untersucht werden, wobei die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Flucht vom Hof des Königs Marke in den Blick genommen werden. In der danach folgenden Gegenüberstellung der beiden Textstellen liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf der sich aus den unterschiedlichen Voraussetzungen ergebenden Darstellung der Wahl des Zufluchtsortes bzw. der Landschaft. Abschließend geht es um das Leben des Liebespaares in der Wildnis, um die Beschäftigungen, denen sie nachgehen, und um die Minnekonzeption und die Darlegung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, die damit verbunden ist.

Die Übersetzung des Textabschnitts der Minnegrotten-Episode Gottfrieds (Verse 17139-17177) wurde gewählt, weil sie ein besonders deutliches Beispiel für die zu untersuchende Landschaftskonzeption Gottfrieds und die Darstellung der Tätigkeiten des Paares ist.

2. Übersetzung: Die Minnegrotten-Episode bei Gottfried von Straßburg Verse 17139-17177

Die getreue[2] Gesellschaft,

17140 Tristan und seine Geliebte

hatten in der Wildnis,[3]

im Wald und im Feld,

ihre Ruhe und ihre Arbeit

sehr angenehm festgelegt:

17145 Sie waren zu allen Zeiten

einander an der Seite.

Morgens im Tau

begaben sie sich zur Aue,

wo sowohl Blumen, als auch Gras

17150 vom Tau gekühlt waren.[4]

Die kühle Wiese

war dann ihr Vergnügen.

Da gingen sie auf und ab,[5]

ihre Geschichten einander erzählend,

17155 und lauschten beim Gehen[6]

dem süßen Vogelgesang.

Sodann wandten sie sich um,[7]

dorthin, wo die kühle Quelle erklang,

und lauschten ihrem[8] Rauschen,

17160 ihrem Plätschern und ihrem Lauf.

Dort, wo sie bis an die Wiese reichte,

da setzten sie sich immer zum Ausruhen,

da lauschten sie dem Rauschen,

schauten dem Fließen zu,[9]

17165 und freuten sich immer wieder daran.[10]

Wenn aber die leuchtende Sonne

aufzusteigen begann,

und die Hitze niedersank,[11]

so gingen sie zu den Linden

17170 wegen deren Winden,[12]

die schenkte ihnen dann wieder Freude

für Körper und Seele.[13]

Sie erfreuten ihnen Augen und Geist.

Die süße Linde machte ihnen

17175 Luft und Schatten mit ihren Blättern angenehm.[14]

Die Winde waren von ihrem Schatten

angenehm, sanft (und) kühl.

3. Vergleichende Interpretation

3.1 Zur Vergleichbarkeit und Struktur der beiden Textabschnitte

Eine Gegenüberstellung von Waldleben- und Minnegrotten-Episode lässt die Unterschiede der beiden Tristan -Fassungen besonders deutlich hervortreten. Schon die Voraussetzungen des Lebens in der einsamen Wildnis sind verschieden:

Im Text Eilharts fliehen die Liebenden als Verurteilte in die unwegsame Wildnis des Waldes, von den Häschern des Königs verfolgt. Die Notwendigkeit, den königlichen Hof zu verlassen, ist durch den Handlungsverlauf motiviert: Durch die Aufdeckung des Ehebruchs ist ein Leben in der Gesellschaft unmöglich. Daraus folgt eine eindeutige Negativkonnotation des nun folgenden Waldlebens.

Die Geflohenen richten sich in einem dichten Wald eine Hütte ein, leben von Kräutern, Wild und Fisch und führen über zwei Jahre lang ein hartes, entbehrungsreiches Leben. Als eines Tages der Jägermeister Markes die Hütte entdeckt und Spuren hinterlässt, fliehen Tristrant und Isalde aus Angst, von Marke getötet zu werden, noch tiefer in den Wald hinein, wo sie sich in einem Tal niederlassen. Als die Wirkung des Trankes nachlässt, kann Isalde mit Hilfe von Markes Beichtvater - dem Einsiedler Ugrim - zu Marke zurückkehren, während Tristan in die Verbannung geht.

In Gottfrieds Darstellung sind die Voraussetzungen für den Aufbruch in die Wildnis anders, wodurch das isolierte Leben fern der Gesellschaft eine eindeutige Aufwertung erfährt: Marke hat keinen schlüssigen Beweis für die Untreue seiner Frau und so bietet er „den Liebenden die Freiheit zum Auszug aus der Gesellschaft“[15], wodurch eine paradiesische Ausgestaltung der Minnegrotten-Episode erst möglich gemacht wird. Das Leben in der „von paradiesisch-amoenen Landschaftsreizen“[16] bestimmten Minnegrotte steht so dem von Eilhart geschilderten Aufenthalt im Wald gegenüber.

Tristan und Isolde begeben sich zu einer zwei Tagesreisen entfernten Höhle in einem Berg, die Tristan auf einer Jagd entdeckt hatte. Es handelt sich um einen inmitten eines Fels- und Wüstengürtels gelegenen ´Lustort`. Hier leben die beiden Liebenden dank des von ihrer Minne hervorgerufenen Speisewunders ohne körperliche Entbehrung und das Gesellschaftswunder bewirkt außerdem, dass sie nicht unter Einsamkeit leiden. Zufällig entdeckt eines Tages der Jägermeister Markes das schlafende, voneinander durch ein Schwert getrennte Paar in der Grotte. Der König erkennt seinen Neffen und seine Frau und zweifelt an ihrer Schuld; Kurvenal überbringt den beiden schließlich die Nachricht, dass sie an den Hof zurückkehren dürfen.

Bei Gottfried von Straßburg setzt sich die Minnegrotten-Episode dementsprechend aus zwei epischen Einheiten zusammen: Die erste schließt die Vertreibung vom Hof und das Leben in der Wildnis ein (G 16679-17274)[17], die zweite beginnt mit Markes Aufbruch zur Jagd und schließt mit der Rückkehr Isoldes und Tristans an den Hof ab (G 17275-17701). Der Schnitt zwischen diesen beiden Etappen stellt das „Eindringen der Realität in das jeglicher Realität enthobene ´Paradies` der Liebenden“[18] dar: Tristan und Isolde hören den Jagdlärm und nehmen an, dass es sich nur um Marke handeln kann.

Bei Eilhart dagegen ist das Waldleben keine Unterbrechung des eigentlichen Handlungsverlaufs, sondern „ordnet sich ungebrochen in diesen ein“[19]. Trotzdem kann ein die Handlung verändernder Auslöser darin gesehen werden, dass die Wirkung des Trankes nachlässt, wodurch sich die Aufhebung des Konflikts abzeichnet.

[...]


[1] Vergleich der beiden Textstellen: Eilhart von Oberg, Verse 4491-4570 / Gottfried von Straßburg, Verse 16679-

17274

[2] Gottfried von Straßburg. Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Band 2: Text. Hrsg. von Friedrich Ranke. Stuttgart: Phillip Reclam jun. 2005.

[3] wörtl.: sie hatten in der Wildnis

[4] wörtl.: mit dem Tau erkühlt war

[5] wörtl.: da gingen sie her und hin

[6] wörtl.: mit dem Gang

[7] wörtl.: sodann nahmen sie einen Schwung

[8] wörtl.: seinem; Pronomen im Folgenden immer abgeändert

[9] wörtl.: und schauten dem Fließen zu

[10] wörtl.: und das war immer wieder ihre Freude

[11] wörtl.: die Hitze niedersank

[12] wörtl.: wegen den Winden der Linden

[13] wörtl.: außen und innerhalb der Brust

[14] wörtl.: die süße Linde süßte ihnen Luft und Schatten mit ihren Blättern

[15] Tomas Tomasek: Die Utopie im ‚Tristan’ Gotfrids von Straßburg. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1985, S.154.

[16] Ebd., S.152.

[17] Die Zahlen in Klammern stehen für Versangaben innerhalb der Primärliteratur, die davorstehenden Buchstaben für den Namen des Dichters: E für Eilhart von Oberg, G für Gottfried von Straßburg.

[18] Dagmar Mikasch-Köthner: Zur Konzeption der Tristanminne bei Eilhart von Oberg und Gottfried von Straßburg. Helfant-Studien. Stuttgart: Barbara Fay Verlag 1991, S.67. Anführungszeichen im Original.

[19] Ebd., S. 68.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Konzeption der Waldleben- bzw. Minnegrotten-Episode im „Tristan“ Eilharts von Oberg und Gottfrieds von Straßburg
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V137725
ISBN (eBook)
9783640468829
ISBN (Buch)
9783640468577
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Konzeption, Waldleben-, Minnegrotten-Episode, Eilharts, Oberg, Gottfrieds, Straßburg
Arbeit zitieren
Angela Lintzen (Autor:in), 2006, Die Konzeption der Waldleben- bzw. Minnegrotten-Episode im „Tristan“ Eilharts von Oberg und Gottfrieds von Straßburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137725

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Konzeption der Waldleben- bzw.  Minnegrotten-Episode im „Tristan“  Eilharts von Oberg und Gottfrieds von Straßburg



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden