Die Reproduktion sozialer Ungleichheit im und durch das deutsche Bildungs- und Schulsystem


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

22 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Soziale Ungleichheit im Bildungssystem
2.1. Die Bedeutung formaler Bildungsabschlüsse
2.2. Chancengleichheit im Bildungssystem
2.3. Soziale Ungleichheit trotz Bildungsexpansion
2.4. Soziale Ungleichheit durch Habitus und Lebensstil

3. Perspektiven eines sozial integrierenden Schul- und Bildungssystems
3.1. Ökonomische Benachteiligung
3.2. Benachteiligung durch das dreigliedrige Bildungssystem
3.3. Soziokulturell bedingte Benachteiligungen

4. Abschließende Stellungnahme

1. Einleitung

Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit sind in modernen, demokratischen Gesellschaften wie der Bundesrepublik Deutschland allgemein akzeptierte Werte. Eine realistische Betrachtung der tatsächlichen Gegebenheiten zeigt aber recht deutlich, dass das deutsche Bildungssystem, als Verteilungsinstanz formaler Bildungsabschlüsse, noch weit von seinem Anspruch auf Chancengleichheit entfernt ist. Da aber Erfolg im Bildungssystem und das Erlangen formaler Bildungsabschlüsse direkte Auswirkungen auf den sozialen Status der Individuen haben, bedeutet eine ungleiche Verteilung von Bildungschancen eine Reproduktion sozialer Ungleichheit.

Der Schule als gesamtgesellschaftliche Institution, die vor der Aufgabe steht verschiedenste soziokulturelle Gruppen zu integrieren und durch ihre Beurteilungsgsfunktion wiederum nach Bildungserfolg zu separieren und somit soziale Ungleichheit zu produzieren, steht daher eine besonders in der Verantwortung, sich mit der Problematik der Chancenungleichheit verschiedener sozialer Schichten, beziehungsweise soziokultureller Milieus auseinanderzusetzen. Es scheint jedoch, dass die Schule nicht nur indirekt mit dem Problem der sozialen Benachteiligung einiger Schülergruppen konfrontiert wird, sondern durch ihre generelle Konzeption und durch im Unterricht tagtäglich auftretende kulturell bedingte Missverständnisse und Benachteiligungen seitens des Lehrpersonals, aktiv an der Reproduktion sozialer Ungleichheit beteiligt ist und damit die Chancenungleichheit verschiedener sozialer Gruppierungen produziert.

Ich werde mich im Folgenden mit dem Begriff der Chancengleichheit und der damit verbundenen Problematik auseinandersetzen und die Strukturen der sozialen Ungleichheit im deutschen Bildungssystem darstellen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse werde ich Perspektiven eines sozial integrierenden, also die Problematik der Chancenungleichheit erkennden und bekämpfenden Bildungssystems darstellen, das aktiv die Reproduktion sozialer Ungleichheit zu verringern versucht. Aus dieser Konzeption heraus ergeben sich Forderungen an verschiedene Handlungsträger des Bildungswesens. So wird sowohl die Politik angesprochen, strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen die dem Abbau herkunftsspezifischer Bildungschancenungleichheit dienen, als auch die Bildungsinstitutionen selber und deren Vertreter, das Lehrpersonal, das gefordert ist im täglichen Unterricht sich der Problematik der Reproduktion sozialer Ungleichheit bewusst zu machen, das eigene Handeln unter diesem Gesichtspunkt zu reflektieren und Maßnahmen zu treffen um Chancenungleichheit abzubauen.

2. soziale Ungleichheit im deutschen Bildungssystem

In modernen Gesellschaften nimmt die Bildung, vor allem in Form von formalen Bildungsabschlüssen, aber auch als Allgemeinbildung oder Humankapital, einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Vor allem in Bezug auf Strukturen sozialer Ungleichheit ist Bildung eine Determinante von weitreichender Bedeutung. Bildung selbst dient als Indikator sozialer Differenzierung und darüber hinaus ist sie „zur wichtigsten Grundlage für den materiellen Wohlstand moderner Gesellschaften geworden“ (Hradil, 1999, S. 145).

Mitte der 60er Jahre wurde das deutsche Bildungssystem reformiert in der Hoffnung, mehr soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu erzeugen. Die Hochschulen wurden ausgebaut, der Zugang zum sekundären Bildungssystem vereinfacht und das dreigliedrige Schulsystem, mit Haupt-, Realschule und Gymnasium eingeführt. Diese Veränderungen, bekannt als Bildungsreform hatten weitreichende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Dennoch musste die aktuelle Sozialstrukturanalyse inzwischen feststellen, dass die, durch die Bildungsreform ausgelöste Bildungsexpansion nicht, wie erwartet, zu mehr Chancengleichheit und einer Öffnung des Bildungssystems für sozial unterprivilegierten Schichten geführt hat. Überdies hinaus hat sie sogar gegenteilige Effekte produziert.

2.1. Die Bedeutung formaler Bildungsabschlüsse

In modernen Gesellschaften, mit immer komplexer werdenden technischen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen gewinnen Bildung und formale Bildungsabschlüsse immer mehr an Bedeutung. Bereits in den 50er Jahren stellte der Soziologe Shelsky fest, die Schule sei zur „ersten und damit entscheidenden, zentralen sozialen Dirigierungsstelle für die zukünftige soziale Sicherheit, für den zukünftigen sozialen Rang und für das Ausmaß zukünftiger Konsummöglichkeiten“ (Shelsky, 1957, S. 17) geworden.

Seit der sogenannten Bildungsexpansion der 60er Jahre ist in Deutschland ein Effekt zu beobachten, der häufig als „Aufwertungseffekt“ (Geißler, 1995, S. 258) formaler Bildungsabschlüsse bezeichnet wird. Mittlere und höhere Bildungsabschlüsse werden „immer wichtiger für den Einstieg in viele Berufslaufbahnen (...). Wo früher niedrige Schulabschlüsse genügten, werden heute mittlere oder höhere gefordert“ (ebd.).

Aber gleichzeitig mit dieser Aufwertung formaler Bildungsabschlüsse ist auch der gegenteilige Effekt, eine „Entwertung“ (ebd.) derselben zu beobachten. Entwertung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass „mit einem Bildungszertifikat des selben Niveaus (...) nur noch Berufspositionen mit durchschnittlich weniger Statuschancen (Einkommen, Einfluß, Arbeitsqualität, Prestige u. ä.) erworben werden“ (ebd.) können. Rainer Geißler spricht in diesem Zusammenhang von einem „Paradox der Bildungsexpansion“ (ebd.), durch die einerseits formale Bildungsabschlüsse zu einer notwendigen Voraussetzung, aber immer weniger zu einer Garantie für das Erlangen höherer Einkommen wurden. Rainer Geißler kommt daher zu dem Schluss, dass „die Frage nach der sozialen Auslese durch das Bildungssystem weiterhin von erheblicher gesellschaftspolitischer Bedeutung“ (ebd.) ist.

Auch die Soziologen Müller und Shavit stellten in ihrer vergleichenden Studie „Bildung und Beruf im institutionellen Kontext“ in 13 Ländern fest, dass weiterhin nur „Bildungsqualifikationen das Erlangen von Berufen mit hohem Status und Prestigewert“ (Müller / Shavit, 1998, S.27) ermöglichen und Gleichzeitig „das Risiko der Arbeitslosigkeit“ (ebd., S.28) verringern. Höhere Bildungsabschlüsse garantieren also inzwischen zwar nicht mehr automatisch das Erlangen höherer Einkommen und bedeuten keine absolute Sicherheit vor Arbeitslosigkeit, jedoch verringern sie die Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit betroffen zu werden und erhöhen gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit höhere Einkommen zu erlangen signifikant.

2.2.Chancengleichheit im Bildungssystem

In modernen Gesellschaften bildet der Wert der Chancengleichheit einen grundlegenden Bestandteil der demokratischen Ordnung. Jedoch gibt es verschiedene Vorstellungen darüber, was genau unter Chancengleichheit im Bildungssystem zu verstehen und wie dieser Anspruch zu verwirklichen ist. Die Tatsache, dass, wie oben aufgeführt, vor Allem formale Bildungsabschlüsse die soziale Stellung der Individuen bestimmen, bedeutet keinen Ausdruck von Chancengleichheit, da sich möglicherweise „lediglich bestehende gesellschaftliche Voraussetzungen (aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Hautfarbe, der politischen Einstellung, persönlicher Bekanntschaft oder der Familienzugehörigkeit) in höheren oder niedrigeren Bildungsabschlüssen“ (Hradil, 1999, S. 148) niederschlagen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Reproduktion sozialer Ungleichheit im und durch das deutsche Bildungs- und Schulsystem
Hochschule
Universität Münster  (Soziologie)
Veranstaltung
Soziologie Sozialer Ungleichheit
Note
2.0
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V13770
ISBN (eBook)
9783638193290
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reproduktion, Ungleichheit, Bildungs-, Schulsystem, Soziologie, Sozialer, Ungleichheit
Arbeit zitieren
Johannes Reimann (Autor:in), 2002, Die Reproduktion sozialer Ungleichheit im und durch das deutsche Bildungs- und Schulsystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13770

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