Die Darstellung des Kranken im Film des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung des Spielfilmes „Ich klage an“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

31 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Inhaltsverzeichnis

2. Einleitung

3. 3. Propaganda im Nationalsozialismus
3.1 Die historische Entstehung des Begriffes Propaganda
3.2 Propaganda als Teil der nationalsozialistischen Ideologie

4. Die Bedeutung des Mediums Film in der Zeit des Nationalsozialismus

5. Die Diskussion um Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe und die Vernichtung lebensunwerten Lebens

6. Die Darstellung des Kranken in Dokumentarfilmen des Nationalsozialismus
6.1 Die Propagierung der Sterilisation und der Vernichtung lebensunwerten Lebens in Dokumentarfilmen des Dritten Reiches
6.1.1 Sünden der Väter (1935 bzw. 1936)
6.1.2 Abseits vom Wege (1935)
6.1.3 Das Erbe (1935 bzw. 1939)
6.1.4 Opfer der Vergangenheit (1937)
6.1.5 Alles Leben ist Kampf (1937)
6.1.6 Was du ererbt... (1938)
6.2 Zusammenfassung

7. Der Spielfilm Ich klage an und die Diskussion um Tötung auf Verlangen
7.1 Entstehungsgeschichte des Films Ich klage an
7.2 Wolfgang Liebeneiner – begeisterter Anhänger und williges Instrument im Dienste des Nationalsozialismus
7.3 Der Spielfilm Ich klage an
7.4 Die Perzeption des Spielfilms Ich klage an

8. Tötung auf Verlangen – Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Ende

9. Schlussbetrachtung

10. Abkürzungsverzeichnis

11. Quellen- und Literaturverzeichnis

2. Einleitung

Auslöser für die vorliegende Arbeit war der im Rahmen des Hauptseminars Denker, Täter und Opfer der „Euthanasie“ im Sommersemster 2006 gezeigte Film Ich klage an. Während es im Seminar und in der dazugehörigen Vorlesung hauptsächlich um die wissenschaftlichen Grundlagen und deren praktische Umsetzung ging, bedeutete der Film die absolute Praxis. Als Zuschauer ergab sich nun die Möglichkeit, sich in die damalige Zeit mit ihren typischen Sprech- und Handlungsweisen, aber auch typischen Einrichtungsgegenständen, Kleidung und Frisuren hineinzuversetzen. Der Film machte das Gehörte und Notierte lebendig und versetzte den Zuschauer in die Lage, selbst entscheiden zu müssen, ob man sich der Aussage des Films hätte entziehen können. Und wäre die Entscheidung soviel anders ausgefallen, wenn man entweder mit der nationalsozialistischen Propaganda aufgewachsen, oder mit den Diskussionen um die Vernichtung lebensunwerten Lebens, die ja eben nicht erst von den Nationalsozialisten hervorgebracht worden sind, vertraut gewesen wäre? Ich wage dies zu bezweifeln.

Obwohl nun die Nationalsozialisten die angesprochene Thematik massenhaft in die Tat umsetzten, waren es doch nicht ihre eigenen Ideen, die sie praktisch ausführten. Bevor sich die nationalsozialistische Bewegung entwickelte, hatten sich verschiedene Männer mit der Tötung auf Verlangen und der Vernichtung unwerten Lebens auseinandergesetzt und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass auf Behinderte und Schwerkranke aus Kostengründen verzichtet werden könne. Doch ohne die entsprechende Propaganda hätten weder die Grundlagenideen, noch die Ausführungen der Nationalsozialisten Zustimmung in der Bevölkerung gefunden. Daher beschäftigt sich der erste Abschnitt dieser Arbeit, nach einer kurzen Erklärung über die historische Entwicklung, mit der Propaganda als Teil der nationalsozialistischen Ideologie. Nachdem dann eine hinreichende Einführung zum Thema Film als Instrument und Mittel der Propaganda der Nationalsozialisten gegeben worden ist, wird sich der weitere Teil der Arbeit zunächst mit der Diskussion um Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe und Vernichtung lebensunwerten Lebens beschäftigen. Dabei werden die wichtigsten Stationen der geschichtlichen Entwicklung kurz angerissen, um den Film Ich klage an in den historischen Kontext stellen zu können. Ziel ist es, darzustellen, aus welchem Grund der Film keine offene Propaganda betrieb, aber trotz der kurz zuvor durch die Predigt des Münsteraner Bischofs von Galen sensibilisierten Bevölkerung, ein Erfolg werden konnte. Vorher wird sich diese Arbeit mit der Darstellung des Kranken, lebensunwerten Lebens im Film des Nationalsozialismus beschäftigen. Dafür soll anhand verschiedener Dokumentarfilme die Argumentationsstruktur erläutert werden, mit denen jene Filme zunächst für Verständnis zur Sterilisation von Geisteskranken und Behinderten in der Bevölkerung warben, um später die Vernichtung dieses unwerten Lebens ohne größeren Widerstand umsetzen zu können.

Der darauf folgende Abschnitt der Arbeit setzt sich mit dem Film Ich klage an auseinander. Er enthält zu Beginn eine kurze Abhandlung über die Entstehungsgeschichte des Films, besonders mit der, mit jeder weiteren Bearbeitung der Drehbücher, subtiler werdenden Aussage des Films. Es folgt eine inhaltliche Darstellung sowie die Perzeption von Ich klage an in Deutschland und im Ausland.

Das Ende der Arbeit bildet eine Überlegung zur Tötung auf Verlangen – Hoffnung auf ein Selbstbestimmtes Ende im 21. Jahrhundert. Da die Diskussion im Sommer des Jahres 2008 einen neuen Schub bekam, als der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch eine selbstgebaute Tötungsmaschine vorstellte, mit der lebensunwillige Menschen, ähnlich der amerikanischen Giftspritze, sich selbst töten können sollen, wird ein Kommentar darüber den Abschluss der Arbeit bilden.

An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Begriffe wie Geisteskranke, Irre, lebensunfähige/lebensunwerte Menschen nicht in Anführungszeichen gesetzt oder anderweitig kenntlich gemacht worden sind, da sie mittlerweile im normalen Sprachgebrauch verwendet werden mit dem Hintergrundwissen, dass diese Begriffe zur Zeit des Nationalsozialismus eine negative, abwertende Bedeutung erhalten haben und heute im negativen Sinne verstanden werden.

3. Propaganda im Nationalsozialismus

3.1 Die historische Entstehung des Begriffes Propaganda

Der Begriff Propaganda leitet sich aus dem lateinischen `propagare´ = `ausdehnen, fortpflanzen´ ab.[1] Im 17. Jahrhundert wurde `propagare´ zum Begriff für die christliche Missionstätigkeit. Der erste fade Beigeschmack entstand durch protestantische Aufklärer im 18. Jahrhundert, die hinter der römischen Aufklärung eine weltweite Verschwörung vermuteten. Bis ins 19. Jahrhundert blieb der Begriff durch die Verknüpfung von Propaganda und Verschwörung negativ besetzt. Dies änderte sich erst am Ende des gleichen Jahrhunderts, als Propaganda für Werbung durch die Privatwirtschaft benutzt und damit eine besondere Methode der Selbstdarstellung wurde. Ab dem 20. Jahrhundert schließlich wurde Propaganda im Dienste einer Regierung verwendet – als Waffe der modernen Kriegsführung zur Mobilisierung der Bevölkerung und der Rechtfertigung der Fortführung des Kampfes bis zum Sieg. Zugleich war es ein Versuch, den feindlichen Staat zu unterwandern und die gegnerischen Soldaten von der Sinnlosigkeit des Kampfes zu überzeugen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der Einfluss der Propaganda immer höher eingeschätzt, so dass das Auftauchen von Stimmen möglich war, die behaupteten, der Krieg sei nicht durch falsche Militärentscheidungen verloren gegangen, sondern auf Grund von Versäumnissen der Propaganda.

Nach dieser kurzen Begriffsbestimmung setzt sich der nächste Abschnitt mit der Bestimmung und dem Einsatz nationalsozialistischer Propaganda auseinander. Das Medium Film, das Gegenstand der Arbeit ist, wird unter dem angesprochen Aspekt bereits berücksichtigt, erfährt aber erst in Abschnitt 3, zur Bedeutung des Mediums Film in der Zeit des Nationalsozialismus, besondere Aufmerksamkeit.

3.2 Propaganda als Teil der nationalsozialistischen Ideologie

„Wir sind der Überzeugung, daß der Film eines der modernsten und weitreichendsten Mittel zur Beeinflussung der Massen ist, die es überhaupt gibt. Eine Regierung darf deshalb den Film nicht sich selbst überlassen.“[2] Goebbels machte in dieser Rede vom 9. Februar 1934 vor der Reichsfachschaft Film die Grundansicht des nationalsozialistischen Staates deutlich. Diese Erkenntnis allein reichte jedoch nicht aus, um die Massen auch tatsächlich zu beeinflussen. Was also waren die Thesen, Strategien und Ziele der Nationalsozialisten, um das Volk erfolgreich zu manipulieren?

Während sich von Goebbels eher allgemein gehaltene Aussagen finden lassen, die in ihrer Offenheit heute zwar unerhört inakzeptabel klingen, wenn er vom Volk als Masse, Herde, Knetmenge spricht, „die geformt werden will, die man bearbeiten, inspirieren muß durch Propaganda, durch Manipulation, durch die Massenmedien“[3], stellte Adolf Hitler folgende Grundthesen zur Propaganda auf[4]: mit Hilfe von Einfachheit in der Wortwahl und permanenter, aber variantenreicher, Wiederholung sollte der `kleine Mann´ angesprochen werden. Da eben diese, im Gegensatz zu den Intellektuellen[5], die große Masse des Volkes ausmachten, musste das Niveau der vorgetragenen Thesen und Slogans umso niedriger sein. Am besten wäre es, der Redner beschränke sich auf möglichst gleiche Schlagworte, Thesen und Parolen. Sollten Lügen notwendig sein, seien diese ausdrücklich eingeschlossen. Hitler wollte somit erreichen, dass kritisches Denken ausgeschalten, Massenhysterie und Fanatismus erzeugt und die Massen aufgepeitscht würden. Für moderne Ohren mag das befremdlich klingen, damals galt das Erreichen dieser Ziele als positive Qualität, weil Propaganda als Kunstform wahrgenommen wurde.

Der nationalsozialistische Kunstbegriff schloss ebenso das Medium Film ein. Es war im Dritten Reich für den Propagandaminister Goebbels so wichtig, dass er nach schweren Luftangriffen alle mobilisierbaren Kräfte bündelte, um die beschädigten Lichtspielhäuser wieder in Betrieb nehmen zu können, um so die Moral der Bevölkerung aufrechtzuerhalten.[6] Dafür eignete sich das Medium Film besonders gut, weil es die Menschen vor allem auf der Gefühlsebene erreichte: „Im Vergleich zu anderen Künsten ist der Film durch seine Eigenschaft, primär auf das Optische und Gefühlsmäßige, also Nichtintellektuelle einzuwirken, massenpsychologisch und propagandistisch von besonders eindringlicher und nachhaltiger Wirkung.“[7]

Das Goebbels die Kontrolle über den Inhalt eines Filmes noch dessen Reichweite aus der Hand gab, soll im nächsten Abschnitt näher erläutert werden.

4. Die Bedeutung des Mediums Film in der Zeit des Nationalsozialismus

Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 wurden Filme verstärkt dazu eingesetzt, um für den Führer zu werben. Alle Bevölkerungsschichten sollten, so abgelegen sie auch wohnten, in den Genuss der Filmvorführungen gelangen dürfen. Dazu wurden die Filmstellen der NSDAP mit mobilen Tonfilmwagen ausgestattet, da der größte Teil der Bevölkerung keinen Zugang zu Kinos hatte, da sie entweder auf dem Land, oder in Kleinstädten wohnten. Die Zahlen der Reichschriftumskammer von 1938 belegen dies deutlich: von 51.000 Gemeinden hatten 48.200 kein Kino.[8] Weder die Auswahl der Filme, noch der Inhalt und die Präsentation der Vorführungen waren zufällig gewählt worden. Propaganda- und Kulturfilme wurden in der Regel in Verbindung mit der aktuellsten Wochenschau oder einem Spielfilm gezeigt. Dazu gab es zu Beginn der Vorführungen eine Einleitung oder einen Kommentar von NSDAP-Vertretern, welche sich auf Informationsmaterial zum Film und zur Bedeutung des jeweils behandelten Themas stützen konnten.[9]

Zu Beginn der nationalsozialistischen Filmproduktion waren noch zahlreiche verschiedene Ämter, Abteilungen der Partei, des Staates, der Wehrmacht, der NSDAP und angegliederte Verbände Auftraggeber für Propagandafilme. Da es aber im Laufe der Zeit wiederholt zu Widersprüchen kam (z. B. ein rassistischer Germanenkult mit Reagrarisierungs-Utopien des Reichsbauernführers Darre gegen die industrielle Modernisierung der Arbeitswelten der DAF)[10], mussten die Filme im Laufe der Zeit mehr und mehr mit dem Hauptamt Film der Reichspropagandaleitung der NSDAP und mit der Abteilung Film im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda abgestimmt werden.[11]

Obwohl Antisemitismus und nationalsozialistischer Rassismus[12] zentrale Elemente der nationalsozialistischen Ideologie waren, wurden sie selten zum zentralen Thema von Spiel- oder Dokumentarfilmen. Als möglichen Grund führt Peter Zimmermann an, „dass der militante Antisemitismus der Nationalsozialisten trotz weit verbreiteter antisemitischer Vorurteile ebenso wenig Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden hat wie die Propaganda für die Euthanasie, die Ermordung Erb- und Geisteskranker, die in Filmen allenfalls indirekt, nicht aber offen vorgetragen worden ist.“[13] Diesem Argument kann als mögliche Erklärung entgegen gehalten werden, dass die Nationalsozialisten bewusst auf die eben genannten Themen verzichteten, da die Bevölkerung einerseits beinahe täglich damit konfrontiert wurden, andererseits Kino als ein Mittel zur Entspannung und Ablenkung vom täglichen Einerlei dienen sollte. Dies bestätigt zum einen die Tatsache, dass auf die Zurschaustellung von nationalsozialistischen Symbolen und Emblemen weitestgehend verzichtet wurde (eine Ausnahme bilden 150 Spielfilme mit massiv politisch-propagandistischem Inhalt), obwohl jene in der Wirklichkeit das Leben und die Straßen beherrschten.[14] Andererseits spiegelt sich die These von der Entspannung im Genre der produzierten Filme wieder. Wurden am Anfang des Krieges noch häufig Filme mit außerordentlich propagandistischen Inhalten produziert, gab es ab 1942 mehr Unterhaltungsfilme, die die Bevölkerung von der sich zunehmend verschlechternden Lage ablenken sollten.[15]

Neben den Printmedien und dem Rundfunk war das Kino auf Grund seiner relativ großen Reichweite und der hohen Popularität bei der Bevölkerung ein von Goebbels stark genutztes Instrument. Er erklärte den Film sogar zum zweiten Volkserziehungsinstrument nach der Volksschule, um die nationalsozialistische Ideologie durchzusetzen und um den von ihm häufig erwähnten `neuen´ Menschen zu kreieren. Dieses Instrument dürfe man keinesfalls sich selbst überlassen, weil es als weitreichendes nationales Erziehungsmittel Erziehungsarbeit auszuführen habe.[16] Dafür wäre seiner Meinung nach der optische Sinn am besten geeignet, weil er der primitivste sei, so dass er dessen massivste Bearbeitung forderte. Ziel war die Ausschaltung jeden geistigen Widerspruchs gegenüber nationalsozialistischen Gedankengutes.[17]

Nachdem nun sowohl die historische Entwicklung des Begriffes Propaganda, als auch seine Bedeutung für die Nationalsozialisten in einer kurzen Einführung abgehandelt worden ist, befassen sich die nächsten Abschnitte mit dem Hauptthema der Arbeit, in dem zunächst die historische Entwicklung der Diskussion um Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe und die Vernichtung lebensunwerten Lebens dargestellt werden, um anschließend auf die Darstellung des Kranken im Film des Nationalsozialismus aufmerksam zu machen, bevor das eigentliche Thema, der Spielfilm Ich klage, an behandelt wird.

5. Die Diskussion um Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe und die Vernichtung lebensunwerten Lebens

Den (schriftlichen) Beginn der Diskussion zur Tötung auf Verlangen bildete die von dem Mediziner Adolf Jost 1895 erhobene Forderung zur Freigabe der Tötung auf Verlangen bei unheilbarer Krankheit: „Wenn die Wertlosigkeit eines Menschen offenbar sei, bestehe ein Recht auf den Tod.“[18] Der Wert eines Menschen konnte, laut Jost, nicht nur „gleich Null, sondern auch negativ werden.“[19], wenn für die Pflege eines Menschen, der unheilbar erkrankt ist, Gelder eingesetzt werden müssten. Tritt dies ein, dann habe der Mensch ein Recht auf einen schmerzlosen Tod, der Staat sogar die Pflicht, ihm entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.[20] Anhand dieser Argumentation ist allerdings fraglich, auf wessen Verlangen getötet werden sollte. Jost setzte den Staat als oberste Entscheidungsinstanz über den Willen der unheilbar Kranken, indem er die Tötung unheilbar Geisteskranker forderte, die zu einer rechtswirksamen Willensäußerung gar nicht in der Lage waren. Damit überschritt er die Grenze von Tötung auf Verlangen und der Vernichtung lebensunwerten Lebens mit der Begründung, wenn der Staat im Kriege hunderttausende Menschen opfere, dann solle er auch über Geisteskranke entscheiden.

Einen weiteren Aspekt, den des Mitleids, brachte der Biologe Ernst Haeckel in die Überlegungen zur Tötung auf Verlangen ein. Seiner Meinung nach gebiete es das Mitleid, unheilbar Kranke auf Verlangen zu töten, so wie man einem in hohem Alter erkrankten Tier den Gnadentod gewähren würde.[21]

In den folgenden Jahrzehnten gab es einen regelrechten Boom zum Thema Eugenik und Rassenfrage, der einen vorläufigen Höhepunkt zur Zeit des Ersten Weltkrieges fand. Propagandistisch war jahrelang über Rassenhygiene diskutiert worden, so dass am Ende des Weltkrieges die Angst vor der Entartung, der Verarmung an wertvollen Rassenelementen, stand.[22] In diesem Klima veröffentlichten 1920 erstmals ein Mediziner, Alfred E. Hoche, und ein Jurist, Karl Binding, die Befürwortung der Euthanasie in Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. In der Frage, ob Mitleid als Motiv der Euthanasie Gültigkeit haben sollte, waren sich beide noch uneins.[23] Einigkeit bestand dagegen bei der wirtschaftlichen Belastung der Anstalten, der Umgebung und vor allem des Staates. Binding und Hoche konnten sich auf die wirtschaftliche Notlage der Kriegs- und Nachkriegszeit stützen, um „emotionale Ressentiments“[24] zu mobilisieren. In der Bevölkerung war das Klischee von den zwangsernährten Geistesschwachen und –kranken auf Kosten der gesunden Bevölkerung genährt worden. Zusätzlich etablierte sich der Gedanke über die widersinnige Pflege und Ernährung von Lebensunwerten in Heil- und Pflegeanstalten, während an der Front eine große Zahl von Soldaten gefallen war.[25]

[...]


[1] Vgl. im Folgenden Köppen, Manuel; Schütz, Erhard (Hrsg.): Kunst der Propaganda. Der Film im `Dritten Reich´ (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge, Bd. 15), Bern, Berlin, Frankfurt am Main [u. a.], 2007, S. 7-14, hier S. 7f und Dustdar, Bianca: Der Film als Propagandainstrument in der Jugendpolitik des Dritten Reiches (= Aufsätze zu Film und Fernsehen, Bd, 32), Alfeld 1996, S. 9f.

[2] Joseph Goebbels, zitiert nach Dustdar, Film als Propagandainstrument, S. 13.

[3] Zitiert nach Donner, Wolf: Propaganda und Film im „Dritten Reich“, Berlin 1995, S. 13.

[4] Vgl. im Folgenden Ebd., S. 11.

[5] Da Intellektuellen die sich zum Teil widersprechenden Elemente des Nationalsozialismus nicht verborgen blieben, sollten diese dem Volk nicht auf der geistigen, sondern auf der emotionalen Ebene vermittelt werden. Vgl. Donner, Propaganda und Film, S. 11.

[6] Vgl. Quanz, Constanze: Der Film als Propagandainstrument Joseph Goebbels´, Köln 2000, S. 45.

[7] Fritz Hippler: Betrachtungen zum Filmschaffen, zitiert nach Dustdar, Film als Propagandainstrument, S. 14.

[8] 1936 verfügte die Partei nach offiziellen Angaben über 32 Gaufilmstellen, 771 Kreisfilmstellen und mehr als 22 000 Ortsgruppen- und Stützpunktfilmstellen. Vgl. Zimmermann, Peter: Propagandafilme der NSDAP, in: Zimmermann, Peter; Hoffmann, Kay (Hrsg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 3 „Drittes Reich“ 1933-1945, Stuttgart 2005, S. 505-529, hier S. 506.

[9] Vgl. Ebd., S. 507.

[10] Vgl. Ebd., S. 508f.

[11] Vgl. Ebd., S. 509.

[12] Lehre von der Überlegenheit der arischen Rasse, vor allem des deutschen Volkes anderen Rassen, Völkern gegenüber.

[13] Vgl. Ebd, S. 524.

[14] Vgl. Dustdar, Film als Propagandainstrument, S. 21f.

[15] Vgl. Ebd., S. 23.

[16] Vgl. Quanz, Der Film als Propagandainstrument, S. 50f.

[17] Vgl. Ebd., S. 46.

[18] Adolf Jost: Das Recht auf den Tod, zitiert nach Stahr, Gerhard: Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum, Berlin 2001, S. 224.

[19] Adolf Jost: Das Recht auf den Tod, zitiert nach Ebd., S. 221.

[20] Vgl. auch im Folgenden Schmuhl, Hans-Walter: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung `lebensunwerten Lebens´, 1890-1945 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 75), Göttingen 1987, S. 108.

[21] Vgl. Ebd., S. 109.

[22] Vgl. Weingart, Peter: Eugenik – Eine angewandte Wissenschaft Utopien der Menschenzüchtung zwischen Wissenschaftsentwicklung und Politik, in: Lundgreen, Peter (Hrsg.): Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1985, S. 314-349, hier S. 327.

[23] Vgl. auch im Folgenden Schmuhl, Rassenhygiene, S. 115.

[24] Ebd., S. 107.

[25] Vgl. Ebd., S. 107.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung des Kranken im Film des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung des Spielfilmes „Ich klage an“
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Zeitgeschichte)
Veranstaltung
Denker, Täter und Opfer der „Euthanasi"
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
31
Katalognummer
V137590
ISBN (eBook)
9783640475278
ISBN (Buch)
9783640475209
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalsozialismus, Spielfilm, Ich klage an, Euthanasie, Sterbehilfe, Propaganda, Dokumentarfilm, Wolfgang Liebeneiner, Lebensunwertes Leben
Arbeit zitieren
Melanie List (Autor:in), 2009, Die Darstellung des Kranken im Film des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung des Spielfilmes „Ich klage an“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137590

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