Kulturpolitische Begründungsstrategien für die staatliche Theaterförderung in der Bundesrepublik Deutschland

Zum Stand der Diskussion


Hausarbeit, 2009

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Vorbemerkungen

1 Relevanz der Diskussion

2. Begründungsstrategien staatlicher Theaterförderung
2.1 Die verfassungspolitische Begründungsdimension
2.1.1 Kultur als Aufgabe der Länder
2.1.2 Die Freiheit der Kunst
2.1.3 Kultur als Staatsziel
2.2 Ökonomische Begründungsdimension
2.2.1 Theater als defizitäre Betriebe
2.2.2. Theater als Wirtschafts- und Standortortfaktor
2.3 Soziale Begründungsdimension
2.3.1 Theater als Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung
2.3.2 Theater als Mittel zur Demokratisierung
2.3.3 Theater als Schlüssel zur Gesellschaftsentwicklung
2.4 Kulturimmanente Begründungsdimension
2.4.1 Theater als Selbstzweck
2.4.2 Theater als Möglichkeit der Selbstverwirklichung
2.4.3 Theater als Ort zur Schärfung des Möglichkeitssinns

3 Zusammenfassung und Ausblick

4 Literaturverzeichnis

0 Vorbemerkungen

Mit 2,2 Milliarden Euro subventioniert der deutsche Staat pro Jahr die rund 150 öffentlichen Theater der Bundesrepublik Deutschland (Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ 2007, 105f.). Im kulturpolitischen Diskurs finden sich zahlreiche Begründungen für die Aufwendung der beträchtlichen Fördersumme, die im Laufe der Zeit verschieden variiert und akzentuiert werden.

Die vorliegende Arbeit will eine qualitative Bestandsaufnahme der wichtigsten Begründungsstrategien für die staatliche Theaterförderung in der aktuellen Diskussion vornehmen. Dabei verfolgt sie einen integralen Ansatz und versucht einzelne Argumente zu fachspezifischen Begründungsmustern zu verdichten.

Im einleitenden, deskriptiven Teil soll grob skizziert werden, in welchem Kontext die Diskussion seit etwa zwanzig Jahren geführt wird und welche Bedeutung sie in der gegenwärtigen Lage hat.

Zur Systematisierung der Begründungsdimensionen orientiert sich die Arbeit am systemtheoretischen Gesellschaftsmodell des Soziologen Talcott Parsons, der die Gesellschaft in die vier Bereiche Politik, Wirtschaft, Soziales und Kultur untergliedert (vgl. Parsons 1971)[1]. Analog dazu werden in den vier Unterkapiteln des Hauptteils die Begründungsstrategien, die sich aus der Logik der genannten Subsysteme ergeben, dargestellt.

In einer Schlussbetrachtung sollen die gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammengefasst und kritisch analysiert werden. Die Arbeit endet mit Überlegungen zum zukünftigen Theorie-Praxis-Diskurs und zur kulturpolitischen Forschung.

1 Relevanz der Diskussion

Gegenwärtig gibt die Wirtschaftskrise der Kulturpolitik handfesten Anlass, um über neue Legitimationen für die staatliche Theaterförderung nachzudenken. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Politikfeldern um die knappen öffentlichen Mittel hat sich verschärft, und optimistische Prognosen für das kommende Jahr sind angesichts der seit 2009 im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse schwer aufrechtzuerhalten. Die Einspar-maßnahmen der Kommunen treffen meist zuerst Kultureinrichtungen, weil deren Förderung zu den freiwilligen Aufgaben gerechnet wird[2]. So kam im August 2009 die Forderung auf, den Kulturetat der Stadt Köln um dreißig Prozent zu kürzen. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, spricht von einem Vorgeschmack auf das, was der Kultur in den nächsten Jahren bevorstehe und ruft die Öffentlichkeit zum Widerstand auf (Deutscher Kulturrats 2009)[3].

Richtet man den Blick zurück auf die Lage der öffentlichen Haushalte der vergangenen vierzig Jahre, stellt man fest, dass die Ausgaben für Kultur bis in die 1980er-Jahre im Verhältnis zu den allgemeinen Kommunal- und Länderetats stark gestiegen sind (Wagner 2003, 48). Erst in den 1990er-Jahren wirkte sich die Finanznot der öffentlichen Haushalte zunehmend auf die Kulturetats und Zuwendungen an die öffentlichen Theater aus. Immer mehr Theaterbetriebe sahen sich gezwungen zu fusionieren und Arbeitsplätze abzubauen. Etliche Spielbetriebe wurden eingestellt, so etwa 1993 das renommierte Berliner Schiller-Theater (vgl. Deutscher Bühnenvereins 2003a).

Die Interessenvertreter der öffentlichen Theater reagieren mit Reformvorschlägen, und publizistische Debatten kreisen um die Frage, was das Theater in unserer heutigen Gesellschaft „wert“ ist[4]. Im Dezember 2001 unternimmt eine vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau initiierte Expertengruppe den Versuch, die öffentliche Finanzierung des Theatersystems über seine gesellschaftliche Funktion zu begründen (Arbeitsgruppe „Zukunft von Theater und Oper in Deutschland“, 2002) und wenig später stößt der Deutsche Bühnenverein die bundesweite Kampagne „Theater muss sein“ an, die aus der „Krise des Theaters“ führen soll (vgl. Deutscher Bühnenverein 2003b). Ende 2007 schließt die Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ ihre vierjährige Tätigkeit ab und legt dem Deutschen Bundestag in einem 512-seitigen Schlussbericht Handlungsempfehlungen zum Schutz der Theaterlandschaft in Deutschland vor[5].

2. Begründungsstrategien staatlicher Theaterförderung

2.1 Die verfassungspolitische Begründungsdimension

Im Grundgesetz finden sich keine expliziten Ausführungen zum Schutz oder der Förderung von Theater. Ausgangspunkt für juristische und politische Argumentationen in der oben beschriebenen Debatte sind im Wesentlichen Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 30 des Grundgesetzes sowie deren Auslegungen durch das Bundesverfassungsgericht[6].

2.1.1 Kultur als Aufgabe der Länder

Aus Artikel 30 GG wird die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer im Bereich der Kultur abgeleitet[7]. Damit einher geht die Verpflichtung der Bundesländer ihre Kultureinrichtungen eigenständig zu finanzieren und zu verwalten. Diese umfassende Zuständigkeit der Länder wird vom BverfG „Kulturhoheit der Länder“ beziehungsweise „Kulturföderalismus“ genannt und ist integraler Bestandteil der föderalen Staatsordnung (Schneider 2008a, 33).

In der aktuellen Diskussion ist die Kulturhoheit der Länder weitgehend unumstritten und wird häufig mit der föderalen deutschen Tradition begründet, der die Formenvielfalt und weltweit einzigartige Dichte der deutschen Theaterlandschaft zu verdanken sei (Wagner 2006, 72f.; Enquête-Kommission 2007, 106). So konstatiert der derzeitige Kulturstaatsminister, Bernd Neumann: „Wenn es immer nur eine zentrale Zuständigkeit gegeben hätte wie in Frankreich, hätten wir nicht in jeder Stadt ein eigenes Theater“ (Neumann, 2006). Die Enquête-Kommission (2007, 43) hält in der Präambel ihres Schlussberichts fest, man setze auf Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Triebkräfte von Entwicklung. Diese Begründung korrespondiert mit dem „UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“, das am 18. März 2007 in Kraft trat[8]. Fuchs (2007, 57) hält die kulturelle Vielfalt für diejenige kulturpolitische Leitformel, die das „Begründungsgeschäft“ im Augenblick entscheidend erleichtere. Ein Grund dafür kann in der Anschlussfähigkeit dieses Konzepts zu anderen Diskursen gesehen werden. Die Rede von kultureller Vielfalt erlange unter anderem Akzeptanz durch die Vergleichbarkeit mit biologischer Vielfalt und deren nachgewiesener Relevanz, obwohl die dort gültigen empirischen Nachweise für den Kulturbereich erst einmal keine Bedeutung hätten (ebda, 56).

Ein weiteres Argument für die in Deutschland praktizierte dezentrale Kulturförderung liegt in der Erfahrung der NS-Diktatur, die das Theater (wie Kunst allgemein) für propagandistische Zwecke wie der Erzeugung völkischen Bewusstseins und eines Überlegenheitsgefühls der arischen Rasse missbrauchte (Nida-Rümelin 2006, 82). Es herrscht ein Grundkonsens darüber, dass die Zuständigkeit der Länder für den Kulturbereich maßgeblich dazu beiträgt, eine Wiederholung zentralistischer politischer Instrumentalisierung der Kunst zu verhindern (Opielka 2003, 4). So stieß die Behauptung des ehemaligen Kulturstaatsministers Michael Naumann, die Kulturhoheit der Länder sei „Verfassungsfolklore“ und „Ausdruck der Angst der Deutschen vor sich selbst", in der politischen Öffentlichkeit auf Unverständnis und führte zu der Erwiderung des Politikers Hans Zehetmair, der Kulturföderalismus sei vielmehr „Ausdruck der Angst vor einem neuen Joseph Goebbels“ (Kloepfer 2001, 23; Naumann 2000).

2.1.2 Die Freiheit der Kunst

Die massive Verfolgung von Künstlern durch den nationalsozialistischen Staat ist außerdem ein Argument für die Verankerung der Kunstfreiheit als Grundrecht in Artikel 5, Absatz 3 GG[9]. Dabei wird das sogenannte Kunstfreiheitsgebot, welches in der liberalen Tradition noch negativ gefasst war, heute vom BverfG zunehmend positiv als staatliche Gewährleistung der Freiheit ausgelegt (vgl. Opielka 2003, 1)[10]. So heißt es in dem berühmt gewordenen Schallplattenurteil vom 5.03.1974: „Art.5 Abs. 3 GG enthält zunächst [...] ein Freiheitsrecht für alle Kunstschaffenden und alle an der Darbietung und Verbreitung von Kunstwerken Beteiligten, das sie vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt in den künstlerischen Bereich schützt [...] Als objektive Wertentscheidung für die Freiheit der Kunst stellt sie dem modernen Staat [...] zugleich die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern“ (zitiert nach Fuchs 2007, 97)[11].

Bereits Waidelich (1991, 57f.) weist darauf hin, mit dieser Auslegung des BverfG könne die Theaterförderung nicht länger als eine freiwillige Aufgabe der Gemeinden verstanden werden. Vielmehr bestünde eine Verpflichtung der Kommunen zur Finanzierung, auch wenn Etatkrisen die Länder- und Gemeindefinanzen belasteten. Keinesfalls dürften hiernach Theater als Teile regionaler und kommunaler Kultur gegenüber den Gemeinschaftsaufgaben benachteiligt und vorab finanziell und damit auch in ihrem schutzwürdigen Freiheitsbereich verkürzt werden (vgl. Fuchs 2007, 97).

[...]


[1] Da die juristischen Grundlagen im politischen Diskurs zur staatlichen Kunst- und Kunstförderung eine wichtige Rolle spielen, wird zum Subsystem Politik in der vorliegenden Arbeit der Bereich des Rechts gezählt.

[2] Die Freiwilligkeit der Kulturförderung wird in der Diskussion auf den Verfassungsgrundsatz der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) zurückgeführt, ist jedoch umstritten. Knoblich (2004) weist z.B. darauf hin, dass sich die Freiwilligkeit durch Vorgaben der kulturellen Daseinsversorgung in den Gemeindeordnungen relativiere. Auch Waidelich (1991, 57) leitet aus den höchstrichterlichen Auslegungen von Art. 5 Abs. 3 GG eine Verpflichtung des Staates ab, das kulturelle Erbe zu pflegen und die Entwicklung von Kunst aktiv zu fördern.

[3] Ende August 2009 hat der Deutsche Kulturrat den Deutschen Bundestag aufgefordert, eine Korrektur der Schuldenbremse in der nächsten Legislaturperiode vorzunehmen, was insbesondere bei der CDU zu massiver Gegenwehr führte (vgl. CDU/CSU Fraktion 2009).

[4] So lautet der Themenschwerpunkt von Heft 4/2003 der „Deutschen Bühne“: „Vor dem Flächenbrand? Die Theater und die Finanzkrise“, und in den „Kulturpolitischen Mitteilungen“ (4/ 2003) werden Überlegungen zu notwendigen Strukturveränderungen im Theaterbereich angestellt.

[5] Im Folgenden abgekürzt mit „Enquête-Kommission“.

[6] Im Folgenden abgekürzt mit „BverfG“.

[7] Art. 30 GG lautet: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.“

[8] In dem „derzeit wichtigsten internationalen kulturpolitischen Dokument“ (Fuchs 2007, 41) findet sich folgende Begriffsbestimmung: „Die kulturelle Vielfalt zeigt sich nicht nur in der unterschiedlichen Weise, in der das Kulturerbe der Menschheit durch eine Vielzahl kultureller Ausdrucksformen zum Ausdruck gebracht wird, sondern auch in den vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der Verbreitung, des Vertriebs und des Genusses von kulturellen Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel und Technologien verwendet werden“ (Deutsche UNESCO Kommission 2006).

[9] Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes lautet: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“

[10] Zur Unterscheidung von „negativer“ und „positiver“ Freiheit vergleiche grundsätzlich Isaiah Berlin (1958).

[11] Der verfassungsrechtliche Schutz der Kunst durch das Kunstfreiheitsgebot wird in der Literatur häufig auch mit der Eigengesetzlichkeit der Kunst begründet: Kunst entziehe sich aufgrund ihrer spezifischen Steuerungsmechanismen einer inhaltlichen Kontrolle und Weisung von außen, heißt es bereits bei Hufen (1982, 180) und Boerner (2002, 24).

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Kulturpolitische Begründungsstrategien für die staatliche Theaterförderung in der Bundesrepublik Deutschland
Untertitel
Zum Stand der Diskussion
Hochschule
Universität Konstanz  (Lehrstuhl Management, insbesondere Strategie und Führung)
Veranstaltung
Kulturmanagement am Beispiel des Theaters
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V137467
ISBN (eBook)
9783640457656
ISBN (Buch)
9783640457700
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Kulturpolitische, Begründungsstrategien, Theaterförderung, Bundesrepublik, Deutschland, Stand, Diskussion
Arbeit zitieren
Anne-Marie Geisthardt (Autor:in), 2009, Kulturpolitische Begründungsstrategien für die staatliche Theaterförderung in der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137467

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