"Kreuzzug ins Ungewisse". Der historische Jugendroman im Geschichtsunterricht


Examensarbeit, 2009

87 Seiten, Note: 2-3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Der historische Jugendroman
2.1. Der historische Jugendroman - ein Definitionsversuch
2.1.1 Die Geschichte des historischen Jugendromans
2.1.2 Der historische Jugendroman nach
2.1.3. Die Definition des historischen Jugendromans
2.2. Imagination und Fiktionalitat
2.2.1 Imagination bei Hans-Jurgen Pandel
2.2.2 Imaginationsfahigkeit als zentrales Ziel bei Rolf Schorken
2.2.3 Imagination und Irritation bei Georg Veit
2.2.4. Die Konsequenz fur den historischen Jugendroman durch Imagination und Irritation
2.3. Anforderungen an den historischen Roman in Bezug auf einzelne didaktische Funktion des Geschichtsunterrichtes
2.3.1 Aufgabe und Ziel von Geschichtsunterricht
2.3.2 Geschichtsbewusstsein
2.3.3 Authentizitat
2.3.4 Personifizierung
2.3.5 Multiperspektivitat
2.3.6 Narrativitat
2.4. Auswahl der Literatur und Analysekriterien

3. Eingliederung in den historischen Kontext
3.1 Entstehung und Grunde des ersten Kreuzzuges
3.2 Die Bedeutung Jerusalems im Hohen Mittelalter
3.3 Der Kinderkreuzzug von

4. Der Roman „Kreuzzug ins Ungewisse“ von Thea Beckman
4.1. Eine Einfuhrung in den Inhalt des Romans
4.2 Analyse der Hauptfigur und ihre didaktische Bewertung
4.3. Untersuchung des Romans hinsichtlich der didaktischen und historischen Kritik
4.3.1 Die didaktische Funktion des Romans
4.3.2 Die historische Faktizitat des Romans
4.4. Der Roman im Geschichtsunterricht - Uberlegungen zur Unterrichtsgestaltung
4.4.1 Lernziele
4.4.2 Methoden fur den Umgang mit dem historischen Jugendroman im Geschichtsunterricht

5. Resumee

Literaturverzeichnis

Internetadressen

1. Einleitung

Bereits in fruhester Jugend habe ich begonnen mich fur historische Romane zu begeistern. Mein erster Kontakt mit diesem Genre war der Zeitreiseroman “Diebe der Zeit” von Monika Pelz aus dem Jahr 1986. Darauf folgten viele weitere und ich konnte auch beobachten, dass historische Romane, besonders mit dem Hintergrund von Zeitreisen, sich immer hoherer Beliebtheit erfreuen. Zu nennen seien hierbei Michael Crichton’s “Timeline”, der 2003 verfilmt wurde und die Zeitreise Romane von Suzanne Frank und Diana Gabaldon. Dies ist auch der Grund dafur, dass ich mich fur den Thea Beckmanns Roman „Kreuzzug ins Ungewisse“ entscheiden habe, der ebenfalls die Vergangenheit unter dem Gesichtspunkt der Zeitreise behandelt. Die Vorgehensweise Geschichte durch die Augen eines Zeitgenossen des 20. bzw. 21. Jahrhunderts zu betrachten scheint die Brucke zwischen Heute und Damals zu uberwinden und ladt dadurch ein, tiefer in das Geschehen einzutauchen. Dafur sprechen beispielsweise die Verkaufszahlen von Diana Gabaldons Romanen, die bei geschatzten 3,5 Millionen Exemplaren alleine in Deutschland liegen[1].

Aber auch historische Romane ohne fantastischen Hintergrund sprengen immer haufiger die Verkaufszahlen, unter anderem der Erfolgsroman “Der Medicus” von Noah Gordan, der 2005 bei einer Umfrage des ZDF auf Platz sieben der beliebtesten Bucher der Deutschen gewahlt wurden[2].

Der wohl bekannteste Roman, der sich auf fiktive Art und Weise mit einem historischen Thema auseinander setzt ist Umberto Ecos “Der Name der Rose”[3], der 1980 weltweit auf der Bestsellerliste stand.

Die heutigen Buchhandlungen besitzen meist eine groRe Auswahl an historischen Romanen. Das Bucherhaus Hugendubel[4] in Frankfurt am Main verfugt uber eine ganze Abteilung zu diesem Thema, die es dem Geschichtsinteressierten leicht machen soll, das passende Buch fur sich zu finden. Die Spanne reicht dabei von der Fruhgeschichte (die “Ayla-Saga”[5] ) bis in das 20.Jahrhundert.

Doch auch fur Kinder und Jugendliche sind historische Romane nicht uninteressant, vermitteln sie doch in kindgerechter Weise Wissen uber die jeweilige Zeitepoche und wecken Neugier zum Weiterlernen. Autoren, wie Harald Parigger, haben sich auf das Verfassen von historischer Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert und versuchen mit einer im vordergrundstehenden Abenteuergeschichte Geschichte zu vermitteln. Das diese Methode, Wissen spielend und spannend zu vermitteln, nicht nur im privaten Bereich stattfinden muss, soll diese Arbeit zeigen. Mit Hilfe des Romans „Kreuzzug ins Ungewisse“, der vor kurzem verfilmt und als „Bestes europaisches Kinderbuch“ ausgezeichnet wurde[6], mochte ich aufzeigen, dass es moglich ist, den Geschichtsunterricht mit Hilfe von Literatur zu gestalten. Meist werden im Geschichtsunterricht die ublichen Medien, wie Schulbuch, Bilder und Filme verwendet. Der Roman kann neue Moglichkeiten eroffnen und auch zur Leseforderung beitragen. Dabei besteht die Frage, unter welchen Bedingungen dies umsetzbar ist.

Der Themenschwerpunkt des Romans liegt bei dem deutschen Kinderkreuzzug von 1212, der in seiner Authentizitat sehr umstritten ist und im Unterricht meist gar nicht angesprochen wird. Das Ziel, dass ich mir durch den Roman erhoffe, besteht darin, dass die Schuler dadurch die Geschichte der Kreuzzuge und das Leben im Mittelalter nicht nur als „abstraktes Konstrukt“ betrachten, sondern vielmehr sich in die Vergangenheit hineinversetzen konnen und das Mittelalter als reale Vergangenheit zu verstehen.

2. Der historische Roman

2.1 Der historische Jugendroman - ein Definitionsversuch

2.1.1 Die Geschichte des historischen Jugendromans

Geschichte in literarische Formen zu setzen ist ein Phanomen, das bereits bei Aristoteles zu finden ist. Ihm zufolge sei es durch die “kunstlerische Darstellung” von Geschichte moglich, ein komplettes Bild ebendieser zu vermitteln[7].

Das Genre “historisches Kinder- und Jugendbuch”, bei dem geschichtliche Themen bewusst fur Jungere aufgearbeitet werden, findet sich erstmals in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts. 1779 verbindet Ludwig von Scholzer Fiktives mit historischen Ereignissen (“Vorbereitung zur Weltgeschichte der Kinder”), wobei das heute beliebte Medium des fiktiven Helden noch nicht zu finden ist[8]. Vielmehr handelt es sich bei diesem, wie auch bei anderen Buchern dieser Epoche, um “Sachbucher zur Welt- und Kulturgeschichte”[9].

Erst durch die historischen Romane von Walter Scott (“Ivanhoe”, “Rob Roy”) wird es ublich, einem fiktiven Helden den Verlauf der Handlung zu uberlassen[10]. Gunter Lange zufolge dienen die Werke des schottischen Schriftstellers (1771-1831) als “Vorbild fur ganze Schriftstellergenerationen ”[11].

Ab dem 19. Jahrhundert verandern sich die Schwerpunkte der Jugendliteratur. Im Interessenfeld stehen nun Romantik und romantisches Geschichtsverstandnis, bei dem besonders Wert auf die Moralbildung der Jugend gelegt wird[12]. Bei dieser Moralbildung stehen immer mehr Tugendhaftigkeit, Vaterlandsstolz und Nationalbildung im Vordergrund, so dass sich nach 1870/71 ein neues Subgenre herausbildet, das vor allem die deutsche Geschichte betont[13].

Durch diese Verwendung wird Geschichte und deren Vermittlung zum “wesentlichen Organ beim Aufbau von Nationalgefuhl [...] bzw. eines darauf grundenden wie darin wurzelnden Nationalbewusstseins”[14]. Somit auRert Janine Georg die Vermutung, dass historische Jugendliteratur in Deutschland eng mit der Entwicklung Deutschlands zum Nationalstaat verbunden ist[15].

Ehemals volkstumlich-heimatgeschichtliche Erzahlungen werden nach und nach von „chauvinistischen, hurrapatriotischen Geschichtsklitterung“[16] verdrangt, die vor allem die Bildung des Nationalstolzes vorantreiben.

Der Hohepunkt dieser Art des “Hurra-Patriotismus”[17] innerhalb der historischen Jugendromanes, hervorgerufen durch deutliche Tendenzen zum aggressiven Militarismus und Vermittlung eben dieses[18], ist zwischen 1890 und 1914 zu finden, der Zeit des deutschen Kaiserreichs und des Ersten Weltkrieges, in denen es hauptsachlich darum geht, die Jugend fur die Nation zu begeistern und ihren Kriegswillen zu bestarken. Dabei wird fast jede historische Figur literarisch aufgearbeitet und im Sinne des Nationalpatriotismus verwendet[19].

Um dieses Gefuhl bei den Jugendlichen zu bestarken, greift zu Beginn des Ersten Weltkrieges sogar das Militar in die Produktion von historischen Buchern ein[20].

Auch die bis dahin meist unbedeutende Madchenliteratur greift diese Moglichkeit auf und es erscheinen Titel, wie beispielsweise “Trotzkopfs Erlebnisse im Weltkrieg”(1916) und “Nesthakchen im Ersten Weltkrieg”[21].

Wahrend der Weimarer Republik findet sich keine Neuerung innerhalb der historischen Jugendliteratur. Viele Titel aus der Vorkriegszeit werden neu aufgelegt und nur wenige neue Werke erscheinen[22].

Wahrend des Dritten Reiches werden diese Art von Roman vor allem zu Propagandazwecken verwendet. Durch sie soll ein ideologisch gefarbtes Geschichtsbild in Umlauf gebracht werden[23]. Im Vordergrund dabei stehen vor allem germanische Heldensagen und soldatische Taten wahrend des Ersten Weltkrieges[24].

2.1.2 Der historische Jugendroman nach 1945

Ab dem Jahr 1945 muss die historische Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland zweifach betrachtet werden. Erstens fur die BRD und zweitens fur die DDR.

In der BRD werden alte Titel aus der Zeit vor dem Dritten Reich neu aufgelegt und gegebenenfalls von ideologischen Gedanken bereinigt. Bis in die 60er Jahre werden Themen, die den Nationalsozialismus betreffen weitgehendst gemieden. Erst im Zuge der Vergangenheitsbewaltigung, aufkeimend durch den Eichmann-Prozess und die Frankfurter Auschwitzprozesse, werden erste Jugendbucher mit diesem Thema verfasst. Eines der ersten hierbei ist die 1961 erschienene Erzahlung “Damals war es Friedrich” von Hans-Peter Richter[25].

In ihrer Arbeit “Fiktionalitat und Geschichtsvermittlung - unvereinbar?” stellt Janine Georg vier Entwicklungslinien der “geschichtserzahlenden Kinder- und Jugendliteratur” auf. Sie werden im Folgenden genannt:

1. Wie bereits erwahnt, werden viele Titel aus der Zeit vor dem Dritten Reich neu aufgelegt und von samtlichen Ideologien befreit.
2. Unter dem Einfluss auslandischer Autoren versuchen viele deutsche Schriftsteller einen literarischen Neuanfang. Ziel ist es, geschichtlichen Stoff abenteuerlich und nachlebbar aufzubereiten.
3. Auslandische Autoren werden nicht nur kopiert, ihre Werke werden auch zahlreich in Deutschland verlegt.
4. Zum Ende der 50er Jahre entsteht durch die Diskussion der Vergangenheitsbewaltigung und wegen judenfeindlicher Aktionen, wie Beispielsweise Schmierereien an Synagogen und Verwustung von Judenfriedhofen, innerhalb der Bevolkerung Aufklarungsliteratur, die der Jugend zum Verstandnis der Judenverfolgung und des Dritten Reiches dienen soll.

Diese vier Entwicklungslinien sind im Zeitraum bis 1989 fur Westdeutschland zu sehen. Hingegen wird seit 1946 in der DDR versucht Jugendliteratur sozialistisch einseitig zu pragen. Als Vorbild dient dabei die sowjetische Kinderliteratur, die als die “fortschrittlichste Kinderliteratur der Welt” betrachtet wird[26].

Im Vordergrund steht hier die sozialistische Idealvorstellung der SED. Besonderen Einfluss dabei hat seit 1946 der Verlag der Sowjetischen Militaradministration, da dieser einen GroRteil der in der SBZ veroffentlichten Jugendbucher herausbringt.

“Unsere ganze Literatur kann nur von einem einzigen Kriterium aus betrachtet werden: wie hilft diese Literatur den Kommunismus errichten und die Menschen erziehen, die den Kommunismus bauen?”[27]

Mit der Wende verandert sich auch das ostdeutsche Kinder- und Jugendbuch. In den Vordergrund einer “gesamtdeutschen” Kinder- und Jugendliteratur ruckt die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen seit 1933, wobei auch die Geschichte der DDR nun mit einbezogen wird[28]. Themen wie die Antike, das Mittelalter, die Franzosische Revolution und die Revolution von 1848 stoRen auf Interesse, besonders da sich die Sichtweise der Romane weitestgehend verandert hat. Die Erzahlungen werden nun meist mit der Sicht “von unten” dargestellt, was bedeutet, dass die Helden aus der unteren oder mittleren Bevolkerungsschicht stammen.

Auch wird der Protagonist zunehmend junger, ist nicht mehr der Feldherr oder Eroberer, sondern eine Figur, mit der sich die Leser mehr identifizieren konnen[29]. Ebenfalls eine Neuerung im Genre der historischen Jugendbucher ist der Einbezug von fantastischen Erzahlungen. Wahrend Ende der neunziger Jahre Zeitreiseromane und die Verbindung von Fantasy und Geschichte nur gelegentlich zu finden sind, andert sich dies vor allem durch die “Harry-Potter-Begeisterung”[30]. Fantastische Elemente, wie beispielsweise magische Rituale, Hexerei und unerklarliche Phanomene werden in den historischen Kontext eingegliedert, wobei die Autoren trotzdem um hochste historische Korrektheit bemuht sind (als Beispiel kann hier der Roman Alhambra von Kirsten Boie genannt werden, der diese Elemente miteinander verbindet). Nicht selten werden die Recherchearbeiten der Schriftsteller im Vor- oder Nachwort dokumentiert und auch Quellenangaben und

Literaturverzeichnisse sind immer haufiger in historischen Jugendromanen zu finden[31].

2.1.3. Die Definition des historischen Jugendromans

Da in dieser Arbeit der Jugendroman im Vordergrund steht, wird im laufenden Text ausschlieRlich auf diesen Bezug genommen werden. Dabei stellt sich jedoch zuerst die Frage, wie ein Jugendroman zu definieren ist. Wo befindet sich die Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenroman? Der Leiter des Instituts fur Jugendbuchforschung an der Goethe-Universitat Frankfurt, Prof. Dr. Ewers, erlautert, dass die Gesamtheit der Bucher, die von Kindern und Jugendlichen konsumiert wird, meist als Kinder- und Jugendliteratur bezeichnet werde[32]. Seiner Meinung nach bezieht sich die Bezeichnung Kinder- und Jugendlekture ausschlieRlich auf Werke, die von der Zielgruppe bewusst und freiwillig konsumiert werden. Somit fallen also Pflichtlekturen des Schulunterrichtes aus diesem Raster heraus[33].

Allgemein kann jedoch gesagt werden, dass unter „spezifischer Kinder- und Jugendliteratur [...] die fur Kinder und Jugendliche eigens hervorgebrachte Literatur zu verstehen“ ist; „sie umfasst all die Texte, die seitens ihrer Urheber von vornherein als potenzielle Kinder- und Jugendlekture gedacht werden[34]

Des weiteren unterteilt Monika Rox-Helmer das Jugendbuch in drei Kategorien, die in ahnlicher Form auch bei Ewers zu finden sind.

„1. Die Gesamtheit der von Jugendlichen rezipierten fiktionalen und nichtfiktionalen Texte wird als Jugendlekture bezeichnet.
2. Die Gesamtheit der fur Jugendliche als geeignet empfundenen Literatur wird als intentionale Jugendliteratur bezeichnet. Diese Literatur muss nicht fur Jugendliche geschrieben sein, wird ihnen aber zum Lesen empfohlen.
3. Die Gesamtheit der speziell fur Jugendliche geschriebene fiktionalen und nicht­fiktionalen Texte gilt als spezifische Jugendliteratur. Sie sind bewusst auf jugendliche Leserinnen und Leser im Alter zwischen zehn und sechzehn Jahren hin konzipiert.“[35]

Was nun aber genau ist ein historischer Jugendroman? Zwar versteht man unter historisch etwas “aus der Vergangenheit Stammendes”[36], jedoch ist dieser Begriff in dieser Form nicht auf das zu untersuchende Jugendbuch-Genre anzuwenden. Somit hat man sich auch innerhalb der Geschichtsdidaktik statt auf “Geschichtsroman” auf die Ausdrucke “historische Roman” oder „historisches Jugendbuch” geeinigt.

Hierbei handelt es sich also nicht um Romane und Erzahlungen, die aus der Vergangenheit stammen, also in vergangener Zeit verfasst wurden, sondern um solche, die sich mit dem Vergangenen beschaftigen und die Geschichte behandeln[37].

Zielgruppe dabei sind die zehn- bis sechzehnjahrigen Leser[38].

Eine weitere Definition findet sich bei Janine Georg, die sich hierbei auf Elisabeth Ott[39] bezieht. Demzufolge konnen auch Biografien, Marchenbucher und Abenteuerromane als historische Kinder- und Jugendromane bezeichnet werden, sofern sie sich eines historischen Inhaltes bedienen.

Aber auch die Unterscheidung von historischem und zeitgeschichtlichem Roman muss bedacht werden. Sie unterscheiden sich “gemaR der gangigen Auffassung”[40]. Im Worterbuch Geschichtsdidaktik wird Zeitgeschichte als die eigene, “soeben vergangene Geschichte” bezeichnet, also die Epoche des “Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung”[41].

Ausgehend vom Stand des Jahres 2009 wird also “Zeitgeschichte” ab dem Jahr 1945 festgemacht[42]. Eine ahnliche Erklarung findet sich auch bei Janine Georg. Hier ist nachzulesen, dass gerade fur die Generation der 1980er und 90er eine Verlagerung der zeitgeschichtlichen Grenze von der Jahrhundertwende auf das Jahr 1945 sinnvoll ist, da die meisten durch noch lebende Familienmitglieder einen direkten Bezug zu diesem Zeitraum herstellen konnen[43].

Andererseits ist bei Holger Zimmermann eine Erklarung zu finden, der zufolge die Zeit des Nationalsozialismus mit in die Zeitgeschichte genommen werden muss.

„Mit 'Zeitgeschichte' ist die jungste und jungere Vergangenheit gemeint, eine Vergangenheit, in deren unmittelbarer Auswirkung wir heute noch leben, zum Beispiel: Drittes Reich und seine Vorgeschichte, Zweiter Weltkrieg, Ost-West-Spannung, Konflikte der Dekolonialisierung und der Dritten Welt, Rassismus“[44]

Festzuhalten bleibt nach dieser Definition von Dahrendorf, dass Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und die unmittelbare Zeit davor und danach einen GroRteil der zeitgeschichtlichen Kinder- und Jugendliteratur ausmachen. Andere Themen, wie die 68er Bewegung und der Mauerbau, sind kaum anzufinden[45].

Untersucht man des weiteren die Erzahlmuster so fallt auf, dass es im Falle der historischen Jugendliteratur drei davon gibt.

1. Die Geschichtsvermittlung in Romanform
2. Die Erinnerungsarbeit und Vergangenheitsaufarbeitung
3. Die Kunstlerisch-literarische Geschichtsdarstellung

Bei der Geschichtsvermittlung in Romanform geht es in erster Linie darum, Sachinformationen korrekt anzubieten, wobei die „die epische Struktur (...) zur Wissensvermittlung genutzt“ wird[46].

Ahnlich, aber mehr auf die emotionale Betroffenheit abzielend, verhalt es sich mit der Erinnerungsarbeit und Vergangenheitsaufarbeitung. Anzufinden ist diese meist in zeitgeschichtlichen Romanen, die sich „auf literarischer Art mit historischen Prozessen und Ereignissen, sowie deren Einfluss auf Individuum und Gesellschaft“ befassen[47].

Das dritte Muster, die Kunstlerisch-literarische Geschichtsdarstellung, legt ihren Schwerpunkt nicht auf Faktizitat oder bewusste Geschichtsvermittlung und auch die padagogische Intention tritt in den Hintergrund. Vielmehr steht die dichterische Freiheit und die „kunstlerische Intention'[1] im Vordergrund. Zugunsten der Erzahlung wird auf historische Korrektheit haufig verzichtet[48].

Diese drei Muster verdeutlichen nochmals, dass ein historischer Jugendroman nicht pauschalisiert werden kann, und um die Qualitaten herauszuarbeiten auf seine Intention und seinen Inhalt untersucht werden muss.

2.2. Fiktion und Imagination

Ein herausstechender Kritikpunkt an dem historischen Jugendroman ist seine Fiktionalitat[49]. Die meisten Romane sind Werke Fachfremder, die historische Fakten auslassen und fiktives Hinzufugen. So besteht die Gefahr, dass der Lesende diese erfundenen Inhalte mit den geschichtlichen Tatsachen gleichsetzt. Es stellt sich also die Frage, ob dieses Medium uberhaupt geeignet ist fur den Geschichtsunterricht[50]. Der Kritik der Historiker und der absoluten Verneinung von Fiktion entgegnet von Reeken jedoch, dass auch Geschichtswissenschaftler, um Lucken in Quellen zu fullen, einen gewissen Grad an Fantasie einbringen mussen, die hier genannte „konkrete Fantasie“[51]. Geschichte ist nicht direkt erlebbar und daher gibt es verschiedene didaktische Ansatze, welche die Verwendung von fiktiven Texten unter Berucksichtigung bestimmter Aspekte durchaus befurworten.

Das wichtigste Stichwort hierzu ist die Imagination. Rolf Schorken betont in seinem Werk „Historische Imagination und Geschichtsdidaktik“ diesen Punkt: „Ohne Imaginationskraft keine Historie!“[52]

Ahnliche Ansatze finden sich auch bei Veit und Pandel. Im Folgenden werden diese drei Theorien von der Imagination naher betrachtet.

2.2.1 Imagination bei Hans-Jurgen Pandel

Fiktion im Geschichtsunterricht ist Pandel zu Folge unerlasslich. Dabei stellt sich jedoch die Frage „Wie viel Fiktion vertragt unser Geschichtsbewusstsein?“[53]

Solange die Fiktion als Konstrukt zu erkenne ist, ist ihre Verwendung fast unbegrenzt[54]. Denn nur durch die Unterscheidung von Fiktionalitat und Realitat kann bei jedem die Entwicklung eines kritischen und realistischen Geschichtsbewusstsein erfolgen. Sie bilden deren Fundament[55]. Jedoch muss diese Fahigkeit, Fiktion und Realitat zu unterscheiden, weiterhin gefordert werden, da sie sonst verkommt. Denn im Gegensatz zu vielen Historikern, die das Ziel des historischen Lernens in einem kritisch-rationalen Geschichtsbewusstsein sehen, betont Pandel, dass durch das vermehrte Auftreten von Asthetisierung und Visualisierung das Verlangen nach Fiktion immer grower wird[56].

In Film, Fernsehen, Musik und Literatur treten immer mehr historische Elemente auf, die durch Fiktion versuchen eine Nahe zum Konsumenten aufzubauen, dass es unerlasslich ist, eben jenen die Unterscheidung von Imagination und Realitat zu vermitteln.

Pandel betont daher, dass bereits im Geschichtsunterricht den Jugendlichen die Bedeutung von Fiktionalitat vermittelt werden soll, da es ihr historisches Lernen „bereichern“ kann[57]. Um diese Fiktionalitat jedoch bewusst zu machen sollte mit authentischen Materialien verwendet werden, die im Gegensatz zur Imagination stehen. Dazu gehoren Quellen, Dokumentationen, Sachbucher und ahnliches[58].

2.2.2 Imaginationsfahigkeit als Zentrales Ziel bei Rolf Schorken

Ahnlich wie Pandel sieht auch Schorken die Notwendigkeit der Imagination (Rox- Helmer nennt dies „Vorstellungsbilder“[59] ) im historischen Lernen. Nur durch klare Vorstellungen des Gelesenen kann Vergangenheit zuganglich gemacht werden. Schorken beabsichtigt „die Forderung und Entwicklung der Imaginationsfahigkeit zu einem zentralen Ziel historischer Bildung zu erklaren“[60].

Durch den hohen Konsum der Jugendlichen anderer Medien (Fernsehen, Videospiele u.a.) wird es immer wichtiger erzahlende Texte an sie heranzutragen und dadurch ihre Imaginationsfahigkeit zu starken. Diese fallt bei audiovisuellen Medien groRten Teils weg, da dort bereits Bilder, Gerausche und Sacherhalte vorgegeben sind und von den Konsumenten keine eigene Fantasie verlangen[61]. Texte rufen hingegen eigene Vorstellungsbilder hervor, sind Individuell und subjektiv. Wie diese Imagination ausfallt ist abhangig vom „eigenen Erfahrungshorizont des Lesers“[62] und dessen Vorstellungskraft.

Dieser Imaginationen bedienen sich, so Schorken, auch Historiker, da aus den Quellen und Materialien nicht alles hervorgeht.

„Eine Waffe ist nur dann als Waffe zu identifizieren wenn man sich vorstellen kann, wozu sie gebraucht und wie sie gehandhabt wurde. Diese primare Sich-Vorstellen, das den Anfang der Arbeit des Historikers bildet, ist phantasiegebunden und hat mit der fiktiven Welt des Schriftstellers mindestens so viel zu tun wie mit der des strengen realistischen Empirikers. “[63]

Da zwischen Vergangenheit und der Gegenwart des Lesers nur schwer eine Verbindung hergestellt werden kann muss eine Brucke erstellt werden, die beide verbindet. Schorken begrundet also die Imagination, in Anlehnung an Paul Ricoeur, durch die Narratio. Sie besagt, dass das Paradoxe dadurch ablost wird, da sie (die Narratio) „eine eigene Referentialitat zwischen Representation und Konstruktion entfaltet“[64]. Die Erzahlung muss also als „radikaler individueller Horizont fungieren und verstandlich [...] sein[65]. Nur so kann „unverstandenes“ erklart und deutlicher werden.

Die Narratio kann also die zeitlich Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufheben[66]. Sie bedingt die Imagination.

Schorken unterscheidet des weiteren vier verschiedene Typen der historischen Imagination:

Imagination als Moment der historischen Rekonstruktion (1), historischer Rezeption (2), narrativer Identitat (3),und der Aneignung des historischen Gegenstandes (4)[67]. Ihm zufolge dient historische Imagination als „Brucke in die zweite Wirklichkeit [68].

2.2.3 Imagination und Irritation bei Georg Veit

Dem Gedanken von Schorken setzt Veit einen entscheidenden Punkt hinzu. Historische Imagination sei zwar wichtig, berge jedoch die Gefahr einer fehlenden Distanz zwischen Realitat und Fiktion. Durch einen Zwischenschritt mochte er dieses „Abtauchen“ verhindern[69]. Diesen nennt Veit Irritation, der zwar bereits bei Schorken Erwahnung findet, jedoch nicht weiter beachtet worden ist.

Die Irritation soil die Kritikfahigkeit am Gelesenen begunstigen. Erst durch sie kann eine historische Analyse stattfinden, die das verstehen historischer Inhalte voraussetzt. Historisches Lernen wird aktiv in Gang gesetzt.

Imagination schafft also eine innere, emotionale Bereitschaft sich mit historischen Fragen zu befassen, wahrend Irritation eben diese stellt[70]. Somit wird die rein gefuhlsmaRige Wahrnehmung des Themas auf die analytische Ebene gehoben.

2.2.4. Die Konsequenz fur den historischen Jugendroman durch Imagination und Irritation

Nachdem nun die drei Ansatze von Pandel, Schorken und Veit vorgestellt worden sind stellt sich die Frage, welche Konsequenz der historische Jugendroman daraus ziehen muss. Imagination und Irritation sind unabdingbar im Umgang mit dem Medium Geschichtsroman, sei es nun im Unterricht oder als Privatlekture[71].

Dem Vorwurf, historische Jugendromane nahmen keine Rucksicht auf historische Strukturen, wurden als Tatsachenberichte betrachtet und die Distanz zur Geschichte reduzieren[72], kann durch die Anwendung von Irritation entgegengewirkt werden.

Eine durchaus angebrachte Kritik jedoch ist der Zeitaufwand, den die Verwendung von Romanen im Geschichtsunterricht fordert. Im Durchschnitt stehen einem Lehrer in der Jahrgangsstufe acht einer Realschule zwei Unterrichtsstunden pro Woche zur Verfugung[73]. Einen Roman von mehreren hundert Seiten in diesem Zeitrahmen zu bewaltigen erweist sich in der Praxis als schwieriges Unterfangen.

Und doch, so Rox-Helmer, uberwiegen die positiven Eigenschaften des Einsatzes von historischen Romanen im Unterricht. Beispielsweise wirken die Jugendbucher motivierend auf die Schuler, vermitteln ein Gesamtbild von Geschichte und ermoglichen den Jugendlichen die epochalen Ereignisse besser zu begreifen[74].

Des weiteren beinhaltet die Auseinandersetzung mit Menschen einer anderen Zeit auch eine mit dem eigenen „Ich“ und der eigenen Lebenswelt. Durch die Imagination einer fremden Zeit ist der Lesende automatisch dazu gezwungen einen Vergleich zur eigenen Lebenswelt zu ziehen[75]. Der historische Jugendroman hilf also dabei, die eigene Umgebung besser zu verstehen und die eigene Person in einen zeitlichen Kontext zu setzten.

2.3. Anforderungen an den historischen Romans in Bezug auf die didaktische Funktion des Geschichtsunterrichtes

2.3.1. Aufgabe und Ziel von Geschichtsunterricht

Im Lehrplan Geschichte fur die Jahrgangsstufe 5 bis 10 an Realschulen in Hessen ist folgende Definition zu finden:

„Eine demokratische Gesellschaft braucht mundige, informierte und politisch handlungsfahige Burger. Wie Menschen Gegenwart und Zukunft gestalten, ist auch davon abhangig, wie sie Vergangenheit beurteilen. Hier liegt ein entscheidender Beitrag des Faches Geschichte zur politischen Bildung. “[76]

Des weiteren soll es Ziel sein, den Schulern historisches Bewusstsein, Denken und Wissen zu vermitteln[77]. Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit entsteht ein, wie bereits in 2.2 erwahntes, groOeres Verstandnis fur die eigene Umwelt und Gegenwart[78]. Jeder Mensch handelt nach einem bestimmten Muster, dass durch Vergangenes und Geschichte bestimmt ist. Ziel ist es also dem Schuler bei der Identitatsbildung zu helfen[79].

So finden sich bei Uffelmann folgende zwei Aufgaben von Geschichtsunterricht:

1. Die Lebensweltliche Einbindung des Individuums in die Geschichte muss bewusst gemacht werden.
2. Geschichtsbewusstsein muss aufgebaut und differenziert werden.[80]

Ein zentraler Begriff zur Erfullung dieser Aufgaben ist das Geschichtsbewusstsein, das bei Pandel Erwahnung findet (s. 2.3.2).

Geschichtsunterricht ist von jeder Form der Vermittlung von historischem Wissen die systematischste. Durch klare Strukturen und verschiedene Ebenen kann dem Schuler zielgerichtet Wissen vermittelt werden, unter Berucksichtigung der Relevanz der verschiedenen Themen. SchlieRlich soll erlernt werden, dass Handeln und Denken immer „zeit-, standort- und interessengebunden“ sind,[81] Werte im Laufe der Zeit Veranderungen unterliegen und Vergangenheit auch immer Auswirkungen auf die Gegenwart hat.

Hierzu unterscheidet Sauer sechs verschiedene Ebenen, die im Geschichtsunterricht behandelt werden sollen:

1. historischen Orientierung
2. Themen
3. „historisches Denken“
4. Kategorien
5. Sachbereiche
6. Fachspezifische Arbeitsweisen[82]

Die historische Orientierung geht davon aus, dass nur eine bestimmte Auswahl an Geschichtsthemen behandelt werden kann. Wichtig dabei ist es, dass die Schuler einen Orientierung uber die wichtigsten Personen, Ereignisse und Zeitabschnitte erhalten. Aus dieser Schnittmenge ergeben sich die Themen im Geschichtsunterricht.

Der Begriff des „historischen Denkens“ erweist sich als komplizierter zu erlautern, als seine beiden Vorganger. Vor allem soll dem Schuler bewusst gemacht werden, dass Geschichte im wesentlichen ein Konstrukt ist, es also zwar Fakten gibt, aber keine allubergreifende historische Wahrheit. Des weiteren muss erlautert werden, dass Geschichte nur durch Uberlieferung und Quellen greifbar wird, sie ist nicht „unmittelbar anschaubar“[83].

Die sieben Ebenen von Geschichtsbewusstsein nach Pandel sollen ebenfalls das historische Denken begunstigen und erhalten somit einen zentralen Punkt im Geschichtsunterricht.

Gleichfalls mussen vom Schuler verschiedene Kategorien unterschieden werden konnen, die ihre Anwendung nur im Bezug auf bestimmte Inhalte finden. Zu diesen Kategorien gehoren beispielsweise: Epoche, Herrschaft und politische Partizipation, Krieg und Frieden, Religion, Kultur und Mentalitat, Menschenrecht, Emanzipation u.a.[84]. Auch die Betrachtung von Geschichte unter verschiedenen Sachbereichen, wie Politik, Wirtschaft, Krieg, Technik, Arbeit, soziale Verhaltnisse, Alltag u.a. muss stattfinden[85].

Letztlich ist auch die fachspezifische Arbeitsweise von grower Bedeutung, schlieRlich ist diese eine „grundlegende Voraussetzung fur die Entwicklung von historischen Denken und Verstandnis [86]. Eine jede Arbeitsweise muss so abgestimmt sein, dass sie genau diese Bereiche fordert und umfangreich vermittelt. Dabei kann in drei Kategorien unterschieden werden; in die methodenorientierte, die spielerische und die prufende.[87] Die genaue Verwendung von Medien und Methoden ist dabei unumganglich, da nur dadurch Wissen effektiv vermittelt werden kann und eine Ergebnissicherung stattfindet.

Nachdem nun Ziele und Aufgaben des Geschichtsunterricht erlautert wurden, muss nun beleuchtet werden, welche besonderen didaktischen Funktionen der Unterricht einnimmt und welche Konsequenz daraus fur den historischen Jugendroman hervor geht.

2.3.2 Geschichtsbewusstsein

Seit der PISA-Studie 2000, bei der das Fach Geschichte zwar nicht beteiligt, aber durchaus betroffen war, wird versucht „Bildungsstandards“ zu formulieren. Hierbei unterscheidet man zwei verschiedene Varianten; die content standards und die performance standards [88]. Unter der ersten Variante versteht man das Wissen von Ereignissen, unter der zweiten die Art und Weise, wie mit historischem Wissen umgegangen werden muss. Sowohl PISA, als auch die Klieme-Expertise von 2007 sehen in den performance standards die Hauptkompetenzen, die im Unterricht vermittelt werden sollen. Fur den Geschichtsunterricht bedeutet dies „die 'Fahigkeit mit 'Geschichte' umzugehen“[89].

Es geht also nicht in erster Linie darum reines historisches Wissen, wie Zahlen, Fakten und Ereignisse zu vermitteln, sondern auch wie mit diesem Wissen umgegangen werden muss und was dies fur den einzelnen, in der Gegenwart befindlichen, bedeutet.

Ein zentraler Begriff hierfur ist das Geschichtsbewusstsein. Es befasst sich mit der Vermittlung und Rezeption von Geschichte in jeglicher Form[90]. Im Unterricht sollen „Verantwortungsbereitschaft und Verantwortungsfahigkeit“ oder „Erfahrung menschlicher Existenz“ erlangt werden, doch durch reines Faktenwissen und der Abstraktion von Ereignissen, wie beispielsweise die Franzosische Revolution oder die Kreuzzuge im Mittelalter, kann dies nicht erreicht werden. Hierzu wird der didaktische Handgriff des Geschichtsbewusstseins gebraucht. Geschichtsbewusstsein seinerseits muss, laut Pandel, in sieben Dimensionen unterschieden werden.

„1. Zeitbewusstsein (fruher - heute - morgen) [...]
2. Wirklichkeitsbewusstsein (real/historisch - imaginar) [...]
3. Historizitatsbewusstsein (statisch - veranderlich) [...]
4. tdentitatsbewusstsein (wir - ihr/sie) [...]
5. Politisches Bewusstsein (oben - unten) [...]
6. Okonomische Bewusstsein (arm - reich) [...]
7. Moralisches Bewusstsein (richtig - falsch) [...]‘[91]

- Das Zeitbewusstsein, oder auch Temporalbewusstsein befasst sich mit der Zeit als Orientierungssystem[92]. Wichtig dabei ist, dass der Jugendliche oder das Kind lernt die drei Zeitmodi „Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft“ zu unterscheiden und die Ereignisse auch dementsprechend einzuordnen[93].

- Beim Wirklichkeitsbewusstsein geht es darum zwischen realen und fiktiven Personen und Ereignissen zu unterscheiden. Besonders schwer ist dies, wenn Mythen / Legenden sich mit tatsachlichen Ereignissen vermischen[94]. Besonders jungeren Kindern fallt es schwer Figuren wie Asterix oder Prinz Eisenherz als fiktiv zu erkennen. Hier muss dann das Wirklichkeitsbewusstsein geschult, und der Fakt vermittelt werden, dass es nicht nur „wissenschaftliche Geschichte“[95] gibt, sondern auch die „kontrafaktische Geschichte“[96].

- „Historizitatsbewusstsein meint die Einsicht, dass Verhaltnisse nicht gleich bleiben, sondern sich in der Zeit verandern.“[97] Hierbei muss also die Erkenntnis erworben werden, dass fast alles innerhalb der Geschichte, auch der eigenen, veranderlich ist. Davon sind sowohl Ereignisse, als auch Personen, Einstellungen, Gefuhle und Sachverhalte betroffen[98].

- Der Fahigkeit ein historisches Zugehorigkeitsgefuhl wahrzunehmen und zu reflektieren obliegt dem Identitatsbewusstsein[99]. Dabei geht es in erster Linie zwischen dem „Wir“ und dem „Ihr“ zu unterscheiden. Durch dieses Bewusstsein fuhlt der Mensch sich zu bestimmten Gruppen innerhalb der Geschichte zugehorig, sei es nun aus politischen, sozialen oder nationalen Grunden[100]. Beispielsweise bezieht sich Aussage „Wir haben den Zweiten Weltkrieg verloren“ auf die Gruppenzugehorigkeit der Nation / Deutschland.

- Politisches Bewusstsein zeigt die Unterscheidung und Gliederung von Gesellschaft auf. Es stellt politische Machtverhaltnisse dar und hilft zwischen „oben“ und „unten“ zu differenzieren[101].

- Eine Ahnliche Unterscheidung zeigt das Okonomische Bewusstsein auf. Hierbei geht es in erster Linie darum, Arm und Reich voneinander abzugrenzen, die okonomischen und wirtschaftlichen Diskrepanzen zu erkennen und deren Folgen zu begreifen[102].

- Um richtig und falsch zu unterscheiden benotigt es des Moralischen Bewusstseins. Vor allem geht es dabei um die angemessene Wahrnehmung verschiedener Situation und Ereignisse, da sich die heutigen Vorstellung von „gut“ und „schlecht“ von denen in der Vergangenheit liegenden unterscheiden konnen[103].

Die erste drei Kategorien nennen sich Basiskategorien, wahrend die letzteren vier als soziale Kategorien bezeichnet werden. Zentral bei allen Dimensionen des Geschichtsbewusstseins ist, dass sie sich auf alle drei Zeitebenen beziehen; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese stehen in unmittelbarer Verbindung, bestimmen sich gegenseitig und bauen aufeinander auf. So bezeichnet sich die Gegenwart als historisches Gewordene und die Zukunft als Werdendes[104]. Alle sieben Dimensionen sind vielfach untereinander kombinierbar und verweisen aufeinander.

Geschichtsbewusstsein existiert jedoch nicht nur in dieser Form sondern noch als individuelle. Dabei ist das historische Bewusstsein von der eigenen Struktur des Lernenden gekennzeichnet, das sich aus dessen Sinnbildungsprozess ergibt.

Pandel halt dabei fest, dass „Geschichtsbewusstsein nach seiner strukturellen Dimensionierung wieder auf Selbstbewusstsein“ zuruckgefuhrt, und „Geschichtsbewusstsein als Identitat von Sach- und Selbstbewusstsein“ bezeichnet werden kann[105]. Daraus ergibt sich, dass Geschichtsbewusstsein reflexiv ist und darin eine Einheit von Gegenstands- und Selbstbewusstsein bildet[106].

Ziel und Voraussetzung fur den Geschichtsunterricht ist also das Geschichtsbewusstsein.

Welche didaktische Konsequenz entsteht dadurch fur den Einsatz historischer Jugendbucher? Geschichtsbewusstsein „umfasst uber das Wissen hinaus auch die Vorstellung und Deutung von der Vergangenheit sowie die daraus resultierende Einstellung“[107]. Damit sind alle Prozesse gemeint, also auch alle fiktiven, die Eingang in den Geschichtsunterricht finden.

Besonders die von Pandel genannten sieben Dimensionen helfen dabei fiktive Erzahlungen differenziert zu betrachten und den daraus historisch relevanten Teil herauszuarbeiten. Beispielsweise hilft die Kategorie des Wirklichkeitsbewusstseins ein Unterscheidung zwischen imaginaren Personen, Ereignissen und Orten. Gerade die neuere Jugendliteratur bedient sich des fiktiven Titelhelden, der in einen historischen Kontext gesetzt wird. Ohne die Fahigkeit, die durch geschultes Geschichtsbewusstsein hervorgerufen wird, kann diese Unterscheidung nicht stattfinden. Es ist daher unausweichlich von der ersten Unterrichtsstunde an Geschichtsbewusstsein zu fordern. Unterstutzung findet sich hierfur in historischen Jugendromanen, welche die verschiedenen Bewusstseinsebenen deutlich machen. Die Konsequenz fur die Romane liegt schlieRlich darin, genau diese Differenzierungen vorzunehmen und aufzuzeigen. Durch die Konfrontation von historischem und fiktivem Erzahlgut kann das Geschichtsbewusstsein geschult werden.

2.3.3 Authentizitat

Authentizitat, aus dem Griechischen stammend und soviel wie echt, zuverlassig bedeutend, obliegt die Eigenschaft Aussagen, Quellen, Orten, Personen und anderen Dingen ihre Echtheit zu kennzeichnen[108]. Somit kann jede tatsachlich geauRerte Aussage als authentisch gelten, auch wenn sie in ihrem Inhalt nicht der Wahrheit entspricht. Wichtig ist, dass sie in dieser Form getatigt wurde. Durch die Herausbildung des Geschichtsbewusstseins, wie in 2.3.2 beschrieben, resultiert das Verlangen nach Authentizitat. Besonders durch die Dimension des Wirklichkeitsbewusstseins ist die Frage nach der Authentizitat unumganglich[109]. Diese wird von Geschichtswissenschaftlern durch Quellenverweise und nachvollziehbaren Literaturverzeichnissen befriedigt. Selbst in Schulbuchern kann jede Aussage auf ihre Authentizitat hin uberpruft werden.

Tritt dieser Nachweis nicht mehr auf kann der Text oder das Bild nicht mehr als authentisch gelten und verliert dadurch seinen wissenschaftlichen Anspruch. Ihm wird dann Fiktionalitat zugesprochen. Dieses Phanomen tritt vor allem beim historischen Jugendroman auf, aber auch Spielfilme, Comics und andere Medien sind davon betroffen[110].

Jedoch ist beim historischen Jugendroman die Grenze zwischen „real“ und „fiktiv“ nicht immer deutlich zu sehen, weswegen in verschiedene Formen der Authentizitat unterschieden wird. Zum einen gibt es die Personen- bzw. Ereignisauthentizitat, die auf tatsachlich existente Personen und Sachverhalte stutzt und von der Geschichtswissenschaft verwendet wird.

Der Schriftsteller eines historischen Romans hingegen bedient sich anderer Moglichkeiten. So sind hier (wie auch bei anderen Medien) beispielsweise die Figuren zwar nicht authentisch, jedoch ihr Handeln und Verhalten, was mit typenauthentisch beschrieben werden kann. Auch Ereignisse, die als Rahmenhandlung stattfinden, konnen real sein, wahrend ein zweiter, fiktiver Erzahlstrang hinzugefugt wird. Dann spricht man von Erlebnisauthentizitat[111].

Des weiteren nennt Pandel die Quellenauthentizitat, bei der ein Text uber die Zeit berichten, in der er entstanden ist, und die Reprasentationsauthentizitat, in der fiktive Ereignisse in eine realhistorische Hintergrunderzahlung eingefugt werden[112]. Beachtet werden muss also beim Einsatz von historischen Jugendbuchern unter Berucksichtigung der Authentizitat, ob der realhistorische Anteil auch nachvollziehbar und belegt ist.

[...]


[1] http://www.randomhouse.de/author/author.jsp?per=33467&mid=3#tabbox, 12.05.2009

[2] http://www.der-grosse-deutsche-roman.de/2006-10-03/top-50-der-deutschen- lieblingsbuecher/, 12.05.2009

[3] ECO, Umberto, Der Name der Rose, Munchen 2007

[4] gemeint ist der Hugendubel an der Hauptwache, Steinweg 12

[5] AUEL, Jean M., Ayla und der Clan der Baren (1. Band vom funf bandigen Zyklus), Munchen 2000

[6] BECKMAN, Thea, Kreuzzug ins Ungewisse, Stuttgart 2003, S.2

[7] Vgl. GEORG, Janine Christina, Fiktionalitat und Geschichtsvermittlung - unvereinbar?, Hamburg 2008, S.XI

[8] Vgl. ROX-HELMER, Monika, Jugendbucher im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts 2006, S.21

[9] Vgl. GEORG, S.16

[10] Vgl. ebd. S.17

[11] Vgl. LANGE, Gunter, Das geschichtliche Jugendbuch, S.329 in GEORG, S.18

[12] Vgl. ebd. S.17

[13] Im weiteren Verlauf werde ich mich auf die deutsche Jugendliteratur beschranken.

[14] STEINLEIN, Rudiger, Geschichte als Jugendbuch; S.22 in GEORG, S.19

[15] Vgl. GEORG, S.19

[16] LANGE, S.330 in GEORG, S.19

[17] Vgl. ROX-HELMER, S.22f

[18] Vgl. ebd., S.22

[19] Vgl. ebd., S.22

[20] Vgl. ebd., S.23

[21] Beide Titel werden nicht mehr verlegt, da sie nach 1945 auf der Zensurliste der alliierten Kontrollbehörden stehen.

[22] Vgl. GEORG, S.23

[23] Vgl. GEORG, S.23

[24] Vgl. ZIMMERMANN, Holger, Geschichte(n) erzahlen, Frankfurt am Main 2004, S.28

[25] Vgl. ebd., S.28f

[26] Vgl. HAVEKOST, Hermann, Helden nach Plan? Kinder- und Jugendliteratur der DDR zwischen Wagnis und Zensur; Oldenburg 1993, S.194

[27] Vgl. ebd., S.193

[28] Vgl. GEORG, S.27

[29] Vgl. ebd., S.27

[30] Vgl. ROX-HELMER, S.27

[31] Vgl. ebd., S.27

[32] Vgl. EWERS, Hans-Heino, Literatur fur Kinder und Jugendliche Eine Einfuhrung, Munchen 2000, S.16

[33] Vgl. ebd., S.16f

[34] Ebd., S.23

[35] ROX-HELMER, S.12

[36] Ebd. S.12

[37] Vgl. ebd., S.13 und REEKEN, Dietmar von, Das historische Jugendbuch in PANDEL, Hans-Jurgen (Hrsg.), Handbuch Medien um Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2007, S.69

[38] Vgl. GEORG, S.15

[39] Vgl. OTT, Elisabeth: Historische Romane fur Kinder und Jugendliche, Frankfurt/Main 1998 in GEORG, S. 13

[40] GEORG, S.13

[41] Vgl. KENKMANN, Alfons, Zeitgeschichte in MAYER, Ulrich / PANDEL, Hans-Jurgen u.a. (Hrsg.), Worterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Ts. 2009, S.200

[42] Vgl. MOLLER, Horst / WENGST, Udo, Einfuhrung in die Zeitgeschichte, Munchen 2003, S.17

[43] Vgl. GEORG, S.13f

[44] DAHRENDORF, Malte, Das zeitgeschichtliche Jugendbuch zum Thema Faschismus / Nationalsozialismus, S.205 in ZIMMERMANN, S.25

[45] Vgl. GEORG, S.33

[46] GEORGE, S.124

[47] Ebd., S.125

[48] Vgl. ebd., S.125

[49] Vgl. REEKEN, S.69

[50] Vgl. ROX-HELMER, S.16

[51] Vgl. REEKEN,S.69

[52] SCHORKEN, Rolf, Historische Imagination und Geschichtsdidaktik in REEKEN, S.70

[53] REEKEN, S.70

[54] Vgl. GEORG, S.78

[55] Vgl. ebd. S.78

[56] Vgl. REEKEN, S.71

[57] Vgl. GOERG, S.78

[52] Vgl. ebd. S.78

[59] Vgl. ROX-HELMER, S.32

[60] REEKEN, S.70

[61] Vgl. GEORG, S. 79

[62] GEORG. S.79

[63] REEKEN, S.70

[64] RENN, Joachim, Sozialexistenzialismus - Moderne Identitat als soziale Existenzialitat in ENDRER, Martin / ROUGHLEY, Neil (Hrsg.), Anthropologie und Moral, Wurzburg 2000, S.438f

[65] Ebd. S.438

[66] Vgl. REEKEN, S.70

[67] Vgl. GEORG, S.80

[68] GEORG, S.80

[69] Vgl. ebd.

[70] Vgl. ebd.

[71] Vgl. ebd. S.82

[72] Vgl. ROX-HELMER, S.16f

[73] Vgl. http://www.kultusministerium.hessen.de/irj/HKM_Internet?rid=HKM_15/HKM_Intemet/nav/ef6/ ef63019a-8cc6-1811-f3ef-ef91921321 b2%26_ic_uCon=aa770859-b415-2a01 -e76c-d97ccf4e69f2 .htm&uid=ef63019a-8cc6-1811 -f3ef-ef91921321b2, 09.03.2009

[74] Vgl. ROX-HELMER, S.18f

[75] Vgl. ebd., S.19

[76] Lehrplan Geschichte, Bildungsgang Realschule, Hessisches Kultusministerium, S.3, http://download.bildung.hessen.de/unterricht/lernarchiv/lehrplaene/realschule/geschichte/ LPRealGeschichte.pdf, 11.03.09

[77] Vgl. ebd. S.3

[78] Vgl. SAUER, Michael, Geschichte unterrichten Eine Einfuhrung in die Didaktik und Methodik, Seelze-Velber 2008, S.18

[79] Vgl. UFFELMANN, Uwe, Das Mittelalter im historischen Unterricht, Dusseldorf 1978, S.13

[80] Vgl. UFFELMANN, Uwe, Problemorientierung beim historischen Lernen in GWU, Jg. 43,1992, S.629

[81] SAUER, S.18

[82] Vgl. SAUER., S.19 ff

[83] Ebd., S.20

[84] Vgl. ebd., S.20

[85] Vgl. ebd., S.20 f

[86] Ebd., S.21

[87] Vgl. MAYER / PANDEL, S.20

[88] Vgl. PANDEL, Hans -J urgen, Geschichtsunterricht nach PISA, Schwalbach/Ts. 2007, S.6

[89] Ebd., 2007, S. 6

[90] Vgl. SAUER, S.9

[91] ROX-HELMER, S.30

[92] Vgl. PANDEL, S. 10

[93] Vgl. SAUER, S.15

[94] Vgl. ebd.

[95] SAUER, S.13

[96] Ebd.

[97] Ebd., S. 16

[98] Vgl. PANDEL, S.14

[99] Vgl. SAUER, S.16

[100] Vgl. PANDEL, S. 14

[101] Vgl. BERGMANN, S. 125

[102] Vgl. ebd.

[103] Vgl. SAUER, S.16

[104] Vgl. ebd. , S.10

[105] PANDEL, Geschichtsunterricht nach PISA, S. 21

[106] Vgl. ebd.

[107] ROX-HELMER, S.28

[108] Vgl. PANDEL, Hans-Jurgen, Authentizitat, in PANDEL / MAYER, Worterbuch Geschichtsdidaktik, S. 30f

[109] Vgl. ebd.

[110] Vgl. GEORG, S.198

[111] Vgl. PANDEL, S.25 f

[112] Vgl. ebd., S.26

Ende der Leseprobe aus 87 Seiten

Details

Titel
"Kreuzzug ins Ungewisse". Der historische Jugendroman im Geschichtsunterricht
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2-3
Autor
Jahr
2009
Seiten
87
Katalognummer
V137396
ISBN (eBook)
9783668793538
ISBN (Buch)
9783668793545
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kreuzzug, Geschichte, Jugendroman, Reeken, GU, Geschichtsunterricht, Roman, Medien, Kinderkreuzzug, historisch, Mittelalter, Imagination, Gegenwartsbezug, Geschichtsbewusstsein
Arbeit zitieren
Cynthia Loeb (Autor:in), 2009, "Kreuzzug ins Ungewisse". Der historische Jugendroman im Geschichtsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137396

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