Die Theorie der "neuen Kriege"

Darstellung und kritische Analyse


Seminararbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Die „alten“ Kriege

II. Die Theorie der „neuen Kriege“
1. Staatsbildung und Staatszerfall
2. Akteure
3. Erscheinungsform des Krieges
4. Ökonomie des Krieges
5. Ergänzende Überlegungen

III. Politisch-ethische Herausforderungen
1. „Neue“ Interventionen
2. Das Dilemma der Intervention

IV. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben sich Kriege und bewaffnete Konflikte in ihrem Erscheinungsbild grundsätzlich gewandelt. Von dieser Annahme ausgehend entstand die Theorie der „neuen Kriege“, die seit Beginn dieses Jahrhunderts eine poli-tikwissenschaftliche Debatte über das Wesen des Krieges ausgelöst hat.

Der Terminus „neue Kriege“ geht auf die britische Politologin Mary Kaldor zurück, die sich im Jahre 1999 diesem Phänomen erstmals zuwendete und am Beispiel der Kriege im ehemaligen Jugoslawien eine Unterscheidung zwischen „alten“ und „neuen“ Kriegen beschrieb. Im deutschsprachigen Raum vertritt vor allem Herfried Münkler die Theorie der „neuen Kriege“, die er systematisch und theoretisch aufgearbeitet hat. Die Aus-sagekraft dieser Theorie ist allerdings umstritten und hat zu einer Kontroverse innerhalb der Kriegsforschung geführt.

An dieser Stelle wird die Konzeption der „neuen Kriege“ – in ihrer Abgrenzung zu den „alten“ Kriegen – anhand ihrer zentralen Aussagen dargestellt und analysiert. Nach einer Skizze der „alten“ Kriege im ersten Kapitel geht die Analyse dabei zunächst auf die These des Staatszerfalls ein, die den Kern der Theorie der „neuen Kriege“ bildet. Davon ausgehend werden zunächst die in den so genannten „neuen Kriegen“ auftretenden Akteure beschrieben und die Erscheinungsform des Krieges betrachtet. Von großer Bedeutung ist darüber hinaus die ökonomische Logik der „neuen Kriege“, die hier in einem eigenen Abschnitt behandelt wird.

Abschließend widmet sich die Analyse im dritten Teil den Folgen, die die „neuen Kriege“ für denjenigen Teil der Welt haben, der vordergründig derzeit nicht unmittelbar von Kriegen betroffen ist. Dabei wird eine politisch-ethische Perspektive eingenommen, die besonders die Problematik von Interventionen in Krisengebieten beleuchtet.

Die Kritik, die an der Theorie der „neuen Kriege“ geäußert wurde, soll dabei an den jeweils betreffenden Stellen nicht unerwähnt bleiben und dazu beitragen, die Tragweite der hier betrachteten Konzeption abschließend zu bewerten.

I. Die „alten“ Kriege

Bevor eine Darstellung der „neuen Kriege“ – und damit verbunden eine Analyse der dahinter stehenden Konzeption – erfolgen kann, ist es zunächst notwendig, den Begriff des Krieges in seiner klassischen Prägung zu skizzieren. Im Vordergrund steht dabei die historisch enge Verbindung von Krieg und Staat, die erst das Wesen des Krieges begreiflich macht. Die Entstehung des modernen Staates ist nicht ohne Krieg denkbar, denn „als Machtstaat ist der moderne Staat seinem Ursprung nach Kriegsstaat“.[1]

So stand nach gängigem Verständnis am Anfang dessen, was unter dem „modernen Staat“ verstanden wird, der Dreißigjährige Krieg in Europa, der die Unzulänglichkeiten bisheriger Herrschaftsformen in schrecklicher Weise offenbarte. „Eine Lösung der Probleme bot im Prinzip die Konzentration der Herrschaftsbefugnisse im modernen Staat.“[2] Wichtigstes Kennzeichen des Staates wurde die Staatsgewalt, also – mit Max Weber – „das Monopol legitimen physischen Zwanges“ [3], das dem Staat letztlich Souveränität verlieh.

Die Souveränität des Staates bedeutete auch seine legitime Alleinverfügung über das Militär, das sich in der Folge des Dreißigjährigen Krieges strukturell wandelte. Die Söldner, die noch das Kriegsgeschehen des 16. und 17. Jahrhunderts beherrscht hatten, wichen nach und nach dem Typus des professionalisierten Soldaten, der als Teil einer stehenden Armee im Dienste des Staates kämpfte.[4] Gepaart mit einer technischen und militärischen Entwicklung, die, in Gestalt langwierig ausgebildeter Infanterie und nicht mehr von jedem zu bedienender Artilleriegeschütze, eine immer stärkere Verteuerung des Militärs bewirkte, war schließlich „nur noch der Territorialstaat (...) in der Lage, für die dramatisch gestiegenen Kosten aufzukommen“.[5]

Für die Erscheinungsform des Krieges bedeutete dies eine prinzipielle Disziplinierung und Regulierung des Kampfgeschehens und vor allem eine Verlagerung zwischenstaatlicher Probleme und Konflikte auf das Schlachtfeld.[6] Durch die Heraus-bildung von territorial klar abgegrenzten Staaten war zunächst eine Unterscheidung zwischen „innen“ und „außen“ entstanden, die sich bald in getrennten Zuständigkeiten der Politik ausdrückte und deren Folge nicht zuletzt die Trennung von Militär und Polizei war. Daraus resultierte wiederum die Möglichkeit der klaren Trennung von Krieg und Frieden und die Vorstellung, es gebe zwischen diesen beiden kein Drittes.[7] Durch sein Gewaltmonopol war der Staat in der Lage, Freund und Feind klar zu bestimmen.

Eine weitere Folge dieser Grenzziehungen war auch die zunehmende Verrechtlichung des Krieges, die sich später einmal in den Konventionen des Völkerrechts ausdrücken sollte. Als wichtigste Unterscheidung kann die zwischen Kombattanten und Nonkombattanten gelten, weiterhin auch die zwischen der legalen Anwendung von Gewalt in Form von Kriegshandlungen einerseits und Kriminalität und Kriegsverbrechen andererseits. Darüber hinaus bewirkte das staatliche Gewaltmonopol eine Abkoppelung der Gewalt vom Erwerbsleben, da der Soldat auch in Friedenszeiten in Lohn und Brot stand. Für seinen Sold sorgte das Steueraufkommen des Staates; das im Dreißigjährigen Krieg noch geltende Prinzip, der Krieg müsse sich selbst ernähren, verschwand.[8]

Staat und Krieg gingen eine enge Verbindung ein, deren konkrete Ausprägung sich freilich in verschiedenen Epochen unterschiedlich darstellte, abhängig von der politischen Ordnung. Höhepunkte dieser Entwicklung waren die beiden Weltkriege, in denen die gesamte Wirtschaft im Falle der Mobilmachung auf den Krieg ausgerichtet wurde, Krieg und Staat geradezu verschmolzen.[9]

Das Vorhandensein eines staatlichen Gewaltmonopols bestimmt daher seit langem die Sicht auf den Krieg. Nach den berühmten Worten Carl von Clausewitz‘, die das Nachdenken über den Krieg stark beeinflusst haben, ist Krieg ein „Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“.[10] Diese Formulierung impliziert ein bestimmtes Verständnis sowohl von „uns“, als auch von „dem Gegner“ und setzt das Vorhandensein eines klar erkennbaren „Willens“, also eines Staatsinteresses voraus.[11]

Durch diese Vorüberlegungen wird bereits deutlich, dass dem Verhältnis zwischen Staat und Krieg bei der Analyse der „neuen Kriege“ eine Schlüsselrolle zukommen muss.

II. Die Theorie der „neuen Kriege“

„In der historischen Entwicklung hat es immer wieder Zäsuren in der Kriegführung gegeben, die den Zeitgenossen als umwälzend und revolutionär galten, während sie den Nachkommen als bloße Fortentwicklungen des Krieges erschienen.“[12] So hat auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ein empfundener Wandel des Phänomens Krieg eingesetzt, der deutlich genug wahrgenommen wurde, um daraus eine neue theoretische Konzeption, die der „neuen Kriege“, zu entwerfen. Grundlage dafür war die Einsicht, dass die Hoffnungen auf einen generellen Rückgang des Krieges nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes offenbar nicht erfüllt wurden, sondern vielmehr eine veränderte Erscheinungsform des Krieges zutage trat.[13] Die Kernpunkte dieser Konzeption werden im Folgenden dargestellt und analysiert.

1. Staatsbildung und Staatszerfall

Wie bereits behandelt wurde, nimmt das Verhältnis von Staat und Krieg eine Schlüssel-stellung in der Analyse des Krieges ein. So lautet die ausführlich formulierte Kernthese Münklers, die als Ausgangspunkt für die Theorie der „neuen Kriege“ gelten kann: „Wir sind Zeitgenossen einer umfassenden Entstaatlichung beziehungsweise einer Privatisierung des Krieges, der sich (...) mehr und mehr aus einem Instrument politischer Interessen- und Willensdurchsetzung in eine Form privatwirtschaftlich organisierter Einkommenserzielung (...) verwandelt hat (...).“[14] Dem zugrunde liegt die Beobachtung, der Staat habe vielerorts eben jenes ihn konstituierende Gewaltmonopol verloren bzw. nie erreicht und sei nicht mehr alleiniger Herr über den Krieg.

Obwohl grundsätzlich die Möglichkeit im Raum steht, dass es sich bei den betrachteten „neuen Kriegen“ – vorrangig in der Dritten Welt – genau so gut um S]taatsbildungskriege handeln könnte, die dem Modell der OECD-Staaten verspätet nachfolgen, unterliegen jene Kriege in (noch) nicht ausgebildeten oder gescheiterten Staaten doch gänzlich anderen Voraussetzungen als die Kriege, die in der Moderne zur Bildung der euro-päischen oder nordamerikanischen Staaten geführt haben. Die fortgeschrittene Globali-sierung, die auch Regionen ohne stabile Staatlichkeit erfasst hat, lässt der Entwicklung einer solchen Staatlichkeit schlicht keine Zeit. [15] In Zeiten weltweit operierender Konzerne sowie global tätiger internationaler Organisationen und im Zeichen globaler Kommunikation sehen sich selbst stabile und gewachsene Staatsgebilde, wie sie etwa in Europa und Nordamerika existieren, ernsten Herausforderungen gegenüber. Instabile Regionen, die aufgrund mangelnder Staatlichkeit das Spannungsverhältnis zwischen Globalität und Lokalität besonders zu spüren bekommen[16], sind demnach umso anfälliger für das, was mit dem Begriff der „neuen Kriege“ bezeichnet wird. Man könnte daher auch sagen, „daß die neuen Kriege Teil eines Prozesses sind, der praktisch jene Entwicklungen umkehrt, durch die sich die modernen Staaten herausbildeten [sic!]“.[17]

Neben der Bedeutung der Globalisierung wird häufig die Beobachtung herangezogen, dass ein großer Teil der Opfer von Krieg und Terror in jüngster Zeit Zivilisten waren.[18] Die Herausbildung des Staates und die damit einhergehende Verrechtlichung des Krieges hatten ja gerade eine Trennung von Kriegsgeschehen und Zivilbevölkerung bewirkt.

Begreift man diese Tendenzen als ernsthafte Anzeichen für einen Trend zum Staatszerfall bzw. zum Rückgang der Bedeutung des Staates und der mit ihm verbundenen Verrechtlichung, so trägt dies zur Erklärung des Typus des „neuen Krieges“ bei, „in dem die Unterscheidung zwischen militärischer Gewalt und Verbrechen unscharf geworden ist, in dem die Trennung von Soldat und Zivilist, Kombattant und Nonkombattant keinerlei Bedeutung mehr besitzt (...)“.[19]

Im Falle des Rückgangs staatlicher Macht ergibt sich das Problem der umstrittenen Definitionsmacht. Wann Krieg und wann Frieden herrscht, wer Freund ist und wer Feind, obliegt nicht mehr dem scheiternden bzw. gescheiterten Staat, sondern einer wie auch immer gearteten Gruppe, die die Mittel dazu hat.[20] „Der gescheiterte Staat ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß er die Kontrolle über die zunehmend fragmentierten physischen Zwangsmittel verliert [sic!].“[21]

[...]


[1] Reinhard, Wolfgang: Geschichte des modernen Staates. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2007, 11.

[2] Benz, Arthur: Der moderne Staat. Grundlagen der politologischen Analyse, München 22008, 18.

[3] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen 51972, 29.

[4] Vgl. Herberg-Rothe, Andreas: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt/New York 2003, 61ff.

[5] Münkler, Herfried: Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 32007, 109.

[6] Zu den folgenden modellhaften Ausführungen vgl. Münkler: Die neuen Kriege, 68ff.

[7] Vgl. etwa Grotius, Hugo: Vom Recht des Krieges und des Friedens, hrsg. von Walter Schätzel, Tübingen 1950, 47.

[8] Vgl. Münkler: Die neuen Kriege, 80.

[9] Vgl. Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2007, 35.

[10] Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz, hrsg. von Werner Hahlberg, Bonn 191991, 191f.

[11] Vgl. Kaldor: Neue und alte Kriege, 36.

[12] Herberg-Rothe: Der Krieg, 8.

[13] Vgl. Münkler, Herfried: Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Geis, Anna (Hrsg.): Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, 137.

[14] Münkler, Herfried: Die privatisierten Kriege des 21. Jahrhunderts, in: Merkur, 55. (2001) H.3, 223.

[15] Vgl. Münkler: Die neuen Kriege, 18ff.

[16] Vgl. Kaldor: Neue und alte Kriege, 20.

[17] Kaldor: Neue und alte Kriege, 21.

[18] Vgl. Kaldor: Neue und alte Kriege, 8.

[19] Münkler, Herfried: Bleiben die Staaten die Herren des Krieges?, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2000, Stuttgart 2000, 18.

[20] Vgl. Münkler: Die neuen Kriege, 27.

[21] Kaldor: Neue und alte Kriege, 156.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Theorie der "neuen Kriege"
Untertitel
Darstellung und kritische Analyse
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V137201
ISBN (eBook)
9783640457533
ISBN (Buch)
9783640457311
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie, Kriege, Darstellung, Analyse
Arbeit zitieren
Thomas Koch (Autor:in), 2009, Die Theorie der "neuen Kriege", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137201

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