Nicht-inferentielle Rechtfertigung in R. Brandoms Inferentialismus


Hausarbeit, 2009

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Komplexe hybride deontische Einstellungen – Brandoms sprachpragmatischer Wissensbegriff

3. Berechtigtsein und Rechtfertigen
3.1 Rechtfertigungsprobleme und Fundamentalismus
3.2 Einsichten aus den Rechtfertigungsproblemen und dem Fundamentalismus

4. Rechtfertigende Autorität von nicht-inferentiellen Überzeugungen durch Verlässlichkeit?
4. 1. Nicht-inferentielle Rechtfertigung im Inferentialismus als hybride Einstellung

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der Erkenntnistheorie vertreten W. Sellars und vor allem R. Brandom einen Inferentialismus. Dieser kann als eine mögliche Antwort auf die Schwächen des klassischen Fundamentalismus in der Erkenntnistheorie angesehen werden. Dem Inferentialismus zufolge sind Überzeugungsinhalte propositional gehaltvoll und weisen eine inferentielle Gliederung auf. Überzeugungen lassen sich prinzipiell durch das Eingehen und Zuweisen von Gründen, also sozial, rechtfertigen. Der Inferentialismus – als Kritik am klassischen Fundamentalismus – weist eine hierarchische Struktur der Rechtfertigung zurück. Propositional Gehaltvolles (also auch Überzeugungen) lässt sich durch andere Propositionen inferentiell stützen. Die Struktur der Rechtfertigung scheint also eher symmetrisch denn hierarchisch. Der Fundamentalismus vertritt im Grunde die These, dass es so etwas wie erste, fundamentale Überzeugungen bzw. Überzeugungsinhalte geben muss, auf die sich andere Überzeugungen zurückführen lassen. Inferentialisten bestreiten diese „Stromabwärts Begründungsstruktur“. Damit handeln sich Inferentialisten, wie Wilfrid Sellars und Robert Brandom, ein Regress- bzw. Zirkelproblem ein. Es bleibt scheinbar offen, wann eine Begründungskette anfängt, bzw. wann eine Begründungskette abzubrechen ist, die in einen Regress zu rutschen droht. Ebenso offen bleibt die Frage, welche Rolle die Wahrnehmung bei der Rechtfertigung bestimmter Überzeugungen innehaben soll. Stellt die Wahrnehmung basale, nicht-inferentiell gewonnene Überzeugungen bereit? Falls sie dies tut, muss geklärt werden, wie sich solch basale Überzeugungen in Brandoms Theorie einbauen lassen. Zur Lösung dieses Problems zieht Brandom die Verlässlichkeitstheorie heran. Diese kommt ins Spiel, um die Frage beantworten zu können, wie basale Überzeugungen, wie Wahrnehmung, Introspektion o. ä. in das wechselseitige Spiel von Zuweisen und Anerkennen von bestimmtem propositional Gehaltvollem, eingebettet werden können. Ein Problem das sich für Brandom daraus ergibt, ist der Konflikt des Internalismus mit einer externalistischen Theorie, wie dem Reliabilismus. Offenbar wird die Symmetrie von Brandoms sprachpragmatischem Ansatz durch das Hinzunehmen der Verlässlichkeitstheorie beeinflusst. Schaut man sich semantische Theorien an, scheint Brandoms Sprachpragmatismus ein plausibler Ansatz zu sein. In der Erkenntnistheorie stößt dieser aber auf Probleme. Der klassische Fundamentalismus lässt sich nach den Angriffen Sellars und Brandoms nicht aufrechterhalten. Offenbar gibt es so etwas wie letzte unumstößliche Überzeugungen – im cartesischen Sinne – nicht. Wie kann Brandom also nicht-inferentielle Rechtfertigung z.B. durch Beobachtungen in das Bild des Inferentialismus einfügen? In der vorliegenden deskriptiven Arbeit möchte ich dieser Frage nachgehen und Brandoms Argumentationsweg nachvollziehen. Der Ausgangspunkt für Brandoms Überlegungen ist die klassische Analyse des Wissensbegriffs, welche bis auf Platon zurückzuführen ist. Diese definiert Wissen als wahre, gerechtfertigte Meinung. Die neuere Geschichte der Epistemologie hat gezeigt, dass diese Analyse einigen Problemen ausgesetzt ist. Im ersten Paragraphen möchte ich deshalb zunächst kurz die klassische Definition von Wissen darlegen um danach Brandoms sprachpragmatische Wissensanalyse zu explizieren. Besonders ins Auge fassen möchte ich dabei die Rechtfertigungsbedingung, da sie der Ausgangspunkt für die späteren Überlegungen sein soll. Im zweiten Paragraphen möchte ich mich dann mit Brandoms Überlegungen beschäftigen, was eigentlich unter einer Berechtigung zu einem Wissensanspruch zu verstehen ist. Weiterhin möchte ich die Rechtfertigungsprobleme beschreiben, die im Zusammenhang mit einer inferentialistischen Rechtfertigungsstruktur auftreten. Eine interessante Position, die auf diese Probleme zu antworten versucht ist der Fundamentalismus. Eine klassisch fundamentalistische Position ist die Rene Descartes. Ich möchte Descartes Überlegungen knapp zusammenfassen und diese dann auf ihre Tauglichkeit für die Rechtfertigungsprobleme untersuchen. Anschließend an diese Untersuchung möchte ich Brandoms Überlegungen zu der Frage darlegen, ob die Verlässlichkeit von überzeugungsbildenden Prozessen eine plausible Möglichkeit darstellt, die Rechtfertigungsprobleme zu lösen. Brandom stellt zunächst einem externalistischen Reliabilismus einen internalistischen Rechtfertigungsinternalismus – wie den Fundamentalismus – gegenüber. Da keine von beiden Positionen für sich genommen zu überzeugen scheinen, wählt Brandom einen Mittelweg zwischen beiden Positionen. Diesen möchte ich im dritten Paragraphen erörtern.

2. Komplexe hybride deontische Einstellungen - Brandoms sprachpragmatischer Wissensbegriff

Nach der klassischen Analyse des Wissensbegriffes, die auf Platon zurückgeht, hat eine Person Wissen eines Inhalts p, wenn die Person eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung dieses Inhalts p besitzt. Das bedeutet also, dass nach der klassischen Wissensanalyse drei Bedingungen erfüllt sein müssen, damit jemand Wissen besitzt:

(1) Die Person muss die Überzeugung haben, dass p.
(2) Die Überzeugung, dass p, muss wahr sein. Eine falsche Überzeugung stellt keine Form von Wissen dar.
(3) Die Person muss ihre wahre Überzeugung rechtfertigen können, z.B. indem sie Gründe dafür angibt.

Brandom entwickelt in seiner inferentialistischen Theorie eine andere Art des Wissensbegriffs. Dieser geht aus den sprachpragmatischen Überlegungen Brandoms hervor und grenzt sich von der klassischen Analyse des Wissensbegriffs ab. Wenn man die sprachliche und besonders die argumentative Praxis als ein Spiel des wechselseitigen Gebens und Verlangens von Gründen der beteiligten Personen ansieht, dann lässt sich „Wissen“ als ein Anspruch einer Person auf einen bestimmten Status verstehen. Brandom hat an dieser Stelle die Praxis im Blick, in der eine Person den Status für sich beansprucht, dass sie weiß, dass p. Grundlegend für Brandoms spätere Überlegungen ist die Tatsache, dass die Person über propositionales Wissen, also Wissen-dass, verfügt. Das Wissen in Brandoms Sinn ist also propositional gegliedert – analog zu den Überzeugungsinhalten in der klassischen Analyse – und kann als Prämisse dazu dienen, um andere propositionale Gehalte inferentiell zu stützen. Was kann die Person tun, damit sie Wissen besitzt? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um Wissen zu besitzen? Wenn eine Person Wissen darüber beanspruchen will, dass p der Fall ist, dann muss sie zunächst p behaupten. Die Person muss also einen assertionalen Sprechakt äußern, der etwa die Form hat: „Ich behaupte, dass p.“ Da der Inhalt des Sprechaktes bzw. der Behauptung propositional gegliedert ist, legt sich die Person implizit auf weitere Propositionen fest, aus denen p folgt und solchen die ihrerseits aus p folgen. Beispielsweise ist die Person auf die Aussage „Dieser Gegenstand ist farbig.“ festgelegt, wenn sie die Behauptung: „Dieser Gegenstand ist rot.“, macht. Als zweiten Schritt muss die Person die Festlegung für wahr halten. Sie muss die Festlegung anerkennen. Brandoms Ziel ist es, die klassische Analyse des Wissensbegriffs durch eine sprachpragmatische Variante zu ersetzen. Man kann den Wissensanspruch, den man durch einen behauptenden Sprechakt bekundet, sowie die inferentiellen Beziehungen der behaupteten Proposition zu anderen Propositionen, auf die man durch den Wissensanspruch festgelegt ist, ähnlich der ersten Bedingung der klassischen Analyse verstehen. Das Anerkennen dieser Festlegung, also das Für-Wahr-Halten dieser Festlegung, könnte als Abbildung der zweiten Bedingung angesehen werden. Brandoms Analyse bliebe unvollständig, wenn er den Geltungsanspruch des Sprechaktes ohne rationale Rechtfertigung belassen würde. Jemand besitzt Wissen, wenn er zusätzlich zu dem artikulierten Wissensanspruch und der eingegangenen Festlegung, zu diesem auch noch berechtigt ist. An dieser Stelle habe ich Brandoms Analyse des Wissensbegriffs aus der 1.-Person Perspektive dargestellt. Folgende Bedingungen müssen aus der Sicht eines Sprechers erfüllt sein, um Wissen zu besitzen:

(A) Ich muss die Behauptung aufstellen, dass p. Mit dieser Behauptung lege ich mich auf p und auf alle von p eingeschlossenen, sowie ausgeschlossenen Inferenzen fest.
(B) Ich erkenne die Festlegung an. Ich halte sie also für wahr.
(C) Ich bin zu dieser Festlegung berechtigt.[1]

Brandoms Theorie fußt auf der Überlegung, dass die Erkenntnistheorie eine soziale Praxis ist. Ich stehe als Wissensansprüche anmeldende Person in einer wechselseitigen Beziehung zu anderen Personen der Sprachgemeinschaft. Wissen lässt sich prinzipiell als Prämisse dazu verwenden, um weiteres Wissen zu erlangen. Ich kann beispielsweise die Behauptung aufstellen, dass p, weil p mir von jemandem erzählt wurde, oder ich dies irgendwo gelesen habe. Das Wissen einer anderen Person, dient als Prämisse für meine eigene Behauptung und die Inferenzen, die ich damit abstützen kann. Propositionaler Gehalt lässt sich von Person zu Person übertragen. In der bisher dargelegten Analyse des Wissensbegriffs wurden die Bedingungen betrachtet, die aus der Sicht des Sprechers erfüllt sein müssen, um Wissen zu besitzen. Da der Sprecher in einer Sprachgemeinschaft wahrnimmt, behautet und handelt, fehlt aber noch eine weitere Perspektive, nämlich die der 3.-Person. Die 3.-Person Perspektive ist an der Stelle wichtig, an der es um die Berechtigung und die Richtigkeit einer gemachten Behauptung bzw. eines Wissensanspruchs geht. Nehmen wir an, eine Person X beurteilt, ob der von einer andern Person, Y geäußerte, behauptende Sprechakt S(p) richtig ist und Y zu diesem zusätzlich auch noch berechtigt ist. Sind diese Bedingungen erfüllt, wird die Person X der Person Y propositionales Wissen des Inhalts p zuschreiben. Dies passiert in dem Fall, in dem X meint, dass S(p) ein aussichtsreicher Wissensanspruch ist und X das anerkennt, auf was Y durch S(p) festgelegt ist. X erfüllt die Bedingung des „Für-Wahr-Haltens“[2]. Zusätzlich weist X, Y die Berechtigung zu dieser festlegenden Behauptung zu, z. B. weil X meint, dass Y selten lügt und glaubt, dass Y gut darin ist Dispositionen die zu p führen von denen zu unterscheiden, die zu q führen. Die Analyse aus der 3.-Person Perspektive ergibt demnach folgendes Bild:

(I) X erkennt S(p) und alle damit ein- bzw. ausgeschlossenen Propositionen an. X erkennt die Festlegung von Y auf einen propositionalen Gehalt an und hält diese für wahr.
(II) X weist Y eine Berechtigung zu dieser Festlegung zu.

Brandom entwickelt ein auf der sozialen Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen beruhendes Konzept des Wissens. Um klären zu können, ob eine Person Wissen besitzt ist es also notwendig sowohl die 1.Person, als auch die 3. Person- Perspektive des Wissensanspruchs zu betrachten. Das was man tut, wenn man einer anderen Person propositionales Wissen zuschreibt, bezeichnet Brandom als eine „deontische Einstellung“[3]. Da zu einer Wissenszuschreibung sowohl das Festlegen auf einen propositionalen Gehalt, als auch das Berechtigen zu dieser Festlegung gehören, bezeichnet Brandom diese deontische Einstellung als „komplex“[4]. Die komplexe deontische Einstellung ist zum einen weiterhin von dem abhängig, was man aus der 3.-Person Perspektive tut, nämlich dem Zuweisen und zum andern ist sie abhängig von dem, was man aus der 1.-Person Perspektive tut, nämlich dem Anerkennen. Da bei der Wissenszuweisung beide Perspektiven von entscheidender Wichtigkeit sind, bezeichnet Brandom die resultierende Einstellung als „hybrid“[5]. Die Zuschreibung von propositionalem Wissen ist nach Brandom also eine komplexe hybride deontische Einstellung. „Wissen [ist] ein komplexer hybrider deontischer Status“[6].

[...]


[1] Ob und wann man aus der 1.-Person Perspektive weiß, ob man zu einer inferentiellen Festlegung berechtigt, soll weiter unten geklärt werden.

[2] EV, S. 300.

[3] Ebd., S. 299.

[4] Ebd., S. 301.

[5] Ebd.

[6] Ebd., S. 299.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Nicht-inferentielle Rechtfertigung in R. Brandoms Inferentialismus
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie)
Veranstaltung
Robert Brandom: „Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V137180
ISBN (eBook)
9783640457090
ISBN (Buch)
9783640456925
Dateigröße
447 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nicht-inferentielle, Rechtfertigung, Brandoms, Inferentialismus
Arbeit zitieren
Lars-Henning Groß (Autor:in), 2009, Nicht-inferentielle Rechtfertigung in R. Brandoms Inferentialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137180

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