Die Reform der Gracchen: Die Ackergesetze des Tiberius Sempronius Gracchus - Persönlicher Antrieb, konfliktreiche Praxis


Seminararbeit, 2003

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Lex sempronia agraria
2.1. Inhalt
2.2. Motivation und Entstehung
2.3. Problematik: Idee und praktische Durchführung

3. Konflikte
3.1. Im Innern: Der Verfassungsbruch

4. Fazit

I. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Was treibt einen Mann aus der Nobilität an, sich als eine Art Bauernpolitiker für die Landlose der plebs rustica zu engagieren und darüber hinaus die Festen der stadtstaatlichen Ordnung ins Wanken zu bringen? Verschiedene Thesen versuchen die Beweggründe des -aus Sicht seiner Anhänger zum Märtyrer stilisierten- Volkstribunen Tiberius Sempronius Gracchus zu erläutern. Vielleicht hat Tiberius das soziale Ungleichgewicht zwischen Reichen und Armen wirklich gerührt. Auf der anderen Seite kam die Agrarkrise dem zuvor Gescheiterten als politisches Sprungbrett gerade recht. Ob nun der Wunsch nach Macht oder Wohlstand Tiberius antrieben –so durchdacht auch die theoretische Idee hinter den Ackergesetzen wirken möge, desto schwieriger gestaltete sich die Praxis.

2. Lex sempronia agraria

Die gracchischen bzw. Sempronischen Ackergesetze sind benannt nach dem Geschwisterpaar, das diese lex sempronia agraria im römischen Senat durchge­setzt bzw. praktisch umgesetzt hat – der eine, Tiberius, bis zu seinem Tod, der andere, Gaius, nach der Ermordung seines Bruders. Das 133 v. Chr. eingebrachte Ackergesetz der Gracchen bildete den Auftakt einer beschwerlichen Agrarreform und der damit verbundenen Landaufteilung. Gleichzeitig steht diese lex am Anfang von zahlreichen inneren Auseinandersetzungen, die schließlich zum Ende der Römischen Republik führ­ten.

2.1. Inhalt

Die lex Sempronia agraria zielte ab auf eine Umverteilung des ager publicus, also der staatseigenen Ackerflächen. Diese sammelten sich im Laufe der Expansion des römischen Staates in Italien an, da große Areale der unterworfenen Städte und Stämme von Rom übernommen wurden. Häufig handelte es sich um etwa ein Drittel der feindlichen Territorien, das annektiert wurde.[1] Nach der Idee, den Rei­chen zu nehmen und den Armen zu geben, erhielt die plebs eine bestimmte Menge an Ackerland zur relativ freien Verfügung. Die Größe der zugeteilten Fläche pro Familie bestimmte der Volkstribun Tiberius Gracchus in Hinblick auf eine An­ordnung in den Licinisch-Sextischen Gesetzen, den leges Liciniae Sextiae, von 367/6. Diese setzte eine Höchstgrenze von 500 iugera für jeden pater familias fest, das sind etwa 125 Hektar, die zur Okkupation zur Verfügung standen. Allerdings wertete Gracchus die Regel zugunsten der Kleinbauern auf: bei Appian[2] ist überliefert, je Kind stün­den den Bauern weitere 250 iugera zu, bei Livius[3] ist zu lesen, das Höchstmaß sei auf 1000 iugera angehoben worden. Vermutet wird, dass die bei Appian genannte Zahl von 250 iugera sich nur auf die ersten beiden Kinder bezog, so dass die Grenze von 1000 iugera eingehalten wurde.[4] Crawford vermutet, diese Bedingung beziehe sich nur auf die beiden ältesten Söhne, denen jeweils 250 iugera zugestan­den hätten.[5] Allerdings berührte die Reform nicht das fruchtbarste Gebiet Italiens. Der ager Campanus war von der Reform ausgenommen.[6] Den enteigneten Groß­grundbesitzern standen keine finanziellen Entschädigungen zu, auch wenn Plu­tarch in seiner Tiberius-Biographie von einer Entschädigung spricht.[7] Diese be­zieht sich vermutlich auf einen Vorteil für die neuen Okkupanten, denen ein dau­erndes Besitzrecht an ihren Ländereien zustand.[8] In Form von kleinen Siedlerstel­len, deren Größe in der Forschung umstritten ist, sollte das Land an die Besitzlo­sen verteilt werden. Darin bestand der zweite Teil der lex, die Einziehung und Aufteilung der Ländereien. Christ spricht von „kleinen Bauernstellen von höchstens 30 iugera = sieben Hektar“, die in Form einer Erbpacht vergeben wur­den. Earl vermutet hingegen, dass die Flächen kleiner waren, „nearer 10 iugera than 30.“ Er bezieht sich hier auf Landzuweisungen an Siedler in neu gegründeten Kolonien zwischen 190 und 173 v. Chr.[9] Diese im Vergleich mit dem Höchstmaß auffallend kleinen Flächen dürften für die Versorgung einer Familie ausgereicht haben, denn „250 iugera, still more 500, is far too large an area to be worked satisfactorily by one man, even with modern mechanical aids.“[10] Daran gebunden war eine finanzielle Abgabe, die aber eher einem unwesent­lichen Obolus entsprach. Allerdings waren die Äcker nicht frei verfügbar. Der rö­mische Staat behielt sich eine Art Oberaufsicht vor und den Besitzern war es so­mit untersagt, die Flächen zu veräußern. Das Land aufzuteilen und besonders zu berücksichtigen, welches Privateigentum und welches ager publicus sei (ut idem triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset, Liv. Per. 58), diese Aufgabe übernahm eine Dreierkommission, Triumviri agris dandis adsignan­dis oder auch Triumviri agris iudicandis adsignandis genannt.[11]

2.2. Motivation und Entstehung

Die Frage nach der Motivation des Tiberius beschäftigt die Historiker weiterhin, was die zahlreichen Publikationen über die Gracchen-Zeit belegen. Für die einen steht Tiberius Sempronius Gracchus dar als Mann, der sich selbstlos für die Armen einsetzte, ein geradezu „idealer Held“[12]. Seinen Anstoß zum Handeln sehen sie in möglichen Un­ruhen der plebs urbana, die aufgrund von Getreidemangel im Anschluss an die Sklavenunruhen in Sizilien drohten. Für andere ist nicht die soziale Lage der Be­völkerung auf dem Lande wegweisend, sondern deren Konsequenzen: „Der Rückgang von Bauern mit wehrdienstfähigem Zensus ist danach der Motor der Reform [...].“[13] Gekennzeichnet ist diese Agrarkrise durch die Verdrängung der Kleinbauern durch Großgrundbesitzer. Allerdings war trotzdem nicht mit einer großen Anzahl von Landsuchenden zu rechnen, da nach erfolgter Ansiedlung von Kolonien in Oberitalien und der Verstärkung der bestehenden Kolonien kaum noch Besitzlose auftraten. Auf der Suche nach Neubürgern ließ man auch Bun­desgenossen zu und so blieb 177 v. Chr. Luna die letzte Koloniegründung vor dem Tribunat des Tiberius.

Zur Debatte steht weiterhin die Frage nach den Motivationsgründen des Volkstribunen, der sich auffallend ehrgeizig und letzt­endlich bis zu seinem Tod für seine lex agraria einzusetzen versuchte. Der Ge­danke einer Reform und der damit verbundenen Lösung der angeführten Probleme waren wohl nicht die Antriebe, die Tiberius schließlich sein Leben kosteten. Zu vermuten ist, dass persönliche Gründe ihn ermutigten, gegen den Senat zu interve­nieren. Seine beispiellose Karriere hatte Schaden genommen, als 137 v. Chr. der Senat den so genannten Mancinus-Vertrag verwarf, den der Konsul C. Hostilus Mancinus zur Rettung seines in Spanien eingekesselten Heeres mit den Numantinern geschlossen hatte und den Tiberius in seiner Funktion als Quästor unterzeichnet hatte. Vermutlich verließen sich die Numantiner bei der Vertrags­schließung hauptsächlich auf Tiberius, dessen Vater in jenem Teil Spaniens 180-178 v. Chr. Statthalter war, so dass das fehlende Einverständnis des Senats „a brutal blow“ gegen sein Ansehen und seinen Stand war.[14] Bleicken geht einen Schritt weiter und gesteht Tiberius die An­nahme zu, die Numantia-Affäre müsse ihm „als das Ende aller politischen Ambi­tionen denn als bloßer Bruch erscheinen.“[15] Bernstein formuliert treffend: „This young man of the future suddenly might not have a future.“[16] So ist zu verste­hen, warum Gracchus später mit solchem Eifer in die Opposition ging, denn die Verwebung von „political and familial relationships and the complexities of individual political motivation“[17] sollte wegweisend sein für den weiteren Verlauf seiner Karriere. Ein Tribunat bot sich schließlich als Karriereleiter an, sein politisches Ansehen wieder herzustel­len. Auf der Hand lagen ein zwar nicht dringender, doch umso hilfreicherer Fall und die Möglichkeit, sich damit zu profilieren - das Agrarproblem. Dass Tiberius die­ses Problem bereits in seiner Zeit als Quästor beschäftigte, als er das verödete Land und die große Zahl an Sklaven in Etrurien zur Kenntnis nahm, wie sein Bru­der Gaius später behauptet hat[18], ist vermutlich nicht mehr wert als ein populistischer Motivationsgrund. Dass diese Anekdote nur genutzt wurde „for the development of a good propaganda point“[19] sagt Nagle, der sich auf archäologische Funde der British School in Rom und dem Swedish Institute beruft. Entlang der drei möglichen Routen, über die via Flaminia, via Cassia oder via Aurelia, habe Tiberius ein vorsichtig als komplex zu bezeichnendes Straßennetz, sowie Villen und Hofstellen um die sechs iugera vorfinden müssen. Verlassen oder verödet hätten die Flächen nicht sein dürfen, wie Gaius (oder Tiberius zuvor) behauptete, so dass diese Anekdote hiermit deutlich an Aussagekraft verliert.[20] Demgegenüber steht die Annahme Flachs, der sich für die Glaubwürdigkeit dieser Reisebeobachtungen ausspricht: „Sie als unglaubwürdig zu verdächtigen oder als eine aus propagandistischer Absicht erfundene Legende abzutun, wäre voreilig.“[21] Ob Tiberius diese Beobachtungen nun wirklich zum Anlass nahm, das Agrarwesen zu reformieren, oder ob dies nur eine erfundene Anekdote ist kann faktisch nicht entschieden werden.

[...]


[1] Karl Christ, Krise und Untergang der römischen Republik, Darmstadt 1979, 19933, 117.

[2] App. b. c. I 9.

[3] Liv. Per. 58.

[4] Joachim Molthagen, Die Durchführung der gracchischen Agrarreform, Historia XXII 1973, 423.

[5] Michael Crawford, Die römische Republik, München 1984, 19904, 125.

[6] David Stockton, The Gracchi, Oxford 1979, 41.

[7] Plut. Ti. Gr. 9, 10.

[8] App. b. c. I 11.

[9] D. C. Earl, Tiberius Gracchus – A study in politics, Brüssel 1963, 19-20.

[10] Vgl. Earl 1963, 2.

[11] Vgl. Christ 1993, 124.

[12] Jochen Bleicken, Überlegungen zum Volkstribunat des Tiberius Sempronius Gracchus, HZ CCXLVII 1988, 267.

[13] Vgl. Bleicken 1988, 268.

[14] Vgl. Stockton 1979, 29.

[15] Vgl. Bleicken 1988, 273.

[16] Alvin H. Bernstein, Tiberius Sempronius Gracchus – Tradition and apostasy, London 1978, 118.

[17] Vgl. Bernstein 1978, 109.

[18] Plut. Ti. Gr. 8.

[19] D. Brendan Nagle, The Etruscan journey of Tiberius Gracchus, Historia XXV 1976, 489.

[20] Vgl. Nagle 1976, 487f.

[21] D. Flach, Die Ackergesetzgebung im Zeitalter der römischen Revolution, HZ CCXVII 1974, 268.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Reform der Gracchen: Die Ackergesetze des Tiberius Sempronius Gracchus - Persönlicher Antrieb, konfliktreiche Praxis
Hochschule
Universität Osnabrück  (Fachbereich Geschichte)
Veranstaltung
Von Romulus bis zu den Gracchen - Das staatliche System der römischen Republik
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V13711
ISBN (eBook)
9783638192873
ISBN (Buch)
9783640679522
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es geht um die Umsetzung der gracchischen Agrarreform von Tiberius Sempronius Gracchus und seine eigentlichen Antriebsgründe, die ihn schließlich das Leben kosteten.
Schlagworte
Reform, Gracchen, Ackergesetze, Tiberius, Sempronius, Gracchus, Persönlicher, Antrieb, Praxis, Romulus, Gracchen, System, Republik
Arbeit zitieren
Kristine Greßhöner (Autor:in), 2003, Die Reform der Gracchen: Die Ackergesetze des Tiberius Sempronius Gracchus - Persönlicher Antrieb, konfliktreiche Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13711

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