Die Bedeutung der phonologischen Bewusstheit und Möglichkeiten der Prävention bei Legasthenie


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Legasthenie und LRS - Eine Begriffserklärung

2. Phonologische Bewusstheit
2.1 Phonologische Bewusstheit i. e. S. und phonologische Bewusstheit i. w. S.
2.2 Teilkomponenten der phonologischen Bewusstheit
2.3 Voraussetzungen für metalinguistische Bewusstheit

3. Die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit
3.1 Entwicklung im Vorschulalter und am Schulanfang
3.2 Entwicklung im Grundschulalter

4. Stufen des ungestörten Schriftspracherwerbs
4.1 Stufen des Schriftspracherwerbs nach Frith und Günther
4.2 Phonologische Bewusstheit und die alphabetische Phase

5. Die Natur der Beziehung von phonologischer Bewusstheit und (gestörtem) Schriftspracherwerb

6. Die Konsequenz: Förderungskonzepte der phonologischen Bewusstheit

7. Fazit

8. Literatur

Einleitung

Lesen und Schreiben sind in der Gesellschaft des 21. Jh. unabdingbare Fertigkeiten für den Zugang zu Wissen und Bildung, ein erfolgreiches Leben im Beruf und ein soziales Leben in der Gesellschaft. Ohne Schriftsprachkenntnisse werden elementare Aufgaben in Leben und Alltag, wie etwa das Orientieren anhand von Straßenschil-dern, Lesen von Busfahrplänen, der Erwerb des Führerscheins oder Nutzung von Computern, zu scheinbar unüberwindbaren Hürden, die die Lebensqualität ein-schränken und bedrohen. Dementsprechend substantiell ist ein erfolgreicher Schrift-spracherwerb in der Grundschule, der für gewöhnlich auch ohne größere Schwierig-keiten von Statten geht. Doch nicht jedes Kind erlernt diese Schlüsselkompetenzen problemlos – was geschieht, wenn ein Kind zu den 2- 4 % (Schnitzler 2008, S. VI.) gehört, die mit einem gestörten Schriftspracherwerb kämpfen? Der Druck, der aus einer solchen Situation erwächst, ist für das Kind, die Eltern, Lehrer und Erzieher unermesslich: Der Schulerfolg scheint langfristig gefährdet und eine Lösung drin-gend nötig.

Blickt man in Ratgeberliteratur für Betroffene oder wissenschaftliche Forschungslite-ratur, so taucht ein Begriff häufig im Zusammenhang mit Legasthenie oder LRS auf: die phonologische Bewusstheit. Entsprechend beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Bedeutung der phonologischen Bewusstheit und Möglichkeiten der Präventi-on bei Legasthenie.

Im ersten Kapitel soll die Begrifflichkeit Legasthenie und Lese-Rechtschreib-Schwäche definiert und näher erläutert werden. In Kapitel 2 wird die phonologische Bewusstheit und ihre Auffächerung in verschiedene Teilkompetenzen beleuchtet, die für das weitere Verständnis der Arbeit vonnöten sind. Ferner ist es essentiell, die ungestörte Entwicklung der phonologischen Bewusstheit im Vorschul- und Grund-schulalter differenziert zu betrachten (Kapitel 3). In Kapitel 4 werden die Phasen des ungestörten Schriftspracherwerbs nach Frith (1985) und Günther (1986) (Branden-burger 2009, S. 35) erläutert und in ihrer Entwicklung in Zusammenhang mit der phonologischen Bewusstheit betrachtet. Insbesondere der alphabethischen Phase soll hier eine besondere Gewichtung zufallen. In der Forschung ist man sich einig, dass die phonologische Bewusstheit eine wichtige Rolle bei Schriftspracherwerb spielt, allerdings nicht darüber, welcher Natur dieser Zusammenhang ist. In Kapitel 5 wird die Natur der Beziehung von phonologischer Bewusstheit und (gestörtem)

Schriftspracherwerb untersucht und es werden verschiedene Hypothesen bezüglich der Natur des Zusammenhangs vorgestellt. Kapitel 6 soll praxisorientiert sein und einen Ausblick auf Möglichkeiten und konkrete Formen der Prävention und Intervention geben. Exemplarisch wird in diesem Rahmen das Würzburger Trainingsprogramm „Hören, lauschen, lernen“ von Petra Küspert und Wolfgang Schneider (2003) knapp vorgestellt.

1. Legasthenie und LRS - Eine Begriffserklärung

Die Begrifflichkeit Legasthenie stammt von griech . legein (lesen) und astheneia (Schwäche) und bedeutet „Schwäche“ im „Lesen“ (Wurm 2006, S. 10).

In der Literatur wird häufig zwischen Legasthenie und einer Lese-Rechtschreib-Schwäche differenziert, wobei eine Diskrepanzdefinition zugrunde gelegt wird.

Als Legastheniker gilt, wer trotz mindestens durchschnittlicher Intelligenz wider Erwarten schwache Lese-Rechtschreibleistungen erbringt. Alle Personen, die bei einem IQ-Test eine unterdurchschnittliche Intelligenz aufweisen, fallen nicht unter diese Definition und werden der Gruppe der Lese-Rechtschreibschwachen zugeord-net (Marx u.a. 2001, S. 1). Dies kommt einer Einteilung in eine 2-Klassen-Gesellschaft gleich: Die Legasthenie gilt als anlage- und genombedingte Lese-Rechtschreib-Schwäche, währenddessen die LRS als erworbenes Phänomen betrach-tet wird. Als Ursachen für die erworbene LRS werden psychische, physische oder familiäre Ursachen angesehen, sowie allgemeine Lerndefizite oder eine Minderbega-bung (Kopp-Duller 2008, S. 24f).

Die der Legasthenie zugrunde gelegte Diskrepanzdefinition und die Unterscheidung zweier Gruppen wird von verschiedenen Seiten kritisiert. An der Methode ist zu kritisieren, dass unterschiedliche IQ-Tests zu verschiedenen Ergebnissen führen und so die Zuordnung einer Person in die Gruppe der LRS oder Legastheniker nicht kon-stant ist (Marx u.a. 2001, S. 2). Nach Valtin (1981) werden z.B. bei IQ-Tests, die die nonverbalen Intelligenz berücksichtigen, deutlich höhere IQ-Ergebnisse erzielt als bei verbalen IQ-Test. Die Folge davon ist, dass so deutlich mehr Personen als Legastheniker eingestuft werden, als als Lese-Rechtschreib-Schwache (Marx u.a. 2001, S. 2). Abgesehen von der Zuverlässigkeit der Messung von IQ-Werten ist auch die Korrelation zwischen Intelligenz und Lese-Rechtschreib-Leistung ohnehin nur als mittelhoch zu betrachten (Marx u.a. 2001, S. 2) (Brügelmann 2000, S. 12f).

Brügelmann (2000, S. 5f) bemängelt, die Unterscheidung zwischen Legasthenie und LRS sei nicht sinnvoll, da weder die Gruppe der Legastheniker, noch die Gruppe der LRS in sich homogen sei und die Gruppendifferenzierung folglich nicht trennscharf sei. Im Erscheinungsbild finden sich bei Legasthenikern keine anderen Probleme, als bei anderen LRS und eine Gruppendifferenzierung sei daher praktisch nicht hilf-reich (Brügelmann 2000, S. 6). Ungeachtet dieser Kritik halten weite Teile der For-schung weiter an dieser Definition fest und spezifische Fördermaßnahmen betreffen häufig nur die Gruppe der Legastheniker. So bekommen per Definition weniger in-telligente Kinder seltener die Möglichkeit an spezifischen Förderprogrammen teilzu-nehmen als Legastheniker (Marx u.a. 2001, S. 2) oder werden trotz gleichem Er-scheinungsbild anders gefördert (Brügelmann 2000, S. 16).

Wenn in den folgenden Ausführungen von Legasthenie oder einer LRS gesprochen wird, werden die Begriffe aus oben genannten Gründen synonym gebraucht.

2. Phonologische Bewusstheit

Die phonologische Bewusstheit stellt einen der drei Teilbereiche der phonologischen Informationsverarbeitung dar (Ulrich-Brink 2004, S. 11). In der Forschung ist derzeit unumstritten, dass die phonologische Bewusstheit eine wichtige Rolle beim Schrift-spracherwerb spielt. So gilt ein Defizit in der phonologischen Verarbeitung als ho-her Risikofaktor für eine spätere Leserechtschreibschwäche (Ulrich-Brink 2004, S. 10). Die phonologische Bewusstheit ist eine spezifische kognitive Fähigkeit, bei der eine Auseinandersetzung auf metasprachlicher Ebene mit den phonologischen Struk-tureinheiten der Sprache stattfindet (Schnitzler 2008, S. 5).

2.1 Phonologische Bewusstheit i. e. S. und phonologische Bewusstheit i. w. S.

Bei der phonologischen Bewusstheit trifft man eine Unterscheidung nach dem Grad der tatsächlichen Bewusstheit und der Verfügbarkeit des Wissens: Man differenziert zwischen einer phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne und einer phonologi-schen Bewusstheit im weiteren Sinne (Brandenburg/Klemenz 2009, S. 31). Die pho-nologische Bewusstheit im weiteren Sinne umfasst die Wahrnehmung gröberer sprachlicher Einheiten, wie etwa das Erkennen von Silben und Reimen. Die phono-logische Bewusstheit im engeren Sinne beinhaltet das bewusste Anwenden dieses

Wissens und steht im engen Zusammenhang mit dem Schriftspracherwerb (z.B. bei der Aufgabe: Was wird aus „Buch“ wenn man /b/ durch ein /t/ ersetzt? – „Tuch“). In diesem Zusammenhang spricht man auch von impliziten und expliziten Fähigkeiten (Schnitzler 2008, S. 6).

2.2 Teilkomponenten der phonologischen Bewusstheit

Um die gemeinten Fähigkeiten eindeutiger zu bezeichnen wird in neueren Publika-tionen auf die Begrifflichkeit der phonologischen Bewusstheit im engeren und weite-ren Sinne verzichtet und von einer phonologischen Bewusstheit auf der Silben-, On­set-Reim- und Phonemebene gesprochen (Schnitzler 2008, S. 6), wobei der Schwie-rigkeitsgrad von großen zu kleinen phonematischen Einheiten ansteigt. Ferner wer-den in der Dimension der Explizitheit der Operation die vier Ebenen des Identifizie-rens, Segmentierens, Synthetisierens und Manipulierens unterschieden, wobei der Schwierigkeitsgrad von Identifizieren zu Manipulieren ansteigt (Scheerer-Neumann/ Hofmann 2002, S. ß2).

2.3 Voraussetzungen für metalinguistische Bewusstheit

Eine grundlegende Voraussetzung für die Ausbildung der phonologischen Bewusst-heit und metalinguistische Fähigkeiten überhaupt, ist die Fähigkeit zur Dekontextua-lisierung (Schnitzler 2008, S. 8), d.h. die Befähigung zur Trennung von Bezeichne-tem und Bezeichnendem. Bei dieser dekontextualisierten Betrachtung werden inhalt-liche Aspekte ignoriert und der Fokus auf die Form der sprachlichen Äußerung ge-legt. Diese Trennung ist nicht selbstverständlich, wie ein Experiment von Bosch (1965) (Schnitzler 2008, S. 9) zeigt: Auf die Frage, welches Wort länger sei, „Kuh“ oder „Piepvögelchen“ antworteten Vorschulkinder anhand semantischer Informatio-nen, „Kuh“ sei länger, da eine Kuh größer ist als ein Vogel. Eine korrekte Beantwor-tung kann also nur stattfinden, wenn das Kind bereits über ein explizites phonologi-sches Bewusstsein verfügt und formale und inhaltliche Aspekte einer sprachlichen Äußerung trennen kann (Schnitzler 2008, S. 9).

3. Die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit

Bei der Entwicklung der phonologischen Bewusstheit im Kindesalter geht man da-von aus, dass es sich um eine kontinuierliche Entwicklung handelt, die auf zwei Ebenen stattfindet. Auf der Ebene der Operation erfolgt eine Entwicklung von der impliziten zur expliziten Bewusstheit (damit von „Identifizieren“ zu „Manipulie-ren“), auf der Ebene der phonologischen Einheit eine Entwicklung von den großen phonologischen Einheiten (Silben) zu kleinen phonologischen Einheiten (Phoneme) (Schnitzler 2008, S. 33). Nun stellt sich die Frage, in welchem Alter ein Kind über welche Form der phonologischen Bewusstheit verfügt und inwiefern der Schrift-spracherwerb Einfluss auf diese Entwicklung hat: Welche Komponenten entstehen erst durch Kontakt mit der Schriftsprache (in der Schule), welche Fähigkeiten wer-den ungesteuert mit der normalen Sprachentwicklung (im Vorschulalter) erworben? Schnitzler fasst in ihrer Monographie verschiedene Studien zu Teilbereichen der phonologischen Bewusstheit, die mit verschiedenen Altersstufen durchgeführt wur-den, zusammen und versucht ein einheitliches Bild der Entwicklung der phonologi-schen Bewusstheit im Kindesalter zu zeichnen. Anhand dieser Daten soll im Folgen-den die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit grob skizziert werden.

3.1 Entwicklung im Vorschulalter und am Schulanfang

Man geht davon aus, dass im Vorschulalter nicht nur ein implizites Wissen über gro-ße phonologische Einheiten existiert, sondern theoretisch auch schon kleine phono-logische Einheiten unterschieden werden können müssten. Diese Annahme leitet man davon ab, dass die Phonemebene wichtig ist, um inhaltliche Aspekte der deut-schen Sprache zu verstehen. So muss auch bereits ein Vorschulkind über die implizi-te Fähigkeit verfügen, die Phoneme /b/ und /d/ zu erkennen, da sie bedeutungsunter-scheidend sind („Gelb“ vs. „Geld“) (Schnitzler 2008, S. 38). Studien bestätigen (vgl. Van Bon u. van Leeuwe, 2003), dass bei der Mehrzahl der Kindergartenkinder be-reits eine implizite Bewusstheit auf Phonemebene vorhanden ist, 14% der untersuch-ten Kinder allerdings nicht über diese Fähigkeiten verfügen (Schnitzler 2008, S. 38). Nach Schnitzler entwickeln sich explizite Fähigkeiten auf der Phonemebene nicht unabhängig vom Schriftspracherwerb, da Kindergartenkinder nicht in der Lage sind, Aufgaben mit diesen Anforderungen zu lösen.

Der Rückgriff auf größere phonologische Einheiten wie Silben ist einfacher und ge-lingt besser, da sie bereits durch den Sprechrhythmus markiert werden (Scheerer-Neumann/ Hofmann 2002, S. ß3). In dieser Altersstufe erfolgt das Segmentieren von Silben über Silbenklatschen, was eine starke Strukturierungshilfe darstellt und nur bei Mehrsilbern erfolgreich angewendet werden kann (implizites Wissen)

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Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung der phonologischen Bewusstheit und Möglichkeiten der Prävention bei Legasthenie
Hochschule
Universität Siegen  (FB 3 Germanistik)
Veranstaltung
Orthographie und Zeichensetzung
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V137009
ISBN (eBook)
9783640447350
ISBN (Buch)
9783640447596
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
-Leistungsnachweis im Hauptstudium -Mit über 20 Einträgen im Literaturverzeichnis
Schlagworte
Legasthenie, phonologische Bewusstheit, Lernstörung, gestörter Schriftspracherwerb, Schriftspracherwerb, LRS, Prävention Legasthenie, Therapie Legasthenie, Lehrer Legasthenie, Lehrer Sprache, Grundschule, Schreiben lernen, Probleme Schriftspracherwerb, Phonembewusstheit
Arbeit zitieren
Katharina Beyer (Autor:in), 2009, Die Bedeutung der phonologischen Bewusstheit und Möglichkeiten der Prävention bei Legasthenie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137009

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