„Wenn man keine Tränen mehr zum Weinen hat...“

Die humoristische Auseinandersetzung mit der Shoa im Politikunterricht


Fachbuch, 2009

111 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung: Medien als „vermittelnde Instanz“ zwischen Lebenswelt

und Politik(unterricht)

I. Die humoristische Auseinandersetzung mit der Shoa als Voraussetzung für den Zugang zum Politischen
1. Die Shoa als „schwerste Hypothek“
1.1 Judenverfolgung und -vernichtung im Dritten Reich (1933-1945)
1.2 Fehlkonzeptionen bei SchülerInnen
2. Politische und historische Bildung als „Interdependenzverhältnis“
2.1 Verknüpfung von Geschichte und Politik im Politikunterricht
2.2 Erinnerungskultur und Geschichtsbewusstsein
3. Das Medium Film im Politikunterricht
3.1 Einsatzmöglichkeiten des Mediums im Politikunterricht
3.2 Roberto Benignis „Das Leben ist schön“
3.3 Die Kontroverse um die Darstellbarkeit der Shoa in der Tragikomödie
4. Fazit: Humor als „Triumph des Ichs“

II. „Mediale Zugänge zur Shoa “: Ein Ansatz für den Politikunterricht
5. Anforderungen an das geschichtspolitische Unterrichtskonzept
5.1 Der Zugang zum Politischen
5.2 Spezifika der Geschichtspolitik
5.3 Das Kontroversitätsgebot
6. Die Förderung von Kompetenzen im Unterrichtskonzept
6.1 Analysekompetenz
6.2 Urteilskompetenz
6.3 Das Kompetenzmodell zur Förderung der Analyse- und Urteilskompetenz
7. Planung und Durchführung des Konzepts „Mediale Zugänge zur Shoa
7.1 Die emotionale Dimension
7.2 Die rationale Dimension
7.3 Die Wertedimension

III. „Die Erinnerung darf nicht enden“
8. Reflexion: „Mediale Zugänge zur Shoa
9. Bilanz: Plädoyer für eine zukunftsorientierte Verantwortungsdidaktik

Abbildungsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

Anlage

Vorwort

Mit diesem Buch, das auf meiner Staatsexamensarbeit basiert, möchte ich meinen Ansatz zur Auseinandersetzung mit der Shoa im Politikunterricht präsentieren. Dass ich diese Art der Thematisierung favorisiere, wird sicherlich einige Personen empören. Der Punkt ist jedoch, dass wir in diesen Zeiten die SchülerInnen nur noch mit unkonventionellen und entmystifizierenden Ideen erreichen.

Ich lade Sie ein, meinen Ansatz zu studieren und hoffe, dass sich andere AutorInnen mit weiteren Konzepten anschließen, um den Lernenden eine aktive und beherzte Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu ermöglichen.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei einigen Personen für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung bedanken. Ohne die hier nachfolgend aufgelisteten Menschen wäre dieses Buch nicht zustande gekommen, ohne sie hätte ich wahrscheinlich so manche Hürde nicht nehmen können.

Zunächst möchte ich mich bei meiner Mutter, Kathrin Griebsch, für ihre Liebe und ihr uneingeschränktes Vertrauen bedanken. Meine kontinuierliche Förderung und meine persönliche Weiterentwicklung ist ihrem Fingerspitzengefühl zu verdanken. Anne Friedrich danke ich für ihre Liebe und ihre Unterstützung. Inge und Horst Engler danke ich für die familiäre Wärme und ihre Unterstützung in allen Lebenslagen. Bei Kay Hallaschek möchte ich mich für seine freundschaftliche Unterstützung und sein pädagogisches Feingefühl bedanken. Er war es schließlich, der mich mit „Das Leben ist schön“ konfrontierte und mir mit seiner Ausarbeitung Grundideen zur Weiterentwicklung präsentierte. Frau Prof. Sibylle Reinhardt, Herrn Prof. Andreas Petrik und Frau Dr. Heike Müller danke ich für die fundierte politikdidaktische Ausbildung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Herrn Frank Werner-Bentke für seine hilfreichen Anregungen während der schulpraktischen Ausbildung.

Robert Griebsch, Halle (Saale) im September 2009

Einleitung: Medien als „vermittelnde Instanz“ zwischen Lebenswelt und Politik(unterricht)

Der auf die vollständige Vernichtung zielende Genozid an den Juden zwischen 1941 und 1945 nimmt nicht nur in der deutschen, sondern auch in der internationalen Geschichtsschreibung eine Sonderstellung ein. Die Planung und Durchführung der industriellen Massentötung veranschaulicht, zu welch grausamen Verbrechen der Mensch im Stande ist. Nach dem Niedergang des Dritten Reiches und der Aufdeckung dieser Gräueltaten stellte sich die Frage, wie die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen aufgearbeitet und dargestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist zu hinterfragen, auf welche Weise man Jugendliche mit diesem „moralische[m] und politische[m] Absturz“ (Schmidt 102008: 78) konfrontiert.

Nur noch wenige Zeitzeugen können die Nachfahren mahnen, sich und ihr Umfeld an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu erinnern. Es besteht die Gefahr, dass Betroffenheit, Empörung und Verantwortungsgefühl der Gleichgültigkeit und dem Vergessen weichen müssen. Unsere Gesellschaft hat deswegen die Pflicht, Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Shoa aufzubereiten, die einerseits ohne eine direkte Integration von Zeitzeugen auskommen und andererseits den historischen, ideologischen und sprachlichen Kontext nicht vernachlässigen (vgl. Thiele 22007: 10).

Hauptthesen und Forschungsinteresse

Bisher mangelt es jedoch an Konzepten, den SchülerInnen1 die Auseinandersetzung mit der industriellen Massenvernichtung zu ermöglichen, ohne sie zu bevormunden (vgl. Bundschuh 2007: 35). Mit diesem Buch möchte ich aus diesem Grund einen politikdidaktischen Zugang zur Shoa theoretisch erarbeiten und meine Vorschläge zur praktischen Umsetzung in Schulklassen entsprechend erläutern.

Dass der Politikunterricht2 für die Behandlung dieser Thematik die optimalen Voraussetzungen bietet, ist zunächst zu erklären. Verstehen wir die politische Mündigkeit und die Emanzipierung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften als oberste Ziele der politischen Bildung, dann müssten wir die Politikdidaktik mit dem Zweck verbinden, den Lernenden zu ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben aktiv zu partizipieren. Der Politikunterricht hat damit einen direkten Praxisbezug. Der Geschichtsunterricht bzw. historisches Lernen stellt für den Praxisbezug jedoch primär ein Sammelsurium an historischen „Lehren“ zur Verfügung. Somit hat der Geschichtsunterricht vielmehr eine Orientierungsfunktion (vgl. Lange 22009: 11). Direkt bezogen auf mein Konzept bedeutet dies, dass der Politikunterricht zwar auf ein historisches Thema bezogen ist, jedoch Handlungsoptionen für die Gegenwart und Zukunft aufzeigen soll: Die Jugendlichen entscheiden selbstständig über die Formen des individuellen Erinnerns und nehmen in diesem Zusammenhang ihre Verantwortung wahr, pluralistische Werte in der Zukunft zu wahren.

Historisch-politisches Lernen gelingt in diesem Zusammenhang nur, wenn wir das politikdidaktische Prinzip der Lebensweltorientierung als Ausgangspunkt begreifen. Dieses Prinzip ist von enormer Bedeutung, um eine Verbindung zwischen der Lebenswelt der SchülerInnen und dem Lerngegenstand herstellen (vgl. Grammes 1998: 220), somit also einen persönlichen Bezug der Lernenden sicherstellen zu können (vgl. Gudjons 1984: 79). Die Konfliktregelung wird für die Jugendlichen somit in einem, ihnen bekannten, Feld nachvollziehbar (vgl. Sutor 21994: 11). Damit ergibt sich der Anspruch, ein Konzept zu entwickeln, das Elemente aus der Lebenswelt der SchülerInnen für sich nutzt, um diese erfolgreich mit der Shoa konfrontieren zu können. Entschieden habe ich mich für die Elemente Humor und Spielfilm.

Zwangsläufig sollte man sich an einem „weiten“ Politikbegriff orientieren. Integriert wird hierbei auch die soziale Sphäre, um alltägliche Probleme der Lebensbewältigung in allgemeiner Hinsicht thematisieren zu können. Dieses politische „Alltagsdenken“ ist die Folge von „alltäglicher Konstruktion und Reproduktion politischer Wirklichkeit“ (Patzelt 52003: 443). Gehen wir also davon aus, dass die politische Dimension dann erreicht ist, wenn die eigene Position zu einem Streitpunkt artikuliert und bewusst in Konkurrenz zu Gegenpositionen gesetzt wird (vgl. Lange 2006: 16), um individuelle Interessen und Ziele für alle Gruppenangehörigen verbindlich zu machen (vgl. Lange 22009: 42). Somit muss man „Politik“ als viel komplexer begreifen: „Politik“ ist „jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemeinverbindlicher Regelungen und Entscheidungen in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt“ (Patzelt 52003: 23). Dies bedeutet für unsere Thematik, dass unser gewähltes Medium zur Auseinandersetzung mit der Shoa eine Kontroverse auslösen muss. Jene Kontroverse muss die Jugendlichen zu einer Positionierung zwingen und gleichzeitig ermöglichen, dass die Lernenden ihre jeweiligen Interessen austauschen und für alle allgemeinverbindlich machen wollen.

Bezogen auf mein Konzept möchte ich folgende Hauptthesen formulieren und begründen: Die Lebenswelt der SchülerInnen kann mit dem Lerngegenstand Shoa verbunden werden, wenn das Medium Film die „Scharnierfunktion“ übernimmt. Wenn der ausgewählte Film eine Kontroverse bei den Lernenden generiert, die entsprechend politikdidaktischer Fragestellungen und Modelle analysiert und beurteilt werden kann, erreicht die Unterrichtskonzeption auch die politische Dimension.

Dass Menschen ihr historisches und politisches Wissen überwiegend aus Film und Fernsehen beziehen (vgl. Krammer 2008a: 51), sollte auch für den Politikunterricht genutzt werden. Aus diesem Grund möchte ich das Medium Film auch als eine „vermittelnde Instanz“ (Weißeno 2002: 25) zwischen Lebenswelt und Politik(unterricht) charakterisieren. Gerade Spielfilme haben ein enormes Potential, da die Regisseure sich immer neue „Strategien emotionaler Gestaltung“ (Mikunda 2002: 11) überlegen. Kommunikationsprozesse sind immer abhängig von Emotionen (vgl. Welzer 2002: 136), im Idealfall beginnen Menschen über sich selbst zu sprechen, wenn der Spielfilm analysiert werden soll (vgl. Koch 2005: 432). Erst diese Selbstreflexion gewährt Mündigkeit (vgl. Grammes / Schluß / Vogler 2006: 529), die wiederum die Voraussetzung für die (Weiter-)Entwicklung der Urteilskompetenz und das Erreichen der politischen Dimension darstellt.

Die Hauptfunktion eines Films ist es, Ereignisse durch die vom Urheber erschaffene Formulierung zu erzählen (vgl. Cordes 1997: 3). Da jedoch nichts die Shoa erklären oder darstellen kann (vgl. Thiele 22007: 11), muss ein Spielfilm ausgewählt werden, der das auch nicht versucht, sondern einen „anderen“ Zugang zur Shoa anbietet. Genau diesen Anspruch erfüllt Roberto Benignis Tragikomödie „Das Leben ist schön“. Der Spielfilm von 1997 erzählt die Geschichte eines Vaters, der die „kindliche Unschuld“ seines Sohns sichern will, indem er die Gräueltaten im Konzentrationslager durch Komik und ein erfundenes Spiel vor ihm verheimlicht. Somit versucht Benigni, eine Auseinandersetzung auf einer humorvollen Ebene zu ermöglichen, ohne jedoch die tragischen Schicksale auszublenden.

Von diesen Erkenntnissen ausgehend möchte ich eine dritte Hauptthese formulieren: Die humoristische Auseinandersetzung mit der Shoa ist die Vorraussetzung, um den Jugendlichen den Zugang zum Politischen zu ermöglichen. Eine moralisch fragwürdige Auseinandersetzung ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, die Distanz der SchülerInnen zum Genozid an den Juden abzubauen. Dieser, ihnen unbekannte mediale Zugang polarisiert, provoziert zu einer Meinungsfindung und generiert eine Kontroverse: Darf man die Shoa und Humor miteinander verknüpfen? Der Zugang zum Politischen gelingt, da das Gefühl, „die Welt sei in Ordnung und alle seien sich im Grunde einig“ (Petrik 2007b: 16), durch die Kontroverse in Frage gestellt wird. Im Prinzip wird dabei nur die „im Menschsein strukturell gegebene Polarität der Prinzipien“ (Sutor 21994: 17) bedient. Befürworter und Gegner werden versuchen, ihre eigene Position zu verteidigen und ihre „WidersacherInnen“ von dieser zu überzeugen.

Gliederung des Buchs

Pöttkers drastische Definition von der Geschichte als „anthropologische[m] Experimentierfeld“ (2005: 235) formuliert einen wichtigen Anspruch an meine Konzeption: Historische Ereignisse dürfen nicht mystifiziert, sondern sollen mit Hilfe von unkonventionellen Hilfsmitteln thematisiert werden. „Das Leben ist schön“ ist definitiv normabweichend: Ermöglicht die Tragikomödie eine geeignete Auseinandersetzung mit der Shoa ?

Im Theorieteil des Buchs (I.) werde ich zunächst beweisen, dass nur der Begriff „ Shoa “ - und nicht der Ausdruck „Holocaust“ - im Sinne der jüdischen Tradition als Synonym für den Genozid verwendet werden sollte (1.). Anschließend werde ich versuchen, die Judenverfolgung und -vernichtung zwischen 1933 und 1945 kurz zu skizzieren (1.1), bevor ich dann die Fehlkonzeption eines simplen, personalen Geschichtsbildes bei Jugendlichen charakterisieren werde (1.2). Im zweiten Kapitel werde ich nachweisen, dass historisches und politisches Lernen in einem „Inderpendenzverhältnis“ (Sutor 2004) stehen (2.). In diesem Zusammenhang werde ich verdeutlichen, dass man historische und politische Bildung mit einem korrelativen Ansatz verknüpfen und diese Korrelation einem kooperativen oder integrativen Ansatz vorziehen sollte (2.1). Den korrelativen Ansatz verstehe ich außerdem als Bindeglied zwischen Erinnerungskultur und Geschichtsbewusstsein (2.2), um einen reflektierten Umgang mit Medien oder Quellen ermöglichen zu können. In einem dritten Schritt werde ich beweisen, dass der Spielfilmeinsatz eine geeignete Variante ist, um die Lebenswelt der SchülerInnen und den Lerngegenstand „ Shoa “ miteinander zu verknüpfen (3.). Anschließend werde ich die Einsatzmöglichkeiten von Filmen im Politikunterricht erläutern (3.1), bevor ich Roberto Benignis Tragikomödie vorstellen werde (3.2), um davon ausgehend die Kontroverse um die Darstellbarkeit der Shoa im Medium Film herleiten zu können (3.3). Im Fazit des Theorieteils werde ich erklären, warum SchülerInnen auf Betroffenheitskonzepte nicht reagieren und erläutere letztlich die besonderen Stärken der humoristischen Auseinandersetzung (4.).

Im Praxisteil dieser Publikation (II.) werde ich zunächst die Anforderungen für ein Unterrichtskonzept herleiten (5.). Dabei geht es vor allem um den Zugang zum Politischen (5.1), die besonderen Spezifika der Geschichtspolitik (5.2) und das Kontroversgebot, verbunden mit einem Streitgespräch (5.3). Darauf aufbauend werde ich ein Kompetenzmodell (6.) erarbeiten, das - ausgehend von meiner Darstellung zur Analyse- (6.1) und Urteilskompetenz (6.2) - direkt auf mein Unterrichtskonzept zu beziehen ist und eine Lernevaluation ermöglichen soll (6.3). Im Anschluss werde ich mein Unterrichtskonzept vorstellen (7.). Dabei wird das Konzept nach den „drei Elemente[n] politischen Lernens“ (Deichmann 2004: 69) zu differenzieren sein. Zu unterscheiden sind somit die emotionale (7.1) und die rationale Dimension (7.2), sowie die Wertedimension (7.3).

Im Reflexionsteil (III.) werde ich im Zusammenhang mit meiner Unterrichtsreflexion (8.) nachweisen, dass Benignis Tragikomödie die angestrebten Ziele erfüllt hat: Der Film ermöglichte zunächst den Zugang zum Lerngegenstand und generierte dann eine Kontroverse (geeignete Auseinandersetzung vs. Grenzüberschreitung), die nötig ist, um den SchülerInnen zu ermöglichen, eigene mediale Zugänge zur Shoa kriteriengeleitet auszuwählen. Im letzten Kapitel (9.) sollen dann die Forschungsperspektiven verdeutlicht werden. Darüber hinaus werde ich klar stellen, warum die Unterrichtskonzepte zur Shoa den Jugendlichen keine Schuldgefühle anerziehen, sondern ihnen ihre Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft verdeutlichen sollen, eine erneute Abkehr von Menschlichkeit und Demokratie zu verhindern.

I. Die humoristische Auseinandersetzung mit der Shoa als Voraussetzung für den Zugang zum Politischen

1. Die Shoa als „schwerste Hypothek“

Seit 1979 wird der Begriff „Holocaust“3 als Synonym für die industrielle Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten verwendet. Die Bezeichnung stammt aus der griechischen Sprache („holókaustos“) und bedeutet wörtlich übersetzt „ganz verbrannt“. In der BRD etablierte sich der Begriff durch Marvin Chomskys, im Januar 1979 ausgestrahlte, US-amerikanische Spielfilmreihe „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß“ (vgl. Gilbert 2001: 62). 1980 wurden zahlreiche Publikationen zum Thema veröffentlicht und „Holocaust“ in der BRD sogar zum „Wort des Jahres“ gewählt (vgl. Werner 2004: 23), da sich vorher keine einheitliche Bezeichnung für den Genozid durchsetzen konnte. Somit müssen wir resümieren, dass der Begriff nicht durch wissenschaftliche Schriften etabliert, sondern aufgrund einer TV-Produktion in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt wurde (vgl. Wende 2002: 8). Bereits diese Erkenntnis macht deutlich, welche Bedeutung das Medium Film hat: Der Mensch braucht scheinbar eine Rekonstruktion von Ereignissen, um Erfahrungen bzw. Argumente neu auslegen zu können (vgl. Hofmann 1996: 7). Filme bieten dabei die Möglichkeit, „Schatten der Vergangenheit zu beschwören“ (Paschen 1994: 19).

Klar muss jedoch sein, dass der Begriff „Holocaust“ nach jüdischem Kulturverständnis nicht als Synonym für den Genozid verwendet werden darf: „Unter den verschiedenen Tieropfern im Jerusalemer Heiligtum gab es eines, das weder von den Spendern noch von den Priestern gegessen werden durfte, weil es in Gänze verbrannt wurde. Das hebräische Wort für dieses Opfer war olá (wörtlich: emporsteigend), in der griechischen Übersetzung der Tora wurde das Wort [holókaustos] dafür verwendet. Die olá war, solange der Opferdienst in Kraft war und ausgeführt wurde, der höchste Ausdruck totaler Hingabe an Gott. Die Massenschlachtung von Menschen durch die Nationalsozialisten, als [Holocaust] zu bezeichnen, ist nicht nur ein Missverständnis, sondern Blasphemie, Beleidigung der Opfer und Verherrlichung der Mörder“ (Radday 1997: 19).

Durch den neunstündigen kommentierten Dokumentarfilm „Shoa“ von Regisseur Claude Lanzmann etablierte sich 1985 ein Synonym für den Begriff „Holocaust“: Shoa (vgl. Heil 2002: 214f.). Der Begriff stammt aus dem Hebräischen und bedeutet „Katastrophe“ (vgl. Pohl 2003: 64) oder „großes Unglück“ (vgl. Thiele 22007: 15). 1951 führte Israel den „Jom ha Shoa4“ ein und erhob ihn 1959 zum gesetzlichen Feiertag: Es ist der Gedenktag für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Shoa bezeichnet somit nach dem jüdischen Selbstverständnis den Genozid am eigenen Volk (vgl. Grosz 2009).

Im ersten Unterkapitel werde ich den historischen Kontext der Shoa skizzieren, da ich die Judenverfolgung und -vernichtung zwischen 1933 und 1945 knapp darstellen werde (1.1). Im nächsten Schritt muss das Geschichtsbild der Jugendlichen untersucht werden (1.2). Dies ist die Voraussetzung, um eine Unterrichtskonzeption entsprechend entwickeln zu können.

1.1 Judenverfolgung und -vernichtung im Dritten Reich (1933-1945)

Am 16. November 1941 erschien die Wochenzeitung „Das Reich“ mit einem Leitartikel von Joseph Goebbels („Die Juden sind schuld!“) auf der Titelseite. In dem Artikel heißt es unter anderem: „Die Juden wollten ihren Krieg, und sie haben ihn nun. Aber es bewahrheitet sich an ihnen auch die Prophezeiung, die der Führer am 30. Januar 1939 im Deutschen Reichstag aussprach, daß, wenn es dem internationalen Finanzjudentum gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein werde, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa. [...] Mitleid oder gar Bedauern ist da gänzlich unangebracht.“ Zeitungsmeldungen kündigten nicht nur die Shoa an, sie enthielten auch Berichte von Konzentrationslagern - der Begriff und die Funktion der Lager war der breiten Öffentlichkeit bekannt (vgl. Gellately 32005: 284). Dass sich ein Großteil der Bevölkerung darauf berief, nichts von dem Genozid an den Juden gewusst zu haben, erscheint mir als Fluchtversuch vor der eigenen Verantwortung.

Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa lässt sich grob in vier Phasen einteilen:

Abbildung 1: Phasen der Judenverfolgung und -vernichtung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Erste Ansätze der Judenverfolgung gehen auf die Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahre 1933 zurück. Die Handlungsfähigkeit der jüdischen Bevölkerung in Deutschland wurde durch verschiedene rechtliche Eingriffe stark eingeschränkt. Man forderte die deutsche Bevölkerung auf, jüdische Geschäfte, Anwälte oder Ärzte zu boykottieren und entließ einen großen Teil der jüdischen Arbeitnehmer aus ihren Berufen. So wurde beispielsweise am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, das auch vorsah, jüdische Beamte aus ihrem Beruf zu entfernen. Im selben Monat wurde das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ verkündet, das den Anteil der „Nicht-Arier“ in Bildungseinrichtungen auf fünf Prozent beschränkte (vgl. Benz 1997: 373f.).

Der so genannte „Arierparagraph“5 legitimierte weitere Boykottaktionen: So beispielsweise den Boykott von jüdischen Schriften (Oktober 1933) oder von jüdischen Schauspielern (März 1935). Durch diesen Paragraph konnte nun die Ausgrenzung der Juden aus allen Lebensbereichen begründet werden (vgl. Benz 2000: 134f.).

Schon in diesem Zeitraum wurden die Grundlagen für die spätere Vernichtung der Juden in Europa geschaffen. Mit der Berufung von Hitler zum Reichskanzler begann bereits der Bau von Konzentrationslagern. Masseninhaftierungen von politischen Gegnern führten zur Überlastung der staatlichen Haftanstalten und zur Inhaftierung in Lager auf den Gebieten alter Großbetriebe und Fabriken. Das KZ Dachau wurde beispielsweise bereits im März 1933 errichtet (vgl. Williamson 2003: 104).

Mit dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze am 15. September 1935 wurden allen Juden im Reich die Bürgerrechte abgesprochen und die Heirat von Juden und Ariern untersagt. Eine genaue Definition des „Juden“ folgte am 14. November 1935: Die „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ bezeichnete gemäß § 5 als Juden, „wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt [...]. Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige Mischling, a. der beim Erlass des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b. der beim Erlass des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c. der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt [...], d. der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Abs. 1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.“

Durch Ausgangssperren und Zuweisungen von separaten Einkaufseinrichtungen wurde die jüdische Bevölkerung darüber hinaus systematisch ausgegrenzt (vgl. Pohl 2003: 12).

Einen Höhepunkt der Judenverfolgung vor Beginn des Zweiten Weltkriegs stellten die Ausschreitungen in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 dar. In dieser dritten Phase spricht man von einer Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenpolitik. Das Attentat des 17-jährigen Juden Herschel Grünspan auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath am 7. November 1938 in Paris diente als Vorwand zur öffentlichen Legitimation. Am 9. November plünderten und verwüsteten Mitglieder von SA und SS auf Anordnung von Goebbels jüdische Geschäfte und Synagogen. Anschließend wurden die Räumlichkeiten in Brand gesetzt. Juden wurden schikaniert und teilweise schwer misshandelt6. Gleichzeitig wurden mehr als 30.000 Menschen in der Reichskristallnacht festgenommen und in Konzentrationslager deportiert. Unzählige wurden ermordet (vgl. Williamson 2003: 44f.). Die Nacht kennzeichnete den Beginn der organisierten Deportation der jüdischen Bevölkerung in Europa.

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 und dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen gründete man Einsatzgruppen aus Mitgliedern der Sicherheitspolizei und dem SD, die in den eroberten Gebieten die Festnahme und Ermordung von Juden und politischen Gegnern vornahmen. Um den Einsatztruppen ihre Tätigkeiten zu erleichtern, mussten Juden sich seit November 1939 durch gelbe Armbinden (später durch den, an der Kleidung angenähten Judenstern) als solche zu erkennen geben (vgl. Benz 1995: 8).

Durch die Gründung von Ghettos in größeren Städten wurden die Juden räumlich konzentriert. Nachdem man sich von der Idee der Umsiedlung aller Juden auf die afrikanische Insel Madagaskar distanzierte, versuchte man die jüdische Bevölkerung von den restlichen Bewohnern zu trennen und gleichzeitig für einen möglichen Abtransport in die Konzentrationslager zu sammeln. Man begann im Frühjahr 1940 mit der Errichtung von Ghettos in Städten wie Warschau und Lodz. Bei katastrophalen hygienischen Zuständen wurden die Juden gezwungen, in Werkstätten und Fabriken deutsche Rüstungsgüter zu produzieren (vgl. Benz 2000: 209). Die schlechte Versorgung führte dabei in einigen Ghettos zu einem drastischen Anstieg der Sterberate. Das Ghetto von Warschau verzeichnete so 100.000 Tote. Aus diesem Grund entschied man sich im Herbst 1941, die Juden aus den besetzten Gebieten gleich in die Konzentrationslager zu deportieren (vgl. Pohl 2003: 65ff.).

Schon im Sommer 1941 befahl der Reichsführer-SS Heinrich Himmler dem damaligen Lagerkommandanten des KZ Auschwitz-Birkenau, Rudolf Höß, eine effektive Tötungsmethode zu entwickeln und leitete damit die Shoa ein. Der Kommandant des im Mai 1940 errichteten KZ ließ daraufhin im September 1941 erste Versuche mit Zyklon B durchführen. Ab Frühjahr 1942 wurde die industrielle Massenvernichtung in den Todeslagern, beispielsweise in Auschwitz-Birkenau und Treblinka, durch die Anwendung von Giftgas praktiziert. Auch die Vergiftung durch Auspuffgase in extra dafür präparierten Bussen wurde durchgeführt, um die Endlösung der Judenfrage herbeizuführen (vgl. Kießling, Nicklas, Schäfer u.a. 2005: 293).

Das von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich organisierte Treffen hoher Partei-und Regierungsmitglieder am Wannsee von Berlin diente einem Zweck: Heydrich sollte die Teilnehmer über die Erfahrungen mit der Tötung durch Zyklon B aufklären. Aussagen, während Konferenz am 10. Januar 1942 sei der Genozid an den Juden erst beschlossen wurden, müssen als falsch zurück gewiesen werden. Die Mordkommandos waren zu diesem Zeitpunkt längst aktiv (vgl. Benz 1995: 4ff.).

Die folgende Abbildung soll die Anzahl und die geographische Lage der Konzentrations- und Vernichtungslager visuell verdeutlichen:

Abbildung 2: Geographische Lage der Konzentrations- und Vernichtungslager

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Kießling / Nicklas / Schäfer u.a. 2005: 292)

Während der Shoa verloren etwa sechs Millionen Juden ihr Leben. Allein in Polen wurden drei Millionen Juden Opfer der industriellen Massenvernichtung (vgl. Pohl 2003: 109). Die Verschleppung und Vernichtung einer gesamten Volksgruppe, unabhängig von Geschlecht und Alter, wurde von staatlicher Hand geplant und durchgeführt (vgl. Judt 2006: 934). Die Shoa ist dabei „zum Synonym für den Zivilisationsbruch“ (Benz 2000: 229) geworden.

Dass dieses historische Verbrechen nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern auch im Politikunterricht thematisiert werden sollte, muss noch nachgewiesen werden. Es stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch sofort die Frage, wie Jugendliche mit dieser Thematik umgehen.

1.2 Fehlkonzeptionen bei SchülerInnen

Historisches Lernen soll die Erfahrungs-, Deutungs- und Orientierungskompetenz fördern und somit den Lernenden ermöglichen, historisches Wissen aufzubauen. Das Problem ist jedoch, dass Jugendliche Geschichte oft als „eindeutig“ begreifen: Für sie gibt es nur eine historische „Wahrheit“ (vgl. Günther-Arndt 22005: 25f.). Dieses Fehlkonzept wird leider nur sehr selten im Geschichtsunterricht in Frage gestellt. Einen „Beutelsbacher Konsens“7 gibt es für den Geschichtsunterricht nicht. Das zweite Fehlkonzept ist nicht minder problematisch: Geschichte werde immer von Menschen „gemacht“. SchülerInnen fehlt somit die Einsicht, dass Bedingungen und vorgegebene Strukturen Menschen veranlassen, in bestimmten Situationen zu „handeln“ (vgl. Günther-Arndt 2006: 257). Sprechen wir von Fehlkonzepten, so meinen wir „eine Diskrepanz zu einem vorher festgelegten Ziel [...], [also] den zeitlichen Bewusstseinszustand vor Eintritt in eine Lernsequenz“ (Petrik 2007b: 218).

Somit muss zumindest die politikdidaktische Unterrichtskonzeption zur Shoa die pluralen Geschichtsbilder in unserer Gesellschaft verdeutlichen und historische „Wahrheiten“ als interessengeleitete Deutungen entlarven. Ferner muss das Konzept veranschaulichen, dass ein Zusammenhang zwischen menschlichen Handeln, Situationen und gesellschaftlichen Strukturen besteht.

Übertragen wir nun die Fehlkonzeptionen auf die Thematik Shoa, dann müssen wir uns zunächst bewusst machen, dass Jugendliche laut unterschiedlichen Studien kaum historisches Wissen über die industrielle Massenvernichtung haben. Positiv ist höchstens anzumerken, dass der Genozid in den überwiegenden Fällen verurteilt wurde (vgl. Zülsdorf-Kersting 2008: 66).

Eine Studie von Renata Barlog-Scholz konzentrierte sich auf die AbiturientInnen von 1985 und 1990 in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Autorin resümierte, dass besseres Wissen über die Geschehnisse aber auch nicht heißt, dass SchülerInnen ihre Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft ableiten und sich entsprechend engagieren (vgl. 1994: 429). Wir dürfen Wissen somit nicht als einen „Selbstläufer“ begreifen. Ein Großteil der Jugendlichen - ob mit oder ohne Hintergrundwissen - verurteilen die Shoa in erster Linie, weil sie sich der Erwartungen an ihre Meinungen bewusst sind (vgl. Proske & Meseth 2006: 131). Auch Bodo von Borries verdeutlicht in seiner Studie, dass SchülerInnen zumeist den Genozid an den Juden verurteilen, weil dies „sozial erwünscht“ ist (vgl. 1995: 75).

Ihre Verantwortung, eine wiederholte Abkehr von Demokratie und Menschlichkeit zu verhindern, werde jedoch von den Jugendlichen meist ignoriert (vgl. Zülsdorf-Kersting 2008: 70). Diese „moralische Überheblichkeit“ (Pöttker 2005: 12) begründet man in der aktuellen Forschung mit dem simplen personifizierten Geschichtsbild der Jugendlichen: Die Rolle Hitlers (Befehl - Gehorsam) als eigentlich verantwortliche Person werde überbetont und die der Täter und Opfer als Kollektiv („die“ Deutschen oder „die“ Juden) bewusst oder unbewusst relativiert. In diesem Zusammenhang sei die deutsche Bevölkerung als „Opfer“ der Befehlskette zu dem Ausführen von „Befehlen“ gezwungen gewesen oder habe schlicht von den Geschehnissen nichts gewusst. Juden würden aufgrund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten eine „gewisse Mitschuld“8 tragen (vgl. Zülsdorf-Kersting 2008: 118f.).

Aus diesem personalen Geschichtsbild leite ich folgende Erkenntnisse ab, welche die moralische Distanz der SchülerInnen erklären können: Jugendliche wollen mit nichts konfrontiert werden, was sie ihrer Meinung nach negativ bei der Entwicklung ihrer eigenen Identität beeinflussen könnte (vgl. Rosenthal 31999: 18). Die Forderung, sich mit etwas zu beschäftigen, das sie weder erlebt haben, noch beeinflussen können, resultiert in einem Gefühl der Bevormundung. Sie haben das Gefühl, sich als „Sündenböcke“ für die „Fehler“ der Vergangenheit verantworten zu müssen. Es ist aus Sicht der Jugendlichen „sowieso“ undenkbar, dass sich die Shoa wiederholt. Begründen würden sie diese These mit der Projektion „allen Übels“ auf die Person Adolf Hitler. Nur er und „sein“ System hätten die Shoa verursacht (vgl. Zülsdorf-Kersting 2008: 118).

Den Lernenden muss bewusst gemacht werden, dass nur sie die Gegenwart und die Zukunft beeinflussen können. Es liegt in ihrer Hand, ob sich solche Gräueltaten wiederholen. Diese Verantwortung sollen sie jedoch nicht als Bevormundung, sondern als zukunftssichernde Notwendigkeit verstehen. Die Form der Erinnerung soll jedoch ihnen, den einzelnen Individuen überlassen bleiben und somit ihre (politische) Mündigkeit betont und gefördert werden.

In welcher Form politisches und historisches Lernen verknüpft werden kann, versuche ich im folgenden Kapitel zu klären.

2. Politische und historische Bildung als „Interdependenzverhältnis“

Der Geschichtsunterricht thematisiert das Vergangene, der Politikunterricht gesellschaftsrelevante Aspekte der Gegenwart und Zukunft - seit Jahrzehnten wird nun schon versucht, diese Abgrenzung der beiden Unterrichtsfächer aus den Köpfen der Lehrenden und Lernenden zu verdrängen. Dabei sollte es doch unumstritten sein, dass der Politikunterricht „nicht ohne historische Standortbestimmung der eigenen Möglichkeiten und des eigenen Wollens“ (Behrmann, Jeismann & Süssmuth 1978: 16) auskommen kann. Von politischer Bildung kann nur gesprochen werden, wenn die Lehrenden „das Repertoire für die politische Besinnung aus der Geschichte“ (Giesecke 1978: 58) beziehen. Daraus leite ich ab, dass keine (Demokratie-)Kompetenzen gefördert werden können, solange „auf die Erkenntnis ihrer Historizität“ (Behrmann, Jeismann & Süssmuth 1978: 16) verzichtet wird. Erst dadurch ergibt sich auch ein Sinn für das politische Handeln in der Gegenwart, da Ursachen und Entwicklungslinien der gegenwärtigen Kontroversen so erst sichtbar gemacht werden können (vgl. Süssmuth 1988: 548).

Politische und historische Bildung bedingen einander und sind letztlich voneinander abhängig. Dieses „Interdependenzverhältnis“ (Sutor 2004) müssen die LehrerInnen immer vor Augen haben. Ohne den Bezug zur Geschichte, ohne Verweis auf Entwicklungslinien kann der Politikunterricht nicht bestehen (vgl. Schörken 1999: 629). Historische Bildung ist aber auch immer abhängig von der gegenwärtigen Beurteilung von Ereignissen. Die Geschichtsdeutungen werden enorm von der gegenwärtigen politischen Kultur beeinflusst. Sie werden genutzt - ob beabsichtigt oder nicht - um politische Ziele zu erreichen. Kontroversen sind dabei legitim, es kann und soll sich kritisch mit historischen Ereignissen auseinandergesetzt werden. Garantiert wird das durch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es können im Rahmen der bestehenden Gesetze neue Zugänge zur Geschichte gefunden werden, die zwar moralisch umstritten sind, jedoch ein neues Klientel erschließen können und somit in größerem Umfang historische Bildung ermöglichen. Gelingen kann das jedoch nur, da die politische Kultur diese Möglichkeiten einräumt. Soll heißen: Politische Bildung, die Förderung einer differenzierten, multiperspektivistischen Sichtweise, ermöglicht erst, dass gesellschaftliche Kontroversen eindimensionale Geschichtsbilder gar nicht erst entstehen lassen. „Politik konstituiert Geschichte - und Geschichte konstituiert Politik“ (Weidenfeld 1987: 13).

Dieser Teil der Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Ich werde zunächst ein Konzept für die Verknüpfung von politischem und historischem Lernen vorschlagen (2.1). Im Anschluss werde ich präzisieren, dass dieses Konzept nicht nur Politik und Geschichte verbindet, sondern auch unreflektierte Geschichtsdeutungen in Frage stellt und die kritische Reflexion überhaupt erst ermöglicht (2.2).

2.1 Verknüpfung von Geschichte und Politik im Politikunterricht

Die Vergangenheit ist kein „Monopolobjekt“ (Pandel 1978: 348) des Geschichtsunterrichts, auch im Politikunterricht muss retrospektiv agiert werden (vgl. Hilligen 41985: 243). Selbstverständlich kann man nicht alle historischen Begebenheiten thematisieren, man muss aber Bezug nehmen können und die Korrelation von politischen und historischen Aspekten betonen. Es ergeben sich zwangsläufig Fragen, die nur mit Hilfe von historischen Ereignissen im Politikunterricht beantwortet werden können9. Eine simple Kooperation der beiden Unterrichtsfächer ist somit unzureichend, da der „Erkenntnisgewinn [...] aus der Addition“ (Lange 22009: 16) resultiert. Eine Interdependenz wird somit aber nicht deutlich.

Eine „Vollintegration“, also eine Zusammenlegung der beiden Unterrichtsfächer ist auch der falsche Weg, da dies die „Eliminierung fachspezifischer Elemente oder Teilbereiche und ihre Reduktion auf ‚Aspekte’“ (Jeismann & Kosthorst 31979: 31) zur Folge hätte. Darüber hinaus würde der Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart zunehmend verwässert werden (vgl. Lange 22009: 18). Dennoch wurde ein solcher Versuch in einigen Bundesländern unternommen: Das Unterrichtsfach „Gesellschaftslehre“ fasst in der Sekundarstufe I der Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen die Unterrichtsfächer Geschichte, Politik und Geographie zusammen. Verbindliche Rahmenrichtlinien wurden vom Schulministerium des Landes bisher jedoch nicht erarbeitet. Aus diesem Grund haben alle Gesamtschulen die Möglichkeit, ihre eigenen Lehrpläne zu entwickeln. Eine sinnvolle didaktische Reduktion ist jedoch hier kaum vorstellbar, vielmehr werden sich die fachspezifischen Fähigkeiten der Lernenden rapide verschlechtern. Zugespitzt könnte man das Unterrichtsfach „Gesellschaftslehre“ auch knapp als „lernfeindliche chronologische politische Ereignisgeschichte plus Geografisierung plus Aktualisierung“ (Hensel 1986: 26) charakterisieren. Um bei den SchülerInnen überhaupt historisch-politisches Bewusstsein zu entwickeln, wird es zwangsläufig so sein, dass sämtliche Themenkomplexe chronologisch aufgearbeitet werden, um die narrative Entwicklung verdeutlichen zu können. Dieses Unterfangen funktioniert zeitlich aber nur, wenn dafür andere Inhalte verkürzt oder komplett gestrichen werden. Natürlich sind das Themen jenseits der Chronologie, die den Jugendlichen ermöglichen sollten, den Zugang zum Politischen zu finden. Ein Grundanspruch der politischen Bildung ist es beispielsweise, Fehlkonzepte (unter anderem die Homogenitäts- oder Harmonieillusion) der Lernenden in Frage zu stellen. Dieser Anspruch kann jedoch nicht erfüllt werden.

Die schulinternen Lehrpläne und die daraus resultierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Gesamtschulen könnten bei LehrerInnen zu einer gewissen Verunsicherung führen. Es generiert sich eine Art „Blockade“ zwischen Lehrenden, Lerngegenstand und SchülerInnen, Lernmotivation und -erfolg werden negativ beeinflusst. Die Folge ist, dass die Jugendlichen Kompetenzen nicht entwickeln können, da bei den schulinternen Lehrplänen „Mixturen [...] aus vierter oder fünfter Hand zusammengebraut“ (Key 1978: 95) werden. Es entstehen jene Kommunikationsprobleme, die den Lernenden den Zugang zum Politischen nachhaltig erschweren (vgl. Petrik 2007b: 24): Die SchülerInnen als Teil der Gesellschaft, als Menschen, die eine Identität entwickeln sollen, können keinen Zugang zu gesellschaftlich relevanten Themen finden („Brückenproblem“). Gleiches gilt für Aushandlungsprozesse („Aushandlungsproblem“): Die Fehlkonzepte der Alltagsvorstellungen werden nicht revidiert. Die SchülerInnen haben kein gemeinsames Handlungs- und Kommunikationsinteresse, die eigene Perspektive wird nie in Frage gestellt bzw. in Konkurrenz gesetzt und somit der öffentliche Diskurs nachhaltig blockiert (vgl. Steffens 1996: 536f.).

Es ist zwar Sache des Lehrenden, „Machtbildungs- und Rechts- bzw. Normsetzungsprozesse“ (Petrik 2007b: 36) im Unterricht zu thematisieren. Diese Fähigkeit nun von Lernplänen abhängig zu machen, wäre nicht tragbar. Dennoch muss ich resümieren, dass sich die Zusammenlegung der Fächer „unterrichtsorganisatorisch und gegenständlich als unmöglich“ (Sutor 1984: 226) erwiesen hat.

Eine Kooperation der Unterrichtsfächer ist unzureichend, eine „Vollintegration“ würde die politische Bildung nachhaltig blockieren und somit den Zugang zum Politischen verhindern. Es muss also eine andere Möglichkeit geben, die auf den Politikunterricht bezogen bleibt und eine Verknüpfung von Politikunterricht und historischem Lernen ermöglicht. Dabei nehme ich Abstand von jeglichen Integrations- oder Kooperationsmodellen und verweise stattdessen darauf, die Lösung in einem korrelativen Ansatz zu suchen (vgl. Lange 22009: 7). Geschichte und Politik werden so „Aufeinander bezogen“ und bestehen nicht nur nebeneinander oder werden gar „[i]neinander vermischt“ (Lange 2004). Es besteht also ganz im Sinne Weidenfelds und Sutors eine Wechselbeziehung zwischen Geschichte und Politik, die durch den korrelativen Ansatz auch betont wird.

Das Politikfeld „Geschichtspolitik“ hat im Sinne der Korrelation die entscheidende „Scharnierfunktion“ zwischen historischem Lernen und Politikunterricht. Dieses Feld untersucht nicht nur die Geschichtsdeutung von verschiedenen Akteuren, sondern auch, wie sie diese Deutung politisch nutzen wollen (vgl. Baumgärtner 2004: 240) bzw. inwiefern diese Deutungen legitimiert werden (vgl. Lange 22009: 93). Es werden durch die Geschichtspolitik „Vorstellungen davon entwickelt, wie partielle Geschichtsinterpretationen in allgemein verbindliche Geschichtsdeutungen transformiert werden“ (Lange 2004). Durch die Verweise auf plurale Geschichtsdeutungen entwickeln Lernende die Fähigkeit, historische Deutungsmuster kritisch zu reflektieren. Diese partiellen Geschichtsvorstellungen werden so als interessengeleitete Auslegungen verstanden (vgl. Jeismann 2000: 52). In unserem Fall müssen wir uns auf die „gesellschaftliche Geschichtspolitik“ (Baumgärtner 2004: 241) beziehen, da es uns um eine öffentliche und nicht um eine, auf den Staat bezogene, Kontroverse geht. Die unterschiedlichen Geschichtsdeutungen als Teil der öffentlichen Erinnerungskultur müssen kritisch reflektiert werden, um den SchülerInnen zu ermöglichen, ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein auszuprägen. Hierbei agiert die Geschichtspolitik ebenso als erfolgreiches Bindeglied. Geschichts- und Politikbewusstsein in ihrer Gesamtheit resultieren somit in geschichtspolitischen Denkstrukturen (vgl. Lange 22009: 95).

2.2 Erinnerungskultur und Geschichtsbewusstsein

„Erinnerungskultur“ ist ein „lockerer Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit“ (Hockerts 2001: 16). In diesem Zusammenhang ist sie abhängig von den Wertideen der gegenwärtigen politischen Kultur und ist somit gleichzeitig an Institutionen gebunden (vgl. Korn 2004). Diese Werte entscheiden darüber, ob historische Aspekte „zu relevanten und bleibenden Bezugspunkten [des] historischen Selbstverständnisses gemacht“ (Assmann 2004: 5) werden. Die Shoa wird deswegen eng mit der deutschen Erinnerungskultur verbunden. Der Genozid an den Juden ist zu Recht ein relevanter und bleibender Bezugspunkt deutscher Geschichte.

Gefährlich wird es jedoch dann, wenn in Medien der Eindruck erweckt wird, es werde historische „Wirklichkeit“ abgebildet. Medien sind immer als „Quellen der Mentalitäts-oder Politikgeschichte ihrer Produktionszeit“ (Schillinger 2006: 4) zu verstehen. Massen- bzw. quotenorientierten Projekten fehlt es jedoch oft an komplexen Erklärungen. Der Nationalsozialismus wird zum Beispiel in populären kommentierten Dokumentarfilmen auf bestimmte Aspekte reduziert, andere - vielleicht entscheidende Details - werden ausgeblendet. Durch diese Wahrnehmung von Geschichte entsteht ein gefährliches unreflektiertes Geschichtsbewusstsein, das im Unterricht unbedingt in Frage gestellt werden muss. Dabei spielt die Förderung der Medienkompetenz10 eine entscheidende Rolle. So muss man im Politikunterricht die Realitätskonstruktion in Medien zwingend thematisieren, gerade weil Medien natürlich für die Demokratie und den damit verbundenen Pluralismus von enormer Bedeutung sind (vgl. Heintel 2002: 12).

Der Begriff „Geschichtsbewusstsein“ impliziert einen reflektierten Sinnbildungsprozess, der die „sozial-politische Orientierung über sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse“ (Pandel 1987: 140) ermöglicht. Dabei hängt die Deutung von der „Befindlichkeit des Subjektes und seines Bewusstseinsgegenstandes“ (Jeismann 1988: 10) ab. Nun ist es jedoch nicht nur Aufgabe des Geschichtsunterrichts, dieses Geschichtsbewusstsein zu fördern. Wenn die PolitiklehrerInnen historische Aspekte thematisieren, dann müssen sie darauf achten, dass sie „historisches Wissen zum Verständnis von Gegenwartsproblemen, typischen Lebenssituationen und politischen Entscheidungsbedürfnissen für die Gegenwart und mit Blick auf zukünftige Entwicklungen“ (Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt 2003a: 6) heranziehen. Darüber hinaus sollen die SchülerInnen die durch die Erinnerungskultur entstehenden Geschichtsdeutungen kritisch hinterfragen. Zwischen dem unreflektierten Geschichtsbewusstsein - als Ergebnis der Erinnerungskultur - und dem reflektierten Geschichtsbewusstsein ist die Geschichtspolitik das entscheidende Bindeglied:

Abbildung 3: Die "Scharnierfunktion" der Geschichtspolitik

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Dekonstruktion von Erinnerungskultur durch die kritische Reflexion und die Rekonstruktion von Inhalten durch das historische Lernen sind entscheidend für die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins. Nur durch die Orientierung auf gesellschaftliche Konflikte und die damit verbundene Einhaltung des Kontroversprinzips wird Dekonstruktion und Rekonstruktion überhaupt erst ermöglicht.

Die Perspektive der SchülerInnen kann erst in Frage gestellt werden, wenn man ihnen aufschlussreiche Gegenargumente präsentiert.

Das Medium Film als Teil der Erinnerungskultur wird in meinem Unterrichtskonzept den Zugang zum Politischen ermöglichen. Zu klären bleibt jedoch zunächst, welche Spezifika das Medium auszeichnet.

3. Das Medium Film im Politikunterricht

Medien transportieren häufig erst das Politische in den Unterricht (vgl. Breit & Massing 2007: 7). Verstehen wir den Begriff Medienwelt als Synonym für Lebenswelt (vgl. Tulodziecki 2008), dann erklärt sich auch, wie wir Lerngegenstände lebensweltorientiert ausrichten können. Film und Fernsehen beeinflussen das Wissen, das Interesse und das Bewusstsein der SchülerInnen - mehr als der Unterricht es je könnte. Zu dieser Einschätzung kamen nicht nur Borries (1983) oder Knopp und Quandt (1988). Filme sind aufgrund ihrer Verknüpfung von auditiven und visuellen Elementen der Wirklichkeit näher als alle anderen Medien und ermöglichen den Lernenden deswegen eine gewisse Identifikation (vgl. Restle 1992: 13). In einer Studie im Jahre 1996 gaben 42 Prozent der befragten SchülerInnen an, das Fernsehgerät einzuschalten, um Informationen zu erhalten (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 1996: 7). Diese Untersuchung liegt zwar bereits 13 Jahre zurück, hat jedoch nichts an Aktualität eingebüßt: Im Rahmen der KIM-Studie 2008 wurde festgestellt, dass etwa Zweidrittel der Jugendlichen Film und Fernsehen gegenüber eine starke Bindung aufgebaut haben und nicht mehr darauf verzichten möchten (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2009: 15).

Dass Spielfilme kaum Einzug im Politikunterricht finden wird von LehrerInnen mit dem angeblich fehlenden politischen Gehalt und ihrer stundensprengenden Länge begründet (vgl. Heinecke 2002: 224). Dabei sollte es ein wichtiger Auftrag des Unterrichts sein, SchülerInnen in die Lage zu versetzen, die Realitätskonstruktion in Filmen durch ein methodisches Vorgehen zu realisieren (vgl. Krammer 2008a: 51). Die politischen Interessen der AutorInnen sollen dabei entschlüsselt werden. Versteht man „die Welt der Politik als eine der Inszenierung und der Visualisierungen“ (Goll 2007: 44), dann wird hier der politische Gehalt von Filmen bereits deutlich. Die Filmlänge ist in der Tat ein Problem, kann aber bei einigen Spielfilmen dadurch umgangen werden, dass man einzelne Filmsequenzen auswählt, die das Wesentliche des Films bereits zusammenfassen. Dies gelingt beispielsweise bei „Das Leben ist schön“, da meine gewählte Sequenz alle, für das Geschehen wichtigen, Handlungsstränge beinhaltet.

Im weiteren Verlauf soll es uns zunächst um die Einsatzmöglichkeiten des Mediums gehen (3.1), bevor ich dann „Das Leben ist schön“ vorstellen werde (3.2). Darauf aufbauend werde ich zum Abschluss die Kontroverse um die Darstellbarkeit der Shoa in der Tragikomödie skizzieren (3.3).

3.1 Einsatzmöglichkeiten des Mediums im Politikunterricht

Da ich einen Spielfilm mit historischer Thematik ausgewählt habe, wäre es sinnvoll, eine Klassifizierung des Mediums aus geschichtswissenschaftlicher Sicht vorzunehmen. In der Geschichtswissenschaft hat sich aber bis zum heutigen Zeitpunkt noch kein einheitliches Verfahren zur Kategorisierung von historischen Filmmaterialien durchsetzen können. Eine geeignete Variante wäre jedoch, zwischen Filmdokumenten, kommentierten Dokumentarfilmen und Spielfilmen zu differenzieren. Dabei dient der dokumentarische oder fiktionale Charakter als Unterscheidungskriterium (vgl. Werner 2004: 12ff.).

Filmdokumente sind über die Zeit erhaltene Originalfilmmaterialien, die Informationen über historisch bedeutende Ereignisse ihres Entstehungszeitraums und Aspekte des damaligen Lebens aus der Perspektive der AutorInnen vermitteln. Dieses Spektrum umfasst dabei inszenierte Aufnahmen, Zufallsaufnahmen oder auch planmäßige Dokumentationen (vgl. Schneider 42007: 368). Zwar geben sie uns einen Einblick über das Auftreten von Personen und die Wirkung von Orten der damaligen Zeit, aber gleichzeitig besteht die Gefahr der Manipulation und Fälschung. Beispielsweise handelt es sich bei den Aufnahmen vom Einmarsch in die russische Zarenresidenz nicht um Originalfilmmaterial der Oktoberrevolution aus dem Jahre 1917, sondern um ein drei Jahre später inszeniertes Filmdokument (vgl. Sauer 32004: 178). Produktiv könnten diese Filmdokumente für den Unterricht werden, wenn man beispielsweise anhand der Berlinkrise die sowjetische und westalliierte Geschichtsdeutung während des Kalten Krieges darstellen, vergleichen und kritisch beurteilen lassen würde (vgl. Mainka-Tersteegen 2004: 49f.).

[...]


1 Ich verwende in diesem Buch durchgehend das „Binnen-I“, um weibliche Gruppenangehörige zu integrieren. In diesem Zusammenhang werde ich den Personengruppen nur weibliche Artikel zuordnen, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten.

2 Mit der Bezeichnung sind - unabhängig von Bundesländern oder Schultypen - alle Arten von politischer Bildung bzw. politischem Unterricht gemeint.

3 Helmut Schmidt bezeichnete die Shoa als „schwerste Hypothek“ (102008: 83).

4 Die Schreibweise variiert.

5 So bezeichnete man § 3 des am 7. April 1933 erlassenen Gesetzes, das die Gleichschaltung des öffentlichen Dienstes zum Ziel hatte.

6 Zu den Tätern gehörten aber nicht nur Mitglieder der SA und SS. Zufällig zum Tatort kommende Neugierige, sogar Frauen und Kinder, beteiligten sich an Misshandlungen und Plünderungen. Wolfgang Benz berichtet von zwei Fällen: Jugendliche, die weder in der NSDAP, noch in der HJ organisiert waren, misshandelten zum Spaß bzw. aus Neugier oder Fanatismus jüdische BürgerInnen schwer (vgl. 2000: 142).

7 Ergebnis einer Didaktiker-Konferenz im Jahre 1976, deren Teilnehmer drei Grundsätze für die politische Bildung festlegten: Das Überwältigungsverbot (Indoktrinationsverbot der Lehrenden), das Kontroversitätsgebot (Übertragung von Kontroversen aus Wissenschaft und Politik auf den Unterricht) und die Schülerorientierung, welche die Lernenden in die Lage versetzen soll, politische Situationen aus der eigenen Interessenlage zu analysieren und zu beeinflussen (vgl. Schneider 1999: 173ff.).

8 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie mit SchülerInnen umgegangen werden sollte, die sich hinsichtlich rechtsextremer bzw. antisemitischer Äußerungen strafbar machen. In jeder Situation Polizei und Justiz in Alarmbereitschaft zu versetzen, erscheint mir als „Flucht“ vor der eigenen Verantwortung. Besser wäre, das Gespräch zu suchen und die vorgetragene Position mit Gegenargumenten zu widerlegen. Der betreffenden Person wird nicht nur gezeigt, dass Gesagtes ernst genommen wird, sie wird gegebenenfalls mit Gegenargumenten zum Nachdenken gebracht (vgl. Grammes 21999: 85f.). Zumindest ist bei Integration und Meinungsaustausch eine vollständige Blockade von Seiten der Person weniger wahrscheinlich, als bei einer Isolation.

9 Beispielsweise im Bezug auf das Grundgesetz: Weshalb enthält das Grundgesetz eine „Ewigkeitsklausel“ (Art. 79 Abs. 3 GG), die unter anderem eine Modifikation der Grundrechte ausschließt?

10 Ich verstehe Medienkompetenz als Fähigkeit zur kognitiven, analytischen und evaluativen Beurteilung von Medien (vgl. Massing 2002: 48) und als Kompetenz zur „reflektiv-praktischen Medienaneignung“ (Langner 2007: 210).

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
„Wenn man keine Tränen mehr zum Weinen hat...“
Untertitel
Die humoristische Auseinandersetzung mit der Shoa im Politikunterricht
Autor
Jahr
2009
Seiten
111
Katalognummer
V136682
ISBN (eBook)
9783640447343
ISBN (Buch)
9783640447589
Dateigröße
2308 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Buch ist eine überarbeitete Version meiner Staatsexamensarbeit - inklusive der Stundenplanung und den dazugehörigen Materialien. 30 Seiten Anhang, davon 12 Seiten Quellen- und Literaturverzeichnis.
Schlagworte
Holocaust, Shoa, Nationalsozialismus, Juden, Genozid, Medien im Politikunterricht, Medien, Medien im Sozialkundeunterricht, Spielfilme im Politikunterricht, Spielfilme im Sozialkundeunterricht, Geschichtspolitik, Geschichtsbewusstsein, Erinnerungskultur, Roberto Benigni, Das Leben ist schön, Lebensweltorientierung, Kompetenzorientierung, Kompetenzmodell, Exemplarisches Lernen, 1933-1945, historisch-politisches Lernen, Politikbewusstsein, Verantwortungsdidaktik, Politik
Arbeit zitieren
Robert Griebsch (Autor:in), 2009, „Wenn man keine Tränen mehr zum Weinen hat...“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136682

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