Wenn der Einsatz nicht zu Ende geht

Vom Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen als psychische Folge nach Auslandseinsätzen


Studienarbeit, 2009

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Historische Entwicklungen des Militärs im Bereich der Psychotraumatologie

3 Posttraumatische Belastungsstörung. Definition, Klassifikation und Symptomatik

4 Die Auslandseinsätze der Bundeswehr
4.1 Einsatzphasen

5 Die Konzeptionen der Bundeswehr über die Bewältigung von Auslandseinsätzen und Stress

6 Klinische Versorgung und Traumatherapie in der Bundeswehr

7 Fiktives Fallbeispiel zur traumatherapeutischen Arbeit anlässlich des Busunglücks in Kabul, Afghanistan im Jahre 2004

8 Weiterentwicklung der psychotraumatologischen Versorgung

9 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Willkommen zu Hause!“ Im Februar strahlte die ARD einen Fernsehfilm über einen Bundeswehrsoldaten aus, der seit seiner Rückkehr aus dem Einsatz in Afghanistan unter schweren psychischen Problemen und einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Am folgenden Tag wurde ich zufällig Ohrenzeuge am Mittagstisch, in dem ältere Kameraden sich gegenseitig in der Ansicht bestätigten, dass nur Feiglinge oder Schwächlinge im Einsatz zusammenbrechen…

Kabul in Afghanistan vor drei Jahren. Ein Terrorist sprengt einen vollbesetzten Bus der Bundeswehr in die Luft. Wenige Meter entfernt: Der Soldat Martin Jäger.[1] Er beobachtet den Anschlag. Eine Szene, die sein ganzes Leben verändern wird. Der zerstörte Bus, die Splitter, die Blutlachen - das sind die Bilder, die ihn seitdem nicht mehr loslassen. Martin Jäger muss mit ansehen, wie vier seiner Kameraden sterben. Zurück in Deutschland erkennt seine Familie ihn kaum wieder. Er schottet sich ab, wird aggressiv und beginnt zu trinken. Erst Monate später wird klar: Martin Jäger leidet unter PTBS, einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Er ist einer von über hundert Soldaten jährlich, die traumatisiert aus dem Einsatz zurückkehren - und die Zahlen steigen. (ARD Sendung Panorama am 31.08.2006)

Ein Blick zurück in die Historie macht deutlich: nicht immer war es klar, dass sich aufgrund von Extrembelastungen psychische und physische Reaktionen ableiten lassen können. Nach den beiden Weltkriegen wurden verschiedene Bezeichnungen für traumatisierte Soldaten gefunden: Kriegs- oder Gefechtsneurose, Granatenschock („shell shock“), Kriegszitterer, Simulanten, Drückeberger und Kampfesmüdigkeit.

Nach dem 2. Weltkrieg zeigte sich, dass die selben und auch andere traumatische Erlebnisse sehr ähnliche psychische Symptome verursachten. Die Überlebenden aus Konzentrationslagern zeigten diese Symptome (Maercker, 1997). Später entdeckte man zusätzliche, dass Vergewaltigungsopfer und Opfer von sexueller Gewalt vergleichbare psychische Störungsbilder aufwiesen. (Herman, 1993). Dennoch begann die Forschung auf dem Gebiet der Traumatisierungen erst nach dem Vietnamkrieg, als eine ungewöhnlich hohe Anzahl von vorher unauffälligen jungen Männern, schwerste psychische Wesensänderungen zeigten. (z.B. Figley 1978, Kulka et al 1990). Daraufhin wurde 1980 die Diagnose der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ in das DSM-III aufgenommen.

Dieses auf wahren Tatsachen beruhendes Einführungsbeispiel macht deutlich, welche fatalen seelischen Auswirkungen kurzfristige oder länger andauernde Extrembelastungen haben können. Dieses Beispiel macht auch ebenso deutlich, dass sich eine posttraumatische Belastungsstörung schleichend oder plötzlich und akut entwickeln kann. Sie tritt nicht selten auch verzögert auf und entfaltet ihre schädigende Wirkung auch noch dann, wenn der Einsatz längst vorbei ist.

In meiner Arbeit möchte ich die Besonderheit im Umgang mit einsatzbedingten psychischen Störungen bei der Bundeswehr erarbeiten und somit die Besonderheiten zum zivil-therapeutischen Bereich aufzeigen. Weiterhin soll deutlich werden, welche außergewöhnlichen Anforderungen an einen Soldaten im Einsatz gestellt werden und das schon augenscheinlich „normale“ Gegebenheiten Stressoren sein können, welche traumatische Folgen haben können. Zunächst soll dargestellt werden, wie sich die traumapsychologische Arbeit im Militär aus historischen Aspekten heraus entwickelt hat, welche einsatzbedingten Störungen bei Soldaten typischerweise auftreten und deren Behandlung in Einrichtungen der Bundeswehr. Konzeptionen der Bundeswehr über die Bewältigung von psychischen Belastungen im Einsatz und die Auswirkungen von Stress in medizinischer und psychologischer Hinsicht sollen hier vorgestellt werden und die Grundlage bieten, einen Vergleich zu zivilen, therapeutischen Möglichkeiten möglich durchzuführen. Da es mir aus ausbildungstechnischen und bürokratischen Gründen nicht möglich gewesen ist, einen Soldaten zu therapieren, der unter der posttraumatischen Belastungsstörung leidet, möchte ich anhand des Einführungsbeispiels zeigen, welche Schritte und Möglichkeiten der therapeutischen Behandlung ich genutzt hätte, um diesem Soldaten zu helfen.

2 Historische Entwicklungen des Militärs im Bereich der Psychotraumatologie

„ Agamemnon, der Befehlshaber des Achill, verrät alles, was recht ist, indem er unrechtmäßigerweise dessen Preis der Ehre an sich reißt, indignierter Zorn verengt den gesellschaftlichen und moralischen Horizont des Achill, bis er sich schließlich nur noch für die kleine Gruppe seiner bewährten Kampfgenossen interessiert. Sein engster Freund in diesem Kreis, sein militärischer Stellvertreter und Adoptivbruder fällt im Kampf, tiefe Trauer und Selbstmordverlangen nehmen von Achill Besitz, er hat das Gefühl bereits tot zu sein, er ist von Schuldgefühlen gequält und davon überzeugt, dass besser er anstelle seines Freundes hätte sterben sollen, er strebt nicht mehr danach in die Heimat zu rückzukehren, er wird zum Berserker und verübte Schadtaten gegen Lebende und Tote.“ (Homer)

Jonathan Shay war Psychiater zur Zeit des Vietnamkrieges und hat sich bei seiner Arbeit an einer Gruppe von Vietnamveteranen, die an schwersten postraumatischen Belastungsstörungen litten auf Homers Ilias bezogen. Aus seiner Arbeit ergaben sich für ihn zwei Konzepte, die seiner Zeit innovativ waren aber noch nicht allgemein akzeptiert wurden, wie etwa die Bedeutung des „Berserkertums“ oder „den Verrat an dem was Recht ist.“ (Homers Ilias) Diese Geschichte haben viele Frontveteranen erlebt, sei es in Vietnam oder eben in anderen Kriegen.

Wie der Mensch auf gewaltsame Überforderung reagiert ist in den psychologischen und physiologischen Grundzügen, schon allein entwicklungsgeschichtlich bedingt ziemlich gleich. Auch wenn man die unterschiedlichen zeitlichen Epochen und die unterschiedlichsten Kulturen betrachtet, findet sich ein hohes Maß an Übereinstimmung von atavistischen Reaktionsmustern auf belastende Ereignisse. Interessanterweise haben sich die Verhaltensmuster im Laufe der Menschheitsgeschichte gerade unter kriegerischen Bedingungen als sehr verschieden gezeigt. (insg. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 01/2008) Es scheint offenbar eine prägende Wechselbeziehung zwischen den soziokulturellen Lebensbedingungen, d.h. die Vorstellungen einer Gesellschaft davon, wie sich der Einzelne zu geben hat, was er darf und nicht darf und eben der Art und Weise, wie sich psychosomatische Krankheitsbilder entwickeln zu geben. Um allein diese riesige Thematik einzugrenzen, möchte ich mich exemplarisch auf das Verständnis von Belastungsstörungen in den beiden Weltkriegen zum heutigen Verständnis beziehen. Dabei wird deutlich wie die Bewertungen traumatischer Ereignisse zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Kulturen variierten.

„Der Krieg brachte uns in Eppendorf gewaltige Arbeit. Wir bekamen bald traurige Bilder zu sehen von Amputierten, von durch Kopfschuss halbseitig Gelähmten (….) Aber schon nach wenigen Monaten zeigte sich ein Bild, dass wir früher nur ganz selten gesehen haben- das Bild der Hysteria virillis, der männlichen Hysterie. (….) Jetzt sahen wir sie oft in allen Formen. Als Stimmbandlähmung, als Stummheit, als Lähmung der oberen und unteren Extremitäten, als Zittern in den verschiedensten Formen, als Verkrampfungen der einzelnen Muskeln und Muskelgruppen, als Taubheit, als Seh und Gehstörungen, als Verrenkungen in den vertracktesten Formen…“ (Max Nonne, Kriegsneurosen, 1942)

Der berühmte Münchner Psychiater Emil Kraepelin war vom Reichsausschuss für Kriegsgeschädigtenfürsorge zur Mitarbeit ausgefordert worden. Er erinnert sich wie folgt:

„Schon damals tauchte die Frage der Kriegsneurosen auf. Wir Irrenärzte waren alle einig in dem Bestreben, den freigiebigen Rentengewährungen entgegenzuwirken, weil wir dadurch ein starkes anwachsen der Krankheitsfälle und der Ansprüche fürchteten. (…) mit der längeren Dauer des Krieges immer mehr auch minderwertige Persönlichkeiten in das Heere eingestellt werden mussten und die allgemeine Kriegsmüdigkeit zunahm, wirkte zudem die Tatsache verhängnisvoll, dass allerlei mehr oder weniger ausgeprägte nervöse Krankheitserscheinungen nicht nur die langfristige Überführung in ein Lazarett, sondern auch die Entlassung aus dem Heeresdienst mit reichlich bemessener Rente herbeiführen konnten. Dazu kam das öffentliche Mitleid mit dem die anscheinend schwer geschädigten Kriegszitterern, die auf den Straßen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen und reichlich beschenkt zu werden pflegten. Wie eine Flutwelle verbreitete sich unter diesen Umständen die Zahl derer, die durch einen „Nervenschock“, besonders derer die durch „Verschüttung“ das Anrecht auf Entlassung und weitere Versorgung erworben zu haben glaubten…“ (Emil Kreapelin)

Beide Zitate lassen psychotraumatologische Aspekte erkennen, was bedeutet, dass die Reaktionen der Soldaten auf das Kampfgeschehen durchaus gesehen wurden, aber seinerzeit doch immer noch eine organische Orientierung vorherrschte. Somit ist diese Bewertung für den heutigen Leser problematisch, wenn Kreapelin von „minderwertigen Persönlichkeiten“ spricht, die nur bestrebt sind Versorgungsansprüche geltend zu machen und das „Anrecht auf Entlassung erworben zu haben“.

Psychiatrische Krankheiten waren die größte Einzelkategorie bei den Behindertenrenten, die nach dem II. Weltkrieg zum Beispiel von der amerikanischen Regierung gewährt wurden.

Während des I. Weltkriegs wurden 27,7 % der Frontsoldaten aus der vorderen Kampfzone wegen eines psychiatrischen Zusammenbruchs in die Heimat zurückgeführt. Weitere 16,6 % wurden vorübergehend in psychiatrische Einrichtungen gebracht.

Während des II. Weltkriegs litten 1.393.000 amerikanische Soldaten an psychischen Belastungssymptomen, die sie zumindest vorübergehend dienstunfähig machten.

37,5 % der amerikanischen Frontsoldaten wurden während des II. Weltkriegs wegen psychiatrischer Probleme entlassen.

In Korea erlitten 24,4 % der amerikanischen Frontsoldaten so schwerwiegende psychiatrische Zusammenbrüche, dass sie zumindest vorübergehend kampf- und dienstunfähig waren.

In Vietnam wurden 12,5 % der Soldaten psychiatrische Fälle. Es erkrankten nach dem Krieg mehr Veteranen an Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) als nach jedem anderen Krieg zuvor.

Traurige Untersuchungen zeigten, dass nur etwa 2 Prozent der Soldaten im Kampf an der Front nicht zusammenbrachen. Dabei handelt es sich um Menschen, die bereits vor ihrer soldatischen Berufswahl psychopathische Persönlichkeiten waren. (ges. hierzu Gabriel, 1988).

Die Haltung damaliger Militärpsychiater gegenüber psychosomatischen Störungen war bezeichnend und hatte sich bis 1945 weiter durchgesetzt. So wurde dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben sich zwischen drei Alternativen zu entscheiden: es ist eine nervöse Störung, die sich schnell bessert, oder es handle sich um Schlechtwillen, welcher strafrechtliche Konsequenzen hätte, oder es ist eine Geisteskrankheit, welche zur Folge hätte, sich in eine andauernden Behandlung einer Anstalt zu begeben. (ges. Georg Berger, 1945)

Im Verlauf der Neuaufstellung der Bundeswehr und die Zeit des so genannten „Kalten Krieges“, bei der das Militär eher eine abschreckende Wirkung haben sollte, ist der Gedanke an die Militärpsychatrie zunächst in den Hintergrund getreten. Erst die Erfahrungen der Israelies waren Auslöser um in den achtziger Jahren eine Neukonzeption über moderne psychologische und psychotherapeutische Überlegungen anzugehen. Letztendlich wurden die internationalen Gepflogenheiten und Klassifikationen über posttraumatische Belastungsstörungen in die Bundeswehr etabliert. Entscheidender Anstoß dazu war die neue Auftragslage der Streitkräfte und die damit verbundenen Einsätze im Ausland. (Wehrmedizin und Wehrpharmazie, 1/2008)

[...]


[1] Name geändert

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Wenn der Einsatz nicht zu Ende geht
Untertitel
Vom Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen als psychische Folge nach Auslandseinsätzen
Hochschule
campus Naturalis, München
Veranstaltung
Integrale Traumatherapie
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
35
Katalognummer
V136319
ISBN (eBook)
9783640445059
ISBN (Buch)
9783640444939
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit ist die Abschlussarbeit zu meiner Ausbildung als Traumatherapeutin bzw. Fachberaterin für integrale Traumatherapie. Sie handelt über die psychischen Folgen für Soldaten nach Auslandseinsätzen, Therapiemethoden, Stresskonzeptionen der Bundeswehr, sowie Weiterentwicklung und Bedeutungszuwachs der Traumaforschung in der Bundeswehr.
Schlagworte
Wenn, Einsatz, Ende, Umgang, Belastungsstörungen, Folge, Auslandseinsätzen
Arbeit zitieren
Iris Hecker (Autor:in), 2009, Wenn der Einsatz nicht zu Ende geht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136319

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