Zum Problem der Ausbildungsreife

Konzeptionelle Klärung und empirische Befunde


Hausarbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Problemstellung

2. Begriffsklärung Ausbildungsreife
2.1. Ansatz der Bundesagentur für Arbeit
2.1.1. Versuch einer Definition von Ausbildungsreife
2.1.2. Abgrenzung zu verwandten Begriffen
2.1.3. Kriterienkatalog der Mindestkompetenzen für Ausbildungsreife
2.2. Definitionsansatz der Wirtschaft
2.3. Ansatz der empirischen Bildungsforschung

3. Aktuelle Lage auf dem Lehrstellenmarkt

4. Debatte um die Ausbildungsreife
4.1. Standpunkt und Belege der Arbeitgeberseite
4.2. Standpunkt und Belege der Arbeitnehmerseite

5. Kriterien und Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungsreife
5.1. Hilfreiche Stärken und Eigenschaften beim Übergang Schule – Ausbildung
5.2. Forderungen an die allgemein bildenden Schulen
5.3. Forderungen an die Wirtschaft
5.4. Forderungen an die Eltern und die Jugendlichen

6. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang

1. Problemstellung

Die allgemeinbildenden Schulen sind dafür verantwortlich, die nachwachsende Generation für eine gelingende Partizipation an der Gesellschaft zu bilden und zu erziehen. Dabei sollen sie auch auf die Arbeitswelt und deren Qualifikationsanforderungen vorbereiten. Im Bewerbungsprozess stellt ein Jugendlicher zum ersten Mal fest, ob die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten den Anforderungen der Wirtschaft genügen. In den Jahren 1992 bis 2005 war die Lage am Lehrstellenmarkt dramatisch. Ein viel zu kleines Ausbildungsplatzangebot stand einer hohen Zahl an Bewerbern gegenüber. Vielen Bewerbern wurde von den Unternehmen attestiert, dass das erlernte Wissen und die vorhandenen Kompetenzen nicht ausreichend seien. Mit dem Stempel der mangelnden Ausbildungsreife[1] wurden diese Jugendlichen in die Obhut der Bundesagentur für Arbeit gegeben. Diejenigen unter ihnen, die keinen Ausbildungsvertrag in der Tasche hatten, wurden durch das Warteschleifensystem der zahlreichen Alternativmöglichkeiten zur dualen Ausbildung aufgefangen oder mündeten in die Arbeitslosigkeit ein. In den Tageszeitungen fand man viele Berichte um das Thema der mangelnden AR. Eine hitzige Diskussion um die Lehrstellenmisere entbrannte zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern und ist auch heute noch aktuell. Jedoch wusste keiner genau, worüber eigentlich debattiert wurde, da das Konstrukt der AR bis dahin keine Definition besaß. Jeder schob dem anderen den „Schwarzen Peter“ zu. Die Wirtschaft machte die Schulen und die Jugendlichen selbst verantwortlich, die Gewerkschaften und sonstige Arbeitnehmervertreter hingegen gaben den Unternehmen die Schuld.

Im Rahmen dieser Hausarbeit soll zunächst geklärt werden, welche Ansätze von den verschiedenen Interessengruppen gefunden wurden, um das Konzept der AR zu definieren und zu operationalisieren und wie sich die Lage am Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren verändert hat. Im weiteren Verlauf findet sich eine Darstellung der Argumente der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Auch wird auf den Standpunkt der Jugendlichen selbst Bezug genommen. Es soll bewertet werden, in wie weit die Anklagepunkte gerechtfertigt sind. Neben den Argumenten wird dargestellt, welche Belege die Diskussionspartner zur Darlegung und Unterstützung ihrer Meinung vorzuweisen haben. Im vierten Teil dieser Arbeit werden Kriterien und Maßnahmen erarbeitet, die den Übergang von der Schule in die Berufswelt erleichtern. Darüber hinaus wird aufgezeigt, welche Forderungen an die Schulen, die Eltern und die Jugendlichen selbst gerichtet werden, um das schulische Leistungsniveau zu verbessern und mit dem Schulabschluss Ausbildungsreife zu erlangen und welche Wege die Wirtschaft einschlagen kann, um das Lehrstellenangebot zu erweitern.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, zu verdeutlichen, dass alle an einem Strang ziehen müssen. Die Jugendlichen sorgen sich um ihre Zukunft und die gesellschaftliche Integration. Die Wirtschaft sorgt sich um die AR. Die Politik sorgt sich um den demografischen Wandel und den daraus entstehenden Fachkräftemangel. Zuletzt haben jedoch alle das gleiche Anliegen – nämlich einen ausgeglichenen Ausbildungsmarkt und einen leistungsstarken Nachwuchs.

2. Begriffsklärung Ausbildungsreife

Als sich 2005 die Zahlen der Lehrstellenbewerber und der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze so signifikant unterschieden wie seit Beginn der 90er Jahre nicht mehr, entbrannte die Diskussion darüber, was unter dem Begriff der mangelnden AR überhaupt zu verstehen sei. Die Vertreter der Bundesagentur für Arbeit (BA), der Wirtschaft und der Bildungsforscher hatten bis dato keine allgemein gültige und formal anerkannte Definition erarbeitet und es herrschte große Uneinigkeit. Verwandte Begriffe wie „Ausbildungsfähigkeit“, „Berufseignung“ und „Vermittelbarkeit“ wurden nicht klar abgegrenzt. Diese Umstände erschwerten die ohnehin brisante Debatte zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern über die schwierige Lage am Ausbildungsmarkt. Im Folgenden werden verschiedene Definitionen erläutert.

2.1. Ansatz der Bundesagentur für Arbeit

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus einem Vertreter der Paktpartner[2], Experten aus Unternehmen, beruflichen Schulen, dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), dem Psychologischen Dienst sowie der Berufsberatung der BA, befasste sich im Rahmen des „Nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“[3] 2006 mit der Konkretisierung und Operationalisierung des Begriffs der AR.

2.1.1. Versuch einer Definition von Ausbildungsreife

Das Paktgremium erarbeitete eine heutzutage auch unter Fachexperten weitestgehend anerkannte Definition der AR, betont jedoch, dass das Konzept durchaus weiterentwicklungsfähig und von der allgemeinen Akzeptanz abhängig sei[4]:

„Eine Person kann als ausbildungsreif bezeichnet werden, wenn sie die allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit erfüllt und die Mindestvoraussetzungen für den Einstieg in die berufliche Ausbildung mitbringt.

Dabei wird von den spezifischen Anforderungen einzelner Berufe abgesehen, die zur Beurteilung der Eignung für den jeweiligen Beruf herangezogen werden (Berufseignung). Fehlende Ausbildungsreife zu einem gegebenen Zeitpunkt schließt nicht aus, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt erreicht werden kann.“[5]

Aus dieser sehr grundlegenden Definition wird deutlich, dass es um Kompetenzen geht, die ein Lehrstellenbewerber mindestens besitzen muss, „um überhaupt irgendeine Ausbildung im dualen System beginnen zu können“[6]. Hierbei soll und kann noch nicht festgestellt werden, für welchen konkreten Ausbildungsberuf ein Interessent geeignet ist. Vielmehr soll klar werden, dass AR nicht anhand des Schwierigkeitsgrades des Berufes gemessen werden darf. Verena Eberhard weist darauf hin, dass „ein Jugendlicher ausbildungsreif sein [kann], obwohl seine Fähigkeiten und Fertigkeiten ihm lediglich die Ausübung einfacher Tätigkeiten erlauben (…)“[7]. Die Definition wird auch dem dynamischen Entwicklungsprozess, in welchem sich jugendliche Bewerber ohne Zweifel noch befinden, gerecht. Zu einem bestimmten Zeitpunkt konstituierte mangelnde AR ist kein Endzustand, sondern kann durchaus (unter Zuhilfenahme von bestimmten Bildungsangeboten) im Laufe der Zeit noch erlangt werden.

2.1.2. Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Um eine sinnvolle Diskussion darüber zu führen, wer nicht als ausbildungsreif (= ausbildungsunfähig) gilt, ist eine Begriffsabgrenzung zu ähnlichen Termini zwingend notwendig. Die Unternehmen beschweren sich, dass der Großteil der Bewerber „nicht geeignet“ ist, ohne zu definieren, welche genauen Eigenschaften diesen fehlen und ob dafür der Bewerber selbst, die Schulen, die Anforderungen der Wirtschaft oder der familiäre Hintergrund verantwortlich sind. Die exakte Ursachenklärung ist nicht zuletzt deswegen wichtig, um die verursachenden Stellen im Bildungssystem zu identifizieren und um problemlösende Maßnahmen zu entwickeln. Abb. 1 gibt einen Überblick über die zu unterscheidenden Konzepte.

Hat man die Frage geklärt, ob ein Jugendlicher über die grundlegenden Merkmale allgemeiner Bildungs- und Arbeitsfähigkeit verfügt, ist zu überlegen, für welche spezifischen Berufsarten oder Berufsfelder er geeignet ist. Auf dieser Stufe kann auf eine Unterscheidung der Berufe bezüglich ihres Anspruchsgrades oder ihrer Spezifität Rücksicht genommen werden. Nach der DIN-Norm 33430 ist eine Person dann „für einen Beruf, eine berufliche Tätigkeit oder eine berufliche Position geeignet, wenn sie über diejenigen Merkmale verfügt, die Voraussetzung für die jeweils geforderte berufliche Leistungshöhe sind. Wesentlich ist (…) auch, ob ein Beruf, eine berufliche Tätigkeit oder eine berufliche Position Merkmale aufweist, die Voraussetzung für die berufliche Zufriedenheit einer Person sind“[8]. In die Entscheidung über Berufseignung fließen an diesem Punkt konkrete berufs- oder berufsfeldspezifische Merkmale mit ein. Gleichzeitig wird laut BA überprüft, ob ein Bewerber voraussichtlich unter- bzw. überfordert sein wird.[9] Ausdrücklich nicht miteinbezogen werden arbeitsplatz- oder betriebsspezifische Anforderungen. Das Erreichen der AR allein hat nicht automatisch auch den Status der Berufseignung zur Folge und auch diese kann durch die persönliche Weiterentwicklung im Laufe einer Ausbildung noch erreicht werden.

An oberster Stelle im Auswahlprozess steht die Vermittelbarkeit. In diesem Sinne ist eine Person vermittelbar, „wenn bei gegebener beruflicher Eignung ihre Vermittlung in eine entsprechende Ausbildung oder berufliche Tätigkeit nicht durch Einschränkungen erschwert oder verhindert wird. Solche Einschränkungen können marktabhängig und betriebs- bzw. branchenbezogen bedingt sein, sie können aber auch in der Person selbst oder ihrem Umfeld liegen.“[10] Das bedeutet, dass ein Ausbildungsplatz selbst bei vorhandener Berufseignung aufgrund externer Umstände oder persönlicher Nicht-Eignung nicht zugewiesen werden kann.

2.1.3. Kriterienkatalog der Mindestkompetenzen für Ausbildungsreife

Nachdem AR von der Expertenrunde der BA hinreichend definiert wurde, galt es konkrete Merkmale zu erarbeiten, welche „ein Jugendlicher bereits zu Beginn einer Ausbildung mitbringen muss, um [sie] erfolgreich beginnen und durchführen zu können.“[11] Erarbeitet wurde ein umfangreicher Kriterienkatalog[12], der sich in fünf Kompetenzbereiche gliedern lässt:

- Schulische Basiskenntnisse (z.B. Rechtschreibung, mathematische Grundkenntnisse)
- Psychologische Leistungsmerkmale (z.B. Sprachbeherrschung, Befähigung zur Daueraufmerksamkeit)
- Physische Merkmale (altersgerechter Entwicklungsstand und gesundheitliche Voraussetzungen)
- Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit (z.B. Zuverlässigkeit, Kritikfähigkeit)
- Berufswahlreife (Selbsteinschätzungs- und Informationskompetenz)[13]

Diese Merkmale müssen je nach Beruf in bestimmten Ausprägungen vorhanden sein, welche anhand der im Katalog ausgewiesenen Indikatoren gemessen bzw. überprüft werden können. Erstmalig entstand ein Instrument, welches konkrete Erwartungen an Schulabgänger abbildet.

2.2. Definitionsansatz der Wirtschaft

Die Arbeitgeberseite hat keine klare Definition von AR. Vielmehr wird das Konstrukt darüber definiert, welche Anforderungen Unternehmen bezüglich der AR an ihre Bewerber stellen. Dies versuchte das BIBB anhand einer weiteren Expertenbefragung herauszufinden. Dafür wurden Fachleute aus dem Bereich der beruflichen Bildung befragt. Diese sollten dabei „differenzieren, ob die entsprechenden Merkmale [aus dem Kriterienkatalog] für alle Ausbildungsberufe oder aber nur für einen Teil der Berufe von Bedeutung seien“[14]. Wurden die Merkmale allen Berufen zugeteilt, schlussfolgerte man, dass diese zur Qualifikation von AR heranzuziehen seien. Anhand der prozentualen Darstellung der Ergebnisse in Abb. 2 wird deutlich, dass es „vor allem allgemeine Arbeits-, Leistungs- und Sozialtugenden und weniger schulische Basiskenntnisse [sind], welche die Experten im Rahmen der Ausbildungsreife für zwingend erforderlich halten“[15]. Für die überwiegende Mehrheit der Befragten zählen zu den wichtigsten Eigenschaften (Wichtigkeit ≥ 90%) Zuverlässigkeit, Bereitschaft zum Lernen, Bereitschaft Leistung zu zeigen, Verantwortungsbewusstsein, Konzentrationsfähigkeit, Durchhaltevermögen, Beherrschung von Grundrechenarten, einfaches Kopfrechnen und Sorgfalt.[16] Besitzt ein Bewerber diese Eigenschaften, ist bei normalem Verlauf von einem Erfolg der Ausbildung auszugehen. Besitzt er sie nicht, so können Defizite gegebenenfalls durch gezielte Fördermaßnahmen abgebaut werden. Diese Ergebnisse der Umfrage flossen in den Kriterienkatalog der BA mit ein. Einen Überblick über alle genannten Merkmale, die bereits zu Beginn einer Lehre zwingend erforderlich sind, bietet Abb. 2.

2.3. Ansatz der empirischen Bildungsforschung

Rainer Watermann vom Max-Planck-Institut hat im Auftrag des BIBB 2003 den Begriff AR über eine Zusammenstellung von Mindestkompetenzen definiert, jedoch ohne sie näher zu erläutern: Beherrschung der Fremdsprache, Mathematische Modellierfähigkeit, Fremdsprachliche Korrespondenz, Informationstechnologische Kompetenz und Selbstregulation des Wissenserwerbs. Er attestiert bei Vorhandensein dieser Kompetenzen einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die Erstausbildung.[17]

[...]


[1] Ausbildungsreife wird im Folgenden mit AR abgekürzt

[2] Paktpartner = Bundesministerium (BM) für Wirtschaft und Technologie, BM für Arbeit und Soziales, BM für Bildung und Forschung, Bundesverband der Dt. Industrie, Dt. Industrie- und Handelskammertag, Zentralverband des Dt. Handwerks, Bundesvereinigung der Dt. Arbeitgeberverbände

[3] Geschlossen von der Bundesregierung und Spitzenverbänden der Wirtschaft 2004. Verlängert bis 2010.

[4] Vgl. Bundesagentur für Arbeit (BA), 2006, S. 7

[5] BA, 2006, S. 13

[6] Eberhard, 2006a, S. 18

[7] ebenda, S. 18

[8] Eberhard, 2006b, S. 36

[9] Vgl. BA, 2006, S. 15

[10] ebenda, S. 16

[11] Eberhard, 2006b, S. 38

[12] Basis: Erkenntnisse aus Pädagogik, Psychologie, Kompetenzforschung, bestehende Anforderungskataloge der Wirtschaft, Bildungsstandards der KMK, Praxisdaten von Betrieben, Berufsberatung und Berufsschulen

[13] Vgl. BA, 2006, S. 17 ff.

[14] Eberhard, 2006b, S. 38

[15] ebenda, S. 28

[16] Vgl. ebenda, S. 39

[17] Vgl. Watermann, 200, Folie 3

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Zum Problem der Ausbildungsreife
Untertitel
Konzeptionelle Klärung und empirische Befunde
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Betriebspädagogik I
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V136298
ISBN (eBook)
9783640435555
ISBN (Buch)
9783640435654
Dateigröße
1235 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ausbildungsreife, Jugendliche, Ausbildung, Reife, Nachwuchs, Berufsschule, Azubi
Arbeit zitieren
Maike Unger (Autor:in), 2008, Zum Problem der Ausbildungsreife , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136298

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