Systemische Methoden in der stationären Kinder und Jugendhilfe

Können die systemischen Ansätze als eine Chance zur Erweiterung der Kompetenzen des Sozialpädagogen gesehen werden?


Bachelorarbeit, 2009

116 Seiten, Note: 1,9


Leseprobe


Inhalt

1. Motivation und Fragestellung der Bachelorarbeit
1.1 Motivation
1.2 Fragestellung
1.3 Abgrenzung und Aufbau

2. Wissenschaftliche Annäherung an die Funktion Sozialer Arbeit durch das Verständnis der Systemtheorie von Niklas Luhmann
2.1 Zusammenhang zwischen Sozialer Arbeit und der Systemtheorie
2.2 Die Systemtheorie von Niklas Luhmann
2.2.1 Ursprung
2.2.2 Luhmanns Theorie verschiedener sozialer Systeme
2.2.3 Luhmanns Erklärung zu den Funktionssystemen
2.3 Abgrenzung des sozialen Hilfesystems zum Erziehungssystem
2.4 Zusammenfassung

3. Entwicklung und Zielsetzung der Sozialen Arbeit
3.1 Von der Sozialen Arbeit zur Sozialarbeitswissenschaft
3.2 Leitlinien für die heutige Soziale Arbeit
3.2.1 Auswirkungen und Anforderungen der „neuen“ Dienstleistungsorientierung am Beispiel der gesetzlichen „Leistungsvereinbarung“ in der Heimerziehung
3.3 Funktion der Sozialen Arbeit auf der Makro- Meso- und Mikroebene: Versuch einer Aufgabenbestimmung
3.4 Zusammenfassung

4. Heimerziehung
4.1 Kinder- und Jugendhilfe
4.2 Gesetzliche Vorlagen : „Hilfen zur Erziehung“ (§§ 27ff. SGB VIII)
4.3 Hilfeplanverfahren § 36ff. SGB VIII
4.4 Konzepte in der Heimerziehung
4.5 Aufgabe des Sozialpädagogen im Heim
4.6 Zusammenfassung

5. Stationäre Kinder- und Jugendhilfe: Notwendige Kompetenzen
5.1 Begriffsbestimmungen für das Verständnis der Aufgaben eines Sozialarbeiters in der Kinder- und Jugendhilfe
5.1.1 Erziehung
5.1.2 Sozialisation und Erziehung
5.1.3 Die derzeitige „systemische Erziehung“
5.1.4 Die Lebensweltorientierung bei den Vertretern der systemischen Sozialen Arbeit
5.2 Kompetenzen des Sozialpädagogen
5.2.1 Definition
5.2.2 Pädagogisches Handeln und die für die Soziale Arbeit benötigten Grundformen
5.3 Das erwünschte Engagement des Sozialpädagogen bei der Bewältigung seiner Aufgaben
5.4 Zusammenfassung

6. Therapeutische Anwendung der systemischen Sozialarbeit
6.1 Wissenschaftliches Fundament für die systemische Soziale Arbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
6.1.1 Bedeutung des Konstruktivismus
6.1.2 Die Einflüsse wichtiger konstruktivistischer Denker auf die systemische Praxis
6.2 Einfließen des systemischen Ansatzes in die Soziale Arbeit
6.2.1 Ursprünge systemischer Therapie
6.2.2 Unterschiedliche Handhabung systemischer Sozialarbeit
6.2.3 Unterschied zwischen systemischer und nicht systemsicher Sozialen Arbeit aus der Sicht eines Sozialpädagogen
6.2.4 Notwendige Einstellung des Sozialpädagogen bei der praktischen Umsetzung der systemischen Sozialarbeit
6.2.5 Eine Auswahl verschiedener systemischer Methoden für das Praxisfeld der stationären Kinder- und Jugendhilfe
6.3 Kompetenzen eines systemischen Sozialpädagogen
6.4 Zusammenfassung

7. Systemische Arbeit in der Wohngruppe
7.1 Primäres Ziel der systemischen Heimerziehung
7.2 Schwierigkeiten und Chancen bei der Umsetzung systemischer Methoden in der derzeitigen Heimerziehung
7.3 Rollenkonflikt eines systemischen Sozialarbeiters
7.4 Umsetzung von stationärer Heimerziehung auf der Grundlage der Berufskompetenz eines systemisch arbeitenden Sozialpädagogen am Beispiel eines Falles
7.5. Zusammenfassung

8. Forschungsteil: fragebogengeleitete Interviews zur Anwendung systemischer Methoden
8.1 Begründung des Zugangs
8.2 Forschungsmethodisches Vorgehen
8.3 Datenerhebung:
8.3.1 Frageleitfaden
8.4 Auswahl der interviewten Fachkräfte
8.5 Durchführung der Interviews
8.6 Auswertung der Daten
8.6.1 Bewertung der Ergebnisse

9. Eigene Gedanken

Literaturverzeichnis

Anhangverzeichnis

1. Motivation und Fragestellung der Bachelorarbeit

1.1 Motivation

„SozialarbeiterInnen sind sich häufig ihrer Fähigkeiten und Stärken, ihrer Leistungen und ihrer eigenen Beiträge selbst nicht bewusst“(Herwig-Lempp 2007: 36). Als Sozialpädagogikstudent der Dualen Hochschule Heidenheim fand ich diese These bestätigt, wenn es darum ging das theoretisch Erlernte in die Praxis umzusetzen. Oftmals führte diese Erfahrung „des nicht bewusst seins“ aus meiner Einschätzung heraus zu einer geminderten Berufskompetenz. „Wir werden etwa mit den Grenzen unserer Möglichkeiten des Steuerns und Beeinflussens konfrontiert und können sehen, daß die von uns so präzis sauber rational und rationell erarbeiteten Handlungen, Pläne und Regeln mit ihren Gegenteilen, den Diffusionen, dem Schmutz, dem Abfall, der Irrationalität untrennbar verbunden zu sein scheinen“(Kleve 1996: 31). Im schlimmsten Fall sind Sozialarbeiter daraufhin„wütend, ärgern sich, regen sich auf, verzweifeln – und resignieren“(Herwig-Lempp 2009: 67). Aus dieser Ohnmacht heraus„kommen SozialarbeiterInnen in der Regel nicht so leicht auf die Idee, dass auch sie selbst Widerstand leisten können, dass es sich auch für sie lohnen könnte, gegen Grenzen, die ihnen von der Politik gesetzt werden, vorzugehen (Herwig-Lempp 2009: 69). Ich machte die Erfahrung durch meine mir angeeigneten Kompetenzen, Erklärungen des Scheiterns zu finden, um mich der eigenen Frustration nicht ausgeliefert zu fühlen. Es gab mir das Gefühl, „bemächtigt“ worden zu sein. Nun lässt sich die Frage stellen warum das denn so wichtig ist? Ich teile die Meinung von Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp, dass erst durch das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, dem Klient wiederum genügend Vertrauen entgegengebracht werden kann, um Unterstützung erfahrbar zu machen. „Dies ist die Macht der Sozialarbeiter: Sie können sich vorstellen, dass Veränderung überhaupt möglich ist“(Herwig-Lempp 2007: 37f.). Die Vorstellung alleine reicht jedoch nicht aus. Sie muss von der Berufskompetenz des Sozialpädagogen getragen werden. Dazu gehört die Fähigkeit Veränderungen anzuregen und zu begleiten, die institutionellen Rahmenbedingungen zu verstehen und richtig zu nutzen sowie sich seiner Aufgaben als Sozialarbeiter bewusst zu sein. Je nach Arbeitsfeld werden hierfür verschiedene Kompetenzen abgefragt. In der Heimerziehung liegt der Schwerpunkt in der Erziehung. Die Beschäftigung mit Erziehungsmethoden ermöglicht dem Sozialpädagogen, einem Jugendlichen gemäß seinen Potentialen eine lebenswerte Zukunft zu gestalten. Arrangiert werden kann dies, laut Herwig-Lempp (2009), nur durch den eigenen Glauben an das Potential des Klienten. Es ist die berufliche Verpflichtung eines jeden Sozialpädagogen den Glauben durch seine erworbenen Kompetenzen zu fundieren. Denn Glaube allein befähigt nicht dazu, den verantwortungsvollen Aufgaben eines Sozialpädagogen gerecht zu werden. Dabei spielen die eigenen sozialpädagogischen Kompetenzen in gleichem Maße eine Rolle, wie das Vertrauen in die im Klienten schlummernden Ressourcen. Ein Weg, dem ständigen Ausprobieren neuer Lösungswege zu begegnen und die erforderliche Neugier des Sozialpädagogen methodisch zu fundieren, sind die systemischen Ansätze. Dabei soll die Perspektive der Klienten erweitert werden. Natürlich ist dies nur eine Möglichkeit der Betrachtung. Aufgrund meiner Weiterbildung zum systemischen Berater begann ich, die zu den systemischen Ansätzen Studienjahr 2006/VI Fakultät Sozialwesen notwendige Einstellung, durch den über das Studium hinausgehenden Erwerb wissenschaftlich fundierter systemischer Methoden, die mir dabei halfen den Berufsalltag aus meiner Sicht kompetenter zu gestalten, zu entwickeln. Systemische Methoden waren mir behilflich, die Potentiale der Jugendlichen in der Wohngruppe zu erkennen und zu fördern. Diese Methodenkompetenz, verknüpft mit meiner systemischen Haltung gegenüber den Jugendlichen, bereicherten meinen Berufsalltag und ermöglichten es mir, mir meine eigenen Fähigkeiten und Stärken, im privaten wie auch im beruflichen Bereich, aufzuzeigen. Das Glück eine Methode zu verfügen, welche Stärken und Fähigkeiten der Jugendlichen in der Wohngruppe zu unterstützen vermag, förderte meine Motivation, das ausgewählte Thema zu bearbeiten. Dem Leser soll ermöglicht werden, sich einen Einblick in die systemischen Methoden sowie das Berufsbild eines Sozialpädagogen zu erhalten. Ich hoffe, mit der Arbeit Anregungen für das systemische Gedankengut im Praxisfeld der stationären Kinder- und Jugendhilfe geben zu können.

1.2 Fragestellung

„Handle stets so, daß Du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst“(Foerster 1988: 33)! Dieser ethische Imperativ von Heinz Foerster verdeutlicht in meinen Augen die Chancen auf eine Erweiterung der Berufskompetenz. Die systemischen Ansätze sind, laut meiner Ausgangshypothese, basierend auf der Erarbeitung einer entsprechenden Grundhaltung, in der Lage, die eigenen Möglichkeiten beruflichen Handelns zu erweitern. Die Annahme beruht darauf, den alltäglichen Anforderungen eines auf der stationären Wohngruppe arbeitenden Sozialpädagogen besser gerecht zu werden. Hierfür soll anhand der Darstellung der systemischen Ansätze überprüft werden, ob diese mehr adäquate Handlungsmöglichkeiten für den Sozialpädagogen liefern. Zwei Forschungen (Winkelmann 2009; Wolf 2007) unterstützen die Ausgangshypothese. Diese Studien berücksichtigen systemische Konzepte, welche belegen, dass ein ressourcenorientiertes, systemisches Arbeiten in der Jugendhilfe den Erfolg der Hilfen steigern kann. Im Unterschied zu den Studien wird in dieser Arbeit nicht die Sicht der Jugendlichen ins Zentrum der Betrachtung genommen, sondern die Sicht der Sozialpädagogen. Hierfür werden drei Interviews mit Fachpersonal in der stationären Jugendwohngruppe geführt. Die drei Ausgangshypothesen sollen im Laufe der Arbeit plausibel und mit den durchgeführten Interviews bekräftigt werden:

1. Rahmenbedingungen: Die von der Politik und den Gesetzen herangetragene Aufgaben sowie von der Einrichtung festgelegte institutionelle Ziele können mittels der systemischen Arbeitsweise besser erreicht werden, da die systemischen Ansätze sehr kunden- und ressourcenorientiert sind. In ihrer ziel- und lösungsorientierten Herangehensweise lassen sich Veränderungen eher bewirken und dadurch sichtbare Ergebnisse herbeiführen. Das Verstehen der Zusammenhänge die dem Problem zu Grunde liegen, führen damit zu einer Reduzierung von Komplexität. Infolge der Vereinfachung sind Lösungsansätze wesentlich schneller und leichter zu erkennen und umzusetzen.(1)

2. Einstellung zur Arbeit: Ein systemisch ausgebildeter Sozialarbeiter kann durch Selbstreflexion effizienter und effektiver arbeiten. Dadurch wird er den Ansprüchen seiner Berufsrolle eher gerecht. Das fachliche Handeln wird auf der Grundlage der systemischen Theorie und der systemischen Techniken gestärkt. Dies führt zu mehr Professionalität. Die systemischen Ansätze haben eine positive Auswirkung auf das pädagogische Handeln, weil der Rolle des Lernvermittlers mehr Rechnung getragen werden kann. Denn durch Reflexion und das bewusste Wahrnehmen der Identität ist eine bessere Selbsteinschätzung möglich. Man liefert eine Erklärung für Probleme und Verhalten und weiß deswegen besser was zu tun ist. Dadurch wird das Handeln um fundierte Möglichkeiten erweitert (2).

3. Auswirkungen der Arbeitseinstellung:Die systemische Perspektive ermöglicht der Fachkraft eine andere Wahrnehmung. Weil eine andere Art der Auseinandersetzung mit sich selbst stattfindet, ergibt sich daraus eine andere Einstellung zur Arbeit. Ein systemisch ausgebildeter Sozialarbeiter hat eine positivere Grundstimmung gegenüber der Arbeit und ist deswegen zufriedener und sicherer bei seiner Arbeit. Die Orientierung für das pädagogische Handeln beruht mehr auf der eigenen Identität und damit auch mehr auf den eigenen Grundprinzipien. Ein höheres Maß an Reflexion kann hierdurch erreicht werden. Diese Grundprinzipien festigen die Arbeitsweise und Authentizität der Fachkraft. So kann man ein höheres Maß an Toleranz gegenüber den Klienten aufbringen, seine eigenen Selbstheilungskräfte nutzen, um sich voll und ganz dem Klienten widmen zu können, ohne sich dabei durch seine eigenen Probleme zu irritieren. Stressabbau und eine dadurch herbeigeführte Entlastung bei der Arbeit, lassen sich als Kompetenzsteigerung feststellen, was den Erfolg und damit eine Leistungsmotivation fördert. (3)

1.3 Abgrenzung und Aufbau

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt in der Darstellung des praktischen Nutzens systemischer Erziehungsmethoden für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe. Dieser Nutzen erweitert, laut der Forschungshypothese, die Kompetenz des Sozialpädagogen in diesem Arbeitsfeld. Die hier aufgeführten Theorien werden in diesem Zusammenhang erklärt. Umsetzbarkeit und Nutzen einzelner Methoden aus der systemischen Praxis stehen im Vordergrund.

Die zeitgenössischen Leitlinien der Sozialen Arbeit (SA) können durch die systemische Sozialarbeit bedient werden. Es wird auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann eingegangen, um einen Referenzrahmen der „neueren“ SA zu skizzieren. Funktion und Besonderheiten der SA werden aus der Sicht der Systemtheorie Luhmanns erklärt. Es findet eine Abgrenzung zum Erziehungssystem statt. Aus dem systemtheoretischen Verständnis heraus soll das Ziel hervorgehen, die Leitfunktion der SA zu erläutern. Geschichtliche, politische und rechtliche Gegebenheiten haben Einfluss auf die heutigen Anforderungen an die Soziale Arbeit. Ein Sozialpädagoge sollte das bei der Ausübung seines Berufes bedenken. Daraufhin folgt eine knappe Darstellung des Praxisfelds der Heimerziehung. Ziele, Aufgaben und rechtliche Rahmenbedingungen werden betrachtet. Aus den vorherigen Kapiteln resultierend wird das berufliche Anforderungsprofil eines in der stationären Kinder- und Jugendhilfe tätigen Sozialpädagogen bestimmt. Das ist die Bedingung, um die hinzukommenden Auswirkungen der therapeutischen Anwendung systemischer Sozialarbeit zu verstehen. Im nachfolgenden Kapitel werden die Erweiterungsmöglichkeiten der systemischen Sozialarbeit im Fokus stehen. Mögliche Voraussetzungen für eine Umsetzung systemischer Methoden für einen in der stationären Wohngruppe arbeitenden Sozialpädagogen werden herausgearbeitet. Es folgt eine Betrachtung, welche exemplarisch an einem speziellen Fall die Umsetzung von systemischen Methoden deutlich machen soll. Dann sollen Nutzen und Schwierigkeiten, die durch die Erweiterung der Kompetenz eines Sozialpädagogen entstehen, aufgezeigt werden. Anschließend stehen die Bewertung der Fragen an drei Mitarbeiter zur Erweiterung der beruflichen Kompetenz und die Gründe für die Vorgehensweise sowie die Auswahl der Fragen im Mittelpunkt. Die Erkenntnisse der Befragung werden mit den Ausgangshypothesen verglichen. Am Ende stehen eigene Gedanken zum Thema der systemischen Ansätze in der stationären Kinder- und Jugendhilfe.

In der Arbeit ist es nicht vordergründiges Ziel, explizit auf die wichtigen Vertreter der systemischen Sozialarbeitswissenschaft, wie z.B. Peter Lüssi (1995) und Silvia Staub-Bernasconi (2007) oder Mario Bunge (Klassen 2004), einzugehen. Angewandte Methoden der systemischen Theorien erwachsen aus der systemischen Therapie und deren praktischer Nutzen stehen im Vordergrund. Die Berufsbezeichnung Sozialarbeiter und Sozialpädagoge und die Verwendung der unterschiedlichen Bezeichnung der Adressaten Sozialer Arbeit wie z.B. Klient, Jugendlicher, Kunde usw. werden synonym verwendet. In dieser Arbeit wird ausschließlich die männliche Form der geschlechtlichen Bezeichnung verwendet, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. Die Bevorzugung dieses Geschlechts soll dadurch nicht ausgedrückt werden.

2. Wissenschaftliche Annäherung an die Funktion Sozialer Arbeit durch das Verständnis der Systemtheorie von Niklas Luhmann

2.1 Zusammenhang zwischen Sozialer Arbeit und der Systemtheorie

„Mit dem Begriff Systemtheorie werden in der Sozialen Arbeit verschiedene theoretische Konzepte und Vorstellungen bezeichnet“(Hosemann / Genser / Barthelmes 2006: 20). Anders als bei den systemischen Ansätzen ist die Systemtheorie nicht nur auf die in der Geisteswissenschaft vertretenen Gebiete beschränkt. Systemtheorie wie auch systemische Ansätze gelten seit den 80er Jahren als Leitparadigma und Referenzrahmen Sozialer Arbeit. Einflussreichster Vertreter der soziologischen Systemtheorie war Parsons und die darauf aufbauende Systemtheorie von Niklas Luhmann. Generell ergeben sich ausgehend von den Systemtheorien vier verschiedene Blickwinkel mit Relevanz für die Soziale Arbeit (SA). [1]. Auf Institutionen ausgerichtete Konzepte mit verschiedenen systemtheoretischen Grundorientierungen, 2. Analysen und Techniken zur Interaktionsebene mit Adressaten vor allem zur Beratungsarbeit, 3. Analysen und Beschreibung der gesellschaftlichen Position der SA, 4. Weiterentwicklung der Systemtheorie am Beispiel der SA“(Hosemann / Genser / Barthelmes 2006: 17). Daraus entsteht eine Zweiteilung für die theoretische Basis der systemischen Sozialarbeit. Zum einen wird diese Disziplin durch die soziologischen Einflüsse geprägt und zum Anderen innerhalb der Profession durch therapeutische Konzepte aus der Psychologie gespeist. Man kann eher praktisch ausgerichtete Konzepte (siehe hierzu therapeutische Anwendung systemischer Sozialarbeit), die auf eine Verbesserung der SA als Profession hinwirken, von eher wissenschaftlich ausgerichteten Konzepten (siehe hierzu die Systemtheorie von Niklas Luhmann), die auf eine Stärkung der systemtheoretischen Erziehungsarbeit mit Hilfe der systemischen Sozialarbeitswissenschaft abzielen, abgrenzen. Abgeleitete Veränderungen, die für die Soziale Arbeit von Bedeutung sein können, ergeben sich aus der systemtheoretischen Psychologie, Soziologie und Pädagogik.

Die erste Veränderung, welche sich beim Einbezug von systemischen Ansätzen in der SA ergibt, liegt in der einfacheren Begriffsbestimmung der SA an sich. Das wichtigste Merkmal der SA ist das Soziale. Auch wenn die Sozialarbeitswissenschaft durchaus eine sehr stark eklektische Wissenschaft ist, so wird ihr doch durch den Begriff Sozial eine präzise Bedeutung gegeben. Diese herauszustellen und mit theoretischen Schriften zu untermauern, ist eine wichtige Voraussetzung, um eine saubere Trennung zu den anderen Teilwissenschaften zu ermöglichen. Die Frage, was sozial bedeutet kann in der Systemtheorie durch Abgrenzung der Begriffe sozial und soziale Systeme als hinreichend abgeschlossen betrachtet werden. Handlungen können somit auf sachlicher, interaktionaler, zeitlicher und räumlicher Ebene beschrieben werden, ohne Merkmale wie Schichtzugehörigkeit oder ethische und familiäre Herkunft zu werten.

Die zweite Veränderung, welche sich beim Einbeziehen von systemischen Ansätzen in der SA ergibt, liegt in der globalen Möglichkeit, gesellschaftliche Zusammenhänge zu betrachten und zu verändern. Die soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann kann hierfür zur Entspannung des steigenden Anforderungs- und Anpassungsdrucks innerhalb SA beitragen.

Durch die geforderte Wandlungsfähigkeit der SA und die damit verbundene Lebensweltorientierung bedarf es Konzepte, die den Klienten im Zusammenspiel mit der Gesellschaft betrachten. So hilft beispielsweise die soziale Einzelfallhilfe nie nur einer Person, da jeder Klient in verschiedene soziale Systeme eingebettet ist und diese auch von der Hilfe profitieren können. Dieser Fokus trägt zu einem neuen Verständnis der SA bei. „Der Sozialarbeiter ist, so könnte man sagen, Umweltarrangeur, ein Sozialtechniker, und er tut deswegen gut daran, sich mit den Strukturen und Prozessen der modernen Gesellschaft auszukennen“(Fuchs / Halfer 2000: 58). So werden die steigenden sozialen Problemlagen durch die Luhmannsche Betrachtung um die Möglichkeit erweitert, nicht nur individuelle, sondern auch gesamtgesellschaftliche Aussagen zu treffen.

Die dritte Veränderung, welche sich beim Einbezug von systemischen Ansätzen in der SA ergibt, liegt in den neuen Möglichkeiten, einzelne Teilsysteme zu charakterisieren. Das soziale Hilfesystem wird von einigen Soziologen als ein eigenes gesellschaftliches Teilsystem betrachtet, mit eigenen Systemdifferenzen und einer eigenen Sinndimension. Dadurch kann die Soziale Arbeit durch die Begriffe der Systemtheorie zum Einen besser abgegrenzt und zum Anderen mit den verschiedenen Teilsystemen in Verbindung gebracht werden. Die Luhmannsche Systemtheorie bietet so„nicht nur die Möglichkeit, die Beziehung spezifischer gesellschaftlicher Bedingungen im ökonomischen oder organisatorischen Bereich zu reflektieren, sondern sie liefert auch das begriffliche Instrumentarium, um die Wirkung außerfamiliärer auf familiäre Kommunikationsprozesse zu untersuchen“(Hosemann / Genser / Barthelmes 2006: 23). Die Verbindung zwischen Sozialer Arbeit und Sozialarbeitswissenschaft erhält durch die Systemtheorie eine neue Sichtweise und gibt somit Anregungen für Wissenschaft und Praxis.

Die vierte Veränderung, welche sich beim Einbezug von systemischen Ansätzen in der SA ergibt, liegt in der hohen Praxisrelevanz der Theorie für die SA. Fallbezogene Unterstützung, fallbezogene Veränderung der Lebensbedingungen und die fallunabhängige Verbesserung der sozialen Infrastruktur sind wichtige Arbeitsbereiche von SA. Die Systemtheorie ermöglicht die Verbindung der einzelnen Teilbereiche. Dazu gehören auch die damit verbundenen Interdependenzen. Diese Verbindungen sind wichtig, um Weichen für eine lebensweltorientierte und mit der Wissenschaft übereinstimmende Vorgehensweise zu garantieren. Rückschlüsse aus den erfolgten Bemühungen in der SA machen sie transparenter und damit sicherer. Ermöglicht wird diese Fähigkeit durch den Einbezug der Systemtheorie (vgl. Hosemann / Genser / Barthelmes 2006: 15 ff.). Durch sie wird eine andere Erziehung ermöglicht. Hinzukommend bietet sie eine zutreffendere reflexive Erklärungsvariante für soziale Probleme. „In einer gesellschaftlichen Umwelt, in der die Kontingenz der lebensweltlichen Wirklichkeiten immer offensichtlicher auch SozialarbeiterInnen mit der Selbstreferenz aller ihrer Tätigkeiten konfrontiert, benötigen wir Theorien zur Reflexion der Praxis, die genau diese Phänomene ernst nehmen“ (Kleve 1996: 17). Denn„Systemtheorie (...) sagt nicht, wie man es besser machen kann, aber sie erklärt warum es nicht gegangen ist“(Treml 1994: 155).

Um die vier angesprochenen Veränderungen nachvollziehen zu können, wird die Systemtheorie von Niklas Luhmann herangezogen und im späteren Verlauf auf die für die systemische Sozialarbeit wichtigen therapeutischen Konzepte eingegangen.

2.2 Die Systemtheorie von Niklas Luhmann

2.2.1 Ursprung

Generell basiert die soziologische Systemtheorie auf Werken von T. Parson. Es gibt zwar„eine Reihe von Versuchen(,) die soziologische Systemtheorie, die sich bei der Untersuchung und Beschreibung vieler anderer sozialer Phänomene bewährt hat, auch auf Problemstellungen der Sozialarbeit anzuwenden“(Baecker 2001: 187), eine„ausgearbeitete Systemtheorie Sozialer Arbeit“(May 2008: 107) gibt es jedoch nicht. Gemeinsam haben diese Ansätze eine recht allgemeine Definition von Systemen. Danach handelt es sich um „Gebilde“ innerhalb derer eine Menge von Elementen oder bestimmte Merkmale durch ihre Beziehung zueinander zu einer „spezifischen Struktur“ gelangen. Vorraussetzung für die Beschreibung eines solchen Systems sei dabei immer, dass sich dieses grundsätzlich von seinem Umfeld abgrenzen ließe (vgl. May 2008: 107).

Luhmann wird hier konkreter, indem er behauptet, dass „soziale Systeme“ als „strukturierte Beziehungssysteme“ aufgefasst werden könnten, womit er eine bisher nur auf die naturwissenschaftliche Definition von Systemen geltende Erkenntnis aufnimmt und einfach auf die Eigenschaftsmerkmale sozialer Systeme überträgt. Luhmann (1972: 83) beschreibt dieses später wie folgt:„Als System lässt sich danach alles bezeichnen, worauf man die Unterscheidung von innen und außen anwenden kann; denn in dem Maße, wie eine Ordnung sich ausprägt und verdichtet, müssen unterscheidende Grenzen gezogen werden, und andererseits setzt die Erhaltung der Grenzen eine darauf abzielende innere Ordnung voraus“.

Die wesentliche Reformation der Systemtheorie wurde später ebenfalls von Luhmann erbracht. Dies tut er, indem er, mit der Ergänzung der Eigenschaft der Selbstreferentialität, sprich Selbstbezüglichkeit sozialer Systeme, das Organisationsprinzip der Autopoiesis aufgreift. Dieses eigentlich von Naturwissenschaftlern erforschte Phänomen der Autopoiesis wird dort folgendermaßen definiert:

"Autopoietische Systeme sind operativ geschlossene Systeme, die sich in einer ’basalen Zirkularität’ selbst reproduzieren, indem sie in einer bestimmten räumlichen Einheit die Elemente, aus denen sie bestehen, in einem Produktionsnetzwerk wiederum mit Hilfe der Elemente herstellen, aus denen sie bestehen(Maturana 1982: 58).“

Der aus der Naturwissenschaft stammende Begriff Autopoiesis wurde von den Biologen und Neurophysiologen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela geprägt. Diese definieren Autopoiesis, ausgehend von dem Phänomen der Zellteilung, als Selbsterhalt. Genauer gesagt produziert sich jede Zelle mittels ihrer Bestandteile aus sich selbst heraus, ist also in ihren Operationen ausschließlich auf sich selbst bezogen und damit in ihrem Selbsterhalt als selbstreferenziell zu betrachten. Es handelt sich hierbei um einen zirkulären Prozess, bei dem die Ergebnisse und Produkte, welche durch die Beziehungen der systemeigenen Elemente zueinander, sprich durch ihre Relationen, entstehen, als Grundlage für den Fortlauf weiterer entsprechender Prozesse dienen. Solange diese Prozesse laufen ist der Fortbestand des Systems gesichert (vgl. May 2008: 107). Es stellt somit ein in sich geschlossenes System dar, welches im Falle von biologischen Zellen durch die Zellmembran eine objektive Abgrenzung von der Umwelt besitzt.

Die Tatsache, dass es sich aber auch zugleich um ein offenes System handelt, ist ebenfalls aus einer Erkenntnis der Naturwissenschaft abgeleitet.

Ein weiterer Vorstoß liegt in dem Vergleich der Betrachtungsweise der Reizaufnahme der Sehnerven. Es wird von einer konstruktivistischen Reizaufnahme ausgegangen, d.h. von einer konstruierten Wirklichkeit, wobei die Umwandlung der aufgenommenen Impulse allein im Gehirn stattfindet. Umwelteinflüsse haben dem zufolge keinen direkten Einfluss auf die Verarbeitung dieser Reize. Auf der anderen Seite selektiert die Zelle bei allem, was sie aufnimmt, je nachdem, was sie zum Selbsterhalt benötigt. Es besteht förmlich ein Suchmuster, nach dem jedes System sein Umfeld durchforstet. In dieser Eigenschaft des gezielten Austausches von Energie oder Materie mit seinem Umfeld spricht man von einer Offenheit der Systeme.

Da die Systeme auf diesen Austausch und damit auf ihre Umwelt angewiesen sind, auf der anderen Seite aber über ihr selektierendes Verhalten selbst bestimmt bleiben, sind sie zwar nicht als autark, jedoch als autonom zu betrachten (vgl. Kneer / Nassehi 1993: 53 ff.).

2.2.2 Luhmanns Theorie verschiedener sozialer Systeme

Die wissenschaftliche Diskussion der Theorie der argentinischen Forscher fand in den unterschiedlichsten Geistes- so wie Naturwissenschaften Anklang. Von einer Anwendung auf soziale Zusammenhänge distanzierten sich Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela jedoch. Dies lag wohl daran, dass Menschen nur bedingt autopoietisch agieren. In den 80er Jahren übernahm Luhmann das Konzept der Autopoiesis in die Soziologie. Er entwickelte somit seine Systemtheorie maßgeblich weiter.

Ausgehend von dem Begriff der Autopoiesis waren ursprünglich die Begriffe derStrukturundFunktion,wie sie schon bei Parsons Strukturfunktionalismus Verwendung fanden. Diese wurden durch Autopoiesis und selbstreferientielle Systeme ersetzt und in die Systemtheorie eingebettet (vgl. Kneer / Nassehi 1993: 46 ff). Die Lösung des Problems der nicht autopoietischen Eigenschaften der Menschen lag laut Luhmann in der Unterscheidung zwischen den Elementen. Luhmann ist der Erste, der von Kommunikationen als Letztelement sozialer Systeme spricht und sich so von dem Gegenstand löst, dass der Mensch das Element eines Systems sei. Soziale Systeme sind laut Luhmann als„selbtstreferentiell-geschlossene, autopoietische Systeme konzipiert“(Kneer / Nassehi 1993: 57).

Dieser Logik folgend ändert sich die bisherige Betrachtungsweise erheblich. Der Mensch wird weiter ausdifferenziert (verschiedene Teilsysteme) und der Begriff des Menschen in der Systemtheorie verliert an Bedeutung. Der Mensch ist für Luhmann eine strukturelle Kopplung biologischer psychischer und sozialer Systeme, die sich gegenseitig beeinflussen können. Der Mensch kann demnach nicht als systemtheoretischer Begriff verwendet werden. An die Stelle des Menschen, der Gesellschaft konstituiert, treten nun die Kommunikationen. In anderen Worten bedeutet dies, dass die Gesellschaft nicht dadurch konstituiert wird, dass der Mensch die Gesellschaft formt, sondern, dass sich aus der Kommunikation die „Weltgesellschaft“ konstruiert. Ohne Menschen ist allerdings keine Kommunikation möglich.

Im Aufeinandertreffen von Menschen kann sich Soziales demnach erst durch Kommunikationen entfalten. Sobald es sich um Kommunikationszusammenhänge handelt, welche sich selbst erzeugen und aufrechterhalten, kann von sozialen Systemen gesprochen werden. Menschen sind daher eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen von Kommunikationen, sie bilden aber nicht die sozialen Systeme selbst, sondern stellen die Medien für diese dar. D.h. Menschen haben Teil an sozialen Systemen mittels Kommunikationen. Allerdings ist Kommunikation ein Element, welches wiederum auch einen selbstreferentiellen und autopoietischen Charakter hat. Kommunikationen werden anhand eines Drei-Selektionen-Modells erklärt. Dieses unterscheidet zwischen Information, Mitteilung und Verstehen. Die vierte Selektion bezeichnet all das, was außerhalb der Einheit steht. Kommuniziert wird durch Sprache, Verbreitungsmedien und symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Der Zweck von Kommunikation besteht darin, die Realität darzustellen. Die Möglichkeit anderer Systeme, diese anzunehmen oder abzulehnen, stellt die Autopoiesis der Kommunikation dar (vgl. Krause 2005: 152; Luhmann 2005: 109 ff.).

Führt man den Gedanken der Reduktion von Komplexität auf den Ursprung zurück, so leitet er uns zu den einzelnen Teilsystemen, welche sich im Laufe der Jahre bis hin zur Moderne immer weiter ausdifferenziert haben. Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von „funktionaler Differenzierung“. Diese „verweist darauf, daß sich die Gesellschaft in unterschiedliche Teilsysteme gliedert, die jeweils eigenständige gesamtgesellschaftliche Funktionen ausführen“ (Kleve 1996: 24). Die entstandenen Systeme werden generell in drei Arten von Systemen unterschieden. Die Unterscheidung sorgt für eine eigene Identität und Abgrenzung jedes einzelnen Teilsystems zur Umwelt. Es wird zwischen Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssystemen unterschieden. Interaktionsysteme stellen die kleinste Einheit der Systeme dar und lassen sich wiederum in flüchtige und organisierte Interaktionsysteme unterteilen. Es bedarf mindestens zweier psychischer Systeme, um ein Interaktionsystem entstehen zu lassen. Flüchtige Interaktionsysteme ziehen ihre Grenze durch die Anwesenheit anderer psychischer Systeme. Sie entstehen in der Regel zufällig, kurzfristig und einmalig. Ein Beispiel wäre das unverabredete Treffen eines Freundes auf der Straße mit kurzer Begrüßung. Der Unterschied zwischen flüchtigen und organisierten Organisationssystemen liegt in der Berechenbarkeit der Anwesenheit anderer psychischer Systeme, d.h., das System entsteht nicht zufällig, ist wiederholbar, formeller und durch Kommunikationsmedien wie Sprache und Schrift gekennzeichnet. Die Grenzziehung findet auch durch die Kriterien der Anwesenheit anderer psychischer Systeme statt. Als Beispiel wäre eine Wohngruppe zu nennen. Organisationssysteme sind komplexer und weisen

Subsysteme auf. Sie lassen sich nicht mehr durch die Anwesenheit anderer psychischer Systeme abgrenzen, sondern von der Erwartbarkeit von Entscheidungen, welche sich durch das Programm ergeben. Sie sind unabhängiger von Zeit und Raum und weisen Strukturmerkmale auf. Erst durch diese Strukturmerkmale kann es zu einer Ausbildung von Leistungs- und Publikumsrollen kommen. Als Beispiel wäre eine Jugendhilfeeinrichtung zu nennen. Organisationen erleichtern das Gelingen personaler Inklusion, da sie für eine zeitstabile Bindung von Entscheidungen sorgt. Gesellschaftssysteme lassen sich in so genannte funktionale Teilsysteme unterteilen. Die Funktionssysteme haben sich als Folge der modernen Gesellschaft gebildet und bedingen sich gegenseitig, sprich sie sind strukturell gekoppelt. Jedes dieser Systeme erfüllt für Teile der Gesellschaft eine spezifische Funktion. Diese ist je nach ihrer spezifischen Funktion in autopoietische Systeme gegliedert, welche anhand einer eigenen Leitdifferenz funktionieren. Ein Beispiel hierfür wäre das soziale Hilfesystem (vgl. Hohm 2000: 18 ff.; Weber 1999: 222). Die so genannte strukturelle Kopplung fungiert als Schnittstelle zwischen verschiedenen Systemen und ermöglicht das gegenseitige Wahrnehmen zweier sich bedingender Medien (vgl. Krause 2005: 183). Man spricht immer dann von struktureller Kopplung,„wenn ein System bestimmte Eigenarten seiner Umwelt dauerhaft voraussetzt und sich strukturell darauf verlässt“(Weber 1999: 225). Die Systeme erzeugen sich dabei zwar nicht unmittelbar gegenseitig, sind aber auf den Austausch untereinander angewiesen. Hierin besteht ihre Interdependenz.

2.2.3 Luhmanns Erklärung zu den Funktionssystemen

Was ist ein Funktionssystem?

Der Begriff Funktion„ist nicht mit Zweck oder Ziel bestimmter Institutionen und Kommunikationen zu verwechseln“(Weber 1999: 185). Jede Funktion eines jeweiligen Funktionssystems beschäftigt sich mit einer konkreten Problemstellung innerhalb der Kommunikationszusammenhänge in der Gesellschaft. Dies führt durch die Ausdifferenzierung zur Reduktion von gesellschaftlicher Komplexität. Kommunikationen, welche an die Funktion gekoppelt sind, finden, aufgrund von den einzelnen Problemstellungen der spezifischen funktionalen Teilsysteme, differenzierter statt. Diese Differenzierung geschieht durch die so genannte Leitdifferenz. Charakteristisch für diese Leitdifferenz ist die selektive Filterung der Kommunikationen über das codierte Beobachtungsschema. Der Code gewährleistet dabei die operative Geschlossenheit des Systems. Genauer gesagt sorgt die Leitdifferenz dafür, dass sich ein bestimmtes autonom kommunikatives Funktionssystem bilden kann. Andersartige Funktionssysteme können diese Art der Kommunikation nämlich nur aufgrund der eigenen Leitdifferenz beobachten. Die Folge ist also eine Irritation, die durch Kommunikation zwischen den verschiedenen Funktionssystemen entsteht. Die Leitdifferenz, auch binärer Code genannt, legt also den Kommunikationsstandard fest. „Inklusion ist eine Operation der jeweiligen spezialisierten Kommunikation im Kontingenzbereich der binären Codes der Funktionssysteme“(Weber 1999: 215). Als Inklusion wird also die Teilhabe am Kommunikationsvorgang bezeichnet. Exklusion bezeichnet die Kehrseite. Also die Nicht-Teilhabe an Kommunikationsvorgängen. Ob eine Inklusion oder Exklusion erfolgt, liegt an der Struktur der kommunizierenden Systeme, d.h. Individuen nehmen nur partiell an den gesellschaftlichen Funktionssystemen teil. In wieweit sie letztlich inkludiert oder exkludiert sind hängt von der gewählten Kommunikation ab (vgl. Weber 1999: 213 ff.). Mit dem Begriff der Individualität wird hier die Individualität der psychischen Systeme angesprochen. Die Gesellschaft stellt also für das Individuum eine Systemumwelt dar, in der jedes Individuum gezwungen ist, sich selbst zu inkludieren oder weiterhin exkludiert zu bleiben. Dies geschieht durch Kommunikation, d.h., das Stellen von Ansprüchen an die verschiedenen Funktionssysteme. Die Funktionssysteme wiederum entscheiden anhand ihres Codes, ob sie das entsprechende Element inkludieren oder weiterhin exkludieren. Der Code stellt die dauerhafte und zeitliche Beobachtung nach bestimmten Kriterien sicher und legt die Selektionskriterien des jeweiligen Systems fest. Er tut dies auf der Grundlage einer binären Logik durch das Reflektieren der Information an einem Gegenwert. Dieser Gegenwert ist durch das Programm genauer bestimmt, welches als eine Art Entscheidungshilfe für die Anwendung der Leitdifferenz fungiert. Dieses gibt dem Code zugleich einen tieferen Sinn und legt die Kriterien für die Öffnung des Funktionssystems fest. Inhaltlich wird die Selektion des Programms mit drei Dimensionen des Sinngeschehens erklärt. In der Sozialdimension werden die funktionsspezifischen Parameter für die Leitdifferenz definiert. Die Sachdimension regelt die legitimen Ressourcen, auf die zurückgegriffen werden kann. Die Zeitdimension legt dem Funktionssystem einen spezifischen Begriff von Zeit zu Grunde, der je nach Funktionssystem unterschiedlich ausfallen kann, da Zeit, im Kontext sozialer Handlungen, nicht als Einheit begriffen werden kann. Diese Dimensionen können sich, im Gegensatz zum binären Code, inhaltlich je nach gesellschaftlichen Bedingungen verändern. So schafft das Programm einen Bezug zur Leitdifferenz und gibt ihr zugleich eine Struktur. Selbst bei unlösbaren Aufgaben werden durch das Programm Lösungsmöglichkeiten festgelegt. Es bestimmt, welche Bedingungen für den Code ausschlaggebend sind. Das Medium transportiert Kommunikationen in Form von Elementen. Jedes Funktionssystem hat sein spezifisches Medium nach welchem es handelt (vgl. Weber 1999: 184 ff.).

Soziales Hilfesystem als Funktionssystem

Erst durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft entstand neben den anderen Funktionssystemen auch das soziale Hilfesystem. In einer komplexen und modernen Gesellschaft bedarf es eines eigenen Funktionssystems, um sich sozialer Probleme anzunehmen. Früher konnten diese Aufgaben z.B. von den Familien ausreichend übernommen werden. In der modernen Gesellschaft potenzierten sich allerdings die sozialen Risiken und so wurden neue Strukturen geschaffen, um die soziale Ungleichheit einzudämmen, da soziale Gleichheit als Endziel nie erreicht werden kann. Vor der kopernikanischen Wende wurde die soziale Ungleichheit als gottgegeben definiert, heute bedingt sie die Legitimation des sozialen Hilfesystems. Die Funktion des sozialen Hilfesystems liegt in der präventiven Beseitigung und Vermeidung jeglicher Art sozialer Ungleichheit durch die Bereitstellung von Hilfeleistungen. Durch die Moderne wird dem sozialen Hilfesystem also immer mehr die Funktion der„Hilfen zur Bewältigung der Normalität“(Weber 1999: 192) zugeschrieben. Die Orientierung an der Lebenswelt ist durch die hohen Erwartungen an die einzelnen Personen gestiegen. Nur durch aktive Partizipation an den verschiedenen Teilsystemen über Kommunikation kann die Inklusion an den verschiedenen Funktionssystemen erreicht werden. Jede Person muss die Fähigkeit besitzen, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Gibt es hier Defizite in der Anpassung an die verschiedenen Funktionssysteme, so werden diese durch das Medium Helfen überwunden. Hier lässt sich auch die Aufgabe von SA sehen, nämlich diese Defizite zu kompensieren. Dies stellt die Autopoiesis des sozialen Hilfesystems dar. Sozialarbeit hat also die Aufgabe, Chancen für gesellschaftliche Kommunikation zu gewährleisten. „Soziale Hilfe beobachtet die inner- und außergesellschaftliche Systemumwelt mittels des binären Codes unter Ausschluss dritter Möglichkeiten daraufhin, ob Bedürftigkeit vorliegt oder nicht(Weber 1999: 199). Die Selektion erfolgt danach, ob geholfen werden muss oder eben nicht, beziehungsweise über die Entscheidung, ob Bedarf besteht oder eben nicht. Dies wird letztlich über den binären Code auf der Grundlage des Programms geklärt. Das Programm legt seinen Schwerpunkt auf die Interpretation von individueller Bedürftigkeit und legt zugleich fest, wie geholfen werden soll. Eine Begriffsklärung der Funktion und der Leitdifferenz gestaltet sich schwierig, ist jedoch bewusst allgemein formuliert, um keine zeitliche und konkret lösbare Zielformulierung zu erzwingen, wodurch es dynamisch und flexibel bleibt. Das Problem besteht in der Definition der defizitären Lebensverhältnisse. Diese müssen so gravierend sein, dass sie nicht mehr als tragbar angesehen werden können. „Konkret geht es bei der Funktionsbestimmung von Hilfe zunächst um die Stabilisierung von Erwartungsstrukturen“(Weber 1999: 194), welche unter Einbeziehung der zeitlichen, sachlichen sowie sozialen Sinngehalte definiert werden. Die Sozialdimension regelt, wer als bedürftig anzusehen ist und wer nicht. Hilfreich ist da die Einbeziehung von nicht defizitären Lebensweisen, also der Gegenbezug, wodurch eine bessere Abgrenzung im Sinne eines Vergleiches möglich wird. Allerdings führt lediglich Bedürftigkeit zur Hilfe und nicht etwa, wenn jemand nicht bedürftig ist. Deswegen ist es sehr wichtig, genaue Diagnosen in Bezug auf die Bedürftigkeit zu erstellen. Diese Feststellungen basieren auf dem Fachwissen, welches in der Profession des Sozialarbeiters liegt. Sozialarbeiter sind durch ihr Fachwissen in das soziale Hilfesystem inkludiert und wenden dadurch das für das Funktionssystem der sozialen Hilfe spezifische Beobachtungsschema auf die Systemumwelt an. Alle, die diese Profession nicht innehaben, bleiben dieser Logik nach exkludiert. In der Sachdimension wird geregelt, welche Methoden und Ressourcen angewendet werden, um die Bedürftigkeit zu überwinden. Auch hier spielen wissenschaftliche Erkenntnisse eine Rolle, welche in Form von Entscheidungen an die Systemumwelt herangetragen werden. Die Zeitdimension der Hilfe regelt die Dauer der Bedürftigkeit und der Maßnahme für das Helfen. Es muss also eine Ausgangslage der Bedürftigkeit existieren und ein Ziel formuliert werden, welches in einer festgelegten Zeit zu erreichen ist. Auf diese Weise ist die Entscheidung auf der Grundlage des Vergleiches der Situation vor und nach der Hilfemaßnahme besser auf ihre Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Hilfe nach Auslauf der ersten Frist einfacher zu erkennen. Einen Sonderfall stellt die präventive Hilfe dar. Hierbei ist diese erforderlich, um sie durch Präventivmaßnahmen im Vorhinein zu vermeiden. „Die präventiven Hilfen sehen eine feste zeitliche Planung der Intervention vor und reagieren auf Bedü[r]ftigkeit [sic!] nicht nur situativ“(Weber 1999: 208). Die Zielformulierungen sind in allen drei Dimensionen von entscheidender Bedeutung.

2.3 Abgrenzung des sozialen Hilfesystems zum Erziehungssystem

Als Erstes ist festzuhalten, dass N. Luhmann kein zentrales Werk zur Erziehungswissenschaft veröffentlichte. Allerdings wurden 2002 nach seinem Tod (1998) seine neuesten Erkenntnisse in dem Werk „Erziehungssystem der Gesellschaft“ veröffentlicht. In den von Luhmann thematisierten Diskussionen, welche unter Anderem in Form von Buchpublikationen und verschiedenen Artikeln erfolgten, unterstellte Luhmann der Pädagogik ein Technologiedefizit. Dieses Technologiedefizit lässt sich laut Luhmann an zwei Faktoren festmachen. Zum Einen an der Tatsache, dass Erziehung immer durch die VariableZufallbeeinflusst wird, d.h., dass keineWenn - Dann – Beziehungzwischen Intention und Erfolg auszumachen ist und zum Anderen, dass ein enormer Zeitmangel auf Seiten der Pädagogen besteht, sich genügend auf die verschiedenen Aspekte der Erziehung der Kinder bzw. Jugendlichen vorzubereiten. Luhmann spricht von einem Verstehensdefizit der Pädagogik. Die zu Erziehenden sind immer als selbstreferentiell in Bezug auf ihre Kognitionen einzuordnen, d.h. sie können nicht nach dem Willen des Pädagogen zu einer bestimmten Denkweise gezwungen werden. Ihre individuellen Gedanken und Denkmuster sind autonom. Bis 2002 wurde davon ausgegangen, dass dem Erziehungssystem kein Code zuzuordnen sei. Diese Meinung wurde durch die Veröffentlichung des letzten Werkes Luhmanns über die Erziehung revidiert. Dem Erziehungssystem liege letztlich ein einfacher Code zugrunde. Nämlich das Erziehen, welches sich in die Dichotoniegeeignetundungeeignetaufteilt. Die Unterscheidung zwischen Sozialisation und Erziehung liegt in der Intention (vgl. Saldern 2005: 155 ff.). „Ohne Absicht gibt es keine Erziehung“(Saldern 2005: 163). Allerdings ist die Absicht nicht automatisch an das Resultat, d.h. an den Erfolg, gekoppelt. Der Faktor der Sozialisation wird durch die BegriffeInputundOutputdefiniert. Welche Wendung die Sozialisation nimmt, ist allerdings nicht wirklich abzusehen (vgl. Saldern 2005: 163 ff.).

Aus systemtheoretischer Sicht steht dem Code des ErziehungssystemsErziehender Code des Hilfesystems mithelfen / nicht helfengegenüber. Das Erziehungssystem will erziehen, das soziale Hilfesystem will helfen, um sich jeweils selbst zu erhalten (vgl. Weber 1999: 210). Trotzdem wird auch einem Sozialpädagogen gesetzlich vorgeschrieben, seinem Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Allerdings ist es eine andere Art von Erziehen, denn während das Erziehungssystem auf die Massenversorgung abzielt, richtet sich das soziale Hilfesystem auf eine geringe Nutzerzahl, durch die eine individuellere Betreuung erfolgen kann. Da das Erziehungssystem auf Leistung, Selektion und Beurteilung ausgerichtet ist, dominiert hier ein Konkurrenzverhalten unter den Adressaten. Im Gegenzug basiert im sozialen Hilfesystem alles auf Hilfe, Unterstützung, Erholung und Beziehungsarbeit. Es kann trotzdem in beiden Fällen von Erziehung gesprochen werden.

Eine Erfolgsmessung wird im Schulsystem auf formaler Ebene vollzogen, während die Fachkraft in der Wohngruppe nur subjektiv und interaktiv den Erfolg einzelner Jugendlicher bewertet. Eine Kontrolle des Erfolges bemisst sich hier anhand der Qualität der Beziehungsebene zwischen Jugendlichem und Pädagogen, die sich auf den Erziehungserfolg auswirkt.

Ein Pädagoge im Schuldienst hat als Autoritätsperson vor allem die Aufgabe, Wissen zu vermitteln (auf kognitiver Ebene), was messbar und komplementär geschieht und als direktive Kultur zu verstehen ist. Der Sozialpädagoge im Gruppendienst hingegen ist eher auf Problembewältigung und Konfliktbearbeitung im Dialog aus und verfolgt damit einen ganzheitlicheren Ansatz, der den verschiedenen Bedürfnissen der Jugendlichen deutlich mehr Rechnung trägt. Die Schule legt ihren Schwerpunkt funktional auf die Vorbereitung der Schüler in Bezug auf deren Zukunft, um Grundlagen und Wissen für ihr Leben, ihre Karriere und ihren Beruf zu vermitteln. Der Lehrer hat die Aufgabe Inhalte zu vermitteln, um damit eine geistige und fachliche Bildung der Schüler zu gewährleisten. Die strukturelle Kopplung zwischen dem Erziehungssystem und dem Wirtschaftssystem ergeben sich hieraus. Die Funktion des sozialen Hilfesystem hingegen, legt den Schwerpunkt auf die Befähigung zur Autonomie und Gemeinschaftsfähigkeit des Jugendlichen. SA soll helfen, dass Erziehen in dem Verständnis von Luhmann erst wieder durch die Lehrer möglich wird. Hier besteht die strukturelle Kopplung zwischen dem Erziehungssystem und dem sozialen Hilfesystem. (vgl. Thimm 2000: 34 ff.; Olk 2005: 84 ff.). Der Erziehungsbegriff im Sinne der Befähigung zur Autonomie und Gemeinschaftsfähigkeit spielt, bezüglich des Stellenwertes für die SA, eine maßgebliche Rolle. In der Erziehung liegt nämlich der Schlüssel für die SA, um erfolgreich helfen zu können und somit auch der Leitdifferenz des sozialen Hilfesystems gerecht zu werden. Der erzieherische Auftrag gewinnt so für einen Sozialpädagogen auf der Wohngruppe an Bedeutung. Durch die strukturellen Kopplungen zwischen Erziehungssystem und Sozialem Hilfesystem wie auch zwischen Wirtschaftssystem und Erziehungssystem werden die einzelnen Abhängigkeiten und Aufgaben der Systeme deutlich. (vgl. Luhmann 1986: 23 ff).

2.4 Zusammenfassung

Die Systemtheorie nach Luhmann bietet einen Zugang, der als Referenzrahmen für die SA gesehen werden kann. Der Vorteil einer solchen Betrachtung liegt in dem besseren Funktionsverständnis des sozialen Hilfesystems. Durch die strukturelle Kopplung mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen wird dessen Notwendigkeit deutlich. Dieser wissenschaftliche Zugang ermöglicht zudem auch eine sozialpädagogische Herangehensweise auf der Mikro- bzw. Handlungsebene. Durch das „Autopoiesis-Konzept“ wird verdeutlicht das man die Menschen nicht einfach umformen und ihre gesellschaftliche Kompatibilität herstellen kann, sondern, das lediglich ihre psychischen Systeme durch Interventionen irritiert werden, um so ihre Handlungsalternativen zu erweitern („Hilfe zur Nichtmehrhilfe“, vgl. Kleve 1996: 31). Darin ist ein Mindestmaß an Moral des systemischen Ansatzes zu erkennen, indem der Klient nicht instruiert werden soll, sondern irritiert wird, um dessen eigene Handlungsalternativen anzuregen.

3. Entwicklung und Zielsetzung der Sozialen Arbeit

3.1 Von der Sozialen Arbeit zur Sozialarbeitswissenschaft

Der Gegenstand der SA bleibt, was den Anwendungsbereich angeht, schwierig zu definieren. Gekennzeichnet ist die SA im Gegensatz zur Sozialarbeitswissenschaft (Pfaffenberger 1974) durch die anwendungsorientierte Herangehensweise. Grob lässt sich die SA in vier Arbeitsbereiche gliedern. Zum Ersten in die Kinder und Jugendhilfe, zum Zweiten in die Sozialhilfe, zum Dritten in die Gesundheitshilfe und zum Vierten in die Altenhilfe. Es werden damit aber bei weitem nicht alle Einsatzbereiche der Sozialarbeiter abgedeckt. So erweitern beispielsweise die Bereiche der betrieblichen Sozialarbeit und die Sozialarbeit im Bildungssektor das Einsatzspektrum.

Ausschlaggebend für die unentgeltliche SA war die im 18. Jahrhundert vertretene christliche Auffassung der Fürsorge Benachteiligter. Zu einem Beruf entwickelte sich die Soziale Arbeit ausgehend von der Armenfürsorge erst am Anfang des 19. Jahrhunderts. Eine immer stärker werdende Professionalisierung fand im Laufe der folgenden Jahrzehnte statt. Die vermehrte Institutionalisierung sowie beginnende Industrialisierung führte zu einem ausdifferenzierten Hilfeangebot in unterschiedlichen Arbeitsbereichen. Diese Entwicklung wurde später von Niklas Luhmann als Beginn der „Funktionalen Differenzierung“ (siehe Theorie verschiedener Systeme) gesehen. Maßgeblich an der Veränderung beteiligt war die Sozialgesetzgebung. Von Bismarck bis heute hat sich in Deutschland eine komplex kodierte Rechtssprechung, die den Anspruch auf Sozialleistungen jeglicher Art regelt, herausgebildet. Die angesprochenen Sozialgesetze finden in den Sozialgesetzbüchern (SGB I-XII) Ordnung. Durch die Bindung an das Gesetz kommt der starke Zusammenhang zwischen Staat und SA zum Ausdruck. Es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis (strukturelle Kopplung an Politik-, Bildungs-, Wirtschaftssystem usw.) welches durch gesellschaftlichen Wandel und, von der Politik vorgegebenen Paradigmenwechsel gekennzeichnet wird. So lässt sich je nach Zeitepoche ein anderes Bild der Auffassung von SA zeichnen.

Während unter Bismarck der SA vor allem Kontrolle und Bestrafung zuteil war, wurde beispielsweise in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts der Schwerpunkt auf die Beseitigung von Defiziten der Problemträger gelegt. Eine fundierte methodisch fachliche Vorgehensweise – wie sie derzeitig erfolgen sollte - war damals selten. In Heimen äußerte sich das durch einen Mangel an Fachpersonal. Damit einher gingen heute nicht mehr vertretbare drakonische Strafen sowie eine Auffassung von Erziehung, die durch eine nicht wertschätzende Haltung charakterisiert war und zu einer verstärkten Pathologisierung der Zöglinge führte. Dieses als „schwarze Pädagogik“ bekannte Zeitalter, welches die Leitmaxime Zucht und Ordnung hatte, wandelte sich in ein humaneres Vorgehen. Die Beziehungsarbeit und das Vertrauensverhältnis zwischen anspruchsberechtigtem Bürger und Sozialarbeiter stehen beispielsweise in dem Jugendamt und im Heimbereich zunehmend im Mittelpunkt. Der Sozialarbeiter hat heute parteilich zu sein und für die Interessen des Hilfebedürftigen einzustehen, insofern diese nicht selber dazu in der Lage sind (vgl. Falterbaum 2007: 56; Raschenbach / Züchner 2002: 842 ff.; Mühlum 2002: 846 f.).

In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erweiterte sich die SA durch den Begriff der Sozialarbeitswissenschaft. Kritiker, wie z.B. Lukas und Rössner (nach Raschenbach / Züchner 2002), forderten eine wissenschaftliche Fundierung für sozialarbeiterisches Vorgehen. Heute bedient sich die SA eines breiten Spektrums verschiedener Wissenschaften wie z.B. Recht, Psychologie, Soziologie und Pädagogik. In letzter Zeit spielten die wirtschaftlichen Erkenntnisse eine größere Rolle für die SA.

Trotz all dieser Einflüsse der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen versucht die SA, den Anspruch der Eigenständigkeit zu wahren. Die Eigenständigkeit wird vor Allem durch den Wirklichkeitsbezug aufrechterhalten. Daraus ergibt sich ein Identitätsproblem für die Sozialarbeitswissenschaft. Darauf wird später eingegangen (siehe Berufsidentität des Sozialpädagogen). So besteht die „Kunst“ eines Sozialpädagogen darin, nicht nur der Wissenschaft zu folgen sondern alltagsorientiert zu arbeiten. Die Folge ist, dass der Klient im besten Fall gar nicht merkt wie der Sozialarbeiter fachlich vorgeht, da er sich stark dem Klienten und seinen Bedürfnissen anzupassen vermag. Diese Haltung trug verstärkt zu mangelnder Anerkennung von SA in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts bei. Nachfolgend vollzog sich ein pädagogischer Wandel. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts bekommt die Einbeziehung der Lebenswelt (siehe Lebensweltorientierung) des Klienten eine tragende Rolle in der Ausgestaltung sozialpädagogischer Intervention. Die neuen Entwicklungen verdeutlichen den Aspekt der Dienstleistung und damit der Kundenorientierung. Diese Orientierung erfolgt unter dem Einbezug von Teilgebieten der Wirtschaftswissenschaften. Hier liegt die Chance einer anderen beruflichen Identität, die auch weitere Aufgabenfelder, wie z.B. Koordination, Beratung und Evaluation im Rahmen von Qualitätsmanagement beinhaltet und dadurch das Ansehen SA stärken kann. Aber auch unter den Gesichtspunkten der immer knapper werdenden finanziellen Mittel für SA macht die Optimierung der betriebswirtschaftlichen Effizienz einen Sinn.

Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung und Akzentuierung verfolgt SA auf der Makroebene stets das Ziel, gesellschaftlich bedingte Probleme zu lösen, oder besser noch, zu verhindern. Erreicht werden soll dies auf der Grundlage der sozialarbeitswissenschaftlichen Methoden. Die frühere methodische Dreigliederung in die Soziale Einzelfallhilfe, die Soziale Gruppenarbeit und die Soziale Gemeinwesenarbeit stammt aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts und ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten, da sie durch vielfältige Gliederungen ersetzt wurde. Diese werden nun den individuellen Ausgangssituation der Leistungsempfänger besser gerecht (vgl. Raschenbach / Züchner 2002: 842 ff.; Mühlum 2002: 846 f.).

3.2 Leitlinien für die heutige Soziale Arbeit

Seit 1998 zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Auffassung von Sozialer Arbeit ab. Er steht in starkem Zusammenhang mit dem damaligen Regierungswechsel. Die Vorgaben an die SA ergeben sich beispielsweise aus Berichten vom Ministerium, in welchen die wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie das eigene Parteiprogramm vereint werden (Familienbericht, Kinder- und Jugendhilfebericht). Die neuen politischen Leitgedanken der Regierung Schröder entsprangen dem Modell des modernen Kommunitarismus. Dieses theoretische Konzept, welches unter anderem von Amitai Etzioni am grünen Tisch entworfen wurde, ist somit maßgeblich an dem Wandel Sozialer Arbeit beteiligt. Der Wandel beschreibt den Versuch, mit der Veränderung der Rahmenbedingungen von SA einen fließenden Übergang vom „deutschen Wohlfahrtsstaat“ zu einer Solidargemeinschaft zu ermöglichen. Der Schwerpunkt der SA lag vor 1998 vor allem in der sozialen Einzelfallhilfe. Die Sorge für das Gemeinwohl gefährdeter, bzw. benachteiligter und bedürftiger Bürger war fast ausschließlich der Verantwortlichkeit des Staates und somit indirekt der Kompetenz des Sozialarbeiters zugeschrieben worden. Favorisiert wurden vor allem problemorientierte und auf den Einzelfall ausgerichtete Konzepte. Der Mitbürger wurde somit meist aus der Pflicht genommen. Der damit verbundene Vorwurf, einer Kultur der „sozialen Hängematte“ nichts entgegenzustellen zu können, sorgte für die Legitimation einer Veränderung (vgl. Reese-Schäfer 2001). Desinteresse wie auch Unmut in der Bevölkerung stiegen an. Niemand fühlte sich für den Nächsten zuständig. Überspitzt gesagt ging diese Haltung sogar so weit, nicht mal mehr für sich selbst verantwortlich zu sein, da der Staat den Bürger in gewisser Weise mit trug. Diese Grundhaltung wird als “Bowling alone“ Phänomen beschrieben (vgl. Notz 2000).

In der durch die Politik angestrebten Solidargemeinschaft und die Idee des „aktivierenden Sozialstaates“ nach 1990 wurden die Eigenverantwortung und die Aktivierung der Selbstbeteiligung des Bürgers, persönliche Probleme auch selbst zu lösen, immer wichtiger. So sollte dem “Jeder kümmert sich um sich selbst-Prinzip“ Einhalt geboten werden (vgl. Notz 2000; Reese-Schäfer 2001). „Der Kommunitarismus diagnostiziert im Sinne der Postmoderne eine Krise moderner Gesellschaften (Entsolidarisierung; Werteverfall; Legitimitäts-, Identitäts- und Sinnkrise), als deren Ursache er einen radikalen, von der Ideologie des Neoliberalismus geförderten Individualismus ausmacht, um im Gegenzug die notwendige Rückbesinnung auf Bedeutung und Wert von Gemeinschaft (community) zu fordern“ (Rieger 2004: 433). Kommunitarismus ist also der „Versuch, auf der Theorieebene eine Konzeption von Partizipation aller an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens zu entwickeln“ (Notz 2000: 232). Gründe hierfür liegen vor allem in der Notwendigkeit, der im Zitat beschriebenen Gefahr, der genannten Krise moderner Gesellschaften, angemessen entgegen zu wirken. Der Kommunitarismus als Lösung bietet einen Weg zur modernen Zivilgesellschaft. Kennzeichen dieser Lösung ist die Befähigung der Bürger zum kritischen Engagement, als Bewegung gegen den vorherrschenden Materialismus.

Das Ziel der SA ist es, den Bedürftigen zu überzeugen, einen Weg zu finden, sich selbst zu helfen. Das Aufzeigen neuer Alternativen weckt das Vertrauen in die Kraft der eigenen Ressourcen für Lösungsalternativen[1]. Die Eigenverantwortung der Klienten und die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wachsen damit an. Gefühle von Fremdbestimmung, Ohnmacht und sozialer Ausgrenzung werden zurückgedrängt[2] (vgl. Elsen 2007: 49 ff.).

Galuske (2002) schreibt der SA unter den derzeitigen Voraussetzungen immer mehr die Verwaltung der „Ausgeschlossenen“ zu. „In dem Maße, in der die lohnarbeitszentrierte, wohlfahrtsstaatlich abgefederte Arbeitsgesellschaft unter dem Diktat des neoliberalen Globalismus bei gleichzeitigem Schwinden des Erwerbsarbeitsvolumens die Strukturen arbeitsmarktlicher Integration verflüssigt, flexibilisiert, und gleichzeitig die wohlfahrtsstaatliche Zweitsicherung unter dem Stichwort mehr Eigenverantwortung und Aktivierung der Bürger zurückfährt und somit die Frage von Integration und Ausgrenzung in sukzessive wachsendem Maße den Gesetzen des Marktes unterwirft, besteht die Gefahr, dass sich (...) weite Teile der sozialpädagogischen Infrastruktur zu mehr oder minder komfortablen Wartehallen vor den Toren der Arbeitsgesellschaft entwickeln“(Galuske 2002: 344). Dieser Vorwurf an den Kommunitarismus fordert die SA heraus, mit weniger Mitteln mehr zu erreichen. Es bleibt festzuhalten, dass der Gedanke des Kommunitarismus edle Ziele verfolgt, sich aber die Kritik gefallen lassen muss, genau die im Zitat angesprochenen Strukturen und Missstände aufrecht zu erhalten. Ein Entgegenwirken ist nur durch vermehrte Finanzierung von Hilfsmaßnahmen zu erreichen, die auf die Stärkung der Eigenverantwortung abzielen. Die Umsetzung des kommunitaristischen Gedankengutes steht leider nicht im Einklang mit der Forderung an eine restriktive Ausgabenpolitik der Bundesregierung. Trotz allem muss die SA die Aufgabe annehmen auch mit weniger Geld dem Prinzip des Empowerments[3] zu entsprechen, indem den Betroffenen zu einer inneren Stärke verholfen und das Gefühl gegeben wird, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können und dadurch weniger ausgeliefert zu sein (vgl. Staub-Bernasconi 2000).

Eine verstärkte Ausrichtung der SA auf Effizienz ist angesagt. Die „steigende Komplexität des Aufwachsens in modernen Gesellschaften hat zu einem Mehrbedarf an erwartbarer öffentlicher Unterstützung geführt. Dies muss auch zu einem neuen Generationenvertrag führen, der das Aufwachsen in privater Verantwortung nicht ersetzt, sondern subsidiär ergänzt, der Eltern und Familien in ihrer Erziehungsverantwortung nicht alleine lässt, sondern sie anhand öffentlicher Ressourcen unterstützt und ihnen neue Gestaltungsoptionen eröffnet"(BMFSFJ 2002: 61).Eine zunehmende Ökonomisierung der SA

wird dadurch zwangsläufig herbeigeführt. Der steigende Wettbewerbsdruck sorgt für eine vermehrte Kundenorientierung im sozialen Bereich. Durch die Verknappung der Mittel ist jedes private Unternehmen gezwungen, effizienter zu arbeiten. Erreicht wird dies durch den Einsatz von Methoden aus der Wirtschaft. Freie Träger müssen nicht mehr nur gemeinnützig arbeiten, sondern dürfen auch als GmbH Gewinne erzielen. Die so genannte „Neue Steuerung“ führt zu strengeren Kontrollen und einer zeitlichen Befristung von Hilfsmaßnahmen. Der Einzug von Qualitätsmanagement fordert von jedem Sozialpädagogen einen enormen Mehraufwand an bürokratischen Arbeiten, und bedeutet somit weniger Zeit für den Kunden. Direkte pädagogische Arbeit kann nicht mehr im gleichem Maße gewährleistet werden, wie dies früher der Fall war. Im Sparzwang könnte die Gefahr des Qualitätsverlustes liegen. Allerdings birgt er auch die Chance, Gelder effizienter einzusetzen.

All diese Entwicklungen führen zu einem neuen Profil der SA. Zuständigkeiten werden verschoben und neue Aufgabenbereiche für den Sozialpädagogen (z.B. Steuern und Organisieren) kommen hinzu, wodurch seine Arbeit an Ansehen gewinnen könnte. Durch diese neue „Professionalisierung“ kann die soziale Arbeit zielgerichteter und effizienter gestaltet werden. Eine Möglichkeit des Umgangs mit der restriktiver werdenden Ausgabenpolitik des sozialen Hilfesystems besteht in der Leistungsorientierung. Diese sorgt für die stärkere Orientierung der SA am Wirtschaftssystem, wodurch die moralischen Ansprüche einer eigenständigen SA angegriffen werden. Das Hauptmerkmal auf die Wirtschaftlichkeit zu legen verringert die Eigenständigkeit und widerstrebt dem Fürsorgeprinzip, wie es Silvia Staub-Bernasconi (2000) fordert. Zwar führt die Leistungsorientierung durch Evaluation und Managementmethoden zu einer besseren Möglichkeit, SA zu überprüfen und messbar zu machen und außerdem ermöglicht sie, wie es beispielsweise bei der Leistungsvereinbarung der Fall ist, die Rechenschaftsablegung über Ziele und Mittel. Die Kehrseite der Medaille ist die Gefahr, dass der Sozialpädagoge den wichtigen Anspruch verlieren kann, aus moralischer Überzeugung zu handeln (vgl. Lange 2000; Staub-Bernasconi 2000).

Da die wirtschaftliche Ausrichtung von SA nicht mehr aufzuhalten ist, muss sich die Sozialarbeitswissenschaft konstruktiv den neuen Herausforderungen durch sich anpassende Wertegewichtungen stellen. Die SA hat sich im Dienstleistungssektor etabliert und unterliegt somit auch der Messung ihrer Wirtschaftlichkeit.

Silvia Staub Bernasconi (2007) gehört zu den Entwicklern einer systemischen Sozialarbeit. Sie hält dem Wirtschaftssystem vor, keinerlei Vereinbarkeit mit ethischen Zielen zu besitzen. Das Wirtschaftssystem sei eindimensional orientiert. Es will Gewinn erzielen. Im Gegensatz dazu steht das frühere soziale Hilfesystem. Hier spielen seit Beginn an ethische Überzeugungen eine stärkere Rolle. Eine einseitige Anpassung an das Wirtschaftsystem durch die Umsetzung moralischer Argumente (gerecht / ungerecht; helfen / nicht helfen; bedürftig nicht bedürftig) in eine Wirtschaftlichkeit (Kosten / Nutzen, Wettbewerb, Geld / Bilanzen) birgt Gefahren. Nachdem ein Sozialarbeiter sowieso schon als „Universalexperte“ anzusehen ist, kommt nun nach Recht, Soziologie, Pädagogik und Psychologie auch noch die Wirtschaftswissenschaft hinzu. Generell wäre dies kein Problem, doch im Gegensatz zu anderen Teilsystemen ist das Wirtschaftssystem nicht defizitorientiert. Die Teilsysteme Recht, Bildung, Medizin sowie auch das Soziale Hilfesystem legen ihren Schwerpunkt auf das Beheben von Defiziten und helfen auch den unwirtschaftlichen Problemfällen. Die Defizitorientierung hat den Vorteil, kritikfähig und entscheidungsfähig zu bleiben. Erhält das Wirtschaftsystem in der SA Einzug, besteht die Gefahr, keine Systemkritik mehr ausüben zu können. Zwar besteht die Hoffnung auf mehr Effektivität und Effizienz in der SA, das könnte aber evtl. zu einer Verringerung ethischer Handlungsüberzeugungen führen. Hierbei wird sich an die Ausführungen von Frau Silvia Staub-Bernasconi angelehnt. Durch die Wahrung der Eigenständigkeit, welche mit der Ausbildung einer eigenen Moralvorstellung einhergeht, kann allerdings die Gefahr der sich immer mehr an dem Wirtschaftssystem orientierenden SA eingegrenzt werden. Peter Fuchs (2004) resümiert in seinem Aufsatz über die Ethik von SA folgendes:„Es scheint, daß Soziale Arbeit (wie Erziehung) einen unsicheren (sozusagen: zwitternden) Zustand stabilisiert, in dem Funktionsorientierung (Professionalität) und das Moralschema die Pole darstellen. Ob dieses System nur so, nur auf diese prekäre Weise möglich ist, ist vorläufig unsicher. Entscheidend dürfte sein, daß sich jedenfalls zeigen läßt, daß das System Soziale Arbeit systematisch als Moralattraktor arbeitet und daß dies wenig damit zu tun hat, daß nur gute (achtbare) Leute sich auf dieses Geschäft einlassen“(Fuchs 2004: 15). Deutlich wird die Wichtigkeit einer Moral in SA. „Die Pluralisierung der Lebenswelt sowie die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft (...) verunmöglichen ein Bezug nehmen auf, für die Soziale Arbeit brauchbare Kriterien allgemeingültiger lebensweltlicher Normen. Das führt zu der Konsequenz, daß SozialarbeiterInnen (...) immer auf ihre eigenen Deutungen, Wertungen oder Moralvorstellungen (...) zurückgeworfen werden(Kleve 1996: 36 f.). Die Kompetenz des Sozialpädagogen, durch die Festigung einer positiven moralischen Überzeugung, ist eine Möglichkeit, die Wirtschaft und das Soziale zu vereinen. Der Systemtheorie von Luhmann kann somit widersprochen werden, da es nicht ausreicht, das Augenmerk der SA auf die Inklusion exkludierter Hilfebedürftiger zu legen. Zwar versucht die Systemtheorie, durch ihren wissenschaftlichen Beitrag die Funktion SA mit Hilfe einer Theorie zu erklären, doch der moralische Anspruch von SA kommt laut Fuchs (2004) und Staub-Bernasconi (2007) zu kurz. Nicht nur die Kundenorientierung sondern auch die Wahrung der eigenen Identität wird somit durch die systemische Sozialarbeit aufrechterhalten. Daher bleibt die Aufgabe, den eigenen Anspruch von SA mit den Regeln der Wirtschaft unter den Gesichtspunkten der Sozialethik abzuwägen.

Die starke Ausrichtung an der Wirtschaft ist nicht mehr aufzuhalten, denn wird„die gesamte Soziale Arbeit von professionellen Helfern erbracht (...) ist sie nicht mehr bezahlbar“(Notz 2000: 226). Somit bleibt uns nichts anderes übrig als die neuesten Entwicklungen für die SA als Chance zu sehen. Die veränderte Ausgangslage bei der Finanzierung der Hilfen zur Erziehung kann exemplarisch als eine Chance gesehen werden. Diese neue Kostenregulierung wird im nächsten Kapitel genauer betrachtet, um die starke Kundenorientierung am Beispiel der stationären Hilfen deutlich zu machen (vgl. Gaitanides 2000; Staub-Bernasconi 2000; Bauer 2009).

3.2.1 Auswirkungen und Anforderungen der „neuen“ Dienstleistungsorientierung am Beispiel der gesetzlichen „Leistungsvereinbarung“ in der Heimerziehung

Der Mehrbedarf an sozialen Hilfeleistungen fordert eine neue Art der Kostenregulierung. Neu ist, dass die Veranschlagung der Kosten prospektiv geschieht und somit das Risiko einer Unterbelegung durch das Heim getragen wird. Ein großer Vorteil für die Kommunen ist dabei, die hinzugewonnene finanzielle Planungssicherheit. Auf Seiten der freien Träger werden die Stärkung der Eigenverantwortung und die Pluralität der Ziele hervorgehoben, um einen effektiven Wettbewerb zum Wohle des Klienten zu schaffen. Frühere Zuwendungen und Kostenerstattung werden von diesem neuen Modell abgelöst. Die Verbindlichkeit wurde 1999 durch die Gesetzesgrundlage der Paragraphen 77-78g SGB VIII geschaffen. Drei Sachverhalte müssen, bevor der Vertrag rechtskräftig ist, geklärt werden.

Erstens dieLeistungsvereinbarung, in welcher Inhalt, Umfang und Qualität der Angebote ausführlich und klar ersichtlich aufgelistet sind. Zweitens dieEntgeltvereinbarungen, in welchen notwendige Investitionen sowie die ausgehandelten Leistungsentgelte festgehalten werden. Drittens dieQualitätsvereinbarung, in welcher Grundsätze und Maßstäbe für die Messung und Bewertung der Qualität bestimmt sind. Bei erheblichen Mängeln und Abweichungen von den vereinbarten Qualitätsanforderungen hat das Jugendamt die Möglichkeit, die Betriebserlaubnis zu entziehen.

Bei dieser Art der Abrechnung werden so eine stärkere Transparenz, eine Erhöhung der Effizienz und die Dämpfung der Kostenentwicklung erreicht. In der stationären Jugendhilfe ist die Leistungsvereinbarung als Form der Finanzierung verpflichtend. Die einzige Ausnahme stellen die „anderen Aufgaben“ der Jugendhilfe dar (SGB VIII §42 erster Abschnitt). Hier kann auch, wie früher, Leistung ohne eine Gewährleistung und ohne vorher eine Leistungsvereinbarung getroffen zu haben, erfolgen. Das Geld für die erbrachte Leistung wird im Nachhinein vom Jugendamt zurückerstattet. Beispiele hierfür sind das Eingreifen bei Kindeswohlgefährdung nach SGB VIII § 8a, d.h. also bei einer akuten Gefährdung für das Kind bzw. den Jugendlichen. Dieser Schutzauftrag gegenüber den Rechten des Kindes (Wächteramt) ergibt sich aus dem GG Art. 6 Abs. 2. Hier kommt das doppelte Mandat zum Einsatz. Bei einer Kindeswohlgefährdung (SGB VIII § 8a) kann das Kind mit Gewalt von der Familie nach richterlichem Beschluss und in kollegial getroffener fachlicher Entscheidung des Jugendamtes aus der Familie genommen werden. Nur unter diesen Umständen ist das Recht der Eltern auf Erziehung dem Recht des Kindes auf Schutz untergeordnet.

Diese neue Art der Kostenabrechnung sorgt für eine starke Konkurrenz am Markt der stationären Heimunterbringung. Dem öffentlichen Träger ist aber durch die Leistungsvereinbarung mehr Verantwortung und Macht und somit eine neue Rolle der Steuerung bei den Hilfen zur Erziehung zuteil geworden. Die Zielbezogenheit einer Hilfe wird stärker hervorgehoben, und die freien Träger haben es schwerer als früher, da eine Konkurrenzsituation entsteht und nunmehr auf der Grundlage von Angebot und Nachfrage entschieden wird. Die Anpassungsbereitschaft der einzelnen Heime und die Fähigkeit wirtschaftlichen Handelns sind damit ausschlaggebend für hohe Belegungszahlen und den Fortbestand der Einrichtung. Die Gefahr, dass Qualitätsstandards sinken und Heimbelegungen nicht allein aus fachlichen sondern auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus getroffen werden, darf nicht verkannt werden (vgl. Falterbaum 2007: 145 ff.). Ziel bleibt es, den Mittelweg zwischen der Leitidee des KJHG und den betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten zu finden. Diese skizzierte Veränderung der Leistungsvereinbarung in der SA auf der Makroebene hat Einfluss auf die Mesoebene. Eine neue Methoden- sowie Wertefestlegung ist Teil der Veränderung, um diesem Wandel gerecht zu werden und somit der SA ein neues Gesicht zu geben.

Es wird im Laufe der Arbeit ersichtlich werden, warum der systemische Ansatz aus vielerlei Gründen eine geeignete Alternative ist, da er stark der Kundenorientierung, der Ressourcenorientierung, wie auch dem Entgegenwirken von Labeling-Prozessen[4] gerecht wird. Eine Veränderung der pädagogischen Arbeit ist notwendig, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Diese moderne Pädagogik in der Kinder- und Jugendhilfe erhebt den Anspruch, lebensweltorientiert, dienstleistungsorientiert und somit professionell zu sein. Der Anspruch von SA durch konkrete Hilfen, die als notwendig und geeignet eingestuft werden müssen, ist durch eine individuelle Zielsetzung gekennzeichnet und verfolgt die soziale Integration (vgl. BMFSFJ 2002: 63; SGB VIII §27 Abs. 1; Kröger 1999). Unter soziale Integration versteht man,„den Heranwachsenden eine bedürfnisgerechte und selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens zu ermöglichen und ihnen Chancen für den Erwerb von Kompetenzen zu eröffnen, die ihnen eine eigenständige und eigenverantwortliche Lebensführung ermöglichen(BMFSJ 2005: 57f.). Die Integration wird bei Kindern durch Erziehung erreicht. Diese setzt sich aus der Sozialisation wie auch aus Erziehung zusammen. In der Arbeit wird später auf den Begriff der Erziehung näher eingegangen um danach den Zusammenhang zwischen Erziehung und Sozialisation zu verdeutlichen.

3.3 Funktion der Sozialen Arbeit auf der Makro- Meso- und Mikroebene: Versuch einer

Aufgabenbestimmung

Im Mittelpunkt jeder sozialpädagogischen Intervention steht auf der Mikroebene die Befähigung zur„Handlungsfähigkeit von Menschen in ihrer Umwelt, also um die Entwicklung, Veränderung oder Verbesserung von Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Leben in der Gesellschaft, zur Einflussnahme auf die eigenen Lebensbedingungen und den ökologischen Umgang mit diesem(Ritscher 2005: 160). Die sozialpädagogische Perspektive umschließt den Anspruch der Veränderung von„sozialisationsbedingter, bildungsbedingter, materieller, physischer, psychischer und/oder sozialstrukturell bedingter Einschränkungen, die der Bewältigung des Alltags im Wege stehen.“(Ritscher 2005: 160). Der SA wird auch eine Vermittlungsfunktion zuteil zwischen Individuum und dessen Lebenssituation. Der Spielraum von SA wird durch die Verfassung und die sich daraus ergebenden Gesetze, sowie Zielvorgaben des Staates festgelegt. Dabei steht im Vordergrund jedweden pädagogischen Handelns als Grobziel die Befähigung zu einer„politisch-gesellschaftlichen Partizipation und der individuell-biografischen Entwicklung“(Ritscher 2005: 160 f.) Die Zielerreichung, nämlich die Minderung bzw. die Lösung sozialer Probleme und Problemlagen, findet auf unterschiedlichen sozialen Ebenen statt.

SA auf der Mikroebene, welche den Schwerpunkt der Arbeit auf die individuelle Wirklichkeitswelt und Problemlage des einzelnen Klienten richtet, fördert und fordert die Selbststeuerungsfähigkeit und die Selbstverantwortung der Individuen. Ein Beispiel für den Arbeitsbereich wäre die Arbeit in der Wohngruppe in einem Heim. Dort geschieht eine Interaktion zwischen dem Jugendlichen und dem Sozialarbeiter mit dem Ziel, dass jener eine individuelle Hilfe erhält.

SA auf der Mesoebene also der institutionellen Ebene, versucht, mehrere Adressaten, die hilfebedürftig sind, zu erreichen. Der SA erhält dabei eine Steuerungsfunktion. Sie hat die Aufgabe,„die Zahl unter Sozialen Problemen leidenden Personen auf ein Minimum zu reduzieren“(Klassen 2004: 181). Ein praktisches Beispiel für diese Ebene wäre die Umorganisation der Aufgaben des Jugendamtes oder die Anwendung von Sozialraumorientierung[5]. Es ist beides Mal ein Hilfeangebote für Gruppen (vgl. Rauschenbach / Züchner 2002: 842 ff.; Mühlum 2002: 846 f.).

SA auf der Makroebene will die Problemlagen der Hilfebedürftigen durch politisch-strategische Vorhaben beseitigen. In der für die SA relevanten Forschung werden Konzepte entwickelt, welche prägnante Auswirkungen auf das Hilfesystem haben. Als Beispiel wären hier das Modell des Kommunitarismus und die Leistungsvereinbarung zu nennen (vgl. Klassen 2004: 180 ff.).In dieser Arbeit wird der Schwerpunkt auf die Mikroebene Sozialer Arbeit gelegt.

3.4 Zusammenfassung

Die Anfänge der SA erwuchsen aus religiös, philosophisch und ethisch orientierten Überzeugungen. Im Laufe der Zeit wurde daraus die wissenschaftliche Disziplin der Sozialarbeitswissenschaft, die sich auch anderer Wissenschaften bedient, um eine fundierte Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Die rechtlichen Vorgaben, welche den Anspruch auf die Hilfen regeln, ergeben sich aus den Sozialgesetzen. Zur Handlungsfähigkeit gehört seit den 60er Jahren die vermehrte Sicht auf die Lebenswelt des Jugendlichen. Umfang und Aufgabenschwerpunkte der SA sind abhängig vom Zeitgeist der “wissenschaftlichen“ Erkenntnisse sowie der Gewichtung von Steuerausgaben der Politik für dieses Arbeitsfeld. Nicht nur die Gesetzgebung sondern auch die Finanzpolitik auf der Bundes- sowie der Kommunalebene entscheiden über die Höhe des zur Verfügung stehenden Kapitals. Seit den 90er Jahren wird vermehrt auf die Effizienz (Wirtschaftlichkeit) und Effektivität (Wirksamkeit) SA geschaut. Zu Geistes- und Rechtswissenschaft tritt verstärkt die Wirtschaftswissenschaft hinzu.

[...]


[1] Systemische Ansätze bieten hierfür auf der Mikro-, Meso,- und Makroebene Lösungsalternativen an, dieses Ziel zu erreichen. Es ist davon auszugehen, dass erst ausgehend von der Mikroebene die Ziele der Makroebene (Zivilgesellschaft) erreicht werden können. Hierfür werden in dem Kapitel über die therapeutischen Anwendungen der systemischen Theorie Wege aufgezeigt werden, wie dieser den Prozess auf der Mikroebene positiv beeinflussen können.

[2] Die systemischen Ansätze basieren, ähnlich wie der angesprochene Kommunitarismus, auf der Nutzung der eigenen Ressourcen und der Stärkung der Eigenverantwortung. In Verbindung mit der systemischen Methode kann hier angesetzt werden, die erwünschten Veränderungen herbeizuführen. Eine Vereinbarkeit von politischer Leitlinie und der systemischen Methode kann so hergestellt werden.

[3] Das Empowerment will, ähnlich wie die systemischen Anätze, eine Befähigung zur Autonomie durch die Orientierung an den Ressourcen des Klienten erreichen. Anders als bei den systemischen Methoden ist es fachlich nicht fundiert und somit nicht mehr als ein Handlungsprinzip. Im Gegensatz zum Empowerment liegen den systemischen Methoden ausführliche Theorien und Handlungsansätze zugrunde (vgl. Galuske 1999: 264 ff.).

[4] Labelingprozesse basieren auf einem „neueren Ansatz der Soziologie abweichenden Verhaltens und wurden auf der Grundlage des symbolischen Interaktionismus entwickelt. Nicht das physische Verhalten selbst, sondern dessen negative Bewertung lässt die Abweichung erst entstehen. (...) Der Labeling-Approach bietet somit einen erweiterten Interpretationsrahmen (Labeling-Perspektive), der die Wechselwirkung von Personen und Situationsmerkmalen im Gegensatz zu einem reinen Eigenschaftsansatz betont“ (Feuerhelm 2001: 260).

[5] siehe hierzu Galuske, M.; (1999): Methoden der Sozialen Arbeit: Eine Einführung.

Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Systemische Methoden in der stationären Kinder und Jugendhilfe
Untertitel
Können die systemischen Ansätze als eine Chance zur Erweiterung der Kompetenzen des Sozialpädagogen gesehen werden?
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Heidenheim, früher: Berufsakademie Heidenheim
Note
1,9
Autor
Jahr
2009
Seiten
116
Katalognummer
V136121
ISBN (eBook)
9783640921454
ISBN (Buch)
9783640921706
Dateigröße
2227 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
systemische, methoden, kinder, jugendhilfe, können, ansätze, chance, erweiterung, kompetenzen, sozialpädagogen
Arbeit zitieren
Markus Weißschnur (Autor:in), 2009, Systemische Methoden in der stationären Kinder und Jugendhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136121

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