Intermedialität in Print- und Onlinemedien


Bachelorarbeit, 2006

46 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALT

1. EINLEITUNG

2. INTERMEDIALITAT
2.1. semiotische Betrachtung
2.2. Intermedialitat als formaler Prozess
2.3. kommunikativ- semiotischer Untersuchungsgegenstand
2.3.1. Medienkombination
2.3.2. Medienwechsel
2.3.3. Intermediale Bezuge
2.4. Interfaces - der technische Untersuchungsgegenstand
2.5. Intermedialitat versus Intertextualitat

3. INTERMEDIALITAT IN GEDRUCKTEN ZEITUNGEN
3.1 Intermedialitat am Beispiel „Spiegel“
3.1.1 Mediale Elemente
3.1.2. Medienkombination und intermediale Bezuge im Spiegel
3.1.3. Interfaces im Spiegel
3.2. Intermedialitat am Beispiel der FAZ
3.2.1. Mediale Elemente
3.2.2. Medienkombination und intermediale Bezuge in der FAZ
3.2.3. Interfaces in der FAZ

4. INTERMEDIALITAT IN ONLINEZEITUNGEN
4.1. Hypertextualitat
4.1.1. Verknupfungen
4.2. Intermedialitat am Beispiel Spiegel Online
4.2.1. Mediale Elemente
4.2.2. Medienkombination im Spiegel Online
4.3. Interfaces in Spiegel Online
4.3.1. Interfaces im Artikel
4.3.2. Interfaces neben dem Artikel
4.3.3. Die Startseite
4.3.4. Pragnante Extras
4.4. Intermedialitat am Beispiel Faz.net
4.4.1 Mediale Elemente
4.4.2. Medienkombination in der faz.net
4.5. Interfaces in der faz.net
4.6. Faz.net im Vergleich mit Spiegel.de

5. DIE TRANSFORMATION
5.1. Ausgangs- und Zielmedium
5.2. Mediale Vorraussetzungen
5.3. Medienwechsel am Beispiel der FAZ
5.3.1. Konstituive, unveranderte Elemente
5.3.2. veranderte und neue Elemente
5.4. Leseverhalten
5.4.1. Der Zeitungsleser
5.4.2. Der Onlinezeitungsleser

6. FAZIT

7. LITERATURVERZEICHNIS

ANLAGE 1

ANLAGE 2

ANLAGE 3

ANLAGE 4

1. Einleitung

Morgens beim Fruhstuck in der Tageszeitung blattern oder bei der Arbeit schnell ins Internet, um dort die wichtigsten Neuigkeiten aus aller Welt zu erfahren? Immer mehr Menschen nutzen letztere Moglichkeit. Das World Wide Web versucht seinem Namen alle Ehre zu machen und die Menschen auf der ganzen Welt miteinander zu verknupfen. Onlinezeitungen und -zeitschriften nehmen dabei eine entscheidende Rolle ein: Sie sind die Brucke zur Welt, indem sie auf Knopfdruck - oder besser: per Klick - die Welt auf den Bildschirm holen. Auf die Minute aktuell und visuell ansprechend. Der Tageszeitung oder Wochenzeitschrift gelingt das nur bedingt. Sie hat nicht die Moglichkeit den Zuschauern bewegte Bilder zu liefern und sich mit dem Lauf der Geschehnisse zu aktualisieren. Sie vereinigt weniger mediale Elemente in sich, ist aber trotzdem intermedial.

In meiner Arbeit mochte ich die Intermedialitat in Print- und Onlinezeitungen darstellen. Ich werde zunachst einige der zahlreichen Theorien zur Intermedialitat erlautern und diese dann praktisch in der Analyse einzelner Artikel anwenden. Es geht darum aufzuzeigen, wo in einem Zeitungs- oder Onlinezeitungsartikel Intermedialitat zu finden ist und welche Bedeutung die einzelnen Komponenten fur den Leser haben. Aus diesem Grund wahle ich den deskriptiven Zugang zu den Texten. Durch die Augen des Lesers sollen die Beitrage betrachtet werden - mit all ihren intermedialen Elementen und im Zusammenhang mit dem Medium, in das sie gebettet sind. Schlie&lich auch mit den daraus resultierenden Folgen fur den Rezipienten. Zuletzt wird die Verknupfung zwischen der Print- und der Onlineausgabe einer Zeitung erlautert. Wie wurde ein Text verandert, um sowohl gedruckt als auch digital zu erscheinen? So soll es nicht nur um Intermedialitat in einem Text gehen, sondern auch um die medienubergreifende Intermedialitat. Angereichert mit statistischen Daten zur Internet- und Zeitungsnutzung gibt diese Arbeit einen umfassenden Blick auf zwei intermediale Massenmedien, die sich gegenseitig bedingen.

2. Intermedialitat

Mit den Worten „Intermedialitat ist in" (Paech: S. 14) beginnt Joachim Paech seinen Aufsatz, in dem er die Entstehung und Handhabung des Begriffs erlautert. Ja - Intermedialitat ist in aller Munde. Ein oft benutzter aber kaum eindeutig definierter Begriff. In dieser Zeit, in der immer mehr neue Medien entstehen und das Internet mit seiner vielfaltigen medialen Gestaltung unterschiedlicher Text- und Bildformen nicht mehr weg zu denken ist, bekommt auch die Korrespondenz zwischen diesen Darstellungsformen immer mehr Aufmerksamkeit. Aber was genau meint der Begriff Intermedialitat eigentlich?

Jurgen E. Muller hat eine einfache Erklarung:

„Ein mediales Produkt wird dann inter-medial, wenn es das mult/-mediale Nebeneinander medialer Zitate und Elemente in ein konzeptionelles Miteinander uberfuhrt, dessen Brechungen und Verwerfungen neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eroffnen." (Muller: S. 31)

Es werden also Texte geschaffen, in denen andere Texte zitiert und Elemente eingefugt werden, die dann gemeinsam etwas Neues bilden? Und dieses „Neue" soll dem Rezipienten dann erweiterte Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eroffnen? Diese Erklarung ist noch lange nicht zufriedenstellend. In den folgenden Unterkapiteln sollen ganz konkrete Theorien zur Intermedialitat erlautert werden, die einer Definition des Begriffs nahe kommen. Weiterhin mochte ich mich mit den Fragen: Wie werden intermediale Aspekte untersucht und worin unterscheidet sich die Intermedialitat zur Intertextualitat, beschaftigen. Es geht darum, bereits bekannte Theorien anzuschauen und die Grundlage fur die Analyse des „Spiegels" und der „FAZ", sowohl online als auch in der Printversion, zu schaffen.

2.1. semiotische Betrachtung

„Die Intermedialitatsforschung beschaftigt sich mit Mediengrenzen uberschreitenden Phanomenen, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren. Zu unterscheiden sind drei Phanomenbereiche des Intermedialen, denen verschiedene Intermedialitatsbegriffe zugrunde liegen: Medienkombination, Medienwechsel, intermediale Bezuge.“ (Rajewsky: S. 199)

Dieser Definitionsansatz von Irina O. Rajewsky soll einen ersten Eindruck des komplexen Themas vermitteln. In ihrer Auseinandersetzung mit der Intermedialitat beschreibt sie zwei Forschungsstrange: Der erste geht von der Komparatistik aus und versteht Intermedialitat als eine „wechselseitige Erhellung der Kunste“. In Verbindung dazu steht der Begriff „interart studies“, der jedoch nicht unmittelbar mit unserem Verstandnis von Intermedialitat gleichgesetzt werden kann (vgl. Rajewsky: Kap. 2.1). Dabei sind die sogenannten „Hohen Kunste“ im Zentrum des Betrachters. Wir wollen unser Augenmerk aber besonders auf die neuen digitalen und analogen Medien richten und wenden uns so dem zweiten von Rajewsky beschriebenen Forschungsstrang zu. Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Autoren, Film- und Kulturtheoretiker sich mit dem damals neuen Medium „Film“ zu beschaftigen. In den 40er und 60er Jahren fangen auch Literaturwissenschaftler an, sich fur das Verhaltnis von Literatur und Film zu interessieren und untersuchen Themen wie „Filmisierung der Literatur“. Erst Anfang der 90er Jahre etablierte sich der Begriff „Intermedialitat“, indem er Bezeichnungen wie „Film und Literatur“ ersetzte. Seit 94/95 ist er nun in nahezu allen Publikationen, die sich mit dem Thema Medien auseinandersetzen, wiederzufinden. Wahrend in Deutschland eine derartige Auseinandersetzung mit den Relationen zwischen Medien erst sehr spat begann, pragt Higgins bereits 1966 die englische Bezeichnung „Intermedia“. Dabei bezieht er sich jedoch nicht auf die Fusion unterschiedlicher medialer Formen, sondern ausschlie&lich auf narratologische Phanomene.

Zunachst ist nun festzuhalten, dass sowohl die „interart studies“, als auch das auf Higgins beruhende Verstandnis von Intermedialitat, Relationen zwischen samtlichen medialen Ausdrucksformen untersuchen.

2.2. Intermedialitat als formaler Prozess

Yvonne Spielmann definiert den Begriff ahnlich:

Jntermedialitat bezeichnet das Phanomen der Vermischung unterschiedlicher Medien“. (Spielmann: S. 32)

Jedoch sieht sie die Intermedialitat als ein formales Verfahren. Ihr Augenmerk liegt dabei viel mehr auf den technisch-apparativen Aspekten. Intermedialitat sei als Synonym fur Prozesse der Vernetzung und Medialisierung zu sehen. Nicht ausschlie&lich der Inhalt ist hierbei Teil der Untersuchung, sondern die Form - also das tatsachliche Medium der Ubertragung: Intermedialitat als formales Verfahren, das Medienprozesse als Transformationsprozesse zwischen kunstlerisch oder technisch generierten Formen zur Geltung bringt“ (Spielmann: S. 32). In dieser Betrachtung stimmt ihr Paech zu. Auch er halt Intermedialitat fur „nicht asthetisch“, sondern sagt, sie sei ein integratives Konzept, das als Deckel und Behalter fur alle moglichen (kunstlerisch und/oder medialen) Erscheinungen dient. Sie ist sozusagen ein „Dazwischen“ - eine Differenz-Form wahrend das Medium an sich die eigentliche Form, der Apparat, sei (vgl. Paech).

Weiterhin unterscheidet er zwei Formen von Intermedialitat in denen sie, so Paech, eine spezifische Transformation sei: Als erstes beschreibt er Intermedialitat als Form der Differenz, die das Verhaltnis von Medium und einem „Dazwischen“ markiert. Zweitens sei die Intermedialitat eine Differenzstruktur. Die Transformation sei eine operative Form, die die Differenz im Ubergang von einer Form zu einer anderen beschreibt, indem die vorangegangene Form zum Medium einer anderen gemacht wird (Paech: S. 23). Der Gegenstand der Intermedialitat ist also die Transformation - im weitesten Sinne wieder das „Dazwischen“, das dadurch entsteht, dass das Ausgangsmedium zu einem Teil des Zielmediums gemacht wird.

Der Begriff der Intermedialitat wird sowohl von Spielmann als auch von Paech, als etwas „Ungreifbares“, etwas „Dazwischen“ beschrieben. Sie diene demnach als eine Art Transformator oder Vermittler bzw. Ubertrager zwischen zwei medialen Formen, die so aufeinander einwirken.

2.3. kommunikativ- semiotischer Untersuchungsgegenstand

Rajewsky unterscheidet bei der Bezeichnung von Intermedialitat zwischen drei Gegenstanden, die unabhangig voneinander untersucht werden konnen. Sie nennt Medienkombination, Medienwechsel und intermediale Bezuge.

2.3.1. Medienkombination

Als Untersuchungsgegenstand der intermedialen Disziplin „Medienkombination“ (Rajewsky: S. 18ff) nennt Rajewsky das mediale Zusammenspiel. Das Augenmerk wird auf Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medientypen gerichtet. Unter anderem sollen hier Fragen beantwortet werden, wie die nach dem „Mehrwert der verschiedenen medialen Artikulationsformen, die fur das entstehende Produkt erzielt werden" (S. 19). Hier kommt erstmals auch der Rezipient ins Spiel: Es soll untersucht werden, wie der Benutzer das Produkt wahrnimmt und welche Vorraussetzungen bzw. Folgen fur ihn geschaffen werden. Die Kombination von Medien ist aber „keine Synthese [...] was ein Aufgehen des einen im anderen voraussetzen wurde, sondern immer und fortwahrend vergangliches Dazwischen" (Rajewsky: S. 23). Rajewsky definiert dieses „Dazwischen" hier etwas anders als Paech und Spielmann. Fur sie geht es nicht ausschlie&lich um die Form, also den technischen Apparat Medium, sondern auch um das asthetische Zusammenspiel - den Inhalt - der als Untersuchungsgegenstand dienen soll. Ich wurde sogar sagen, sie geht noch einen Schritt weiter, indem sie alle Einwirkungen (Rezipient, Form, Inhalt) auf diese mindestens zwei Medienformen, die miteinander kombiniert werden, betrachtet. Welche zusatzlichen Effekte werden also durch die Kombination verschiedener semiotischer Systeme erzielt und wie wirken sie gegenseitig aufeinander ein.

2.3.2. Medienwechsel

Der Subtyp „Medienwechsel" (Rajewsky: S. 22 ff.) stellt die Frage nach Kontinuitaten und Veranderungen bei der Transformation von einem, in ein bzw. mehrere Zielmedien. Es geht darum, welche konstituiven Elemente des Ausgangsprodukts ausgewahlt wurden und welche neuen Elemente im Zielprodukt zusatzlich benutzt werden. Hierunter muss der „Transformator" die unterschiedliche Perspektivierung, Segmentierung und Strukturierung im Ausgangs- und Zielmedium explizit betrachten, da die jeweiligen medialen Vorraussetzungen und Bedingungen immer variieren.

Wird zum Beispiel ein Buch verfilmt, werden haufig vollig andere Schwerpunkte gesetzt, da im realen Leben wesentlich weniger dargestellt werden kann als in der Phantasie bzw. auf dem Papier. Untersucht werden soll also, was sich beim Wechsel vom Ausgangs- zum Zielmedium verandert hat, was gleich blieb, welche Schwerpunkte gesetzt wurden und welche Auswirkungen die Transformation auf die Struktur der einzelnen Segmente und des gesamten Werks hat.

2.3.3. Intermediale Bezuge

Als dritten und letzen Gegenstandsbereich der Intermedialitat fuhrt Rajewsky die intermedialen Bezuge (S. 25 ff) auf. Hier soil die zentrale Frage folgende sein: „Wie lassen sich mit Hilfe des kontaktnehmenden Mediums, Bezuge zu einem anderen Medium herstellen?" (Rajewsky: S. 25) Das soll nicht nur bedeuten, dass der komplette Inhalt Bezug zum Ausgangsmedium nimmt, sondern so konnen zum Beispiel auch nur Teile eines literarischen Werkes sich in Sequenzen eines Films wiederspiegeln oder weitestgehend daran anlehnen. Wird das Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch Bezugnahme auf ein anderes Produkt untersucht, nennt Rajewsky dies „Einzelreferenz" (S. 19). Wird auf das semiotische System eines konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit dem kontaktnehmenden Medium untersucht, hei&t die Bezeichnung „Systemreferenz" (S. 19).

Bei der Analyse von intermedialen Bezugen steht ganz klar der semiotische Aspekt im Vordergrund. Es geht darum, wie Relationen geschaffen werden, um unterschiedliche Inhalte verschiedener Medien miteinander zu verknupfen. Hier geht es nicht um die Form durch die, zum Beispiel im Hypertext, Bezuge hergestellt werden, sondern ausschlie&lich um das inhaltliche Verfahren.

2.4. Interfaces - der technische Untersuchungsgegenstand

Um ein Medium in ein anderes zu transformieren bedarf es einer Art „Brucke" - also einem Vermittler oder Uberbringer des einen Medieninhalts, in die Form eines anderen. In der Medientheorie werden diese „Schnittstellen" als ..Interfaces" bezeichnet (vgl. Spielmann: S. 35-36). Die Medientheorie „fuhrt von der Beschreibung medialer Verschmelzungsvorgange und Transformationsprozesse unter dem Begriff der Intermedialitat zu einer Auseinandersetzung mit Schnittstellenfunktionen, den Interfaces, und mit den Anordnungsverfahren, die bei der Verknupfung im Hypertext bestehen." (Spielmann: S. 32). Diese von Spielmann eingebrachte Diskusverschiebung in die Medientheorie birgt einen neuen Aspekt der Betrachtung in sich: Nicht nur die drei inhaltlichen Untersuchungsgegenstande von Rajewsky sollen Teil der Analyse eines intermedialen Apparats sein, sondern die technische Seite des Mediums ist ebenso von Bedeutung. Abermals betrachtet Spielmann die Intermedialitat als ein formales Verfahren. Die beschriebene Schnittstelle soll zwischen Mensch und Maschine vermitteln und sei abhangig vom Design und der Benutzeroberflache der jeweiligen Texte. Es geht dabei um die Koppelung, den Austausch und die Transformation durch eine Vernetzungstechnik. Genau diese erneut technisch-apparative Struktur erfolgt im Medium Computer durch die sogenannten Links.

Die Vorgange der Vernetzung, von und durch Medien, im Hinblick auf Techniken der Transformation, bezeichnet Spielmann als Medialisierung.

Paech bringt die Bedeutung der Schnittstellen fur die Intermedialitat auf den Punkt: Interfaces sieht er als Metapher fur intermediale Verbindungen digitaler Medien (vgl. Paech). Fast konnte man also sagen, dass Interfaces die Vorraussetzung, bzw. die Grundlage der digitalen Intermedialitat sind. Da bei dieser Analyseform der Intermedialitat der Hypertext eine zentrale Rolle spielt, mochte ich ihm spater ein eigenes Kapitel widmen und fuhre die Erlauterungen, auch zu den Interfaces, dort weiter aus.

2.5. Intermedialitat versus Intertextualitat

Zwischen den Begriffen „Intermedialitat" und ..Intertextualitat" besteht eine enge Verknupfung - das liegt auf der Hand. Dennoch sollten sie nicht gleichgesetzt werden, was im sprachlichen Gebrauch haufig passiert. Es gibt klare, wenn auch kleine Unterscheidungen zwischen ihnen, die es im Folgenden gilt aufzudecken.

„Unter der Theorie der Intertextualitat versteht man - allgemein gesprochen - die Theorie der Beziehung zwischen Texten. [...] Ausgehend von einem enggefassten Begriff der Intertextualitat lasst sich Intertextualitat zur Bezeichnung von Text-Text-Bezugen, also Einzeltextreferenzen heranziehen, von denen systemreferentielle Verfahren zu unterscheiden sind." (Rajewsky: S. 198)

In den 90er Jahren, als der Begriff Intermedialitat immer popularer wurde, sah man ihn als Analogie zur Intertextualitat. Inzwischen ist die Unterscheidung etwas genauer: Intertextualitat versteht man ganz allgemein als „die Theorie der Relationen zwischen Texten" (Rajewsky: S. 44) und Intermedialitat als „Theorie der Beziehungen zwischen Medien bzw. Produkten verschiedener Medien" (Rajewsky: S. 44). Intermedialitat ist also hier ein extrem weit gefasster Begriff, dem die Intertextualitat, ich wurde sagen, „unterzuordnen" ist. Es geht nicht darum, ein ganzes semiotisches System auf ein Medium hin zu untersuchen, sondern konkret um ein Produkt - in diesem Fall dem Text - in Beziehung zu einem anderen Produkt. Bei den Ausfuhren zur Begriffsklarung spricht Rajewsky auch die „intermediale Intertextualitat" (S. 44) an. Die Bezeichnung tritt in Kraft, wenn ein Text Bezug auf ein anderes Medium - zum Beispiel einem Film - nimmt. Theoretisch konnte der Begriff auch umgedreht „intertextuelle Intermedialitat" hei&en und wurde die Bedeutung nicht verlieren. Die Abgrenzung zwischen Intermedialitat und Intertextualitat ist also wirklich sehr vage - denn auch Intertextualitat ist Intermedialitat.

..Intertextualitat", so Rajewsky weiter, „wird in der uberwiegenden Zahl der Falle fur verbalsprachliche Ausdrucksformen bzw. literarisch-textuelle Bedeutungskonstitutionen reserviert, wahrend der Terminus Intermedialitat auf die Uberschreitung medialer Grenzen zielt" (S. 45). Diese Erklarung ist etwas eindeutiger. Sie zielt nicht auf die inhaltliche Abgrenzung, sondern ausschlieBlich auf die unterschiedliche Verwendung der beiden Worte. Sie sagt hier nicht, dass literarisch-textuelle Konstitutionen nicht auch Intermedialitat genannt werden konnen, im alltaglichen Gebrauch ist der Begriff der Intertextualitat fur Literatur aber haufiger zu finden.

Es ist also festzuhalten, dass mit dem Begriff ..Intertextualitat" eine feine Bedeutungsunterscheidung zur Intermedialitat besteht. Die Intermedialitat schlieBt die Intertextualitat ein, beinhaltet aber noch viel mehr mediale Produkte als Texte.

Am gebrauchlichsten ist die Bezeichnung ..Intertextualitat" in der Analyse von literarischen Texten. Bezuglich der Untersuchung von Print- und Onlinezeitungen spielt die Intertextualitat eine eher geringe Rolle. Hier geht es hauptsachlich darum, die intermedialen Elemente zu analysieren.

3. Intermedialitat in gedruckten Zeitungen

Jeder von uns verbindet mit dem Begriff „Tageszeitung" wahrscheinlich zunachst das Medium, das wir morgens beim Fruhstuck lesen. Bei der Zeitschrift denken wir an bunt illustrierte gebundene Seiten, die nicht lokal, haufig aber fachspezifisch, von aktuellen Themen berichten. Die Definition kann aber noch genauer sein:

Tageszeitungen sind „alle Periodika, die mindestens zweimal wochentlich erscheinen und einen aktuellen politischen Teil mit inhaltlich unbegrenzter (universeller) Nachrichtenvermittlung enthalten." (Meyen: S. 150)

Zeitschriften sind „Periodische Druckwerke mit kontinuierlicher Stoffdarbietung, die mindestens viermal jahrlich herausgegeben werden, soweit sie keine Zeitungen sind." (Meyen: S. 150)

Wahrend die Aktualitat bei Tageszeitungen vorhanden sein muss, kann eine Zeitschrift auch unabhangig von aktuellen Themen berichten und muss nicht universell alle Themenbereiche abdecken (vgl. Meyen).

Ich habe diese beiden Formen von Periodika zur Analyse ausgewahlt, da die Unterscheidung der Intermedialitat im Vergleich der Print- und Onlineausgaben stark variiert. Im folgenden Kapitel mochte ich zunachst auf die Intermedialitat der gedruckten Periodika eingehen. Ich werde die medialen und intermedialen Aspekte eines Beispielartikels des Spiegels sowie der FAZ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung) aufzeigen und mit den theoretischen Aspekten des vorangegangenen Kapitels erlautern.

3.1 Intermedialitat am Beispiel „Spiegel“

Die immer montags erscheinende Zeitschrift „Der Spiegel", verkauft wochentlich rund 1.1 Millionen Exemplare. Die Zielgruppe des Spiegels sind 20- bis 49jahrige, gebildete und beruflich erfolgreiche Leser, die sich mit den inhaltlichen Themen von „Politik und Gesellschaft" identifizieren konnen. (Meyen: S. 150)

Im Folgenden wird ein Spiegelartikel aus der Ausgabe 26/2006 (Seite 146) des Themengebiets „Medien" gezeigt, anhand dem ich die Aspekte der Intermedialitat untersuchen mochte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Spiegel. 26/2006. S. 146

3.1.1 Mediale Elemente

Der Titel des Artikels fallt dem Leser als erstes in den Blick: „Ende einer Primadonna “. In serifenloser, grower, fettgedruckter Schrift. Uber dem Titel klein und mit Serifen steht „TV-Stars“, darunter drei Zeilen Unteruberschrift, ebenfalls mit Serifen und zentriert auf die Seite gesetzt.

Der eigentliche Text ist unterteilt in drei Spalten, getrennt durch einen Strich und im Blocksatz geschrieben. Der erste Buchstabe des einleitenden Satzes in groBem Fettdruck.

Etwa 50 Prozent der ganzen Seite nimmt jedoch ein ganz anderes Medium ein: Das Foto. Es zeigt Sabine Christiansen im Gesprach mit sechs Vertretern der Politik, darunter die Bildunterschrift: „ARD-Talkerin Christiansen (M., 2003)*: ,GroBe Herausforderung’". Unter dem Text der zweiten Spalte, als FuBnote, werden die Personen auf dem Bild erklart.

3.1.2. Medienkombination und intermediale Bezuge im Spiegel

Das von Rajewsky beschriebene „mediale Zusammenspiel" (S. 19) wird bei diesem Spiegelartikel sehr deutlich. Die vorhandenen Medien sind Bild, Text und Uberschrift. Welche Wechselwirkungen also gehen von Bild und Text aus? Zunachst mochte ich auf die Funktion eines Bildes eingehen und zitiere dazu Siglind Bruhn:

„Bildnerische Darstellungen [...] geben Stimmungen und Charaktere, Interaktionen und Konflikte, ja sogar oft Symbole und Konzepte wieder." (Helbig: S. 165) Das Bild in der Zeitung, begleitet einen Text und hat so die Funktion, diesen durch das Darstellen von Stimmungen, Charakteren, etc. zu unterstutzen. Sobald der Leser die Seite aufschlagt, fallt ihm das Bild ins Auge. Er soll allein durch den Blick auf das Foto erahnen konnen, wovon der Artikel handelt. In unserem Beispiel ist es das Bild von Sabine Christiansen in einer ihrer abendlichen Sendungen. Die Moderatorin genau in der Mitte des Fotos, an jeder Seite drei Gesprachsteilnehmer. Sie blickt zu ihrem Sitznachbarn, dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, der gestikulierend ein Gesprach mit den Gasten auf der anderen Seite fuhrt. Vorrausgesetzt der Leser kennt Sabine Christiansen, weiB er nun, dass das Thema „Fernsehen“ oder „Talk- Show“ im weitesten Sinne angesprochen ist und kann weitere Uberlegungen anstellen. Wer nicht gleich ihren Namen parat hat oder sie nicht sofort zuordnen kann, schaut zur Bildunterschrift: „ARD-Talkerin“ Christiansen [...]“ (Spiegel 26/2006: S. 146). In der Wechselwirkung zu der Uberschrift, die durch ihre Auffalligkeit fast gleichzeitig betrachtet wird, kann er sofort ableiten, dass die Talk-Show-Moderatorin hier als „Primadonna“ betitelt wird. Link wurde den Begriff „Primadonna“ als Kollektivsymbol beschreiben. Sabine Christiansen konnotiert also das Kollektivsymbol einer Primadonna (vgl. Link) und ist somit ein „verwohnter Mensch [...] der eine [...] Sonderstellung fur sich beansprucht" (Duden). Viel mehr noch: Sie selbst wird zum Symbol der Primadonna, deren Ende nun naht. Nicht nur das Ende der Moderation, sondern auch das Ende einer Frau in einer bestimmten Position. Sabine Christiansen ubernimmt auf dem Bild jedoch keine typische Position einer „Primadonna“. Die Beine uberschlagen und die Hande gefaltet, folgt sie dem Gesprach - sie wirkt fast maskulin. Zwar sitzt sie in der Mitte und hat die Funktion der Gesprachsfuhrerin, trotzdem ist sie hier nur Teil eines Ganzen. Mit der Hauptstadt im Rucken reprasentiert das Foto nicht nur die Talk-Show, sondern gleichzeitig das Image des Senders ARD. Es steht fur seriose, politische und aktuelle Unterhaltung: Die Seriositat durch die Anordnung und Kleidung der Personen, die Politik durch die Auswahl der Gesprachsteilnehmer und die Aktualitat durch die Hauptstadt Berlin als Zentrum Deutschlands. Das Foto beinhaltet ganz andere Kollektivsymbole als der Titel. Wurde der Leser ausschlie&lich das Bild betrachten, kame ihm sicher nicht der Inhalt des Artikels in den Sinn oder gar die Tatsache, Sabine Christiansen als „Primadonna“ zu bezeichnen - obwohl sie eine Sonderstellung - in der Mitte sitzend - einnimmt. Erst durch die Kombination mit dem Titel kann der Rezipient die Rollen zuordnen und darauf schlie&en, dass ihre Sendung abgesetzt wird. Infolgedessen aber auch den Zusammenhang zum Sender ARD, denn Sabine Christiansen ist nur eines von vielen Symbolen des Fotos.

Als Folge dieser Medienkombination (vgl. Rajewsky) wird der Rezipient nun entscheiden, ob der Artikel fur ihn interessant ist und ob es sich lohnt den kompletten Text zu lesen. Hat er noch keine Entscheidung getroffen, wird ihm noch die Unteruberschrift angeboten: „Sabine Christiansens Abgang und die Verpflichtung von Gunther Jauch kommen weniger uberraschend als angenommen: Der ARD- Plauderin mangelt es an Quote, internem Ruckhalt sowie frischen Themen. Und der RTL-Star will schon lange ins politisch-seriose TV-Geschaft.“ Das Thema wird grob umrissen und die wichtigsten Informationen zusammengefasst. Obwohl noch nicht deutlich genannt wird, welche Grunde oder Konsequenzen Christiansens Rucktritt hat, weifc der Leser schon, dass aufgrund der schlechten Quote Gunther Jauch ihre Moderation ubernehmen wird. Die Folge dessen konnte nun sein, dass der Leser sich mit dieser Information zufrieden gibt und zur nachsten Seite blattert oder sein Interesse wurde geweckt und er beginnt den kompletten Artikel zu lesen.

Mit der einzigen Voraussetzung, dass der Rezipient ein grobes Wissen des Themas hat, kann er also aus Titel und Bild erkennen wovon der Artikel handelt, obwohl weder das Bild noch der Titel (wurde man sie ohne den jeweils anderen betrachten) Auskunft daruber geben. Durch das gro&zugige Foto, das mehr als nur die Moderatorin zeigt, konnte er sogar darauf schlie&en, dass sie nicht ganz freiwillig geht. Wurde er das Bild prototypisch fur die Representation des Senders interpretieren, konnte er die Vermutung anstellen, dass die ARD durch den Moderatorenwechsel gleichzeitig einen Imagewechsel vornimmt - auch wenn davon weder in den Uberschriften noch im eigentlichen Text die Rede ist. Eine ganz eindeutige und gelungene Kombination verschiedener semiotischer Systeme deren Effekt - namlich die Aufmerksamkeit des Lesers zu lenken - unter kleinen Vorraussetzungen sofort gelingt.

Die selben medialen Aspekte - Bild, Titel, Text - konnen auch im Hinblick auf „intermediale Bezuge" (Rajewsky: S. 25) analysiert werden. Das Bild sowie die Uberschrift spiegeln den Text wieder. Alle drei Elemente gemeinsam bilden also ein in sich geschlossenes System. Die verschiedenen Elemente konnen auch unabhangig voneinander betrachtet werden, haben dann aber einen vollig anderen Gegenstand. Die zentrale Frage der intermedialen Bezuge, namlich: „Wie lassen sich mit Hilfe des kontaktnehmenden Mediums, Bezuge zu einem anderen Medium herstellen?"(Rajewsky: S. 25), lasst sich nicht ganz eindeutig beantworten. Hier musste zunachst untersucht werden, welches das kontaktnehmende Medium ist. Ist es der Text oder das Bild? Ich denke, dass in diesem Artikel die zuvor beschriebene Wechselwirkung beider Medien ihre Relation zueinander am besten beschreibt. Beide wirken aufeinander ein, konnen aber auch unabhangig betrachtet werden. Der Bezug des Textes zum Bild ist eindeutig: Das Bild spiegelt Teile des Inhalts wieder und wird diesbezuglich ausgewahlt, gibt bei genauer Betrachtung aber noch weitere Informationen zu dem Thema preis.

3.1.3. Interfaces im Spiegel

Nicht nur der semiotische Aufbau eines Artikels bzw. einer Zeitung soll in der Analyse eine Rolle spielen, sondern auch die „technische" Ebene (vgl. Paech) muss Beachtung finden. Die sogenannte „Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine" (Spielmann: S. 35) kann in Hypertexten am deutlichsten erkannt werden. Doch wo ist diese Schnittstelle in Printmedien zu finden? Welcher mediale Aspekt vermittelt hier zwischen Mensch und dem gedruckten Medium? Als erstes muss beachtet werden, dass das Leseverhalten vollig anders ist: Der Abonnent des Spiegels wird die Zeitschrift nicht wegen eines bestimmten Artikels kaufen, sondern ist interessiert an der Gesamtausgabe. Gehen wir also davon aus, dass er die Seiten von der ersten bis zur letzten liest bzw. zumindest uberblattert. Als erstes stoBt er auf das Inhaltsverzeichnis. In der Ausgabe 26/2006 findet der Leser zwei Seiten, die sowohl in kurzen Zusammenfassungen des jeweiligen Leitartikels der verschiedenen Themensparten, als auch in Stichworten mit Seitenangaben, den Inhalt prasentieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Intermedialität in Print- und Onlinemedien
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
46
Katalognummer
V135934
ISBN (eBook)
9783668793811
ISBN (Buch)
9783668793828
Sprache
Deutsch
Schlagworte
intermedialität, print-, onlinemedien
Arbeit zitieren
Alexandra Riebow (Autor:in), 2006, Intermedialität in Print- und Onlinemedien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135934

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