Die Rodewischer Thesen

Ausdruck der Reformbewegung in der Psychiatrie der DDR und ihre weitere Bedeutung


Hausarbeit, 2009

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Historische Hintergrundfolie
Entwicklungen bis 1945
Entwicklungen ab 1945 bis 1949
Entwicklungen ab 1949
Reformvoraussetzungen

Die Rodewischer Thesen
Inhalte
Auswirkungen und ungelöste Problematiken
Vergleich zur westdeutschen Reformbewegung

Finden sich die Rodewischer Thesen heute wieder?
Die Internetseite von Aktion Wandlungswelten e.V
Zusammenfassung

Fazit

Einleitung

In meiner Arbeit als Sozialpädagogin in einer Tagesklinik der Kinder- und Jugend-psychiatrie, meinem vorherigem, sowie meinem jetzigem Studium bin ich vermehrt darauf gestoßen, dass der Umgang mit Menschen, die durch psychische Erkrankun-gen innerhalb einer Gesellschaft auffällig werden ein besonderes Aushängeschild für die Humanität einer Gesellschaft ist. In diesem Semester begann ich mich mit der Psychiatrie in der DDR zu beschäftigen, was direkt nach der Wende - vor allem im Zusammenhang mit vermutetem umfassendem staatlichem Missbrauch - ein Skan-dalthema war, das aber zunehmend in Vergessenheit gerät.1 Aufgrund bestehender Entwicklungslinien und „alter“ AkteurInnen sollte hier meiner Meinung nach aber Ref-lektion stattfinden. In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich deshalb damit und speziell mit der Reformbewegung in der Psychiatrie der DDR beschäftigen. Diese wird anhand der Rodewischer Thesen und ihrer Bedeutung für die weitere Entwick-lung der Psychiatrie in der DDR betrachtet werden. Dazu sollen zunächst die histori-schen Hintergründe, die zur Entwicklung der Thesen führten skizziert werden. Anschließend werden ihre Inhalte und Auswirkungen auf das System der Psychiatrie in der DDR dar- und in einem kurzen Vergleich der Reformbewegung im westlichen Teil Deutschlands gegenübergestellt. Im letzten Teil soll die Bedeutung der Thesen für die heutige Psychiatrie im Gebiet der ehemaligen DDR anhand eines Beispiels, nämlich der Darstellung des Aktion Wandlungswelten e.V. Jena in Form ihrer Inter-netseite untersucht werden.

Historische Hintergrundfolie

Um die Bedeutung der Rodewischer Thesen als Reformbestreben verstehen zu kön-nen, ist es erforderlich zunächst die Entwicklungen und den Stand der ostdeutschen Psychiatrie bis zu diesem Zeitpunkt zu kennen. Diese wird im folgenden kurz darges-tellt werden. Dabei soll vor allem auf ROSE (2005), der diese Entwicklung für die brandenburgischen Kliniken sowie auf HAHN (2007), die diese Entwicklung für die sächsischen Kliniken darstellt, Bezug genommen werden.

Entwicklungen bis 1945

Die Psychiatrie entstand im 18. Jahrhundert als Teilgebiet der Medizin. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden große Krankenhäuser im ländlichen Raum, die von der Infrastruktur her wie kleine Städte funktionierten und die vor allem eine Ord-nungsfunktion für die bürgerliche Gesellschaft erfüllten.2

Während des ersten Weltkrieg wurden die Krankenhäuser häufig als Lazarette ge-nutzt, was bereits Versorgungsnotstände schaffte, die sich nach dem Krieg mit der Unterbringung von Soldaten, der allgemeinen Unterversorgung und der Umstruktu-rierung des Versorgungssystems noch verschärften.3 Als sich die Krankenhäuser gerade wieder etwas reorganisiert hatten, kamen mit der Weltwirtschaftskrise die nächsten Einschränkungen der Fürsorgeleistungen. Die Beschäftigungstherapie war zu jener Zeit fast einzige Behandlungsmethode neben fraglichen Behandlungsme-thoden wie Fiebertherapie und Bestrahlung.4

Ab 1933 schließt sich das dunkelste Kapitel der Psychiatrie in Deutschland an. Es beginnt mit der Vernachlässigung und Diskriminierung der Menschen mit psychi-schen Erkrankungen. Bald werden Ideen zur „dauerhaften Lösung“5 laut, die in der Abgrenzung der Gesellschaft von den Menschen mit psychischen Erkrankungen ei-nen Nährboden fanden. Es kommt zur Durchführung von Zwangsterilisationen und zur Einführung von neuen experimentellen „Therapien“ wie der Elektro-Krampf-Methode, Insulinspritzen, Schock- und Heilkrampftherapie. Ab 1939 gipfelte diese

Entwicklung in der systematischen Tötung von Menschen, die ab 1941 bis zum Ende des zweiten Weltkrieges „wild“ weiter lief.6

Entwicklungen ab 1945 bis 1949

Nach 1945 begann eine neue Nachkriegszeit mit einer Überfüllung der Anstalten durch die Unterbringung von Flüchtlingen und wirtschaftlichen Notständen. Es kam zu einem Hungersterben durch die absolute Unterversorgung der PatientInnen. Zu den sinkenden materiellen kamen diesmal auch schwindende personelle Ressour-cen, da die Euthanasieverantwortlichen teilweise ihrer Stellung enthoben wurden.7 Allerdings betraf dies kaum das Pflegepersonal und den folgenden Jahren wurden die Entlassen aufgrund des dringenden Personalmangels und der fehlenden Verfüg-barkeit von ÄrztInnen oft wieder in hohe Positionen gelassen.8

Die Psychiatrie und der Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen steht ja in allen Gesellschaften als Ausdruck des Umgangs mit dem Anderen, dem Unbe-kannten, dem Unerwünschtem, dem Unberechenbaren.9 Auch im sozialistischem System der DDR musste hier ein Weg zwischen Therapie, die Integrationsfunktion hat und der Ordnungsfunktion gefunden werden, die tendenziell zur Marginalisierung und Ausgrenzung führt gefunden werden. Dabei hielt sich die stattliche Zielsetzung hier vorrangig im Bereich Kontrolle und Ordnung.

Entwicklungen ab 1949

Erst mit der Gründung der DDR ab 1949 begannen sich zumindest die wirtschaftli-chen Zustände zu entspannen. Das Gesundheitswesen wurde mit dem Ministerium für Gesundheit zentralisiert, zugleich erfolgte eine Kommunalisierung. Die Zuständig-keiten für die Krankenhäuser wurden an die Kreise abgegeben, wodurch diese ab-hängig von örtlichen Gegebenheiten waren und sich oftmals die Pflegeschlüssel verschlechterten.10 Zusätzlich verschärfte sich der Personalmangel, da kaum ein

Nachwuchs an ÄrztInnen und Pflegepersonal vorhanden war und gleichzeitig viele die DDR verließen.11 In den mittlerweile sanierungsbedürftigen Kliniken konnte so kaum mehr als eine Aufbewahrung der PatientInnen geleistet werden. Man griff wie-der auf Behandlungsgrundlagen von vor Beginn des Krieges zurück. Neben Schock-und Insulinbehandlungen, sowie zunehmend zur Ruhigstellung missbrauchten Psy-chopharmaka spielte vor allem die Arbeitstherapie eine zentrale Rolle. Dabei ging es weniger um Heilung der PatientInnen als vielmehr darum das wirtschaftliche Überle-ben der Kliniken zu gewährleisten. So wurde im Rahmen der „Arbeitstherapie“ Schwertarbeit geleistet. Dies ging mit einer Konditionierung über Belohnungssysteme einher in deren Zuge zum Teil anstaltseigene Währungen entstanden.12 Zusätzlich nahm die Überbelegung aufgrund der langen Verweildauern in den Kliniken zu, da die meisten der PatientInnen auch im Alter selten die Klinik verließen und keine bau-lichen Erweiterungen stattfinden konnten.13

Nachdem Vorfälle von Gewalt gegen PatientInnen der Anstalt in Pfaffenrode im Jah-re 1960 bekannt wurden, begann sich eine Reformbewegung, die die Zustände in den psychiatrischen Krankenhäusern kritisierte zu entwickeln.14 Dabei spielte die ho-he Bedeutung der jeweiligen Klinikleitungen, die in sich einerseits die Gefahr des Machtmissbrauchs aber auch die Chance für günstige Veränderungen bargen eine große Rolle.15 Besonders in die Kritik geriet die schlechtere Stellung der Kliniken ge-genüber anderen Krankenhäusern und die Struktur der Hierarchie die in Kombination mit fehlenden Therapien den Verwahrcharakter der Einrichtungen sowie die Entmün-digung der PatientInnen ausmachte.16

Reformvoraussetzungen

Damit lassen sich die Vorraussetzung für die Entwicklung der Rodewischer Thesen zusammenfassen: Es herrschte im Fachgebiet Psychiatrie eine somatische Orientie-rung. Noch hatten ganzheitliche Behandlungsideen keinen Eingang in die Kliniken gefunden. Die baulich veralteten Großkrankenhäuser waren gekennzeichnet durcheine hierarchische Ordnung an deren letzter Stelle die PatientInnen standen. Durch fehlende materielle und personelle Ressourcen war die Unterbringung vieler Patien-tInnen auf engem Raum nötig. Auch Behandlung konnte so nicht im erforderlichen Maß erfolgen, da gerade noch Betreuung möglich war. Die Reformstimmung die sich ab um 1960 entwickelte, wurde von den ÄrztInnen der Kliniken getragen. Sie war keine Sache der breiten Öffentlichkeit, da öffentliche Meinungsbildung nicht möglich war und die Ordnungsfunktion der Kliniken von staatlicher Seite im Vordergrund stand.

[...]


1 vgl. Rose (2005): S. 7.

2 vgl. Rose (2005): S. 11ff.

3 vgl. Rose (2005): S. 21ff.

4 vgl. Rose (2005): S. 22ff.

5 Rose (2005): S. 25.

6 vgl. Rose (2005): S. 24ff und Hahn (2007): S. 51.

7 vgl. Rose (2005): S. 29ff sowie S. 49, wo die Einschränkung der Entnazifizierung „soweit fachlich entbehrlich” dargestellt wird und Hahn (2007): S. 52f.

8 vgl. Rose (2005): S. 50ff.

9 vgl. Loos (2006).

10 vgl. Rose (2005): S. 63ff.

11 vgl. Rose (2005): S. 91ff. Er führt hier noch als Grund an, dass das Pflegepersonal in den Kliniken eine schlechtere Vergütung erhielt als in „normalen“ Krankenhäusern.

12 vgl. Rose (2005): S. 71ff.

13 vgl. Rose (2005): S. 95f.

14 vgl. Rose (2005): S. 115.

15 vgl. Rose (2005): S. 112f.

16 vgl. Rose (2005): S. 115 sowie 119.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Rodewischer Thesen
Untertitel
Ausdruck der Reformbewegung in der Psychiatrie der DDR und ihre weitere Bedeutung
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V135776
ISBN (eBook)
9783640460243
ISBN (Buch)
9783656623311
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rodewischer, Thesen, Ausdruck, Reformbewegung, Psychiatrie, Bedeutung
Arbeit zitieren
Elisabeth Baar (Autor:in), 2009, Die Rodewischer Thesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135776

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Titel: Die Rodewischer Thesen



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