Was ist anders am "anderen Grammatikunterricht"?


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: Gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Der „andere Grammatikunterricht“
2.1 Begriffsklärung
2.2 Situativer Grammatikunterricht und die Situation
2.3 Grundprinzipien eines situativen Grammatikunterrichts
2.4 Ziele des situativen Grammatikunterrichts
2.5 Gesellschaftlicher Zusammenhang
2.6 Verschiedene Positionen in den Konzeptionen von Grammatikunterricht
2.7 Unterrichtsform und die Verwendung von Termini
2.8 Die Rolle der Lehrperson
2.9 Beispiele
2.10 Kritik

3. Eigene Einschätzung

LITERATUR:

1. Einleitung

Der „andere Grammatikunterricht“ wird seit dem im Jahre 1978 erschienenen gleichnamigen Buch so genannt, in dem die Autoren Wolfgang Boettcher und Horst Sitta ein neues Konzept von Grammatikunterricht vorstellten. Der Ausdruck „anders“ wird hier als Begriff der Abgrenzung gegen den „klassischen Grammatikunterricht“ verstanden, der sich nach Boettcher und Sitta (1978) durch „das systemorientierte und primär form- und strukturbezogene Analysieren von Sätzen“ (S.24) auszeichnet. Diese Definition soll für die vorliegende Arbeit als Vergleichsgröße für den „anderen Grammatikunterricht“ ausreichen. Auch die von den Autoren vorgeschlagenen Arbeits- und Unterrichtsmethoden beziehen sich stets auf den klassischen Grammatikunterricht als Gegenpol. In über zwanzig Punkten fassen sie „einige Probleme des klassischen Grammatikunterrichts“ zusammen (Boettcher & Sitta 1978, S.38-41).

Die vorliegende Arbeit versucht die Frage zu beantworten, was genau am „anderen Grammatikunterricht“ anders, also anders und neu im Vergleich zum klassischen Grammatikunterricht, ist – allerdings ohne an dieser Stelle ausführlich auf die von Boettcher & Sitta thematisierten Schwierigkeiten und Nachteile des klassischen Grammatikunterrichts einzugehen. Damit bezieht sich die Arbeit hauptsächlich auf das Buch von Boettcher und Sitta, jedoch werden auch andere Texte berücksichtigt. Ziel der Arbeit ist es, anhand der Beantwortung der als Thema gestellten Frage unter verschiedenen Gesichtspunkten ein wenn auch grobes, so doch zusammenhängendes und ausdrucksstarkes Bild des Konzeptes vom „anderen Grammatikunterricht“ zu entwerfen. Dabei wird auch kurz der gesellschaftliche Zusammenhang beleuchtet, ohne dass im Gegenzug auch auf die historisch-gesellschaftlichen Hintergründe des klassischen Grammatikunterrichts eingegangen werden kann.

2. Der „andere Grammatikunterricht“

2.1 Begriffsklärung

Wie in der Einleitung bereits erwähnt, stammt der Begriff „anderer Grammatikunterricht“ von Boettcher und Sitta (1978). Andere Ausdrücke, die für dieses Konzept verwendet werden, sind: „gelegenheitsorientierter Grammatikunterricht in Situationen“ (Eichler 1988, S.258), „Grammatikunterricht in Anwendung“ (Gornik 2003) und, so der offizielle Name, „situativer Grammatikunterricht“ (im Folgenden auch SGU).

2.2 Situativer Grammatikunterricht und die Situation

Wenn „situativer Grammatikunterricht“ „Grammatikunterricht in Situationen“ bedeutet, so stellt sich die Frage, was in diesem Zusammenhang unter einer Situation zu verstehen ist. Boettcher und Sitta definieren diese sehr grob als einen „bedeutungsvollen Ausschnitt der von einer Person deutend wahrgenommenen Welt“ (Boettcher & Sitta 1980, S.225). Sie verwenden also einen „inneren Situationsbegriff“ (Boettcher & Sitta 1983, zitiert nach Erlinger 1988, S.95). Es geht den Autoren dabei um reale Situationen, die für die Spracherforschung genutzt werden sollen – also um authentische Sprachsituationen im Unterricht, um Unterrichtssituationen. „Der Grundgedanke situationsorientierten Deutschunterrichts lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass hier die ‚jetzigen’ innerschulisch zugänglichen Lebenssituationen und –erfahrungen der Schüler als paradigmatische, modellhafte Lernsituationen aufgegriffen werden“ (Boettcher & Sitta 1978, S.125). Dabei erkennen die Autoren (1978) durchaus die jeder Situation inhärenten „subjektiven Momente“ (S.94) an und folgern daraus, „dass Situationen nicht qualitativ und quantitativ erschöpfend klassifiziert werden können, sondern zum Gegenstand von verstehender Rekonstruktion und von Wahrscheinlichkeitsaussagen werden“ (S.94). Die Verwendung von Situationen im SGU wird von den Autoren dabei sowohl unterrichtsmethodisch als auch sprachdidaktisch und sprachtheoretisch begründet (Boettcher & Sitta 1983, zitiert nach Erlinger 1988, S.96) und folgendermaßen eingeschätzt: „….so liegt darin ein entschieden höheres Maß an Wissenschaftlichkeit als in einer reproduzierenden Einübung zum Bespiel in Verfahren und Termini der Transformationsgrammatik nach einem Sprachbuch“ (Boettcher & Sitta 1983, zitiert nach Erlinger 1988, S.97). In dieser Bewertung liegt bereits ein Hinweis auf die üblichen Verfahrensweisen in einem klassischen Grammatikunterricht, in dem nicht von konkreten Situationen, sondern von vorgegebenen Lehrplänen, den Texten und Übungen aus Büchern, geplanten Unterrichtsentwürfen und damit von der Lehrperson oder anderen Erwachsenen im Voraus festgelegten Themen ausgegangen wird.

2.3 Grundprinzipien eines situativen Grammatikunterrichts

Boettcher und Sitta (1978) kündigen bereits im ersten Kapitel ihres Buches viele Neuerungen an: „Veränderungen der Begründungen für beibehaltene Ziele und Inhalte, Veränderung der Fragestellungen, unter denen grammatische Phänomene angegangen werden, Veränderung des Gewichts von grammatischen Teilbereichen und eine Veränderung unterrichtlicher Einstellungen und Methoden“ (S.20/21).

Das ganze Konzept des SGU basiert auf einem erweiterten und veränderten Begriff von Sprache: „als Mittel der Kommunikation“, „als Medium der Herausbildung und Tradierung von (individuellen wie gemeinschaftlichen) Erfahrungen“, „als Einschränkung der Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen“ (S.43) und „als Medium der Strukturierung wichtiger Erfahrungen“ (S.84). Diese Wichtigkeit hat Sprache im klassischen Konzept von Grammatikunterricht nicht, darüber hinaus wird der mündlichen Sprache nicht die Bedeutung von Schriftsprache in Form von Übungssätzen oder Formentabellen zugewiesen.

Gänzlich neu sind die Aufnahme von Watzlawicks Kommunikationstheorie (vgl. Boettcher & Sitta 1978, S.56-63) „1. als Grundlage für didaktische Entscheidungen […], 2. in den Grammatikunterricht selbst“ (Eichler 1988, S.257), die sprachtheoretische Fundierung (Gornik 2003, S.820; Diegritz 1996, S.90) und die explizite Orientierung an den Schülerinnen und Schülern (vgl. Gornik 2003, S.820). Diese Ausrichtung nach den Schülerinnen und Schülern hat grundlegende Auswirkungen auf die Methodik des Unterrichts: Die Schüler bestimmen die Systematik des Stoffes selbst, nicht irgendwelche curricularen Vorgaben wie beim klassischen Grammatikunterricht. Ausgangspunkt der grammatischen Reflexionen sind die Spracherfahrungen der Schüler, wodurch Sprachbücher und andere vorgefertigte Materialien nicht mehr die Rolle wie im klassischen Grammatikunterricht spielen. Nicht das Sprachsystem, sondern die Sprachverwendung steht im Mittelpunkt des „anderen Grammatikunterrichts“: „Aufgabe des Grammatikunterrichts ist es, den Anteil grammatischer Phänomene an der sprachlichen Verständigung auszumachen. Folglich wird Grammatikunterricht mit Reflexion über Sprache verbunden“ (Gornik 2003, S.820). Dadurch kommt es auch zur Vermittlung von immer nur „spezifischen Aspekten und Ausschnitten von Grammatikkenntnissen“ (Homberger 1994, S.5), die in der aktuellen Sprachverwendung eine Rolle spielen, unter der Annahme: „Grammatische Reflexionsfähigkeit erhöht die Fähigkeit, sich in Sprachverwendungssituationen zurechtzufinden und zu behaupten“ (Erlinger 1988, S.91). Grammatische Kenntnisse haben also nur mehr „instrumentellen Charakter innerhalb solcher Untersuchungszusammenhänge“ (Boettcher & Sitta 1978, S.169) und sollen „zur Bewältigung einer kommunikativen Handlung bzw. zur Lösung eines inhaltlichen Problems beitragen“ können (Eisenberg/Menzel 1995, S.15). Diese Anschauung von Grammatik als Mittel und nicht mehr als Zweck an sich unterscheidet den SGU deutlich vom klassischen Grammatikunterricht. In diesem werden auch nur selten einzelne kleine Ausschnitte von grammatischen Themen behandelt; meist geht es darum, ein Thema über mehrere Stunden hinweg möglichst umfassend „durchzunehmen“.

Boettcher & Sitta (1978) selbst nennen viele „kleine“ Prinzipien eines SGU. Zusammengefasst richtet sich das Konzept des SGU im Vergleich zum klassischen Grammatikunterricht nach Prinzipien, die eher demokratisch sind statt undemokratisch, gesellschaftskritisch statt die Gesellschaft reproduzierend, normkritisch statt die Norm unhinterfragt erfüllend, hermeneutisch statt Zusammenhänge unbesprochen lassend, gemeinschaftsorientiert statt die Gemeinschaft nicht als Größe in die Unterrichtsplanung mit einbeziehend, integrativ statt separierend, prozessual statt nur das Ergebnis betondend und benotend und pragmatisch statt auf ferne, künstliche und häufig nur ideelle Situationen und Ziele gerichtet.

Außerdem wird – anders als im klassischen Grammatikunterricht - lernbereichsintegrierend gearbeitet (vgl. Gornik 2003, S.820). Der Grammatikunterricht soll dabei durchgeführt werden „als eine Kette von Phasen grammatischer Reflexion, die in einen insgesamt situationsorientierten Deutschunterricht integriert sind“ (Boettcher & Sitta 1980, S.202, zitiert nach Eichler 1988, S.258). Zwei wichtige Bedingungen sind dabei, dass der SGU „keinen autonomen Gegenstandsbereich“ und „keine autonomen Fragestellungen“ (Boettcher & Sitta 1978, S.165) hat, was ihn wiederum vom systematischen Grammatikunterricht unterscheidet, sondern dass grammatische Reflexionen integriert sein sollen „in Bereiche der Textproduktion, der Textrezeption, der Gesprächserziehung“ (Boettcher & Sitta 1980, S.205, zitiert nach Eichler 1988, S.258), was die hermeneutische Herangehensweise deutlich macht.

2.4 Ziele des situativen Grammatikunterrichts

Die konsequente Orientierung des SGU in Methodik und Didaktik an seinen erklärten Zielen ist ein weiteres typisches Merkmal dieses Konzepts. Dies bedeutet auch, dass sich die grundlegenden Ziele des SGU auch in den Teilzielen jeder Unterrichtseinheit wieder finden lassen. Wenn es darum geht, mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam zu erarbeiten, wie man höflicher sprechen, Streitsituationen beilegen oder Rechtschreibfehler entdecken kann, dann sind diese Teilziele alle verknüpft mit der Absicht, die kommunikative Kompetenz zu steigern: Die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, aufgegliedert in viele Teilfähigkeiten, steht als wichtigstes Ziel über dem Modell des SGU (vgl. Boettcher & Sitta 1978, S.132-134; Boueke 1983, S.73/74). Durch das bessere Verständnis von Sprachverwendungssituationen sollen die Schülerinnen und Schüler dazu befähigt werden, solche Situationen besser bewältigen zu können: „Grammatisches Wissen fungiert im Rahmen dieses ersten Zusammenhangs als Mittel korrigierender und kompensierender Steuerung des eigenen sprachlichen Handelns“ (Boettcher & Sitta 1983, zitiert nach Erlinger 1988, S.92).

Das Sprachkönnen steht also weit über dem Sprachwissen, was den SGU deutlich vom systematisch-formalen Grammatikunterricht unterscheidet.

Als weiteres Ziel des SGU neben der Fähigkeit zur (besseren) Verständigung wird noch die Verstehenskritik genannt (vgl. Boettcher & Sitta 1978, S.181).

[...]

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Details

Titel
Was ist anders am "anderen Grammatikunterricht"?
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
Gut
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V135753
ISBN (eBook)
9783640459957
ISBN (Buch)
9783640459766
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grammatikunterricht
Arbeit zitieren
Nicole Schmidt (Autor:in), 2007, Was ist anders am "anderen Grammatikunterricht"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135753

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