Diskurstheoretische Herausforderungen: Michel Foucault und die Geschichtsschreibung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Foucaults Leben im Zeitraffer

3 Was ist Postmoderne (nicht) ?
3.1 Das Epochenmissverständnis
3.2 Das Moderne-Missverständnis
3.3 Das „Anything-Goes“-Missverständnis
3.4 Das Kompensationsmissverständnis

4 Aufklärungsbegriff Foucault vs. Kant
4.1 Kant (Rationalität und Empirismus)
4.2 Foucault (Vernunft in Übergängen -> Transversale Vernunft)

5 Die Unordnung der Dinge
5.1 Foucaults Provokation der Geschichtswissenschaft
5.2 „Sozialdisziplinierung“ zum Beispiel
5.3 Einspruch der Geschichte

6 Kritische Reflexion/Schlussbetrachtung/Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der Geschichtswissenschaft bzw. der pädagogischen Geschichtsschreibung bewegen sich Historiker häufig auf einer Gratwanderung zwischen Fakten und Fiktion1. Während einige, meist konservative Vertreter der Disziplin darauf insistieren, dass ihre Darstellungen auf puren Fakten basieren, proklamieren andere die Abkehr von dieser für sie realitätsfernen Einstellung. Ein Argument für Anhänger der letztgenannten Fraktion ist das Faktum, dass Vergangenheit für die es keine Zeitzeugen mehr gibt, nie „maßstabsgetreu“ wiedergegeben werden kann. Für Historiographen ergibt sich bei der Aufbereitung vermeintlicher Fakten ein Auswahlproblem. Quellen müssen selektiert werden, Epochen werden ernannt, Personen werden zu zentralen geschichtlichen Interessenträgern. Deshalb jedoch diesen Daten fiktiven Charakter zuzuschreiben, mag ebenso radikal sein wie die konträre Auffassung der Faktizität.

Mit dem Dekonstruktivismus und der Postmoderne eröffnen sich neue Herangehensweisen an historisch aufgearbeitete Texte. Mit meiner Seminararbeit möchte ich einen bedeutenden Vertreter/Denker der Postmoderne, Michel Foucault, präsentieren und seine Methodik sowie seine Vorschläge für das Arbeiten mit historischen Materialien erklären. Hierbei wirken sich Begriffe wie Kontingenz und Diskurs als essentielle Eigentümlichkeiten seiner Werke aus. Er zeigt, das Geschichte nie bloße Fakten repräsentieren kann, aber auch nicht einzig Fiktion bedeutet und damit obsolet werden würde. Antagonistische, ambivalente, konträre Perspektiven in der Geschichtsschreibung könnten einen Ausweg aus dem Dilemma bieten. Globale, allumfassende Theorien erscheinen uns heute in einer vielschichtigen, verschachtelten, nie ganz verständlichen Welt utopisch und surreal. Dennoch darf Postmoderne nicht in Willkür und Lethargie enden, denn dann hätte sie ihr Ziel vor allem in moralischer Hinsicht verkannt, die Aufklärung neu zu definieren und zum kritischen Reflektieren auch in der pädagogischen Geschichtsschreibung anzuregen.

Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit in punkto der von mir herangezogenen Quellen. Aufgrund der Seitenhöchstzahlvorgabe für diese Arbeit habe ich mich vor allem auf den im Seminar behandelten Text von Detlev Peukert (siehe Punkt 5 der Gliederung) und auf einige wenige weiterführende Literatur konzentriert und meine Kritik darauf fokussiert. Einige große sowie bedeutende Werke Foucaults habe ich nicht analysiert und auch Gegenpositionen, die den französischen Philosophen als nicht hilfreich für die Geschichtswissenschaft ansehen, habe ich bewusst ausgespart. Bei der Thematik der Ausarbeitung habe ich mich im großen und ganzen an das von mir im Seminar gehaltene Referat gehalten.

2 Foucaults Leben im Zeitraffer

Zum besseren Verständnis der Denkweise, aber auch zur ersten hermeneutischen Tuchfühlung mit Michel Foucault, soll ein kurzer Einblick in seinen Lebenslauf dienen.2

Geboren wurde er 1926 in Poitiers als Sohn einer angesehenen Arztfamilie und wuchs fortan mit seinen beiden Geschwistern in einem kleinbürgerlichen Milieu, welches ihm wenig behagte, auf. Seinen Schulabschluss erlangte er am Lycée Henri IV in Paris, wo er anschließend auch seine Studien an der Ecole normale supérieure aufnimmt. An der Universität wird Foucault von Denkern wie Althusser und Merleau-Ponty unterrichtet, lernt also die Theorien des Marxismus und der Phänomenologie kennen. Weiterhin interessiert er sich sehr für die Arbeiten Hegels, Saussures, Heideggers, Freuds, Nietzsches, Lacans, Sartres u.a.. Seinen Abschluss macht Michel Foucault in Psychologie, Philosophie und Psychopathologie, arbeitet danach jedoch größtenteils theoretisch; er begibt sich selten in den direkten praktischen Arbeitsalltag eines Psychiaters oder Psychologen.

Zu konstatieren bleibt Foucaults genealogisch-philosophisches Lebenswerk, bestehend aus bekannten, teilweise umstrittenen Büchern wie z.B. „Wahnsinn und Gesellschaft“, „Die Ordnung der Dinge“, „Die Geburt der Klinik“, „Überwachen und Strafen“, „Der Wille zum Wissen“3 u.a. sowie seine internationale Karriere in wissenschaftlicher Tätigkeit als Professor, Lektor und/oder Mitarbeiter in Uppsala (Schweden), Warschau, Hamburg, Tunis, Berkeley und Paris.

Weiterhin bleibt er der Nachwelt als politisch engagierte, im Kampf für Unterdrückte, sozial Randständige oder Kranke/Schwache, Person in Erinnerung. So war er kurzzeitig Mitglied der „Parti Communiste Francais“, der „Fouchet-Kommission“, die sich für die Reform des Schulwesens und des Studiums, für die gaullistische Regierung einsetzte, und der „Solidarnosc-Bewegung“, einer Gewerkschaftsorganisation in Polen. Mit seinem Lebensgefährten Daniel Defert demonstriert er gegen die inhumane Praxis des französischen Strafvollzuges (1971) und gründet in diesem Jahr eine Gruppe zur Information über Gefängnisse, die den Namen „GIP“ trägt. In Japan beschäftigt sich Foucault mit dem Zen-Buddhismus, im Iran berichtet er über die islamisch-fundamentalistische Revolution und setzt sich gegen das Schahregime des damaligen Despoten Pahlawi ein. Letzterer machte aus seinem Land ein Zensur- und Polizeiregime, verletzte offiziell Bürgerrechte und musste dann 1979 nach Volksaufständen das Land verlassen. Michel Foucault bekommt 1981 von der Mitterrand-Regierung das Angebot der Stelle eines Kulturberaters in den USA, welches er jedoch ablehnt.

Im Alter von 57 Jahren stirbt Michel Foucault am 25. Juni 1984 in Paris an den Folgen einer HIV-Infektion.

3 Was ist Postmoderne (nicht) ?

In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die aufkeimenden Theoreme des Postmodernismus in Frankreich und den USA im philosophischen4, ästhetischen und sozialwissenschaftlichen Diskurs bereits ernsthaft analysiert und kontrovers diskutiert. In Deutschland wurde zu diesen Zeiten dagegen an der Validität des postmodernen Gedankengutes gezweifelt. Erst wesentlich später beginnt hier eine Auseinandersetzung auf fachlicher Ebene mit Denkern der „linguistischen Wende“ bzw. generell mit postmodernen Theoretikern. In heutigen Debatten kommt es immer wieder zu differierenden, teilweise diffusen, aber auch präzisen Merkmalsbeschreibungen, unter die Denker wie Foucault eingeordnet werden.

Aufgrund zahlreicher Ansätze einer Klassifizierung des Begriffes „Postmoderne“ erscheint es mir wichtig, diesen von einigen gängigen, klischeehaften Definitionen abzulösen und kurz darzulegen, wie Postmoderne in meinem Essay zu verstehen ist. Dabei grenze ich mich von vier Haupt-Missverständlichkeiten ab, die ich im folgenden präsentieren möchte.

3.1 Das Epochenmissverständnis

Postmoderne bezeichnet keinen Epochenbegriff5, der nahtlos an eine vorhergehende Epoche, die dann häufig Moderne genannt wird, anknüpft. Diese künstliche Kontrastierung legt es nahe, dass Postmoderne einen Fortschritt darstelle, die neue, revolutionäre Ideen und Inhalte hervorgebracht hätte, welche modernes Denken obsolet mache. Lyotard und andere Initiatoren dieser Denkrichtung beabsichtigten vielmehr einen kritischen Disput, eine Auseinandersetzung mit Vertretern der Moderne, keine Ablösung dieser. Postmoderne Ansichten bewegen sich also innerhalb der Moderne und erlangen dadurch ihr kritisches Potential. Epochale Zuweisungen sind schlichtweg falsch.

3.2 Das Moderne-Missverständnis

Sowohl Jürgen Habermas als auch einige Vertreter der heutigen Geschichtsschreibung ordnen Moderne häufig in einen Zeitraum, der in das 18. Jahrhundert fällt6, ein. Aufklärung und Französische Revolution spiegeln exemplarisch bzw. beispielhaft den Zeitgeist jener Tage wider.

Diese Datierung verläuft nicht analog zum Beginn der „Neuzeit“, die an das Mittelalter anschließt und Denker wie Descartes oder Bacon als Protagonisten dieser neuen Epoche hervorgebracht hat. Michel Foucault setzt mit seiner kritischen Reflexion genau hier, im 16. Jahrhundert, an. Wenn man das akzeptiert, merkt man, dass die Praxis der kantischen Aufklärung nicht diskreditiert werden soll, sondern neuzeitliche Machtdiskurse untersucht werden. Diese sind im 18. Jahrhundert längst stabilisiert und in den Alltag eingekehrt. Im Unterschied zu Habermas, mit dem Foucault häufig in einen Topf geworfen oder zumindest gerne verglichen wird, setzt seine Untersuchung also zwei Jahrhunderte früher ein und versucht Machtdiskurse bereits dort ausfindig zu machen.

[...]


1 Vgl. White, 1994

2 Vgl. Eribon, 1991

3 Siehe Literaturverzeichnis

4 Vgl. Sandbothe, 1998, S. 41-54

5 Vgl. Ebd., S. 44-46

6 Vgl. Ebd., S. 46-49

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Diskurstheoretische Herausforderungen: Michel Foucault und die Geschichtsschreibung
Hochschule
Universität zu Köln  (Pädagogisches Seminar)
Veranstaltung
Fakten und Fiktionen. Probleme pädagogischer Geschichtsschreibung
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
21
Katalognummer
V13570
ISBN (eBook)
9783638191913
ISBN (Buch)
9783638746779
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diskurstheoretische, Herausforderungen, Michel, Foucault, Geschichtsschreibung, Fakten, Fiktionen, Probleme, Geschichtsschreibung
Arbeit zitieren
Martin Nahlik (Autor:in), 2003, Diskurstheoretische Herausforderungen: Michel Foucault und die Geschichtsschreibung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13570

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