Assimilationstendenzen und Selbstdressur in Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“


Studienarbeit, 2009

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einführung

2. Erste Einschätzung über die Identität des Berichtenden

3. Hintergründe: Quellentexte und Intention Kafkas
3.1 Quellentexte für den Bericht
3.2 Zur Intention Kafkas

4. Assimilationsmomente und -tendenzen
4.1 Chronologie der Assimilation
4.2 Interferenz-Erscheinungen im Assimilationsbestreben

5. Abschließende Einschätzung über die Identität des Berichtenden

Quellen

1. Einführung

„Ist es nicht die genialste Satire auf die Assimilation, die je geschrieben worden ist!“1 urteilt Max Brod über den gerade eben in der Zeitschrift Der Jude erschienenen Text seines Freun-des Franz Kafkas: „Ein Bericht für eine Akademie“, der sowohl von einem Affen erzählt wie auch von einem Affen erzählt wird.

Und was erzählt dieser? Von den Menschen „Rotpeter“ genannt, tritt er, ein Schimpanse, vor eine Akademie (es könnte sich auch um ein schriftliches Dokument an diese Adresse handeln, das ist ungewiss) und erklärt im ersten Schritt den Unterschied zwischen seinem „Affentum“ von vor fünf Jahren und seinem aktuellen Entwicklungsstand, der dabei mehr als deutlich wird. In einem zweiten Schritt geht er auf die Umstände seiner Gefangennahme und Gefan-genschaft, sein Eingesperrtsein auf einem Schiff und seine Sicht auf die Menschen ein, denen gegenüber sich der besagte Assimilationsprozess vollzogen haben soll. In einem letzten Schritt wird das Augenmerk auf die unmittelbare Vergangenheit des Affen im Varieté gerich-tet.

Die Assimilationsthematik tritt zunächst in der Weise in Erscheinung, als dass der Vorgang, der Prozess des Assimilierens detailliert geschildert wird. Das Ergebnis, die assimilierte Iden-tität des ‚gewesenen Affens’ wird aus dem Text heraus allerdings nicht eindeutig. Es sind vielerlei Allegorien in die Entwicklung der Hauptfigur von der unterentwickelten Spezies zum gelehrigen Affen bis hin zum Akademischen Affen in den Bericht hineininterpretiert worden2, die für sich und im Zuge der Kafka-Forschung von Bedeutung sind, in dieser hier vorliegen-den Untersuchung allerdings kritisch betrachtet und auch nur gestreift werden sollen. Es sind die textimmanenten Tendenzen und Momente der Assimilation, die hier im Mittelpunkt ste-hen werden, um zu hinterfragen, was der Text Kafkas aus sich selbst heraus zur Assimilati-onsthematik offenbart.

Schon auf die o.g. Ambivalenz des Erzählens bzw. Erzähltwerdens des Protagonisten wird im folgenden Bezug zu nehmen sein. Wenn nämlich der Frage nachgegangen wird, wer denn das Wesen ist, das in Kafkas Text vor die Akademie tritt. Welche physischen und psychischen Attribuierungen von „Rotpeter“ sind darin benannt, worauf rekurrieren sie, die Attribute, hin-sichtlich des, wie aus dem oben genannten Zitat Brods hervorgeht, unterstellten Vorgangs der Assimilation, den Kafka ver- und bearbeitet hat?

Nach einer ersten Einschätzung über die (jeweils physische/n und psychische/n) Identität und Identitätsstufen des Wesens wird im nächsten Punkt darauf einzugehen sein, was es mit dem Topos des Affen überhaupt auf sich hat, warum Kafka ihn wohl gewählt hat und wie er ihn präsentiert. Dies wird einige Rückschlüsse für eine erneute Einschätzung über die Identität des Wesens liefern können, dies dann unter der besonderen Berücksichtigung der Assimilati-onsmomente- und tendenzen des Berichtes . Welche Art der Kulturkritik wird von Kafka mit seinem Text geübt, korrespondiert diese mit einer unterstellten Allegorie der jüdischen Assi­milation? Sollte bei der literaturwissenschaftlichen Arbeit tatsächlich nur der Assimilatorische Aspekt berücksichtigt werden?

Vor einer Hinterfragung von Assimilationsmomenten und -tendenzen und vor dem Hinter-grund einer Vielzahl von Deutungen des Assimilationsbegriffs, die der Konsistenz dieser Untersuchung abträglich sein könnten, soll schon vorab die Definition Bernd Neumanns ü-bernommen werden: „Der Begriff der Assimilation ist in der Forschung umstritten. Ich ver-zichte dennoch auf alternative Begriffe wie Integration, Akkulturation etc., gerade auch, weil der Begriff zu Kafkas Lebzeiten von einem positiv in einen negativ besetzten [...] umge-schlagen ist. [...] Aber auch, weil ‚Assimilation’ die soziale, kulturelle und psychische Di­mension in sich vereint“3. Allerdings gestehe ich zumindest der Formulierung ‚Angleichung’ einen äquivalenten Sinn zu.

2. Erste Einschätzung über die Identität des Berichtenden

Ausgehend von einer ersten, allgemeinen Rezeption des Textes Ein Bericht für eine Akademie von Franz Kafka entsteht durchaus Verwirrung, vielleicht weniger darüber, welches Anliegen vorgetragen wird (das Nachahmungsbestreben wird von Kafka unlängst benannt, darauf wird in Punkt 4.1 eingegangen), sondern vielmehr darüber, wie der Text es tut. Dies liegt sicherlich zunächst in dem ganz eigenen Präsentationsstil des Autors begründet, mündet dann aber in der vorherrschenden Unschlüssigkeit über die Identität des Erzählers. Rasch ist festzustellen, dass es sich um einen Affen handelt, der also diesen Bericht vorträgt, und ebenso rasch wird klar, dass dieser Affe eine Metapher bzw. Personifizierung ist, sein muss.

Dieser Affe hat sogar einen Namen bekommen, davon erzählt er im Zusammenhang mit sei­ner Narbe. Eine Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat. (S. 48)

„Rotpeter“ wird er also von den Menschen genannt, allein schon diese Benennung, die ihn verärgert, weil sie einen Vergleich mit einem „hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter“ (S. 48) suggeriert, deutet in aller Offensichtlichkeit auf die Problematik hin; der Affe – der Berichtende ist physisch ein Affe, das konstatiert er an vielen Stellen selbst, sieht sich mehr oder weniger in dieser Physis gefangen, er findet sich psychisch aber eher dem Men-schen zugehörig, ein Bestreben, welchem man als geneigter Leser beipflichten möchte, denn der Affe erzählt und verfügt dementsprechend über die Voraussetzung des Bewusstseins, über die kognitiven Fähigkeiten – genauso wie der Mensch.

Physisch also ist er ein Affentier wie dieser ominöse Peter, psychisch, geistig, aber ein höher entwickeltes Individuum. Diesen Widerspruch im Sein, das wird die folgende Betrachtung der Assimilationsmomente unterstreichen, ist hier aber schon vorwegzunehmen, lässt Kafka nicht allein stehen. Er forciert in dieser ambivalenten Identität des Affen, in diesem Widerspruch, noch einen weiteren, und zwar jenen zwischen der Distanzierung des Wesens zum Affentum (die an einigen Stellen scheinbar etwas brüchig wird) unter der gleichzeitigen Hinwendung zum Wunsch, ein vollwertiger Mensch zu sein auf der einen Seite, und der auf der anderen Seite stehenden Diskreditierung des Menschentums und des Bewusstseins um die scheinbare Minderwertigkeit dieses „Menschenausweges“ als bloßes Mittel zum Zweck. Worin dieser Zweck bestehen könnte, wird im Folgenden noch erwogen.

Es ist also bislang festzuhalten, dass das Anliegen des Wesens dem Menschlichen näher zu kommen, wie auch das Anliegen des Textes einen Assimilationsprozess darzustellen, zu-nächst klarer scheint, als die Identität des vortragenden Wesens selbst. Hierbei handelt es sich um einen persönlichen Lektüreeindruck, der für diese Untersuchung als Ausgangspunkt und im weitesten Sinne als Forschungsgrundlage dienen soll.

Das Wesen oder der Erzähler Kafkas sieht sich als jemand, der als ein gewesener Affe in die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festgesetzt hat. (S. 48)

Warum in dieser Untersuchung bislang von einem „Wesen“ anstatt von „Rotpeter“ oder ei-nem Affen schlechthin gesprochen wird, beantwortet der Text Kafkas selbst; denn das Wesen distanziert sich unlängst von seiner äffischen Identität:

Ihr Affentum, meine Herren [...] kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. (S. 47) und wird somit auch vom Leser nicht als Affentier in seinem hinlänglich geläufigen Sinne wahrgenommen. Auch vermag man ihn nicht „Rotpeter“ zu nennen, da ihm diese Namensge-bung selbst missfällt (Siehe Zitat Seite 3).

Ist daraus abzuleiten, dass es sich bei dem Wesen dann schlechterdings um einen gewordenen Menschen handelt, ausgehend von dessen (Prä-)Existenz als „gewesener Affe“? Dieser Über-legung begegnet der Text nicht eindeutig; selbst wenn man die Möglichkeit der physischen Menschwerdung ausklammern würde, so ließe sich nicht definitiv sagen, dass das Wesen be-dingungslos, überhaupt Mensch sein wollte. ...es verlockte mich nicht, die Menschen nachzuahmen; ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg suchte, aus keinem anderen Grund. (S. 53)

Es berichtet also ein Wesen, das physisch ein Affe, psychisch auf dem Stand eines Menschen ist, die „Durchschnittsbildung eines Europäers erreicht“ (S. 54) hat, allem Anschein nach aber weder zu der einen Gattung noch zur anderen gehören will. Daraus ergibt sich die für den Leser entstehende Verwirrung, die bereits oben postuliert worden ist.

Um zu verstehen, warum Franz Kafka diese sehr ambivalente Figur für seinen Text gewählt hat, ist es unter Umständen hilfreich, nach seinen Quellentexten und seiner literarischen

Intention zu fragen. Um Rückschlüsse auf die Identitätszuschreibung zu liefern, sollen vor allem die Momente der Assimilation in Augenschein genommen werden, die Attribuierungen des Wesens weiterhin im Fokus stehen und einige Abhandlungen wie die von Horst-Jürgen Gerigk und Erhard Schüttpelz zu Rate gezogen werden, die sich mit der Thematik beschäfti-gen und weitere wichtige Aspekte in die Betrachtung involvieren könnten. Am Ende lässt sich vor diesem Hintergrund vielleicht eine eindeutigere Einschätzung über die Identität des Be-richtenden und hinsichtlich der Assimilationstendenzen formulieren.

[...]


1 Reimert, Karla: Kafka für Eilige, Berlin 2003, S. 118.

2 Erhard Schüttpelz bezieht sich auf den „Akademischen Affen“, Horst-Jürgen Gerigk hingegen auf den „geleh-rigen Affen“.

3 Neumann, Bernd: Aporien der Assimilation. München 2007, Fußnote 38. Neumann verweist dazu auf Kaplan, Marion A.: The Acculturation, Assimilation and Integration of Jews in Imperial Germany. In: Yearbook of the Leo Baeck Institute, Bd. VIII, 1982, S. 3ff.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Assimilationstendenzen und Selbstdressur in Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Assimilation. Poetik und Politik der Angleichung
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V135638
ISBN (eBook)
9783640437207
ISBN (Buch)
9783640437344
Dateigröße
510 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Assimilationstendenzen, Selbstdressur, Franz, Kafkas, Bericht, Akademie“
Arbeit zitieren
René Ferchland (Autor:in), 2009, Assimilationstendenzen und Selbstdressur in Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135638

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