Der Einfluss der „deutschen Sprache“ auf die Teilung des Frankenreiches


Hausarbeit, 2009

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Die Verduner Reichsteilung von
a. Teilungsobjekt (Das großfränkische Reich)
b. Teilungsverlauf
c. Ein Teilungsprodukt: Das Deutsche Reich?

III. Theodisca lingua
a. Ursprung im Dunkeln, Mündung im Deutschen
b. Britischer Erstbeleg
c. Fränkische Integrationspolitik
d. Kirchliche Sprachgrenzen
e. Italienische Substantivierung
f. Dichterische Freiheiten
g. Straßburger Eide

IV. Fazit und Ausblick

V. Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Der Frage nach dem Anfang kommt im geschichtswissenschaftlichen Diskurs stets eine besondere Rolle zu. Insbesondere die deutsche Geschichte hat eine bemerkenswerte Brandbreite „virtueller Anfangspunkte“ zu bieten. Von populärwissenschaftlichen Konstruktionen wie der Varusschlacht des neunten Jahres n. Chr. reicht das diesbezügliche Spektrum über kulturelle Ansatzpunkte, wie dem modernen Nationalbewusstsein von Romantik und Französischer Revolution, bis zur Reichsgründung vom 18. Januar 1871.

Auch eine Reihe von mittelalterlichen Ereignissen bieten sich als Beginn deutscher Geschichte an. Klassischerweise galt die Thronerhebung Heinrichs I. im Jahre 919 als „Gründung des Deutschen Reiches“, nicht zuletzt weil im konkurrierenden Gegenkönigtum des Baiernherzogs Arnulf womöglich erstmals der Begriff regnum teutonicum auftaucht.[1] Doch auch das Reich Heinrichs ist nicht ohne Vorgeschichte. In chronologischer Rückwärtsbewegung kommt man von ihm über das Jahr 911 mit der Wahl des ersten Nicht-Karolingers Konrads I. zum ostfränkischen König zu der Frage, wie denn dieses Gebilde, das zunächst ohne Karolinger, wenig später mit Sachsen an der Spitze regiert wurde und einst tatsächlich ein Reich „deutscher Nation“[2] werden sollte, entstanden ist. Unstrittig ist, dass es sich hier um Teilungsobjekt des regnum francorum handelt und auch, dass diese Teilung durch einen Vertrag zwischen verschiedenen karolingischen Thronanwärtern im Jahre 843 in Verdun eingeleitet wurde. Ob dessen Teilungsmodalitäten jedoch dem Zufall entsprangen oder wenn nicht, warum so und nicht anders aufgeteilt wurde, ist Gegenstand historischer Kontroverse. Die Suche nach Triebkräften der Reichsteilung schließt unseren Kreis der Anfangssuche. Denn sie wirft die Frage auf, ob eine deutsche Identität bereits vor 843 existierte und somit in der Lage gewesen wäre, die Reichsteilung zu intendieren. Abstrahiert ausgedrückt: Entsteht in einem Staat das Volk oder schafft sich ein Volk den Staat ? Letztere Ansicht war im Hinblick auf die Deutschen vor allem im Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhundert virulent. Seinerzeit identifizierte die Geschichtswissenschaft einige Kernvölker des neuen Ostreiches, zeitgenössische Gentes[3], die in der Retrospektive zu den „deutschen Stämmen“[4] wurden, nicht zuletzt, weil sich ihre Urenkel der Neuzeit so definier(t)en. Als Beleg dieser Sichtweise und gleichsam erstem Wort für „deutsch“ galt das Auftauchen einer lateinischen Sprachbezeichnung rund ein halbes Jahrhundert vor dem Teilungsvertrag: theodiscus. Auch wenn die heutige Geschichtswissenschaft diese Sichtweise in ihrer Absolutheit verworfen hat, ist die theodisca lingua ein ergiebiges Forschungsobjekt geblieben.

Diese im Rahmen des Hauptseminars „Die Auflösung des Karolingerreiches“ an der Universität Duisburg-Essen erstellte Arbeit möchte sich innerhalb der Möglichkeiten einer einfachen Seminararbeit an der Theodiscus -Diskussion beteiligen. Gegenstand der Untersuchung soll das Verhältnis der theodisca lingua zur Reichsteilung von Verdun sein. „War die theodisca lingua im Frankenreich ein Faktor der Teilung?“, lautet unsere Leitfrage.

Um das Verhältnis von Sprache und Teilung definieren zu können müssen logischerweise beide Komponenten beleuchtet werden. Neben der quellengestützten Untersuchung des Begriffskonstrukts theodiscus soll letztere daher überblicksartig und in dreierlei Hinsicht dargestellt werden: Neben dem Teilungsvorgang als solchen soll das zu teilende Frankenreich des ausgehenden achten und der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts und die grobe Struktur des aus der Teilung resultierenden Ostreiches rezipiert werden. Einem kurzen Exkurs zur Vor- und Nachgeschichte des Terminus theodiscus folgt dann die Untersuchung einer Auswahl an Quellen, in denen der Terminus vor der Reichsteilung verwendet wird. Dabei soll analysiert werden, ob und inwiefern die Verwendung dieses Begriffes die Teilung vorbereitet hat. Vorbereitung hieße in diesem Zusammenhang die Integration der östlichen Gentes des Frankenreiches bzw. deren (sprachliche) Absonderung vom Gesamtreich zu implizieren oder darauf abzuzielen. Dieser Blickwinkel steht bei der Betrachtung der Belege im Vordergrund. Quellen der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts sowie der nachkarolingischen Ära bleiben eingedenk dieser Fragestellung zunächst ausgeschlossen und ggf. weiterführenden Anschlussarbeiten überlassen. Eine neue Gesamt-Theorie zur Bedeutung von theodiscus kann daher hier nicht geleistet werden. Bestehende derartige Überlegungen werden aufgegriffen, wo diese im Sinne unserer Fragestellung bedenkenswert sind.

II. Die Verduner Reichsteilung von 843

a.) Teilungsobjekt (Das großfränkische Reich)

Als Höhepunkt der fränkischen Reichsgeschichte gilt nicht ohne Berechtigung die Ära Karl des Großen zwischen 768 und 814. Nach dem frühen Tod seines Bruders Karlmann herrschte dieser karolingische König seit Dezember 771 alleine über das Frankenreich. Die rund 42 Jahre ungeteilter Herrschaft nutzte er, um durch die mit langem Atem und äußerster Härte geführte Unterwerfung und Christianisierung der heidnischen Sachsen, die Erringung der Herrschaft über das Langobardenreich[5] und die Herabsetzung des Baiernherzogs Tassilo auf einen Vasallenstatus[6] „deutlich über die [bisherigen] [...] Reichsgrenzen auszugreifen“ [7]. Durch eine geschickte Personalpolitik in den eroberten Gebieten konnte er einerseits die „Entfaltungsmöglichkeiten der aristokratischen Anhängerschaft des regierenden Hauses“ [8] befriedigen und sich so deren Loyalität versichern, anderseits die angegliederten Völker in das Reich der Franken insofern integrieren, als dass deren Widerstand gegen die Einverleibung letztlich ohne Durchschlagskraft war. Auch die Pflege der überlieferten Kultur dieser Völker nach deren gewaltsamer Unterwerfung spielte hierbei eine Rolle.

Die historische Bedeutung Karls liegt indes weniger in der zeitgenössischen territorialen Ausdehnung des Frankenreiches, sondern vielmehr in dessen kultureller Blüte begründet, die neuzeitlich auch als Karolingische Renaissance bezeichnet wird. Der Frankenkönig förderte den (Wieder-)Aufstieg antiker Kultur, ein höheres Bildungsniveau sowie diverse allgemeine Modernisierungen.[9] Sein christliches Sendungsbewusstsein führte ihn zunehmend an die Seite der Römischen Kirche und des nicht unumstrittenen Papstes Leo II. Ein Machtvakuum im byzantinischen Reich, das seit dem Untergang des Weströmischen Reiches im fünften Jahrhundert alleiniger Träger der Römischen Reichsidee war, bot dem Bündnis aus Papst und Frankenkönig die Gelegenheit zum ideellen und machtpolitischen Coup: Am 25.12.800 krönte Leo in der Römer Peterskirche Karl zum Kaiser und bestätigte „die neue Einheit der abendländischen Völker, die das Werk Karls und seiner Vorfahren war“ [10]. Auf dem Zenit karolingischer Macht krönte Karl seinen Sohn Ludwig (genannt: der Fromme) eigenständig und in Aachen statt in Rom zum (Mit-)Kaiser. Dieser wurde 814 Nachfolger des verstorbenen Karl und beherrschte das Reich seines Vaters im nahezu gesamten Umfang.[11]

Karls Erbe an Ludwig bestand - neben der Sicherung weit ausgedehnter Außengrenzen, insbesondere gegen die beginnenden Eroberungsversuche der Normannen im Norden und der Sarazenen im Süden - in der Schwierigkeit, die Herrschaft gemäß karolingischem Erbrecht unter seinen Söhnen zu verteilen, ohne dabei den neuen imperialen Charakter des Reiches aufzugeben. Zentrales Dokument des Versuches, diese schwierige Aufgabe zu bewerkstelligen, ist die Ordinatio Imperi i[12] von 817. Die Ordinatio privilegierte Ludwigs erstgeborenen Sohn Lothar, dem neben der Kaiserwürde (die ihm wiederum eigenhändig vom Vater verliehen wurde) nach Ludwigs Tod auch die Gesamtführung des Reiches zufallen sollte. Die derart zu Unterkönigen degradierten weiteren Söhne Pippin, Ludwig und der nachgeborene Karl rebellierten in wechselseitigen Konstellationen gegen dieses Kalkül. Dabei kam es zweimal zur gewaltsamen Absetzung des eigenen Vaters. Derart düpiert reichte Ludwig des Frommen Autorität auch nach der zweiten Rückkehr an die Macht nicht mehr zur Durchsetzung (s)einer Nachfolgeregelung, die somit dem Spiel der Kräfte überlassen blieb.

b.) Teilungsverlauf

Der offene Machtkampf von Lothar, Ludwig und Karl (Pippin verstarb zwischenzeitlich) führte „anders als im 8. Jahrhundert [...] nicht mehr zum Sieg eines Einzelnen über seine Konkurrenten“ [13], sondern zu einer Machtteilung, deren grobe Struktur durch das zunehmende Eigengewicht von Teilreichen[14] und der dortigen Großen vorgezeichnet war. Ausgangspunkt für Ludwigs seit 833 beurkundeten Anspruch, rex orientalium Francorum[15] (König der Ostfranken) zu sein, war dessen Machtbasis Baiern. Lothars Kaiserwürde ließ die dafür essentielle Städtelandschaft[16] zu seinem Hauptinteresse werden. Karls Anspruch auf Aquitanien[17] (in etwa das heutige Südfrankreich) stellte die Vorzeichen auf westliche Herrschaft. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 840 fand der Bruderkampf seinen blutigen Höhepunkt 841 in Fontenoy.[18] Im Folgejahr verbündeten sich Ludwig und Karl in Straßburg gegen Lothar und machten ihm so seine privilegierte Stellung endgültig streitig.[19] Ein weiteres Jahr später, 843, „kamen bei Verdun, einer Stadt Galliens, die drei Könige im Monat August zusammen und theilten das Reich“ [20]. Dabei galt es, von den oben skizzierten Machtbasen ausgehend, die „staatstragende fränkische Mitte“ [21] unter den drei Aspiranten aufzuteilen. Diese machtpolitisch-ideellen Aspekte sowie Kriterien aus dem „wirtschaftspolitischen-, militär- und verwaltungstechnischen Bereich“ [22] intendierten eine Teilung entlang von Nord-Süd-Linien statt der bis dato eher üblichen West- Ost-Teilungen.[23] Dementsprechend entstand ein Mittelreich aus Italien und einem Streifen von dort bis Friesland für Kaiser Lothar, das Westfrankenreich Karls des Kahlen westlich einer Linie aus Rhone, Saône, Maas und Schelde, sowie das Ostfrankenreich, in dem Ludwig herrschen sollte: „Ludwig erhielt alles Gebiet jenseits des Rheines, auf der linken Seite des Stromes die Städte Speyer, Worms und Mainz...“ [24] Da rechtsrheinisch seit Caesars Zeiten aus galloromanischer Perspektive „Germanien“ lag, kam Ludwig II. in Westfranken zu der Bezeichnung rex germanorum, was ihm im 19. Jahrhundert den anachronistischen Titel „Ludwig der Deutsche“ bescherte.[25]

Zeitgenössisch wurde das Fränkische Reich, obwohl ihm fortan ein Gesamtherrscher fehlte, weiterhin als Einheit gedacht. Etwa hundert Herrschertreffen im neunten Jahrhundert zeugen vom Willen zur Gesamtverwaltung.[26] Nichtsdestotrotz stellte der Teilungsvertrag einen in seiner Wirkungskraft kaum zu überschätzenden Einschnitt dar. Denn während das Mittelreich sich im Folgenden weiter aufspaltete[27] und dann sukzessive dem Westen oder Osten wieder zufiel, sollte es zwischen West- und Ostfrankenreich zu keiner dauerhaften Reunion kommen.

[...]


[1] Vgl. Jakobs, Hermann,: Theodisk im Frankenreich. Heidelberg 1998, S.68 f.

[2] Das in Abgrenzung zum Deutschen Reich von 1871 auch als Altes Reich bezeichnete Gebilde trug zeitgenössisch den offiziellen Namen Sacrum Romanum Imperium Nationis Germanicæ (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation)

[3] Im Folgenden wird hierfür i.d.R. der Begriff Völker verwendet, vereinzelt und dort wo es der Zusammenhang als sinnvoll erscheinen lässt auch Gentes oder „Stämme“.

[4] Vgl. etwa die diversen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in: Eggers, Hans (Hrsg.): Der Volksname Deutsch. Darmstadt 1970.

[5] Die Langobarden, ursprünglich teilweise Sueben und Elbgermanen, hatten im sechsten Jahrhundert Teile Italiens erobert und dort ein eigenes Reich errichtet, das bis dato unabhängig geblieben war.

[6] Siehe unten, S. 13 f.

[7] Schieffer, Rudolf: Die Karolinger. Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S.74.

[8] Schieffer 1992, S.82.

[9] Etwa im Geld-, Gerichts und Heereswesen. Vgl. Schieffer 1992, S.96.

[10] Schieffer 1992, S.104.

[11] Ausnahme war zunächst Italien, siehe Anm. 101.

[12] Vgl. Lautemann/Schlenke (Hrsg.): Geschichte in Quellen. Mittelalter (Reich und Kirche), München 1978, S.107 ff.: Das Reichsteilungsgesetz Ludwig des Frommen, Juli 817.

[13] Schieffer 1992, S.139.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. Hlawitschka, Eduard: Vom Frankenreich zur Formierung der europäischen Staaten- und Völkergemeinschaft. Ein Studienbuch zur Zeit der späten Karolinger, der Ottonen und der frühen Salier in der Geschichte Mitteleuropas. Darmstadt 1986, S.77.

[16] Von Süden nach Norden: Rom, Ravenna, Mailand, Trier, Aachen.

[17] Der ihm allerdings von Ludwig des Frommen Enkel, Pippins I. Sohn Pippin II. streitig gemacht wurde.

[18] Vgl. Lautemann/Schlenke, S.117: Der Krieg der Brüder 841.

[19] Siehe unten, Kapitel III g).

[20] Zit. nach Rehdantz, Carl (Übers.): Die Jahrbücher von Fulda und Xanten, Berlin 1852, S.11.

[21] Hlawitschka 1986, S.77. Gemeint ist Machtzentrum fränkischer Herrschaft von der Ile de France im Westen über die erwähnten Kaiserstädte bis zum Rhein-Main-Gebiet im Osten.

[22] Hlawitschka 1986, S.78.

[23] Vgl. Fried, Johannes: Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024, Frankfurt a.M./Berlin 1994, S.377.

[24] Zit. nach Lautemann/Schlenke, S.120: Die Reichsteilung von Verdun, 843, Annales Bertiniani 843.

[25] Vgl. Schieffer 1992, S. 149, auch: Jakobs 1997, S.67/68.

[26] Vgl. Fried 1994, S.382.

[27] Lothar verfügte am Vorabend seines Todes in Prüm die weitere Teilung des Mittelreiches unter seinen Söhnen. Ludwig II. als Kaiser sollte über Italien herrschen, Karl wurde mit dem Rhoneland bedacht und Lothar II. erhielt die geographische „Kegelbahn“ im fränkischen Kerngebiet zwischen Westalpen und Nordsee. Dessen Lotharii Regnum sollte als Lotharingien (—* Lothringen) in die Geschichte eingehen. Vgl. Schieffer 1992, S.152.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss der „deutschen Sprache“ auf die Teilung des Frankenreiches
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Hauptseminar: Die Auflösung des Karolingerreiches, Dozent: Prof. Uwe Ludwig
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
27
Katalognummer
V135472
ISBN (eBook)
9783640438167
ISBN (Buch)
9783640438105
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einfluss, Sprache“, Teilung, Frankenreiches
Arbeit zitieren
Arno Barth (Autor:in), 2009, Der Einfluss der „deutschen Sprache“ auf die Teilung des Frankenreiches, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135472

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