Betroffenheit durch die Nähe zum Geschehen wecken?

Gedenkstättenbesuche


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in der BRD allgemein
2.1 Entwicklung von Gedenkstätten seit 1945
2.2 Formen von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in der BRD
2.3 Gedenkstätten und Gedenkstättenarbeit heute
3 Gedenkstättenbesuche mit Schülern

3.1 Lehrplan Geschichte
3.2 Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung eines Gedenkstätten besuches mit Schülern
3.3.1 Vorbereitung
3.3.2 Gedenkstättenbesuch
3.3.3 Nachbereitung
3.4 Wie reagieren Schüler auf Gedenkstättenbesuche?

4 Fazit

5 Bibliographie

1 Einleitung

Lange Zeit war Schule der einzige Ort, an der Geschichte gelernt wurde. Seit den späten 1970er Jahren treten neben der Schule immer deutlicher außerschulischen Lernorte und Lernsituationen hervor.[1] Unter dem Schlagwort „Geschichte vor Ort“ gibt es seit Mitte der 1990er Jahre eine gewisse Hinwendung zur Didaktik und Methodik des historischen Lernens an historischen Stätten.[2] Zu historischen Orten des 20. Jahrhunderts zählen unter anderem Konzentrations- und Außenlager, die heute in Form von Gedenkstätten an die dort stattfindenden grauenvollen Ereignisse während der NS-Zeit erinnern sollen.

Da immer mehr Schulklassen mit ihren Lehrern Gedenkstätten besuchen, stellt sich die Frage, ob Gedenkstätten durch die Nähe zum Geschehen bei Schülerinnen und Schülern[3] Betroffenheit wecken. Was müssen Lehrer bei der Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen beachten, wie kann ein Gedenkstättenbesuch mit Schülern in der Praxis aussehen und welches Ziel soll er erreichen? Letztlich stellt sich die Frage, wie Schüler auf Gedenkstättenbesuchen reagieren. Erleben sie den Besuch einer Gedenkstätte als bedrückend, erschreckend und traurig oder eher als langweilig oder auch als lehrreich und unbedingt notwendig?

Um diese Fragen beantworten zu können, wird zuerst darauf eingegangen, wie die Entwicklung von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in der BRD aussah und welche Formen von Gedenkstätten es gibt. Zudem wird in diesem ersten allgemeinen Teil auf die Gedenkstättenarbeit und auf die Träger heute eingegangen. In einem zweiten Teil wird die Gedenkstätte als außerschulischer Lernort beschrieben. Es wird dargestellt, welche Aussagen die Lehrpläne zu Gedenkstättenbesuchen mit Schülern treffen. Des Weiteren soll in einem ausführliches Beispiel erläutert werden, wie ein solcher Gedenkstättenbesuch Vor- und Nachbereitet werden kann und wie seine Durchsetzung zu realisieren ist. Anschließend wird darauf eingegangen, wie Schüler auf den Besuch einer KZ-Gedenkstätte reagieren. In einem abschließendem Fazit soll noch einmal auf die eingangs gestellten Fragen eingegangen werden.

2 Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in der BRD allgemein

2.1 Entwicklung von Gedenkstätten seit 1945

Bereits in den 1940er Jahren entstanden die ersten Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus in Polen und der damaligen Tschechoslowakei.[4] Schon im November 1944 eröffnete das Staatliche Museum Majdanek und ist somit die älteste KZ-Gedenkstätte.[5] 1947 folgten das Staatliche Museum Auschwitz und die Gedenkstätte „Terezi“.[6]

In der Bundesrepublik Deutschland verlief die Entwicklung von Gedenkstätten in mehreren Phasen. In einer ersten Phase wurden schon kurz nach Kriegsende Mahnmale für die Ermordeten in Form von Obelisken, Kreuzen, Mauern und kurzen Inschriften errichtet.[7] Das vordergründige Bedürfnis für die Einrichtung von Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern war es, die Erinnerung an die NS-Verbrechen präsent zu halten.[8] Einen Großteil der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wurde zu Beginn durch die Alliierten bestritten.[9] Als Beispiel für die Beschäftigung mit den NS-Verbrechen kann das KZ-Buchenwald angeführt werden.[10] In dieser frühen Phase der Konfrontation mit den nationalsozialistischen Verbrechen führten Überlebende Besucher durch das Lager und erklärten ihnen, was dort geschehen war.[11] Zudem wurden in einigen Bereichen Beschriftungen angebracht, wie „Place for children 5-15 years“ oder „6 men in each box“ und es wurden erschreckende Artefakte wie menschliche Präparate ausgestellt.[12] Des Weiteren demonstrierten Überlebende an den originalen Schauplätzen bspw. mit Galgen, Prügelblöcken und Peitschen an Strohpuppen, welche Qualen sie erleiden mussten.[13] Außerdem wurde versucht, den Zustand des Lagers so lange wie möglich so zu erhalten, wie er bei der Befreiung war, bspw. durch die Rekonstruktion von Leichenstapeln.[14] Am Anfang der „Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Verbrechen [stand] ein Geflecht von kriminologischen, museologischen und erzieherischen Praktiken.“[15]

Die Zeit von der Gründung der BRD bis in die Mitte der 1960er Jahre und somit die zweite Phase war geprägt durch Verdrängung.[16] Gedacht wurde in ritualisierter Form – wenn überhaupt - nur den Verschwörern des 20. Juli 1944, der kirchlichen Opposition, den Mitgliedern der „Weißen Rose“ und nur selten den jüdischen Verfolgten.[17] Demzufolge ist es wenig verwunderlich, dass in diesen Jahren nur zwei Gedenkstätten in der BRD entstanden – 1952 im ehemaligen Zuchthaus Plötzensee in Berlin die „Gedenkstätte für die Opfer der Hitlerdiktatur“ und 1955 in der Berliner Stauffenbergstraße die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“.[18]

Besonders wegen des Kalten Krieges versuchte man in dieser Phase die Spuren des Massensterbens sowjetischer Kriegsgefangener zu verwischen.[19] So wurden sogar Mahnmale, die 1945 überlebende Gefangene errichtet hatten, teilweise zerstört und auch durch Verweise auf die Vertreibung Deutscher durch die Sowjets ersetzt.[20] Besonders hier zeigt sich, in welchem Maße versucht wurde, die nationalsozialistischen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zu verdrängen.[21]

Die dritte Phase wurde Ende der 1950er Jahre eingeleitet durch die Entstehung der „Aktion Sühnzeichen“, durch die eine neue Art der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten entstand.[22] Hier standen, ausgehend von Kreisen der evangelischen Kirche, die Begriffe „Gewissen“, „Schuld“, „Sühne“ und „Vergebung“ im Mittelpunkt.[23] Besonders junge Deutsche wurden aufgefordert, „[…] in den zwischen 1933 und 1945 von NS-Deutschland unterdrückten und ausgeplünderten Ländern sowie in Israel durch konkretes Tun ein Zeichen der Sühne für die NS-Verbrechen zu setzen.“[24]

In diese dritte Phase fallen auch die Studentenunruhen der späten 1960er Jahre.[25] Bei ihrer Suche nach einer neuen historischen Identifikationen wandten sich die Studenten vom bürgerlich-konservativen Widerstand ab und identifizierten sich mit dem Antifaschismus der deutschen Arbeiterbewegung, der schon vor 1933 die Gefahr eines Krieges durch Hitler sah.[26]

Die letzte Phase der Gedenkstättenentwicklung in der BRD spiegelt wider, dass sich die Perspektive der deutschen Gedenkstätten erweitert hat.[27] Stärker denn je wird sich heute auch auf die „vergessenen Opfer“ der NS-Verfolgung konzentriert.[28] Dennoch ist der nationalsozialistische Völkermord an den Juden bisher in Deutschland an den „Orten der Täter“ nur selten in Form von Gedenkstätten dokumentiert.[29] Die Ermordung der Juden in den bundesdeutschen Gedenkstätten bildet bisher besonders eine untergeordnete Rolle, da die großen Konzentrationslager überwiegend in den besetzten osteuropäischen Ländern, besonders in Polen, errichtet wurden.[30] Die Vernichtungslager in Deutschland dienten mehr der Festigung des NS-Regimes durch Gewalt gegen seine Gegner, als dem Mord an den Juden.[31]

2.2 Formen von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in der BRD

Man kann Gedenkstätten nach vielen verschiedenen Merkmalen unterscheiden, wie Entstehungsdatum, Präsentationsformen oder auch nach der Nachkriegsnutzung des jeweiligen Terrains. Zimmermann hebt als ein wichtiges Merkmal der Unterscheidung die Funktion des Geländes oder des Gebäudes heraus, die es während der NS-Zeit hatte. Daraus ergibt sich folgende Unterscheidung:[32]

- Stätten des SS-, Gestapo- und Justizterrors;
- Orte des deutschen politischen Widerstandes;
- Konzentrationslager mit Internierung politischer Gegner nach 1933;
- Konzentrationslager, die ab 1937/1938 Lager für hunderttausende Häftlinge aus verschiedenen Ländern dienten;
- KZ-Außenlager und sonstige Zwangsarbeitslager;
- Friedhöfe (besonders für sowjetische Kriegsgefangene);
- „Arbeitserziehungslager“, die zur terroristischen Disziplinierung von meist ausländischen Arbeitern dienten oder auch als „Jugendschutzlager“ deutscher Jugendlicher fungierten;
- Stätten der „Euthanasie“;
- Zentren „vormals jüdischen Lebens“.[33]

[...]


[1] Vgl. Mayer, Ulrich, Historische Orte als Lernorte, in: Mayer, Ulrich, Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Taunus 2004, S. 389.

[2] Vgl. Mayer, S. 389.

[3] Im Folgenden wird der Einfachheit halber nur von Schülern (analog Lehrern) gesprochen, ohne dabei das weibliche Geschlecht zu vernachlässigen.

[4] Vgl. Kuhls, Heike, Erinnern lernen? Pädagogische Arbeit in Gedenkstätten, Münster 1996, S.12.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. Zimmermann, Michael, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, in: Bergmann, Klaus/ Fröhlich, Klaus/ Kuhn, Annette/ Rüsen, Jörn/ Schneider, Gerhard (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. überarbeitete Auflage, Seelze-Velber 1997, S. 754.

[8] Vgl. Mußmann, Olaf, Die Gestaltung von Gedenkstätten im historischen Wandel, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.), Museale und mediale Präsentationen in KZ-Gedenkstätten, Bremen 2001, S. 14.

[9] Vgl. Kuhls, S. 13.

[10] Vgl. Knigge, Vollhard, Gedenkstätten und Museen, in: Knigge, Volhard/ Frei, Norbert (Hrsg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, Bonn 2005, S. 398.

[11] Vgl. ebd., S. 398 f.

[12] Vgl. ebd., S. 399.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. ebd.

Weitere solcher Beispiele lassen sich auch bei Kuhl (S. 13) finden. Hier wird z.B. das „Sühnebegräbnis“ in Wewelsburg beschrieben.

[15] Siehe Knigge, S. 399.

[16] Vgl. Kuhls, S. 13.

[17] Vgl. Zimmermann, S. 754 f.

[18] Vgl. Kuhls, S. 14.

[19] Vgl. Zimmermann, S. 755.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. ebd.

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. ebd.

[24] Siehe ebd.

[25] Kuhls, S. 17.

[26] Vgl. ebd.

[27] Vgl. Zimmermann, S. 756.

[28] Vgl. ebd.

[29] Vgl. ebd.

[30] Vgl. Heyl, Matthias, Erziehung nach Auschwitz – Eine Bestandaufnahme. Deutschland, Niederlande, Israel, USA, Hamburg 1997, S. 251.

[31] Vgl. ebd.

[32] Vgl. Zimmermann, S. 753.

[33] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Betroffenheit durch die Nähe zum Geschehen wecken?
Untertitel
Gedenkstättenbesuche
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Veranstaltung
Das Unfassbare vermitteln – Genozid als Thema des historischen Lernens
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V135463
ISBN (eBook)
9783640437832
ISBN (Buch)
9783640438037
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Unter anderem werden folgende Fragen behandelt: Wie kann ein Gedenkstättenbesuch mit Schülern aussehen? Wie sollte er vor- und nachbereitet werden? Welchen Zweck verfolgt er?
Schlagworte
Gedenkstätte, Gedenkstättenbesuche, Betroffenheit, Geschichtsdidaktik, Geschichtsunterricht
Arbeit zitieren
Julia Leschhorn (Autor:in), 2006, Betroffenheit durch die Nähe zum Geschehen wecken? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135463

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