Allerleirauh - Ein Märchen in unterschiedlichen Fassungen


Hausarbeit, 2006

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt:

1) „Es war einmal…“ und ist womöglich immer noch? Aktualität und Lehrhaftigkeit von Märchen

2) KHM Ein Märchen im Wande

3) Der Cinderella-Zyklus Allerleirauh im Kontext artverwandter Märchen

4) Allgemeines zum Aufbau von Allerleirauh Merkmale des Volksmärchens

5) Allerleirauh 1857 Die Ausgabe letzter Hand

6) Allerlei-Rauh 1812 Die Erstausgabe

7) Resümee

Literaturverzeichnis

1) „Es war einmal…“ und ist womöglich immer noch? Aktualität und Lehrhaftigkeit von Märchen

Märchen sind etwas, das von vergangenen Zeiten erzählt und nicht mehr zeitgemäß ist. Märchen sind nichts für Kinder, weil sie zu brutal und grausam sind. So oder ähnlich argumentieren viele. Doch woher kommen solche Pauschalurteile? Offensichtlich ist vielen nicht bewusst, was Märchen eigentlich sind und welchem Zweck sie dienen. Märchen sind Lehrstücke, und enthalten wertvolles Wissen über Sachverhalte, die uns alle betreffen können. Dass das nicht nur angenehme Erfahrungen sind, sondern oftmals erschütternde, liegt auf der Hand. Man soll etwas lernen von Märchen, aus dem Menschheitswissen, das hier angesammelt wurde.

Märchen sind nicht unumstritten, sie polarisieren stark. Und sie prägen auch. Fragt man im Familien- und Freundeskreis nach, so gibt es sowohl Lieblingsmärchen als auch ungeliebte Märchen, wobei die Gründe für Präferenz bzw. Ablehnung unterschiedlich sind. Die Lieblingsmärchen sind meist die, die quasi jedermann nennen kann, wenn man nach Märchen fragt. Diese Märchen von Grimm, Andersen, Hauff oder Bechstein findet man dann auch in diversen Auswahlsammlungen, durch die sie von Generation zu Generation weiter getragen werden. Doch was ist mit Märchen, die nicht in solchen „Best of – Zusammenstellungen“ auftauchen? Geraten sie in Vergessenheit? Wer besitzt schon Gesamtausgaben und liest dann auch noch regelmäßig Märchen? Denn eins ist klar: Die ursprünglich mündliche Überlieferung ist längst passé und „unser Märchenerlebnis beruht fast ausschließlich auf schriftlicher Überlieferung“.[1]

„Das Märchen ist ursprünglich von Erwachsenen für Erwachsene erzählt worden.“[2] Erst mit der Zeit wurde es vornehmlich Kindern erzählt. Der Wandel des Publikums, wie auch der Wandel von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit könnten Auslöser dafür gewesen sein, die Ursprungsmärchen zu verändern, sie quasi dem Zielpublikum anzupassen. „Die besondere Wirksamkeit der Märchenbilder und Handlungskonstellationen auf Kinder“[3] ist gewiss unbestreitbar, und der lehrreiche Effekt, den Märchen erzielen sollen, seit dem 18. Jahrhundert mit seinem aufstrebenden Bildungsbürgertum mehr als intendiert. Nicht umsonst nannten die Gebrüder Grimm ihre Märchensammlung Kinder- und Hausmärchen.

Die ursprüngliche Intention von Märchen ist, nicht bloß zu unterhalten, sondern zu lehren, zu helfen und zu warnen.[4] Neben dieser didaktischen Funktion „enthalten Märchen Anweisungen, Ängste und Schrecken zu verarbeiten, die sich bei der menschlichen Entwicklung ergeben“.[5] Dem Rezipienten sollen Probleme aufgezeigt und mögliche Lösungen angeboten werden; das Unaussprechliche soll Gehör finden. Denn durch Märchen lernt das Kind spielerisch mit alterstypischen Konflikten umzugehen und bekommt Strategien zur Problemlösung an die Hand. Scheinbar ist es die Konkurrenz der Konflikte im Märchen und die im Leben des Kindes, die die Märchen so attraktiv machen. Märchen gründen sich nun einmal auf Dinge, die das alltägliche Leben der Menschen bestimmen, was ihre Universalität unterstreicht. Oft assoziiert man mit Märchen nur etwas Magisches, Unrealistisches, das zudem immer glücklich endet. Dabei gibt es genügend Beispiele für Problematiken und Verhaltensweisen in Märchen, die alles andere als magisch und realitätsfern sind, so auch unser vorliegendes Exempel Allerleirauh. Wie die Dinge sein sollen und wie die Dinge tatsächlich sind, zwischen diesen Entitäten klafft nicht selten eine Lücke.

2) KHM 65 Ein Märchen im Wandel

Ich habe mir zur genaueren Betrachtung ein Grimmsches Märchen ausgesucht, das eher in die Kategorie der ungeliebten Märchen fällt. Das tut es, weil es eine Thematik behandelt, die gern totgeschwiegen wird: Inzest. Doch angesichts der heutigen Situation, wo man kaum die Zeitung aufschlagen oder die Nachrichten einschalten kann, ohne von Kindesmissbrauch zu lesen bzw. zu hören, scheint es mir angebracht, mich mit einem Text zu beschäftigen, der durch seine Darbietungsform so realitätsfern scheint, durch seinen Inhalt jedoch so realitätsnah ist.

Das Märchen, um das es geht, ist Allerleirauh, offiziell Märchen Nr. 65 in Grimms Kinder- und Hausmärchen. Ich kenne dieses Märchen seit meiner Kindheit und mochte es, weil Titel und Symbolik mich ansprachen. Den Inhalt begriff ich als Kind noch nicht, denn niemand hatte mir erklärt, was es mit dem Märchen auf sich hat. Das kann man aus heutiger Sicht vielleicht bemängeln, aber ich denke, dass Eltern zwar aufklären sollen, dieser spezielle Fall allerdings Probleme bereiten dürfte. Anstatt also Vorwürfe laut werden zu lassen, werde ich nun meinerseits versuchen, besagtes Märchen zu erläutern. Zu diesem Zweck werde ich mich vorrangig an die heute noch geläufige und publizierte Form aus der Ausgabe letzter Hand halten, diese aber mit der Version aus der Ausgabe erster Hand vergleichen, denn es hat dort eine interessante Entwicklung stattgefunden.

Allerleirauh tauchte bereits in der Erstausgabe der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen von 1812 auf, wurde aber bis zur Ausgabe letzter Hand von 1857, die heute noch gilt, inhaltlich verändert. „Nicht nur der Wortlaut des Allerleirauh - Märchens, sondern auch der Sinn des Textes wird über die verschiedenen Fassungen einem Wandel unterzogen.“[6] „Mutationen sind beim Übergang von den handschriftlichen zu den gedruckten Märchenfassungen die Regel“[7], hier jedoch wurde, um den bürgerlichen Normen Genüge zu tun und das Märchen abzumildern, d.h. die Unglaublichkeit der Begebenheit dem Rezipienten nicht so unvermittelt zuzumuten, inhaltlich verändert. Die Version der Ausgabe letzter Hand deckt sich in einigen entscheidenden Punkten nicht mehr mit der Version der ersten Auflage. Warum ist das so? Was genau wurde verändert? Ist die Verständlichkeit dabei möglicherweise auf der Strecke geblieben? Diesen Fragen möchte ich nachgehen.

3) Der Cinderella-Zyklus Allerleirauh im Kontext artverwandter Märchen

Allerleirauh gehört als Märchen in den so genannten Cinderella-Zyklus, der weltweit verbreitet ist und den vielleicht beliebtesten Märchenkreis überhaupt darstellt.[8] Hauptsächlich die südeuropäische Überlieferung, aber auch ganz Europa, vereinzelt Asien, Afrika und Brasilien kennen AaTh 510B.[9] Im Gegensatz zu Aschenputtel stellt Allerleirauh allerdings eine Variante des Märchentyps dar, die sich nicht unbedingt großer Beliebtheit erfreut. Die Abweichung ist im Grunde minimal, betrachtet man die Märchenkategorien nach Aarne und Thompson[10], doch sie scheint gravierend. Der Stoff selbst verfügt über starke Wirklichkeitsbezüge, die eine direkte Identifikation der Rezipienten ermöglichen, unabhängig von kultureller Zugehörigkeit[11], und gehört, besonders durch die rational erklärte Herkunft der Gaben, eher zu den Novellenmärchen[12]. Als Entstehungszeit wird das Mittelalter vermutet, denn die Vorgeschichte mit dem Inzestmotiv ist seit 1200 in abendländischen Dichtungen häufig als selbstständiges Thema behandelt worden.[13]

[...]


[1] Scherf, Walter: Lexikon der Zaubermärchen, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1982, Einleitung.

[2] Richter, Dieter und Johannes Merkel: Märchen, Phantasie und soziales Lernen, Basis-Verlag, Berlin 1974.

[3] URL: <http://www.jugendliteratur.net/download/kirsch.pdf>

[4] Vgl. Pilinovsky, Helen: Donkeyskin, Deerskin, Allerleirauh: The Reality of the Fairy Tale, 2001. URL: <http://www.endicott-studio.com/rdrm/fordnky.html>

[5] Bühler, Charlotte und Josephine Bilz: Das Märchen und die Phantasie des Kindes, Springer, Berlin 1977.

[6] Ikeda, K.: Die Entstehung des KHM 65 Allerleirauh. Eine progressive Annäherung an den Cinderella-Stoff in Doitsu bungaku, H. 86. Tokyo 1991, S. 124.

[7] Rölleke, Heinz : Die Märchen der Brüder Grimm – Eine Einführung, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 2004, S.40-41.

[8] Vgl. Ranke, Kurt: Enzyklopädie des Märchens, Bd.3, de Gruyter, Berlin 1981, S.39.

[9] Ibid, S.43.

[10] Aaarne, Antti and Stith Thompson: The Types of the Folk-tale: A Classification and Bibliography, Suomalainen Tiedeakatemia, Helsinki 1928, S.81-82.

[11] Vgl. Ranke, Kurt: Enzyklopädie des Märchens, Bd.3, de Gruyter, Berlin 1981, S.39.

[12] Ibid, S.43.

[13] Ranke, Kurt: Enzyklopädie des Märchens, Bd.3, de Gruyter, Berlin 1981, S.44.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Allerleirauh - Ein Märchen in unterschiedlichen Fassungen
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Germanistik)
Veranstaltung
Volksmärchen, Kunstmärchen und fantastische Literatur im Deutschunterricht
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V135451
ISBN (eBook)
9783640437795
ISBN (Buch)
9783640438068
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Allerleirauh, Märchen, Fassungen
Arbeit zitieren
Magister Artium Susanne Krebs (Autor:in), 2006, Allerleirauh - Ein Märchen in unterschiedlichen Fassungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135451

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