Läuft die Uhr ab? Die Systemstabilität der Demokratischen Volksrepublik Korea in vergleichender Perspektive


Magisterarbeit, 2009

147 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Methodik und Vorgehensweise
1.3 Aufbau

2 Theoretischer Rahmen
2.1 Eingrenzungen und Begriffsbestimmungen
2.2 Ursachenkomplexe für Systemwechsel nach Huntington, Linz und Merkel
2.2.1 Samuel P. Huntington
2.2.2 Juan J. Linz
2.2.3 Wolfgang Merkel
2.2.4 Zusammenfassung und Anpassung auf den Fall Nordkorea
2.3 Exkurs Legitimität
2.4 Die Handlungsdimension

3 Die Literatur zur Stabilität Nordkoreas seit Ende des Kalten Krieges
3.1 1990 - 1994
3.1.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht
3.1.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht
3.1.3 Literatur ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität und Instabilität
3.2 1995 – 1997
3.2.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht
3.2.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht
3.2.3 Literatur ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität der Instabilität
3.3 1998 – 2003
3.3.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht
3.3.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht
3.3.3 Literatur ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität und Instabilität
3.4 Literatur seit 2004
3.4.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht
3.4.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht
3.4.3 Literatur, ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität bzw. Instabilität
3.5 Zusammenfassung

4 Ursachenbündel der Systemstabilität Nordkoreas
4.1 Politische Schlüsselereignisse
4.1.1 Erneuerung der politischen Führung
4.1.2 Spaltung der Eliten
4.1.3 Zusammenfassung
4.2 Rückgang der Effektivität
4.2.1 Effektivität der politischen Institutionen
4.2.2 Ökonomische Effektivität
4.2.2.1 Die Ökonomische Entwicklung der DVRK bis Ende des Kalten Krieges
4.2.2.2 Die Hungersnot von 1994 – 1998 und ihre Folgen
4.2.2.3 Produktion und Außenhandel
4.2.2.4 Die Reformen von 2002, Auswirkungen und Aussichten
4.2.2.5 Die soziale Situation
4.2.2.6 Kooperationsprojekte mit Südkorea und Sonderwirtschaftszonen
4.2.2.7 „Kreative“ Einnahmequellen: Illegale Aktivitäten und Waffenhandel
4.2.3 Zusammenfassung
4.3 Legitimität
4.3.1 Die Juche-Ideologie
4.3.2 Legitimation durch das Charisma des Führers
4.3.3 Komplementäre Mittel zur Stärkung der Legitimität
4.3.4 Zusammenfassung
4.4 Internationale Situation
4.4.1 Beziehungen zu anderen Staaten während des Kalten Krieges
4.4.2 Innerkoreanische Beziehungen
4.4.3 Die Beziehungen zu den USA
4.4.4 Die Beziehungen zu China
4.4.5 Die Beziehungen zu Russland
4.4.6 Die Beziehungen zu Japan
4.4.7 Zusammenfassung

5 Eine Überlebensstrategie Nordkoreas?

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: BIP-Wachstum Nordkoreas

Abbildung 2: Handel zwischen Südkorea und Nordkorea

Abbildung 3: Handel zwischen China und Nordkorea

Abbildung 4: Handel zwischen Russland und Nordkorea

Abbildung 5: Handel zwischen Japan und Nordkorea

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die Situation auf der Koreanischen Halbinsel scheint heute vielen wie ein Relikt des Kalten Krieges. Noch immer stehen sich an der Demilitarisierten Zone (DMZ) zwischen der Republik Korea und der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK)[1] Truppen beider Staaten sowie der USA gegenüber. Die Existenz eines physisch geteilten Landes, dessen Spaltung auf einem Systemgegensatz beruht, erscheint gerade in Deutschland, das in diesem Jahr den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls zwischen Ost- und Westdeutschland feiert, wie ein Anachronismus.

Dabei stellt vor allen Dingen das Regime Nordkoreas, dessen Verhalten noch heute in vielerlei Hinsicht an den Kalten Krieg erinnert, die Wissenschaft, aber auch die politischen Entscheidungsträger in aller Welt, immer wieder vor Rätsel. Geschüttelt von einer Wirtschafts- und Ernährungskrise, die die wirtschaftliche Entwicklung des Landes um Jahre zurückwarf und zum Hungertod von vielen hunderttausend Menschen führte, geschwächt durch den Tod des übermächtigen Ewigen Führers, in der Welt weitgehender Isolation ausgeliefert und einem Konflikt mit der einzig verbliebenen Großmacht, den USA, ausgesetzt, gelang es dem Regime zu überleben. Die Nachfolge Kim Jong Ils auf seinen Vater war erfolgreich, Nordkorea konnte den wirtschaftlichen Niedergang und die Hungersnot bremsen und es gelang trotz des andauernden Widerstandes der internationalen Gemeinschaft unter Führung der USA, das eigene Nuklearprogramm soweit zu entwickeln, dass 2006 ein zumindest teilweise erfolgreicher Test einer Nuklearwaffe durchgeführt werden konnte. Allerdings warfen im September 2008 Nachrichten über einen Schlaganfall Kim Jong Ils, des übermächtigen Führers Nordkoreas, erneut Fragen hinsichtlich der Stabilität des Landes auf. Trotzdem gingen in jüngster Vergangenheit mit den Wahlen zur Obersten Volksversammlung und dem Test einer Taepodong-2 Interkontinentalrakete Zeichen der Stärke und Selbstsicherheit von Nordkorea aus.

Aus der Frage, wie es das Regime bisher schaffte und weiterhin schafft unter solch widrigen Bedingungen zu bestehen und dabei sogar noch nationale Projekte, wie sein Nuklearprogramm, voranzutreiben und ob das Regime auch weiterhin die Möglichkeiten besitzen wird, sein Bestehen zu sichern, ergeben sich für die Staaten der Region, aber auch darüber hinaus, bedeutende Konsequenzen. Hier seien nur die Themen nukleare Proliferation, eine mögliche Wiedervereinigung Koreas und eine eventuelle Destabilisierung der Region durch Flüchtlingswellen oder einen aufbrechenden Konflikt auf der Koreanischen Halbinsel genannt.

1.1 Fragestellung

Diese Magisterarbeit beschäftigt sich allgemein mit der Systemstabilität Nordkoreas. Dabei soll geklärt werden, was die Ursachen für das Fortbestehen des nordkoreanischen Systems, trotz der vielfältigen Krisenerscheinungen und potentiell destabilisierenden Ereignissen und Umständen sind. Dazu untersucht diese Arbeit den Einfluss verschiedener, relevanter Ursachenkomplexe, die für Systemwechsel verantwortlich gemacht werden, auf die Stabilität des nordkoreanischen Systems. Im Zusammenhang damit werden die Vorgehensweisen und Methoden beschrieben, mit denen Nordkorea auf eventuell destabilisierende Wirkungen im Bereich dieser Faktoren reagierte und reagiert.[2] Diese Methoden und Vorgehensweisen sollen außerdem darauf geprüft werden, ob sie zusammengefasst den Charakter einer übergeordneten "Überlebensstrategie" besitzen, auf die das nordkoreanische Regime zur Stabilisierung des Systems zurückgreift. Sollte Nordkorea eine Überlebensstrategie verfolgen, wird diese kurz dargestellt und erklärt.

Da die Feststellung einer eventuellen Strategie nur durch die Beobachtung einer weiter gefassten Zeitspanne möglich ist,[3] soll die Phase seit dem Ende des Kalten Krieges betrachtet werden. Die gewählte Episode ist in diesem Rahmen sinnvoll, da seit Anfang der 1990er Jahre wichtige Veränderungen auf einer Vielzahl von Gebieten eintraten. Hierzu zählen der Niedergang der Sowjetunion, die sich verschärfende Wirtschaftskrise und der Tod Kim Il Sungs 1994. All diesen Ereignissen ist ein hohes Maß an Bedeutung für die Stabilität des nordkoreanischen Systems zuzuschreiben.[4] Sollte heute eine Überlebensstrategie bestehen, so muss sie seit den oben beschriebenen Geschehnissen entstanden sein. Denn selbst wenn schon vor diesen Ereignissen eine genuine Überlebensstrategie bestanden hat, so hätte diese danach an die neuen Bedingungen angepasst, möglicherweise sogar eine vollkommen neue Strategie entwickelt werden müssen. Allerdings werden, wenn dies zur Erklärung bestimmter Sachverhalte und Vorgehensweisen Nordkoreas notwendig ist, auch über diese Zeitspanne hinausgehende Elemente einfließen. Folglich lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit:

Wie wirken strukturelle „Ursachenkomplexe für Systemwechsel“ auf die Systemstabilität Nordkoreas, welche Maßnahmen werden ergriffen um Instabilität entgegenzuwirken und haben diese Maßnahmen den Charakter einer genuinen Überlebensstrategie?

1.2 Methodik und Vorgehensweise

Die Beantwortung von Fragen zur Systemstabilität autoritärer Staaten stellt methodisch ein kompliziertes Unterfangen dar, weil die Ursachen für einen Systemwechsel erst durch eine konkrete Analyse jenes Systemwechsels erforscht werden können.[5] In dem hier untersuchten Fall ist der Systemwechsel jedoch nicht vollzogen. Eine wirkliche Erfassung der Stabilität des Staates ist also erst dann möglich, wenn das Ende des alten Systems bereits eingetreten ist. Daher ist es notwendig die möglichen Ursachen für das Ende des bestehenden Systems zu identifizieren und diese daraufhin zu prüfen, inwiefern von diesen Ursachen Instabilität ausgeht oder ausgehen kann, die einen Systemwechsel nach sich ziehen könnte. Die Gefahr der Instabilität des Systems folgt also aus dem Vorhandensein solcher Ursachen. Liegen keine der in der Literatur beschriebenen Ursachen für Systemwechsel vor, so ist die Wahrscheinlichkeit für einen solchen relativ gering.

In der Geschichte gab es eine Vielzahl von Systemwechseln die wissenschaftlich erforscht wurden, wobei diese jeweils auf für den Fall spezifischen Ursachen beruhten. Allerdings ergab sich aus der Erforschung dieser Systemwechsel eine Reihe von idealtypischen Ursachenkomplexen, die allgemein für Systemwechsel verantwortlich gemacht werden können und die in ihrer Gesamtheit die Gründe für Systemwechsel weitestgehend abdecken.[6] Natürlich ist nicht die Prüfung aller existierenden Ursachenkomplexe im vorliegenden Fall interessant, da manche dieser Komplexe schlicht nicht mit den in Nordkorea herrschenden Umständen in Verbindung stehen. Daher werden aus den in der Literatur beschriebenen Ursachenkomplexen diejenigen ausgewählt, die den Fall Nordkoreas zutreffend beschreiben.[7]

Die Tatsache, dass die Gründe für den Niedergang eines Systems und der Grad ihrer Stabilität effektiv erst beschrieben werden können, wenn das System zugrunde gegangen ist, spiegelt sich auch in der Literatur wieder, die die Systemstabilität Nordkoreas thematisiert. Hier findet sich eine Vielzahl von Erklärungsansätzen und Thesen zur Systemstabilität Nordkoreas. Dabei wird oft von verschiedenen Annahmen über Ursachenkomplexe für eine mögliche Instabilität Nordkoreas ausgegangen und auch hinsichtlich der Handlungsoptionen, die dem nordkoreanischen Regime zur Verfügung stehen, existieren verschiedene Auffassungen. Zur weiteren Einordnung der vorher identifizierten Ursachenkomplexe und möglicher Handlungsoptionen oder gar Strategien des nordkoreanischen Regimes wird daher ein Überblick über verschiedene Ursachenkomplexe und Handlungsoptionen in der Literatur, die sich mit der Stabilität des nordkoreanischen Systems befassen, gegeben. Weiterhin kann diese eingehende Darstellung des Forschungsstandes dazu dienen, eigene Wahrnehmungen hinsichtlich möglicher Strategien zu schärfen oder zu falsifizieren.

Die für den nordkoreanischen Fall zutreffenden Ursachenkomplexe werden dann im Folgenden daraufhin untersucht, inwiefern von ihnen destabilisierendes Potential ausgeht und welche Maßnahmen ergriffen werden, um einer Destabilisierung vorzubeugen. Die hier in den verschiedenen Ursachenkomplexen identifizierten Maßnahmen können dann daraufhin überprüft werden, ob sich aus ihnen im Falle Nordkoreas eine genuine Überlebensstrategie ergibt, oder ob das Vorgehen Nordkoreas zur Erhaltung der Stabilität auf Entscheidungen beruht, die den Bedürfnissen in den verschiedenen potentiell destabilisierenden Feldern entsprechend, eher ad hoc getroffen wurden. Die Darstellung der Ursachenkomplexe, der Methoden und Vorgehensweisen Nordkoreas erfolgt mit Hilfe einer kritischen Literaturanalyse.

1.3 Aufbau

Nach der Einleitung wird im zweiten Kapitel der theoretische Rahmen bestimmt, in dem sich die Analyse zur Systemstabilität Nordkoreas bewegt. Nach der Bestimmung von für die Arbeit bedeutenden Begriffen, werden Ursachenkomplexe, die zu Systemwechseln führen können nach Samuel Huntington, Juan Linz und Wolfgang Merkel dargestellt, verglichen, zusammengefasst und für den Fall Nordkorea angepasst. Der Bedeutung von Legitimität für die Stabilität von politischen Systemen wird Rechnung getragen, indem ein kurzer Exkurs zu diesem Thema folgt. Hier wird die Bestimmung der Legitimität nach Seymour Martin Lipset zugrundegelegt, die durch das Konzept der Legitimation durch Charisma nach Max Weber und durch die Möglichkeit der Aufteilung von Legitimität erweitert wird. Darauf folgend wird näher auf die Handlungsdimension eingegangen und es wird in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Strategie Bezug genommen.

Darauf folgt im dritten Kapitel eine Darstellung der Literatur zum Thema Systemstabilität seit 1990. Diese erhebt bei der immer unüberschaubarer werdenden Menge von Aufsätzen und Büchern zu diesem Thema keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll vielmehr einen Überblick über die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Herangehensweisen an diese Thematik gewähren und weiterhin zur Fundierung der Ursachenkomplexe und Handlungsoptionen beitragen. Zur besseren Übersichtlichkeit ist dieses Kapitel im zeitlichen Verlauf in vier Episoden aufgeteilt, die sich an Ereignissen orientieren, die für die Einschätzung der Stabilität des nordkoreanischen Systems bedeutsam waren. Die Periode von 1990 bis 1994 deckt grob die Zeitspanne zwischen dem Niedergang des Ostblocks und dem Tod Kim Il Sungs ab. In der Zeit zwischen 1995 und 1997 erreichten die Wirtschaftskrise und die Hungersnot ihren Höhepunkt, während Kim Jong Il offiziell noch nicht die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte. Von 1998 bis 2003 kam es zu einer Verbesserung der Beziehungen Nordkoreas mit mehreren Staaten der Region sowie den USA und zu einer leichten Entschärfung der wirtschaftlichen Situation. Die Phase seit 2004 schließlich ist geprägt von der Verschärfung des zweiten Nuklearkonfliktes und der Sechs-Parteien-Diplomatie im Zusammenhang mit diesem Thema. Weiterhin sind die nach den Zeitspannen unterteilten Zusammenfassungen der Literatur grob unterschieden nach den jeweiligen Einschätzungen der Autoren hinsichtlich der Systemstabilität Nordkoreas. Hier wird unterschieden zwischen Autoren, die von einer relativen Instabilität des Systems ausgehen, solchen, die eine grundlegende Stabilität ausmachen und Autoren, die hinsichtlich der Stabilität keine klare Aussage treffen oder sie davon abhängig machen, welche ihm zur Verfügung stehende Handlungsalternativen das Regime wählt. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Beschreibung der im theoretischen Teil identifizierten Ursachenkomplexe, die eine Instabilität des Systems bewirken könnten und den durch Pjöngjang gewählten Maßnahmen zur jeweiligen Problembehebung. Bevor dabei auf die konkreten Komplexe eingegangen wird, wird anhand von Beispielen anderer Staaten illustrierend dargestellt, wie sich die bereits identifizierten Faktoren auf die Systemstabilität autoritärer Staaten auswirken können. Abgeschlossen wird die Beschreibung der jeweiligen Ursachenkomplexe durch eine Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse.

Der erste Ursachenkomplex, der allgemein auf „politische Schlüsselereignisse“ eingeht, bezieht sich vor allem auf die Erneuerung der politischen Führung, wobei sowohl die Staatsspitze, als auch die staatstragenden Eliten gemeint sind, sowie auf eine mögliche Spaltung dieser Eliten. Darauf folgt die Erläuterung der „Effektivität des politischen Systems“. Hier wird wiederum unterschieden zwischen ökonomischer und politischer Effektivität, wobei politische Effektivität vor allem das Funktionieren der politischen Institutionen in der Wahrnehmung der nordkoreanischen Gesellschaft betrachtet. Dabei ist der Bereich der ökonomischen Effektivität wiederum in die verschiedenen, in diesem Zusammenhang bedeutenden Felder aufgegliedert. Darauf folgend wird die Legitimität nach Lipset betrachtet, wobei verschiedene Quellen derselben identifiziert und beschrieben werden. Hierzu zählen vor allem die Juche-Ideologie, die Legitimation mittels des Charismas des Führers, aber auch komplementäre Mittel zur Stärkung der Legitimität des Systems. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einer Betrachtung der internationalen Situation und ihrer direkten und indirekten Auswirkungen auf die Systemstabilität. Nach einer kurzen Beschreibung der Situation bis zum Ende des Kalten Krieges, werden die Beziehungen Nordkoreas zu Südkorea, den USA, China, Russland und Japan näher betrachtet.

Hierauf folgend werden im fünften Kapitel die gewonnenen Ergebnisse bezüglich der Handlungen Nordkoreas daraufhin überprüft, ob sie den Charakter einer Überlebensstrategie besitzen. Wenn dem so ist, wird weiterhin beschrieben, welches die Merkmale dieser Strategie sind.

Im sechsten Kapitel, dem Schlusskapitel, wird die Bedeutung der jeweiligen Ursachenkomplexe für die Systemstabilität Nordkoreas noch einmal rekapituliert und vor dem Licht der Überlebensstrategie des Landes betrachtet. Es wird versucht einen kurzen Ausblick für die künftige Stabilität Nordkoreas zu geben.

2 Theoretischer Rahmen

Im Folgenden soll der theoretische Rahmen bestimmt werden, in dem sich die Analyse zur Systemstabilität Nordkoreas bewegt. Dabei sollen zu Beginn einige Begriffsbestimmungen vorgenommen werden. Daraufhin werden Ursachenkomplexe, die zu Systemwechseln führen können dargestellt, verglichen, zusammengefasst und für den Fall Nordkorea angepasst. In der Folge wird näher auf den Begriff der Legitimität eingegangen und es wird bestimmt, welchem Verständnis von Legitimität diese Arbeit folgt. Zugrundeliegen soll dabei der Begriff der Legitimität nach Seymour Martin Lipset. Dieser wird ergänzt durch das Konzept der Legitimation durch Charisma nach Max Weber und die Möglichkeit der Aufteilung von Legitimität. Abschließend wird näher auf die Handlungsdimension eingegangen und in diesem Zusammenhang wird auf den Begriff der Strategie Bezug genommen.

2.1 Eingrenzungen und Begriffsbestimmungen

Die Beschäftigung mit der Stabilität eines konkreten, autoritären Systems stellt den Autoren vor verschiedene Schwierigkeiten. Dabei ist vor allen Dingen die Auswahl eines theoretischen Rahmens zur strukturierten und theoriegeleiteten Analyse des zu überprüfenden Systems ein kompliziertes Unterfangen. Zur genauen Bestimmung des zu überprüfenden Gegenstandes müssen daher zu Beginn einige Begriffsbestimmungen und Einschränkungen getroffen werden. Wolfgang Merkel unterscheidet für den „Übergang zwischen einem Regime oder System zu einem anderen Regime- oder Systemtyp“[8] zwischen Systemwandel, Systemwechsel und Transition. Dabei stellt ein Systemwandel einen evolutionären Prozess dar, in dem sich grundlegende Funktionsweisen und Strukturen allmählich verändern, wobei jedoch im Verlaufe des Systemwandels nicht feststellbar ist, „ob dieser Prozess des Wandels zu einem anderen Systemtypus führt“.[9] Ist dies der Fall so kann von einem Systemwechsel gesprochen werden. Ein Systemwechsel ist eingetreten, „wenn sich der Herrschaftszugang, die Herrschaftsstruktur, der Herrschaftsanspruch und die Herrschaftsweise eines Systems grundsätzlich verändert haben“.[10] Der Begriff Transition schließlich beschreibt den speziellen Fall des Übergangs von autokratischen zu demokratischen Systemen.[11]

Im Rahmen dieser Arbeit soll der Systemwechsel im Mittelpunkt stehen, da dieser mit der sich stellenden Frage korrespondiert, inwiefern das Regime Kim Jong Ils stabil ist. Dagegen sind gewisse Wandlungstendenzen selbst im Falle Nordkoreas zu konstatieren. Es kann möglicherweise bereits von einem Systemwandel gesprochen werden. Was nach dem Ende des jetzigen Systems in Nordkorea geschieht, also die Frage nach einer möglichen Transition, stellt sich erst dann, wenn sich ein Systemwechsel klar abzeichnet oder schon eingetreten ist.

Wolfgang Merkel beschreibt dabei den Begriff des Systems als umfassenden Begriff, der sowohl Regime als auch Staat enthält. Dabei bestimmt er Regime und Staat wie folgt: „Regime bezeichnen die formelle und informelle Organisation des politischen Herrschaftszentrums einerseits und dessen jeweils besonders ausgeformte Beziehungen zur Gesamtgesellschaft andererseits. […] Ein Wechsel ist vollzogen, wenn sich Herrschaftszugang, Herrschaftsstruktur, Herrschaftsanspruch und Herrschaftsweise grundlegend geändert haben.“[12] Eng damit verbunden beschreibt er den Staat als „eine sehr dauerhafte Herrschaftsstruktur, die in ihrem Kern die legitimen oder illegitimen Zwangsmittel einschließt, die notwendig sind, um eine Gesellschaft zu regieren“.[13] Diese Einheiten sind im Falle Nordkoreas kaum zu trennen, da die Regimestrukturen und die des Staates hier eng miteinander verwoben sind. Daher wird im Folgenden angenommen, dass eine grundlegende Änderung des Regimes unvermeidlich zu einem Systemwechsel führen wird. Ähnlich wie bei der Transformation der Staaten Osteuropas Anfang der 1990er Jahre, ist ein kompletter Wechsel des Regimes kaum vorstellbar ohne einen tiefgreifenden Wandel der politischen Ebene, der wirtschaftlichen Strukturen und der gesellschaftlichen Mentalität, was damit zu einer Änderung des Systems führen würde.[14]

2.2 Ursachenkomplexe für Systemwechsel nach Huntington, Linz und Merkel

Nachdem diese Bestimmungen getroffen sind, soll nun ein theoretischer Rahmen festgelegt werden, der es ermöglicht zu prüfen, welche Tatsachen für einen baldigen Systemwechsel in Nordkorea sprechen und was dem entgegenwirkt. Hierzu stellt Merkel fest, dass „die fallbezogene Herausarbeitung von spezifischen Verschränkungen, Verknüpfungen Verstärkungen oder Neutralisierungen der unterschiedlichen Bedingungsfaktoren [und] deren besondere Wirkung in Hinblick auf das Ende eines autokratischen Systems“[15] nur durch eine konkrete Analyse erforscht werden kann.

Jedoch wurden bisher schon so viele Transformationen weltweit wissenschaftlich erforscht, dass sich „verallgemeinerte Aussagen zu "Ursachenbündeln" und typischen Verknüpfungsmustern von Ursachen treffen lassen. Aus solchen generalisierten Aussagen können dann wiederum sinnvolle Hypothesen gewonnen werden, die die konkreten Fallanalysen theorieorientiert anleiten.“[16] Solche Ursachenbündel oder Ursachenkomplexe hat nicht nur Wolfgang Merkel beschrieben, sondern auch weitere Autoren im Bereich der Transformationsforschung formulierten Faktorenbündel, die einen Systemwechsel herbeiführen können.

Im Folgenden sollen Ursachenbündel von Samuel P. Huntington, Juan J. Linz und Wolfgang Merkel dargestellt werden, um daraus eine kohärent strukturierte Zusammenstellung für den Fall Nordkoreas zu formulieren.

2.2.1 Samuel P. Huntington

Samuel Huntington macht in seinem Aufsatz „Democracy’s Third Wave“ fünf Faktoren aus, die für die von ihm so genannte dritte Welle der Demokratisierung verantwortlich sind. Diese begann 1974 und erstreckte sich bis zur Demokratisierungswelle im Rahmen des Endes der Sowjetunion vor allem in den osteuropäischen Staaten.[17]

Als ersten Grund sieht er Legitimitätsprobleme, die daraus erwachsen, dass autokratische Staaten in einer Welt, in der demokratische Werte und Normen weitestgehend akzeptiert sind, ihre Herrschaft über erfolgreiche Performance legitimieren müssen. Angesichts zunehmend offenbar werdenden, wirtschaftlichen und militärischen Scheiterns, konnte diese performance legitimacy jedoch nicht aufrechterhalten werden, was zu einer Destabilisierung der entsprechenden Systeme führte. Der zweite von Huntington angeführte Grund hebt auf die demokratiefördernden, sozioökonomischen Rahmenbedingungen in Staaten ab, die ein Transitionsfenster erreicht haben, dass durch ein Pro-Kopf-Einkommen von 1000 bis 6000 US-Dollar angezeigt wird. Eine weitere Ursache erkennt er in der veränderte Position der katholischen Kirche, die sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von einer Stützerin des Status quo zu einer Gegnerin autoritärer Regime entwickelt hatte. Als vierten Grund führt er eine geänderte Haltung entscheidender, internationaler Akteure wie der EG, der USA und vor allem der Sowjetunion an, die vielen Staaten entscheidende, externe Garantien entzogen. Weiterhin erkennt er Schneeball- oder Demonstrationseffekte, bei denen früher demokratisierte Staaten und vor allem deren Bevölkerungen, den später kommenden als Vorbild und Beispiel dienten und somit zum Sturz der alten Ordnungen beitrugen.[18]

Gleichzeitig beschreibt Huntington auch eine Reihe von Staatentypen, die sich aufgrund verschiedener Ursachen der dritten Demokratisierungswelle entzogen. Diese Ursachen macht er im kulturellen Bereich fest. Er identifiziert den Konfuzianismus (wie auch den Islam) als unvereinbar mit Demokratie und begründet dies im Falle des Konfuzianismus damit, dass die klassisch chinesische, konfuzianische Kultur die Gruppe über das Individuum stellt, Autorität über Freiheit, Harmonie über konflikthaften Wettbewerb und traditionelle Verantwortlichkeit über verbriefte Rechte.[19] Einen weiteren, in diesem Kontext bedeutenden Punkt sieht er in mangelnden Erfahrungen mit demokratischen Prozessen und mit Demokratie im Allgemeinen, sowie in der Präferenz politischer Akteure für autoritäre Systeme und gegen Demokratien. In ostasiatischen Staaten erkennt Huntington jedoch hauptsächlich kulturelle Gründe als Haupthindernis für erfolgreiche Demokratisierungen.[20] Trotz der Tatsache, dass Huntingtons Ursachenkomplexe immer in den Bezug zur Demokratisierung gesetzt werden, sind sie von Interesse, da Nordkorea dem konfuzianischen Kulturraum zuzuordnen ist und weiterhin bisher keine Erfahrungen mit demokratischen Systemen im Volk wie in der Führung gegeben sind.

2.2.2 Juan J. Linz

Juan J. Linz beschreibt in seinem Artikel „Transitions to Democracy“, dass mangelnde Legitimation und Effektivität Gründe für Krise und Zusammenbruch autoritärer Systeme, aber auch von Demokratien sind. Die relative Effektivität autoritärer Regime sei ein wichtiger, aber auch ambivalenter Faktor ihres Machterhalts. Denn ist das Regime nicht in der Lage, die Erwartungen der Gesellschaft bei der Lösung drängender Probleme zu erfüllen, stellt dies die Basis einer möglichen Krise dar. Sind autoritäre Systeme allerdings erfolgreich bei der Lösung dieser Probleme, so können sie diese Erfolge jedoch nicht wie Demokratien in politische Legitimität ummünzen. Dabei sei, so Linz, die Frage, welche Bedeutung Legitimität für die Stabilität autoritärer Regime hat, umstritten, wobei ein gewisser Grad von Bedeutung jedoch nicht abgestritten werden könne. Die Abwesenheit von Legitimation gegenüber der demokratischen Alternative mache es autoritären Systemen schwer, die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten.

Durch eine genauere Betrachtung der Umstände der Entstehung konkreter Regime und vor allem von sozialen und ökonomischen Veränderungen seit der Entstehung, lässt sich die Anpassungsfähigkeit des Regimes an sich ändernde Umstände, als eine wichtige Quelle möglicher Instabilität solcher Regime, analysieren.

Ein weiteres Problem autoritärer Regime ist die Frage der Erneuerung politischer Führung und vor allem die der Nachfolge des politischen Führers. Dieses Problem tritt naturgemäß vor allen Dingen im Falle hoch personalisierter Regime auf, in denen sich die alten Führer als unersetzlich sehen und aus Angst keine Nachfolger benennen wollen. Allerdings wird nach Linz diese Art der Instabilität überschätzt, da manche Regime institutionelle Mechanismen entwickelt haben, um einen solchen Grad der Personalisierung zu verhindern.

Versuche, durch Liberalisierungen die Opposition zu beschwichtigen, erzeugen oftmals eher den gegenteiligen Effekt. Durch die gewonnenen Freiheiten werden Anreize gemindert, an dem System teilzunehmen und gleichzeitig motivieren sie dazu, die Grenzen dieser Freiheiten auszutesten. Werden die Liberalisierungen später wieder zurückgenommen oder sogar gewaltsam unterdrückt, führt dies nur zu einem weiteren Verlust von Legitimität und Unterstützung aus der Bevölkerung.[21]

2.2.3 Wolfgang Merkel

Die Beschreibung Wolfgang Merkels zu möglichen Ursachen für das Ende autoritärer Regime unterscheidet zwischen systeminternen und -externen Faktoren.

Bei den internen Faktoren sieht er Legitimitätskrisen aufgrund ökonomischer Ineffizienz als eine mögliche Ursache, da autokratische Systeme schon aufgrund der Art ihrer Herrschaftsausübung mit einem Legitimitätsdefizit behaftet seien. Eine mögliche Kompensation dieses Defizits sei durch das Leisten materieller Entschädigungen möglich. Gelinge dies allerdings nicht, so könne dies zu Protesten der Bevölkerung und einer Spaltung der Eliten führen, die die Stabilität des Systems bedrohen würde. Eine weitere Ursache sieht er in einer Legitimitätskrise, die aus erfolgreicher ökonomischer Entwicklung erwächst. Hier folgt er derselben entwicklungstheoretischen Erklärung wie auch Huntington, die die Existenz von günstigen Bedingungen für einen Systemwechsel hin zur Demokratie ab einem bestimmten sozioökonomischen Entwicklungsstand annimmt. Als letzten, recht allgemein gefassten, internen Faktor, sieht er politische Schlüsselereignisse an. Hierunter versteht er zum Beispiel den Tod des Diktators, Konflikte innerhalb der Eliten oder Skandale auf der Ebene der politischen Führung. Solche Schlüsselereignisse sieht er besonders dann als bedrohlich für die Stabilität des Systems an, wenn schon zuvor ein latentes Legitimationsdefizit bestand.

Als einen bedeutenden, externen Grund für Systeminstabilität beschreibt er eine Kriegsniederlage. Allerdings spielt dieser Grund im Falle Nordkoreas eine untergeordnete Rolle, da Nordkorea derzeit keinen Krieg führt oder in jüngerer Vergangenheit geführt hat. Auch das mögliche Wegfallen externer Unterstützung stellt einen wichtigen Faktor dar, wie es etwa beim Niedergang der Ostblockstaaten Ende der 1980er Anfang der 1990er Jahre der Fall war, als die Sowjetunion die Breschnew-Doktrin widerrief. Außerdem erwähnt er weiterhin den Domino- oder Ansteckungseffekt, durch den sich die Anti-Regime-Bewegungen vor allem in den Ostblockstaaten durch Berichterstattung in den Medien gegenseitig verstärkten.[22]

2.2.4 Zusammenfassung und Anpassung auf den Fall Nordkorea

Die verschiedenen dargestellten Ursachenkomplexe zeigen ein großes Maß an Übereinstimmung und unterscheiden sich meist nur in der Benennung der Ursachen, sowie ihrem genauen Zuschnitt. Dabei ist in diesem Fall die Unterscheidung interner und externer Faktoren, wie sie Wolfgang Merkel trifft, nicht angebracht. Dies liegt vor allem darin begründet, dass der Domino- bzw. Schneeballeffekt, den Merkel und Huntington in Bezug auf den Niedergang des Ostblocks beschreiben, im Falle Nordkoreas von zweitrangiger Bedeutung ist, da heute kein solcher Effekt mehr zu erwarten ist. Auch die von Huntington in Bezug auf die süd- und südosteuropäischen Diktaturen erwähnte Wichtigkeit des Wandels der katholischen Kirche ist hier zu vernachlässigen. Der Einfluss von Kriegsniederlagen ist zwar nicht abzustreiten, kann aber ebenfalls vernachlässigt werden, da dies für die aktuelle Situation Nordkoreas nicht zutrifft.

So bleiben als externe Ursachen hauptsächlich die Haltungen internationaler Akteure bzw. der Erhalt externer (Unter-)Stützung. Mit Abstrichen ließe sich außerdem noch die Rolle eines möglichen Demonstrations- oder Vorführeffektes erwähnen, der bei einer Öffnung des Landes wirksam werden könnte. Bezüglich der von Wolfgang Merkel als „politische Schlüsselereignisse“ beschriebenen Sachverhalte, scheint es sinnvoll, diesen Begriff genauer zu differenzieren. Linz beschreibt die Erneuerung der politischen Führung, besonders nach dem Tod einer zentralen Führungsfigur als einen, für politische Instabilität anfälligen Sachverhalt. Damit in engem Zusammenhang steht das mögliche Auftreten einer Spaltung innerhalb der Eliten, wofür unterschiedliche Ursachen vorstellbar sind. Auch eine solche Spaltung kann eine große destabilisierende Kraft in einem autoritären System entfalten.

Die Legitimität bzw. das Auftreten von Legitimitätsdefiziten wird von allen Autoren als bedeutend für die Stabilität des Systems angesehen. Dabei unterscheiden sich allerdings die Erklärungen für das Entstehen des Legitimitätsdefizits. Huntington begründet den Legitimitätsverlust mit einer mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Regimes und seiner Politik, wobei wirtschaftlicher Erfolg als der hauptsächliche Quell der Legitimität autoritärer Systeme angenommen wird. Merkel sieht als einen weiteren Grund wirtschaftliche Leistungen, die zu einem Legitimitätsverlust und dann zur Systemtransformation führen können. Linz schließlich nennt als mögliche Ursache für einen Legitimitätsverlust die niedrige Akzeptanz des Systems durch die Bevölkerung, da demokratische und rechtsstaatliche Normen verbreitet und weitgehend akzeptiert seien, die autoritären Systeme hingegen im Vergleich mit diesen Normen nicht standhalten könnten.

Während die anderen Ursachenkomplexe aufgrund der Darstellung der Autoren relativ klar abgrenzbar sind, wird bei dem Begriff der Legitimität deutlich, dass hier unterschiedliche Modelle von diesem Begriff nebeneinander bestehen. Während Merkel ein relativ breites Verständnis dieses Begriffes zu haben scheint, ist dasjenige Huntingtons wesentlich enger. Um im Folgenden eine klare Einordnung der verschiedenen Faktoren treffen zu können, ist eine nähere Beschäftigung mit dem Begriff der Legitimität notwendig.

2.3 Exkurs Legitimität

Der Begriff der Legitimität spielt bei der Beschäftigung mit politischen Systemen, der Art ihrer Machtausübung und ihres Machterhaltes immer wieder eine prominente Rolle. Allerdings ist dieser Begriff gleichzeitig hinsichtlich seiner Konstituenten und seiner Wirkung innerhalb politischer Systeme schwer zu fassen. Des Weiteren wird der Begriff sowohl in der Politik-Philosophie, als auch in der rechts- und politikwissenschaftlichen Praxis verwendet.[23] Daher gibt es ein breites Feld an Literatur zu den verschiedenen Aspekten der Legitimität. Im Zusammenhang dieser Arbeit ist vor allem eine kurze Beschäftigung mit der Entstehung bzw. mit der Erzeugung und Erhaltung von Legitimität angebracht.

Legitimität ist allgemein ein Merkmal in der Beziehung eines Staates mit seinen Untertanen und kann als Grund dafür gelten, dass sich die Untertanen des Staates seiner Herrschaft unterwerfen.[24] Allerdings bestehen darüber hinausgehend in der politikwissenschaftlichen Diskussion zwei verschiedene Ansichten über die Herkunft von Legitimität. Die normative Legitimität beruht darauf, dass Macht „according to justifiable rules, and with evidence of consent“[25] erlangt und ausgeübt wird. Die andere Denkart bezüglich der Legitimität beruht auf dem von Max Weber geprägten „Legitimitätsglauben“[26], der zusammengefasst besagt, dass eine Herrschaft deswegen legitim ist, weil die ihr Unterworfenen sie als gerechtfertigt annehmen. Im vorliegenden Fall soll Legitimität im Sinne Webers Legitimitätsglaubens verstanden werden, da mit normativer Legitimität im Falle Nordkoreas kaum zu agieren ist. Weber sieht drei mögliche Quellen der Legitimität, die sich dann unmittelbar auf die Art der Herrschaftsausübung auswirken und Bestimmungsgrundlage des politischen Systems sind. Bei der traditionellen Herrschaft beruht die Legitimation auf dem inneren Glauben an die Heiligkeit althergebrachter Ordnungen und Traditionen.[27] Bei der charismatischen Herrschaft entspringt die Legitimität der Herrschaft dem besonderen Charisma der Führungspersönlichkeit, wobei dieses Charisma aus der besonderen „Qualität einer Persönlichkeit, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens als spezifischen außeralltäglichen […] Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als «Führer» gewertet wird“, hervorgeht.[28] Die letzte Kategorie der Herrschaft und der Legitimität nach Weber ist die legal-rationale Herrschaft. Hier begründet sich die Legitimität der Herrschaft in der Legalität der Ordnung. Herrscher und Beherrschte sind denselben Rechtsnormen unterworfen, das Recht wird zum Fundament der Herrschaftslegitimation.[29] Die oben dargestellten Herrschaftsarten und Legitimationsquellen sind idealtypische Darstellungen und es wird nicht angenommen, dass sie in Reinform auftreten. Vielmehr sind es immer Mischformen aus den jeweiligen Legitimationsquellen und den damit verbundenen Arten der Herrschaftsausübung.[30] Im hier behandelten Fall ist vor allem die charismatische Herrschaft von Interesse.

Daneben soll in dieser Arbeit der Legitimitätsbegriff wie ihn Seymour Martin Lipset bestimmt, zugrundegelegt werden. Zwar bezieht Lipset seinen Legitimitätsbegriff auf demokratische Systeme, allerdings ist er wertneutral und kann als „allgemein gültiges Modell für die Stabilität politischer Systeme“[31] gelten. Dabei fallen die von Wolfgang Merkel genannten ökonomischen Gründe für die Delegitimierung von Regimen bei Lipset unter den eng mit der Legitimität verknüpften Begriff der „Effectiveness“.[32] In dieser Arbeit sollen sowohl der Begriff der Effektivität nach Lipset als auch der der Legitimität zugrundegelegt werden, da diese einerseits nach Lipset eng miteinander verknüpft sind[33] und andererseits weitgehend die internen Ursachenkomplexe für Instabilität eines politischen Systems, wie sie oben dargestellt sind, erfassen. Lipset beschreibt Legitimität folgendermaßen: „Legitimacy involves the capacity of the system to engender and maintain the belief that the existing political institutions are the most appropriate ones for the society.“[34] Sie beruht also auf der Wahrnehmung oder dem Legitimitätsglauben der Herrschaftsunterworfenen und der Fähigkeit der Herrschenden, diesen zu beeinflussen. Die Effectiveness oder Effektivität dagegen, beschreibt die Leistungsfähigkeit bzw. die konkreten Leistungen des Systems gegenüber der Gesellschaft, aber auch gegenüber einflussreichen Gruppen, wie zum Beispiel dem Militär. Effektivität wird als instrumentelles Konzept beschrieben, das auch kurzfristig Legitimitätsdefizite ausgleichen kann. Jedoch wird der umgekehrte Weg als wesentlich gangbarer beschrieben. Während sehr effektive, aber nicht legitime Systeme immer ein gewisses Maß an Instabilität in sich bergen, bleiben nicht effektive, aber mit hoher Legitimität ausgestattete Systeme vorerst stabil. Langfristig kann eine hohe Effektivität dem System jedoch weitere Legitimität hinzufügen.[35]

Eine in diesem Kontext bedeutsame Ergänzung macht Rodney Barker. Er verweist auf die Möglichkeit, dass die Beziehung zwischen dem Staat und unterschiedlichen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft auf unterschiedlichen Arten und Graden von Legitimität beruhen kann. So besteht die Möglichkeit, dass sich der Staat gegenüber seinen Eliten über seine rationale Verfahrensweise legitimiert, während gegenüber anderen Gruppen Legitimität fast vollständig durch Zwang und Gewalt ersetzt wird.[36]

Legitimität soll hier folglich als Fähigkeit des Systems verstanden werden, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass das bestehende System und seine Institutionen die Richtigen für die Gesellschaft seien. Verstärkt werden kann die Legitimität des Systems dabei durch hohe, geschwächt werden durch niedrige Effektivität. Zusätzlich sollen als mögliche Quellen von Legitimität noch das Charisma des Führers, das dem Konzept Webers folgt, sowie die mögliche Aufteilung von Legitimität, gesehen werden.

2.4 Die Handlungsdimension

Die oben dargestellten Ursachenkomplexe, die zur Instabilität autoritärer Regime beitragen können, bieten einen Überblick darüber, ob eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Systemwechsel eintritt. Allerdings reicht eine rein statische Analyse dieser Faktoren zur Überprüfung der Stabilität eines Systems nicht aus. Vielmehr wird in der Literatur hervorgehoben, dass Wechselwirkungen zwischen diesen Ursachenkomplexen bestehen und dass weiterhin die konkreten Handlungen der Akteure, also im behandelten Fall des Regimes um Kim Jong Il, von großer Bedeutung sind. Wolfgang Merkel beschreibt diesen Zusammenhang wie folgt: „Kein politisches System bricht nur aufgrund einer Akkumulation von systembedrohenden "strukturellen Ursachen" automatisch zusammen. Es bedarf dazu immer auch bestimmter Handlungen unterschiedlicher Akteure […] .[37] Daher greift nach Merkel auch eine „beliebige Aufzählung von »ökonomischen«, »sozialen« und »politischen Faktoren« als Ursachen von Systemwechsel“ analytisch zu kurz.[38] Vielmehr befindet er es für notwendig, wie es oben bereits angeklungen ist, die Handlungen der Akteure mit ins Kalkül zu ziehen. Dabei sieht Merkel Strukturen und Handlungen als „die beiden fundamentalen Dimensionen, die bei den Zusammenbruchsanalysen autokratischer Systeme wie auch durch den gesamten Systemwechsel hindurch stets aufeinander bezogen werden müssen“[39] als entscheidend an. Die oben beschriebenen strukturellen Faktoren stellen „Handlungskorridore“ dar, in denen die Handlungen der Regime erfolgen können. Jedoch sind auch die Strukturen, die den Rahmen für die Handlungen bieten, ebenfalls nicht statisch. Sie verändern sich aufgrund der jeweiligen Handlungen der Akteure bzw. durch Umwelteinflüsse. Eine Analyse der Systemstabilität nach diesen Annahmen verlangt also sowohl eine Betrachtung der strukturellen Umstände als auch der Handlung des Regimes. Dabei ist zu hinterfragen, ob die jeweiligen Handlungen unter den gegebenen Umständen die Qualität einer Überlebensstrategie erreichen, oder ob sie nur ad hoc beschlossene Reaktionen auf Veränderungen der strukturellen Grundlagen darstellen.

Trotz dieser Handlungsdimension, die betrachtet werden muss, bleiben jedoch die Ursachenkomplexe von großer Bedeutung, denn sie stellen den strukturellen Rahmen dar, in dem die Akteure agieren können. Sie legen fest, ob bestimmte Handlungen eine realistische Option für die Akteure sind, oder aufgrund struktureller Gegebenheiten schlicht nicht möglich oder aber nicht rational sind. Zwar verweist Merkel dabei auf Regimeeliten, breite Bevölkerung oder Opposition als mögliche Akteure,[40] allerdings müssen diese Annahmen für den aktuellen Fall eingeschränkt bzw. modifiziert werden. Dies ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass aufgrund der Abgeschlossenheit des Regimes um Kim Jong Il eine Identifizierung der Akteure und ihrer Handlung im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist,[41] andererseits ist ein Merkmal des nordkoreanischen Systems, dass alle wichtigen Entscheidungen der Anordnung oder zumindest der Zustimmung Kim Jong Ils bedürfen.[42] Da hier Handlungen des Regimes zu seinem eigenen Überleben geprüft werden sollen, wird in der Folge vom Regime als einzig relevantem und monolithischem Akteur in Bezug auf die Systemstabilität und einer möglichen Überlebensstrategie ausgegangen.

Da sich in dieser Arbeit die Frage nach einer genuinen Überlebensstrategie stellt, soll hier kurz auf die Definition von Raschke und Tils hingewiesen werden, die Strategien als „erfolgsorientierte Konstrukte, die auf situationsübergreifenden Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulationen beruhen“[43] bezeichnen. Zwar bezieht sich ihr Buch auf strategische Politik im demokratischen Kontext, diese Definition ist jedoch allgemein anwendbar. Konstrukte sollen hier im Sinne „praxissteuernder Handlungsanweisungen“[44] gesehen werden. Die „Ziel-Mittel-Umwelt-Kalkulation“ bezieht sich hier darauf, welcher Zustand (Ziel) mit Hilfe welcher Methoden (Mittel) unter gegebenen Umständen (Umwelt) mit Hilfe berechnender Methoden (Kalkulation) erreicht werden soll .[45] Die gewählte Definition ist wertneutral und gegenüber kurzfristigen Reaktionen und ad hoc-Handlungen abgrenzbar. Als Handlungsziel des Regimes soll dabei das jetzige und zukünftige Fortbestehen des Systems gelten. Zur Beantwortung der Frage eines möglichen Strategiecharakters des Handelns des nordkoreanischen Regimes müssen also vorher Mittel und Umwelt näher beleuchtet werden.

3 Die Literatur zur Stabilität Nordkoreas seit Ende des Kalten Krieges

Wie bereits angedeutet, entstanden vor allem seit dem Niedergang der Sowjetunion, nach dem Tod Kim Il Sungs und der Hungerkatastrophe Mitte der 1990er Jahre viele Artikel, die die Stabilität des politischen Systems Nordkoreas und die Chancen seines Fortbestehens thematisierten. Die Autoren kamen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen, die vom Fortbestehen des nordkoreanischen Systems bis hin zu einem kurzfristigen Ende mit einem irgendwie gearteten Systemwechsel ausgingen. Dieser Sachverhalt ist hauptsächlich der unterschiedlichen Bewertung des Gewichts verschiedener struktureller Faktoren, sowie der unterschiedlichen Einschätzung der Bedeutung des Handelns des nordkoreanischen Regimes geschuldet. Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die Annahmen bezüglich der Systemstabilität Nordkoreas seit Ende des Kalten Krieges geben. Dabei sollen die unterschiedlichen Vermutungen bezüglich der bedeutenden Faktoren in diesem Zusammenhang, sowie wahrgenommene Handlungsmuster und Handlungsoptionen herausgearbeitet werden. Um die sich verändernden Umstände, denen Nordkorea in dieser Zeit unterlag, zu würdigen, sollen hierzu die Perioden von 1990 bis 1994, 1995 bis 1998, 1999 bis 2003, sowie 2004 bis 2008 betrachtet werden. Zur besseren Übersichtlichkeit soll ferner zwischen Einschätzungen, die von einer strukturellen Instabilität Nordkoreas ausgehen, solchen, die das System generell als stabil wahrnehmen und solchen, die hinsichtlich der endgültigen Stabilität keine Aussage treffen, differenziert werden. Abschließend sollen die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst werden.

3.1 1990 - 1994

3.1.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht

Artikel aus diesem Zeitraum, deren Einschätzung tendenziell negativ hinsichtlich der Regimestabilität Nordkoreas ist, berufen sich vor allem auf das Dilemma zwischen einer möglichen Öffnung und Reform und der zu erhaltenden Stabilität des Systems.[46] Dieses Dilemma wird besonders durch strukturelle Faktoren ausgelöst, die ein Weiterführen der bisherigen Politik unmöglich machen. Hier werden vor allem die ökonomischen Probleme genannt,[47] denen Nordkorea nach dem Niedergang der Sowjetunion ausgesetzt war. Sie werden oft in Verbindung mit der sich abzeichnenden bzw. gerade eingetretenen Machtübergabe an Kim Jong Il gebracht. Dieser muss als "Neuling" mit geringen politischen Erfahrungen die wirtschaftlichen Probleme beheben, um die Stabilität des Systems zu garantieren.[48] Gleichzeitig hat der neu eingeführte Führer auch mit einem schwerwiegenden Legitimitätsdefizit zu kämpfen. Einzige Stütze seiner Legitimität und damit auch der Stabilität des Systems ist die Juche-Ideologie. In dieser Situation würden Reformen oder eine weitgehende Öffnung des Systems, die direkt gegen die Inhalte dieser Ideologie und die Politik Kim Il Sungs verstoßen, das einzige Fundament seiner Legitimität untergraben.[49]

Dieses Dilemma zwischen der Erhaltung des Status quo zum Erhalt der Legitimität auf der einen Seite und unumgänglichen Wirtschaftsreformen auf der anderen Seite, würde Kim Jong Il nicht lösen können, ohne dadurch ungewollt gesellschaftliche Konflikte oder Widerstand der Eliten auszulösen und damit das Ende seines Regimes einzuläuten.[50]

3.1.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht

Autoren, die kurz- bis mittelfristig tendenziell davon ausgingen, dass das nordkoreanische System weiterhin stabil bleiben würde, untermauerten diese Annahme mit unterschiedlichen Argumenten.

James Cotton begründet seine Annahmen teilweise mit persönlichen Beobachtungen. Besonders hebt er allerdings hervor, dass Nordkorea sich auf einen Pfad gradueller Reformen begeben habe, der auf eine Entwicklung nach dem Vorbild Chinas hindeute. Hierfür nennt er die Pläne für die Free Economic and Trade Zone (FETZ) um die Städte Raijin und Songbon als Beispiel.[51] Die Ausarbeitung solcher Pläne mache deutlich, dass man in Pjöngjang die Ernsthaftigkeit der Lage erkannt habe und gewillt sei, sich wirtschaftlich zu öffnen und zu reformieren.[52]

Kim Sung Chull dagegen legt seiner Annahme die noch immer uneingeschränkt wirksame Kraft der Juche-Idee zur Legitimierung des bestehenden Systems zugrunde. Er hebt hervor, dass für eine Delegitimierung des Regimes und einem darauf folgenden Regimewechsel zwei Voraussetzungen gegeben sein müssten: Einerseits das Entstehen konkurrierender Werte gegenüber Juche, andererseits ein Rückgang der Identifikation der Eliten mit dieser Ideologie. Jene Voraussetzungen lägen aber nicht vor, so dass Juche weiterhin unbeschädigt zur Erzeugung und Erhaltung der Legitimität des Systems dienen könne. Außerdem beinhalte die Ideologie Elemente zur Abschirmung der Bevölkerung nach außen, was ein Aufkommen des Gefühls eines relativen Mangels (relative deprivation), das oft zu Unzufriedenheit und Konflikten führe, verhindere. Allerdings könnten von Kim Jong Il nach der Ablösung seines Vaters durchgeführte Wirtschaftsreformen, die zu Einkommensunterschieden innerhalb der Bevölkerung führten, dieses Gefühl hervorrufen.[53]

3.1.3 Literatur ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität und Instabilität

Die Autoren der hier betrachteten Arbeiten stellen meist die grundlegenden Probleme des nordkoreanischen Systems dar, um darauf aufbauend verschiedene Szenarien für die weitere Entwicklung des Systems vorzustellen. Die Faktoren, die hierbei genannt werden, lassen sich grob in drei Gruppen unterteilen, die von den Autoren als ungefähr gleichbedeutend wahrgenommen werden. Die erste Gruppe bezieht sich auf die wirtschaftliche Situation. Ähnlich wie in der Literatur, die einen baldigen Systemwechsel in Nordkorea prognostiziert, wird auch hier auf den unmittelbaren Reformbedarf des Wirtschaftssystems hingewiesen.[54] Als zweiter Grund werden die Legitimitätsdefizite Kim Jong Ils und die Problematik der Nachfolge Kim Il Sungs angesprochen.[55] Kongdan Oh geht davon aus, dass die Legitimität Kim Jong Ils auf drei Pfeilern ruhe: der ruhmreichen Erinnerungen an die wirtschaftlichen und militärischen Erfolge der ersten Regierungsjahre Kim Il Sungs, der erfolgreichen Verbesserung des Lebensstandards durch das bestehende Wirtschaftssystem und den Erfolgen bei der Festigung der Loyalität des Volkes durch die Juche-Ideologie. Hier wird wieder das oben beschriebene Dilemma zwischen Reform und Ideologie deutlich.[56] Das dritte wichtige Feld stellen die externen Beziehungen Nordkoreas dar. Darunter sind sowohl bilaterale Beziehungen zu echten (China) oder ehemaligen (Sowjetunion bzw. Russland) Alliierten zu verstehen, als auch zu Konkurrenten (Südkorea) bzw. Feinden (USA). Diese Beziehungen sind einerseits bedeutsam zur Erlangung externer Unterstützungen, andererseits spielen sie aber auch eine Rolle für eine mögliche Öffnung und Reform des Landes.[57]

In Bezug auf die oben dargestellten Probleme bestehen für die Führung in Pjöngjang verschiedene Handlungsoptionen, die zu verschiedenen Ergebnissen führen können. Dabei herrscht hier weitgehende Einigkeit, dass man in Nordkorea eine graduelle Reform nach dem Vorbild Chinas wählen wird, und dass einem solchen Vorgehen am ehesten eine Verbesserung der Situation bei gleichzeitigem Machterhalt des Regimes folgen könnte.[58]

3.2 1995 – 1997

3.2.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht

In der Literatur, die von einer eher negativen Perspektive für die Stabilität des Regimes um Kim Jong Il ausgeht, besteht Einigkeit in mehreren Punkten. So wird inzwischen weitestgehend davon ausgegangen, dass die Machtübergabe von Kim Il Sung auf Kim Jong Il ausreichend vorbereitet war und dass es dem jungen Kim gelingen wird, die verschiedenen Machtzentren innerhalb des Systems hinter sich zu vereinen, so dass von innen vorerst keine Bedrohung für ihn ausgehen werde. Die Tatsache, dass Kim nicht unmittelbar nach dem Tod seines Vaters dessen Nachfolge antrat, wird meist als strategischer Schachzug angesehen, um nicht mit der problematischen wirtschaftlichen Lage in Verbindung gebracht zu werden.[59][60]

Vor dem Hintergrund der sich weiter verschlechternden wirtschaftlichen Situation und der sich anbahnenden Hungersnot, wird dem Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung und Regenerierung wiederum entscheidendes Gewicht beigemessen.[61] Allerdings sind die Wege, die die verschiedenen Analysten zu diesen Ergebnissen bringen, durchaus unterschiedlich. Jordan und Jae, sowie Kim Choong-nam führen Untersuchungen durch, die dem Handeln des Regimes entscheidende Bedeutung zukommen lassen. Sie beschreiben verschiedene Handlungsalternativen des Regimes und machen die weitere Entwicklung Nordkoreas von der Wahl, die die Führung trifft, abhängig.[62] Hier werden die Prognosen für den Niedergang des Regimes damit begründet, dass sich das Regime vermutlich nicht für weitgehende wirtschaftliche Reformen entscheiden, sondern lediglich geringfügige Anpassungen und Kompromisse suchen wird. Dies wird allerdings nicht ausreichen um die Wirtschaft wiederzubeleben und so zum Niedergang des Regimes aufgrund eines Legitimitätsverlusts bzw. eines Volksaufstands führen.[63]

Hervorzuheben ist hier weiterhin, dass in beiden Texten deutlich gemacht wird, dass unabhängig von der Wahl der Handlungsalternative das Entstehen von Instabilität innerhalb des Systems kaum zu vermeiden sein wird.[64] Es wird also wieder ein Dilemma wahrgenommen, dass nicht lösbar ist und deshalb zum Ende des Regimes in absehbarer Zeit führen wird.

Huh Moon-young dagegen nutzt die zuvor bereits dargestellten theoretischen Grundlagen Seymour Martin Lipsets, indem er prüft ob effectiveness und legitimacy des Systems zum weiteren Machterhalt des Regimes ausreichen.[65] Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Regime bisher noch ausreichend Legitimität besitze, um eine erfolgreiche Stabilisierung unter Kim Jong Il zu erreichen. Langfristig würden jedoch die mangelnden konkreten Erfolge im wirtschaftlichen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Bereich (niedriger Grad von effectiveness) sowie eine abnehmende Repressionsfähigkeit und ein Rückgang von Unterstützung durch befreundete Staaten[66] mit dem Verlust der Legitimität einhergehen und so zu Widerständen gegen das Regime führen.[67]

3.2.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht

Die Literatur, die in diesem Zeitraum von einer weitgehenden Stabilität des nordkoreanischen Systems ausgeht, begründet dies hauptsächlich mit dem konkreten Handeln der Führung in Pjöngjang. Die strukturellen Rahmenbedingungen werden zwar ebenfalls als problematisch betrachtet, allerdings wird hier davon ausgegangen, dass diese Schwierigkeiten nicht unmittelbar zur Instabilität des Regimes führen müssen. Dabei gehen Zhou Jianming und Wang Lingyi von drei Faktoren aus, die hauptsächlich von Bedeutung für die Stabilität des Systems sind. Sie nennen hier die Übergabe der Macht, sowohl von Kim Il Sung auf Kim Jong Il, als auch zwischen den verschiedenen Generationen der Eliten, die Lösung der wirtschaftlichen Probleme, sowie die Beendigung der diplomatischen Isolation, insbesondere gegenüber den USA.[68] Zwar wird eingeräumt, dass in den einzelnen Bereichen durchaus noch Probleme bestehen, jedoch sei das System in der Lage, diese durch entsprechende politische Anpassungen, die teilweise bereits durchgeführt worden seien, zu beheben und so weiterhin politische Stabilität zu garantieren.[69]

Ähnlich argumentiert Marcus Noland. Er schreibt, dass das Regime erfolgreich die Juche-Ideologie mit koreanischem Nationalismus verbunden habe und diese neue Ideologie weiterhin ein wirksamer Stabilisator des Systems sei. Weiterhin weist er darauf hin, dass in Nordkorea keine Institutionen bestünden, die Massenproteste zu politischer Aktion kanalisieren könnten, wie es in den sozialistischen Staaten Osteuropas der Fall gewesen sei. Aufgrund der geopolitischen Konstellation könne Nordkorea auf Unterstützung durch China und eventuell durch Japan sowie Südkorea hoffen.[70] Hinsichtlich der prekären wirtschaftlichen Situation des Landes macht er die Aussage, dass „no reliable theory linking economic distress or deprivation to political change“[71] existiere. Daher seien, so Noland, die ohnehin schwer einzuschätzenden wirtschaftlichen Kennziffern Nordkoreas kaum geeignet, um Aussagen über die Regimestabilität zu begründen.[72] Noland geht ebenfalls von drei Handlungsoptionen aus, nämlich der Erhaltung des Status quo, weitreichenden Reformen und dem sogenannten „muddling through“. Da die anderen beiden Alternativen über kurz oder lang zu Instabilität führen müssten, erwartet Noland, dass Nordkorea das muddling through wählen werde. Es stellt einen Kompromiss zwischen den anderen Alternativen dar und lässt sich vor allem durch ad hoc-Anpassungen an sich verändernde Rahmenbedingungen beschreiben.[73] Es ist also eine kurzfristige Strategie, die durch die Veränderungen der strukturellen Faktoren determiniert wird. Weiterhin merkt Noland an, dass externe Mächte eine entscheidende Rolle beim Erfolg bzw. Misserfolg dieser Strategie spielen werden. Sähen sie ein Fortbestehen Nordkoreas als in ihrem Interesse an, sei die Wahrscheinlichkeit für einen längerfristigen Erfolg dieser Strategie wesentlich höher.[74]

3.2.3 Literatur ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität der Instabilität

Die hier behandelten Analysen treffen keine genaueren Aussagen über die Zukunft des Regimes. Yang Sung Chul sieht zwar die Regelung der Nachfolge Kim Il Sungs bzw. den Erfolg der Machtübergabe an Kim Jong Il als bedeutenden Faktor für die Zukunft Nordkoreas an, allerdings ergibt sich seiner Meinung nach aus dem Ende Kims als Führer nicht zwangsläufig ein Ende des Regimes. Der Fokus des Artikels liegt zwar hauptsächlich auf den Geschicken Kim Jong Ils als Führer, allerdings werden auch allgemeine Überlegungen zur Dauerhaftigkeit des politischen Systems angestellt. Hier werden insbesondere Unterschiede zwischen dem asiatischen und dem osteuropäischen Sozialismus angeführt.

Einerseits, so der Autor, könnte der konfuzianische Hintergrund der Kultur ein systemstabilisierender Faktor sein, andererseits dürften mangelnde Erfahrungen mit demokratischen politischen Systemen eine Entwicklung in diese Richtung hemmen. Weiterhin sei China als externe Stütze des Systems ein wichtiger Faktor für Stabilität. Genauere Aussagen über künftige Entwicklungen der Politik Nordkoreas seien wegen der Abgeschlossenheit des Systems kaum zu treffen.[75]

Kim Hakjoon stellt bei seiner Betrachtung bezüglich der Stabilität des Regimes zuerst die seiner Meinung nach bedeutenden Faktoren für die Stabilität des Regimes dar. Dazu zählt er die Einzigartigkeit der Gesellschaft, die in der Indoktrination mit der Juche-Ideologie begründet sei. Vor allem das in der Ideologie verankerte Streben nach Autarkie und das Bild der Gesellschaft als Organismus mit dem Führer Kim Jong Il als Kopf des Ganzen, erleichtert den Erhalt des Status quo. Dieser Erhalt stelle das Hauptziel des Systems dar.[76] Auch die Beziehung zwischen Kim Jong Il und den Eliten wird als bedeutend eingeschätzt. Es wird davon ausgegangen, dass es Kim Jong Il gelungen sei, sich eine Machtbasis innerhalb der Eliten zu schaffen und dass er als legitimer Nachfolger Kim Il Sungs anerkannt werde. Weiterhin wird ihm aufgrund seiner engen Kontakte zu einer jüngeren Generation von Technokraten nachgesagt, er habe eine Präferenz für eine pragmatische Politik und dadurch auch für zumindest eine graduelle Öffnung des Landes. Hier könnten Widerstände aus der älteren Generation der Revolutionäre zu einem Risiko für die Stabilität werden.[77] Die weitere Entwicklung des ökonomischen Sektors wird als entscheidend angesehen. Sollten hier keine Erfolge bei der Bekämpfung der Krise eintreten, dürfte eine zunehmende Instabilität und bis hin zu einem Regimekollaps nicht zu vermeiden sein. Weiterhin sei es für die weitere Stabilität des Regimes von großer Bedeutung, eine drohende Isolation, die durch eine weitere Annäherung Chinas und Russland an Südkorea und Japan entstehen könne, zu verhindern.[78] Aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der drohenden Isolation werde die DVRK zu einer weiteren Öffnung gezwungen. Ob diese dann zu Instabilität führe, hänge von den Fähigkeiten des Regimes ab, die neuen Umstände zu handhaben. Die weitere Entwicklung Nordkoreas werde vermutlich durch den Ausgang eines entstehenden Konfliktes zwischen Hardlinern und Reformern innerhalb der Eliten entschieden.[79]

3.3 1998 – 2003

3.3.1 Literatur, die von der Instabilität Nordkoreas ausgeht

In Zeitraum von 1998 bis 2003 werden Bewertungen der Stabilität Nordkoreas generell vorsichtiger vorgenommen, da sich das Regime um Kim Jong Il trotz der vorhandenen Probleme wie der Hungerkrise, dem wirtschaftlichen Niedergang und dem Führungswechsel weiter konsolidieren konnte.

Die weitere Stabilität des Regimes in Pjöngjang wird hauptsächlich wegen der strukturellen, überwiegend wirtschaftlichen Probleme,[80] die ein baldiges Ende des Regimes erwarten lassen, angezweifelt. Dabei wird die Hungerkatastrophe als ein weiteres eindeutiges Zeichen dafür gesehen, dass der wirtschaftliche Niedergang bereits soweit fortgeschritten sei, dass selbst die essentiellsten Aufgaben, wie die Ernährung der Bevölkerung, nicht mehr erfüllt werden können.[81] In diesem Zusammenhang wird auch auf die Reformunfähigkeit des nordkoreanischen Systems verwiesen, das trotz des immer deutlicher hervortretenden Bedarfs nach Reformen bisher keine nennenswerten Änderungen im wirtschaftlichen oder politischen Bereich umgesetzt habe.[82]

Zwar wird das weitgehende Verharren des Regimes in politischer und wirtschaftlicher Erstarrung als ein Versuch wahrgenommen, dem von Marcus Noland so bezeichneten Ansatz des muddling through zu folgen, allerdings würde dies, so die Autoren, zu einer dauerhaften Stabilisierung des Systems nicht ausreichen. Auch der Unterstützung durch befreundete Staaten wie China, durch Abkommen wie dem Genfer Rahmenabkommen oder durch internationale Hilfsorganisationen wie dem Welternährungsprogramm (WEP), wird eine zunehmende Bedeutung für das Überleben des Regimes und für die Umsetzung möglicher Reformvorhaben zugestanden.[83] Langfristig sei das Regime nicht in der Lage, das Dilemma zwischen dem vitalen Bedarf nach Reformen und der Erhaltung der Legitimität und der Daseinsberechtigung des Regimes, ob mit oder ohne Unterstützung von außen, zu lösen. Daher sei sein Ende absehbar, oder wie David Reese es beschreibt: „It is difficult, however, to see how Kim Jong Il’s authoritarian regime can implement changes on the scale necessary without bringing about its own downfall.”[84] Dieser Wechsel würde dabei nicht durch einen Aufstand von unten getragen. Viel wahrscheinlicher sei die Entstehung einer Opposition innerhalb der Eliten, die möglicherweise in einem Militärputsch gipfeln könne.[85]

Der Beitrag von James Cotton, der hauptsächlich die in einer Pressekonferenz geäußerte Meinung von Hwang Jang-yop, einem prominenten nordkoreanischen Politiker und Ideologen, der 1997 nach Südkorea übergelaufen war, wiedergibt, bietet dabei interessante Informationen aus erster Hand. Die Meinung Hwangs deckt sich weitestgehend mit den Annahmen der beiden anderen hier dargestellten Autoren. Das Regime befinde sich in einem nicht lösbaren Dilemma, das über kurz oder lang zu einem Aufkeimen von Widerstand und der Ablösung Kim Jong Ils und seiner Gefolgschaft führen werde.[86] Solche Aussagen seien zwar mit Vorsicht zu betrachten, da sie von jemandem getroffen worden seien, der mit Pjöngjang gebrochen hatte, sie dürften dennoch ein realistisches Licht auf die angespannte Lage Nordkoreas zu dieser Zeit werfen. Auch sei die Flucht eines so bedeutenden Mitglieds des nordkoreanischen Establishments ein eindeutiges Zeichen, so Cotton, dass innerhalb der Eliten Nordkoreas Uneinigkeit herrsche. Dies könne als erster Schritt zur Ablösung des Systems interpretiert werden.[87]

3.3.2 Literatur, die von der Stabilität Nordkoreas ausgeht

Auch in den Texten, in denen die Autoren davon ausgehen, dass das nordkoreanische System bis auf weiteres stabil bleibe, wird der unbedingte Bedarf nach Reformen beschrieben. Die erfolgreiche Durchführung von bestimmten Modifikationen am politischen und wirtschaftlichen System dürfe nach Meinung der Autoren ausreichen, um eine Festigung des Systems zu bewirken. Dabei gehen die Autoren jedoch von unterschiedlichen Faktoren aus, die hinsichtlich der Stabilität des nordkoreanischen Systems stützend wirken könnten.

Moon Chung-in und Kim Yongho sehen drei vorstellbaren Szenarien für die weitere Entwicklung Nordkoreas, nämlich die Erhaltung des Status quo, ein mögliches Systemversagen, oder eine schrittweise Reformierung.[88] Die Autoren sind dabei der Ansicht, dass ökonomische Faktoren und das Problem der Machtübergabe die falschen Parameter zur Überprüfung der Stabilität des Systems seien. Vielmehr sei die Betrachtung möglicher Interessengruppen innerhalb der Führung, ein eventuelles Entstehen einer Zivilgesellschaft sowie die Möglichkeit der Bevölkerung die individuelle Situation mit anderen, außerhalb des Systems zu vergleichen, zu prüfen. Hier werde deutlich, dass ein Großteil der politischen Eliten ein Interesse an einer Öffnung des Landes und einer reformorientierten Politik habe.[89] Aber auch externe Faktoren seien von großer Bedeutung. Es zeige sich, dass vor allem China und Südkorea kein Interesse am Zusammenbruch Nordkoreas haben und daher auch zukünftig als Stützen des Regimes in Pjöngjang agieren würden.[90] Aus dieser Kombination interner Interessen, die möglichen Reformen aufgeschlossen gegenüberstünden und potentiellen externen Unterstützern, die um die Stabilität Nordkoreas besorgt seien, ziehen die Autoren den Schluss, dass Nordkorea den Weg der Reformen fortsetzen und sich mit höchster Wahrscheinlichkeit am Vorbild Chinas orientieren werde.[91]

Selig S. Harrison beschreibt die permanente Bedrohungswahrnehmung, die durch den permanenten Kriegszustand und die Medien in Nordkorea generiert werde, als stabilisierenden Faktor, der zusätzlich noch durch das Fortbestehen des koreanischen Nationalismus verstärkt werde.[92] Auch er erkennt in den konfuzianischen Hintergründen der Gesellschaft eine Ursache für die Stabilität des Systems.[93] Den eigentlichen Grund für die Überlebensfähigkeit des Regimes sieht er jedoch in der Tatsache, dass es sich nicht, wie von Beobachtern vielmals wahrgenommen, um ein monolithisches System handele, sondern dass vielmehr auf oberster Ebene ein Wettbewerb der Ideen zwischen Reformern und Vertretern des Status quo stattfinde. Nordkorea habe, so Harrison, den Pfad des muddling through eingeschlagen, wobei Verluste innerhalb der Bevölkerung billigend in Kauf genommen würden, solange die Stabilität des Systems gesichert sei.[94] Jedoch habe es auch erfolgreich eine sogenannten „reform by stealth“ durchgeführt, womit es gelungen sei, das System weiter zu stabilisieren. Eine Vielzahl kleinerer Reformen wie das Einführen der Bauernmärkte und der Rajin-Songbon FETZ seien eindeutige Belege hierfür.[95] Als die größte Gefahr für eine weitere Konsolidierung des Systems sieht Harrison das Umsichgreifen von Korruption sowie das offene Auftreten von Ungleichheiten.[96] Von großer Bedeutung für die bisherige Entwicklung sei gewesen, dass es zwischen den Fraktionen innerhalb der Regierung nicht zu Konflikten gekommen sei. Würden weitere Reformen von der Führung nicht als Bedrohung der Stabilität oder als "trojanisches Pferd" der USA angesehen, werde dieser Weg weiterhin fortgesetzt.[97]

3.3.3 Literatur ohne klare Stellungnahme bezüglich Stabilität und Instabilität

Die Tatsache, dass sich das nordkoreanische Regime trotz komplizierter Rahmenbedingungen seit Beginn der 1990er Jahre an der Macht halten konnte und auch in der Zeit des Machtwechsels zu Kim Jong Il keine weitreichenden Auflösungserscheinungen auftraten, führte in der Literatur dazu, dass eine zunehmende Zahl von Autoren es vermied, nähere Prognosen bezüglich der Stabilität des nordkoreanischen Regimes zu treffen. Ihre Annahmen machen die weiteren Entwicklungen in Nordkorea stärker vom Erfolg der Politik des Regimes sowie möglichen Änderungen der Rahmenbedingungen, innerhalb deren sich diese Politik abspielte, abhängig. Als grundlegende Rahmenbedingungen wurden dabei verschiedene Faktoren wahrgenommen. Die Machtübernahme Kim Jong Ils wird weitgehend als erfolgreich angesehen, wobei wiederholt auf die zunehmende Bedeutung des Militärs bei der Machtsicherung des Regimes um Kim Jong Il hingewiesen wird.[98]

Der sich weiterhin fortsetzende Niedergang der nordkoreanischen Wirtschaft und die Hungerkatastrophe, die 1997 bis 1998 ihren Höhepunkt erreicht hatte, werden weiterhin als bedeutsame Faktoren anerkannt.[99] Jedoch wird wiederholt darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen der ökonomischen Situation nicht überschätzt werden dürften, da die vorausgesagten Effekte ausgeblieben seien[100] und bestimmte Faktoren und politische Manöver gegen diese Auswirkungen arbeiteten.

Des Weiteren wird auf die Bedeutung der internationalen Situation verwiesen. Hier spielen vor allem der Systemwettbewerb mit Südkorea, die Möglichkeit einer Normalisierung der Beziehung zu den USA sowie das Fortbestehen des guten Verhältnisses zu China als bedeutendstem materiellen Unterstützer des nordkoreanischen Systems eine Rolle. Dabei werden neben der Möglichkeit der Eingliederung ins Weltwirtschaftssystem durch verbesserte Beziehungen zu den USA und Südkorea, vor allem der Erhalt von auswärtigen Hilfen, die für die Fortsetzung der Strategie des muddling through von essentieller Bedeutung sind, als wichtig angesehen.[101]

[...]


[1] In der Folge wird für „Republik Korea“ „Südkorea“ und für „Demokratische Volksrepublik Korea“ „Nordkorea“ aus Gründen der Lesbarkeit synonym verwendet.

[2] Vgl. Wolfgang Merkel, Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung Opladen – 1999, S. 123 - 129.

[3] Vgl. Joachim Raschke / Ralf Tils, Politische Strategie. Eine Grundlegung, Wiesbaden 2007, S. 131f.

[4] Vgl. Gavan McCormack, Target North Korea. Pushing North Korea to the Brink of Nuclear Catastrophe, New York 2004, S. 79 - 92.

[5] Vgl. Merkel (1999), S. 123.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. ebd., S.124.

[8] Merkel (1999), S. 74.

[9] Ebd.

[10] Ebd., S. 75.

[11] Vgl. ebd., S. 75f.

[12] Vgl. Merkel (1999), S. 71f.

[13] Ebd., S. 72.

[14] Ebd., S. 73.

[15] Merkel (1999), S. 123.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. Samuel P. Huntington, Democracy’s Third Wave, in: Journal of Democracy, Vol. 2 (1991), No. 2, S. 12.

[18] Vgl. Huntington (1991), S. 13.

[19] Vgl. ebd., S. 141 - 143.

[20] Vgl. ebd., S. 146 - 151.

[21] Vgl. Juan J. Linz, Transitions to Democracy, in: The Washington Quarterly, Summer 1990, S. 146 - 148.

[22] Vgl. Merkel (1999), S. 124 - 129.

[23] Vgl. David Beetham, The Legitimation of Power, Houndmills u.a. 1991, S. 3f.

[24] Vgl. ebd., S. 5f.

[25] Beetham (1991), S. 1.

[26] Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, hrsg. von Johannes Winckelmann, 1HB, 5. rev. Auflage, Tübingen 1976, S. 122.

[27] Vgl. ebd., S. 131f.

[28] Ebd., S. 140.

[29] Vgl. Weber (1976), S. 125f.

[30] Vgl. ebd., S. 124.

[31] Susanne Pickel / Gert Pickel, Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S. 85.

[32] Seymour Martin Lipset, Political Man, 5. Auflage, London u.a. 1969), S. 77.

[33] Vgl. ebd., S. 80f.

[34] Ebd., S. 77.

[35] Vgl. Pickel / Pickel (2008), S. 81f.

[36] Vgl. Rodney Barker, Political Legitimacy and the State, Oxford u.a. 1990, S. 124 - 126.

[37] Merkel (1999), S. 124.

[38] Vgl. ebd., S. 123.

[39] Merkel (1999), S. 124.

[40] Vgl. ebd., S. 124.

[41] Vgl. z.B. Kwon Soyoung, Changes in the Composition and Structures of the North Korean Political Elite, in: International Journal of Korean Unification Studies (2003), Vol. 12, No. 2, S. 99.

[42] Vgl. Maull, Hanns W., Nordkorea: Ein Staat vor dem aus?, in: Trierer Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 6, 2002, S. 8f. (http://www.deutsche-aussenpolitik.de/resources/tazip/ tazip6.pdf, Abruf vom 27. Oktober 2008)

[43] Vgl. Raschke / Tils (2007), S.127.

[44] Ebd.

[45] Vgl. ebd., S. 129.

[46] Vgl. Ahn Byung-joon, The Man who would be Kim, in: Foreign Affairs, Vol. 73 (1994), No. 6, S. 94; Titus North, The Kim Jong Il Succession Problem in the Context of the North Korean Political Structure, in: Korea and World Affairs, Spring 1992, S. 67.

[47] Vgl. Ahn Byung-joon, Korea’s Future after Kim Il-Sung, in: Korea and World Affairs, Fall 1994, S. 445; Barry Gills, North Korea and the crisis of socialism: the historical ironies of national division, in: Third World Quarterly, Vol. 13 (1992), No. 1, S. 127f.

[48] Vgl. Ahn, (1994.1), S. 445; Ahn, (1994.2), S. 94; Gills (1992), S. 127.

[49] Vgl. Ahn, (1994.1), S. 446; North (1992), S. 65f.

[50] Vgl. Ahn, (1994.1), S. 443; North (1992), S. 66.

[51] Vgl. James Cotton, Signs of change in North Korea, in: Pacific Review, Vol. 7 (1994), No. 2, S. 223.

[52] Vgl. ebd., S. 227.

[53] Vgl. Kim Sung Chull, Juche Idea: Base of Regime Legitimization of North Korea in the age of decaying socialism, in: The Korean Journal of National Unification, Vol. 1 (1992), S. 169f.

[54] Vgl. Kongdan Oh, North Korea in the 1990s: Implications for the future of the U.S. - South Korea Security Alliance, Santa Monica (Kalifornien) 1992, S. 43. (http://www.dtic.mil/cgi-bin/GetTRDoc?AD=ADA428182&Location=U2&doc=GetTRDoc.pdf, Abruf vom 12. Oktober 2008); Koh Byung-chul, Prospects for Change in North Korea, in: The Korean Journal of National Unification, Vol. 3 (1994), S. 241f; Ahn Byung-joon, The Possibilities of Change in North Korea, in: Korea and World Affairs, Fall 1992, S. 430f.

[55] Vgl. Oh (1992), S. 43; Koh (1994), S.239 - 241; Ahn (1992), S. 432.

[56] Vgl. Oh (1992), S. 43.

[57] Vgl. ebd., S. 143f; Koh (1994), S. 242 - 245; Ahn (1992), S. 429f.

[58] Vgl. Oh (1992), S. 31 - 34; Koh (1994), S. 245 - 249; Ahn (1992), S. 427 - 429.

[59] Für eine umfangreiche Auswertung der Literatur hauptsächlich zwischen 1995 und 1998, die sich mit der weiteren Entwicklung des nordkoreanischen Systems beschäftigt siehe auch: Kongdan Oh / Ralph Hassig, North Korea between Collapse and Reform, in: Asian Survey, Vol. 39 (1999), No. 2.

[60] Vgl. Amos A. Jordan / Jae H. Ku, Coping with North Korea, in: Washington Quarterly, Vol. 21 (1998), No. 1, S. 37f; Huh Moon-young, The Stability and Durability of the Kim Jong Il Regime, in: The Korean Journal of National Unification, Vol. 5 (1996), S. 80; Kim Choong-nam, The Uncertain Future of North Korea: Soft Landing or Crash Landing?, in: Korea and World Affairs, Winter 1996, S. 625f.

[61] Vgl. Jordan / Ku (1998), S. 43; Huh (1996), S. 83; Kim Choong-nam (1996), S. 624f.

[62] Vgl. Jordan / Ku (1998), S. 37; Kim Choong-nam (1996), S. 624f.

[63] Vgl. Jordan / Ku (1998), S. 44; Kim Choong-nam (1996), S. 635.

[64] Vgl. Jordan / Ku (1998), S. 40; Kim Choong-nam (1996), S. 635.

[65] Vgl. Huh (1996), S. 66f.

[66] Vgl. ebd.. S. 67f.

[67] Vgl. ebd., S. 80f.

[68] Vgl. Zhou Jianming / Wang Lingyi, Still Stable Korean - Type Socialism, in: The Korean Journal of National Unification, Vol. 5 (1996), S. 9.

[69] Ebd., S. 23.

[70] Vgl. Marcus Noland, Why North Korea will muddle through, in: Foreign Affairs, Vol. 76 (1997), No. 4 S. 106.

[71] Ebd., S. 106.

[72] Vgl. ebd., S. 105f.

[73] Vgl. Noland (1997), S. 110.

[74] Vgl. ebd., S.118.

[75] Vgl. Yang Sung Chul, The Political Succession Question in Post Kim Il Sung North Korea, in: Korea and World Affairs, Summer 1995, S. 232 - 234.

[76] Vgl. Kim Hakjoon, North Korea after Kim Il-Song and the Future of North-South Korean Relations, in: Security Dialogue, Vol. 26 (1995), No. 1, S. 78f.

[77] Vgl. ebd., S. 79 - 82.

[78] Vgl. ebd., S. 86f.

[79] Vgl. ebd., S. 89f.

[80] Vgl. David Reese, The Prospects for North Korea’s Survival, London 1998, S. 24; Lho Kyongsoo, The Democratic People’s Republic of Korea in 2003: Soft Landing or Collapse?, in: Christopher Dashwood / Kay Möller, North Korea Scenarios (1999 - 2003) and Responses of the European Union, Baden-Baden 1999, S. 18.

[81] Vgl. Reese (1998), S. 30 - 32.

[82] Vgl. ebd., S. 32; Lho (1999), S. 19.

[83] Vgl. Reese (1998), S. 38; Lho (1999), S. 19.

[84] Reese (1998), S. 81.

[85] Vgl. Reese (1998), S. 23; Lho (1999), S. 32; James Cotton, Defection of North Korea’s ideologist a sign of regime crises, in: The Pacific Review, Vol. 11 (1998), No. 1, S. 117.

[86] Vgl. Cotton (1998), S. 116f.

[87] Vgl. ebd., S. 108f.

[88] Vgl. Moon Chung-in / Kim Yongho, The Future of the North Korean System, in: Samuel S. Kim (Hrsg.), The North Korean System in the Post–Cold War Era, New York 2001, S. 223.

[89] Vgl. ebd., S. 234 - 237.

[90] Vgl. Moon / Kim (2001), S. 238 - 242.

[91] Vgl. ebd., S. 251.

[92] Vgl. Selig S. Harrison, Korean Endgame. A Strategy for Reunification and U.S. Disengagement, Princeton (New Jersey) 2002, S. 19f.

[93] Vgl. ebd., S. 21.

[94] Vgl. ebd., S. 25f.

[95] Vgl. ebd., S. 30 - 36.

[96] Vgl. ebd., S. 42.

[97] Vgl. ebd., S. 64f.

[98] Vgl. Buzo, Adrian, The Guerilla Dyansty, London – New York 1999, S. 211; Jeon Jei-guk, North Korean Leadership: Kim Jong Il’s ballancing act in the ruling circle, in: Third World Quarterly, Vol. 21 (2000), No. 5, S. 773.

[99] Vgl. z.B. Marcus Noland, The Future of North Korea, Working Paper, Institute for International Economics, 2002, S. 1. (http://www.iie.com/publications/papers/noland0502.pdf, Abruf vom 3. November 2008); Jonathan D. Pollack / Lee Chung-min, Preparing for Korean Unification: scenarios and implications, Santa Monica (Kalifornien) 1999, S. 30.

[100] Vgl. Buzo (2000), S. 246.

[101] Vgl. z.B. Noland (2002), S. 5 - 8; Pollack / Lee (1999), S. 29.

Ende der Leseprobe aus 147 Seiten

Details

Titel
Läuft die Uhr ab? Die Systemstabilität der Demokratischen Volksrepublik Korea in vergleichender Perspektive
Hochschule
Universität Trier
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
147
Katalognummer
V135369
ISBN (eBook)
9783640428281
ISBN (Buch)
9783640424290
Dateigröße
1236 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nordkorea, Demokratische Volksrepublik Korea, Ostasien, Nukleare Proliferation, DMZ, Demilitarisierte Zone, Kaesong, Yongbyon, Kim Jong Il, Pjöngjang, DPRK, North Korea, Koreanische Halbinsel, Kim Il Sung, Nukleartest, DVRK, Taepodong
Arbeit zitieren
Tobias Dondelinger (Autor:in), 2009, Läuft die Uhr ab? Die Systemstabilität der Demokratischen Volksrepublik Korea in vergleichender Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135369

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