Kleists Dramen

Kleists Dramen „Penthesilea“, „Die Hermannsschlacht“ und „Prinz Friedrich von Homburg“ ergeben zusammen ein umfassendes Bild über die Natur des Krieges


Hausarbeit, 2003

23 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 ‚Penthesilea’: Krieg als Enthumanisierung
2.1 Vernunft als wirkungsloses Gegenmittel
2.2 Gewalt provoziert weitere Gewalt

3 ‚Die Hermannsschlacht’: Kriege nutzen nur Herrschenden
3.1 Das Wohl der Bürger, ein zweitrangiges Ziel
3.2 Lug und Trug, im Krieg alltäglich
3.3 Krieg als Enthumanisierung

4 Prinz Friedrich von Homburg: Erfolgreiche Kriegsführung durch strenge Hierachie
4.1 Befehle sind zu befolgen
4.2 Militärischer Erfolg, höchstes Ziel jeder Staatsführung

5 Schluss

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

Internetquellen

1 Einleitung

April 1792: Nachdem die Monarchen Österreichs und Preußens ein Jahr zuvor in der Pillnitzer Konvention offen zur Intervention in Frankreich aufgerufen hatten, erklärt die französische Volks­vertretung Österreich den Krieg. Weniger als drei Jahre nach Beginn der französischen Revolution brechen damit für Europa zwei Jahrzehnte kriegerischer Auseinandersetzungen an, die erst mit der endgültigen militärischen Niederlage Napoleons bei Waterloo enden. Die blutige Bilanz: Vier Koalitionskriege, diverse Völkerschlachten und zehn­tausende von Toten.[1]

In dieser bewegten Zeit schreibt Heinrich von Kleist, in dessen Werk laut Gerhard Gönner zumeist die menschliche Gewalt im Zentrum steht[2], drei Dramen über den Krieg, die wohl zerstörerischste Form menschlicher Gewalt. 1807[3] schließt er die Arbeit am Trauerspiel ‚Penthesilea’ ab, dessen Fabel die Kämpfe zwischen Amazonen und Griechen vor Troja behandelt. 1808 entsteht auf der historischen Folie des Sieges des Cheruskerfürsten Hermann über drei römische Legionen ‚Die Hermannsschlacht’. 1821 erscheint schließlich ‚Prinz Friedrich von Homburg’. Das Stück muss jedoch aufgrund des Kleist’schen Selbstmordes am 21. November 1811 etwa zur gleichen Zeit entstanden sein wie die beiden anderen Dramen. Die Fabel basiert auf der Schlacht von Fehrbellin, in der Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, 1675 die von Frankreich finanzierten Schweden entscheidend besiegte und so den Grundstein für den Aufstieg Preußens zur Weltmacht legte.

Thema dieser Arbeit ist die Kriegsdarstellung in den drei genannten Dramen Kleists. Es wird die These überprüft, dass trotz einiger Gemeinsamkeiten jedes der drei Dramen ‚Penthesilea’, ‚Die Hermannsschlacht’ und ‚Prinz Friedrich von Homburg’ einen speziellen Aspekt des Krieges besonders hervorhebt. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte sollen im Rahmen einer ver­gleichenden Analyse herausgearbeitet werden und sich zu einem umfassenderen (Kriegs-) Bild ergänzen. Die Dramenaussagen werden außerdem auf die kriegerischen Auseinandersetzungen ihrer Entstehungszeit bezogen, also historisch verortet.

2 ‚Penthesilea’: Krieg als Enthumanisierung

2.1 Vernunft als wirkungsloses Gegenmittel

Während die Griechen unter Odysseus, Achill, Diomedes und Antilochus all ihre Kräfte der Eroberung Trojas widmen, greift ein Amazonenheer in die Kämpfe ein und attackiert beide Kriegs­parteien. Die Griechen verwirrt dieses Verhalten, weil es ihrer gewohnten Kriegeslogik, „Sie [Penthesilea: eigene Anmerkung] muss zu einer der Partein sich schlagen“ (Vers 53)[4], widerspricht. Sie sehen sich in eine Auseinandersetzung verwickelt, deren Grund sie nicht kennen - „Was wollen diese Amazonen uns?“ (Vers 14). Die Antwort auf diese Frage erschließt sich den Griechen erst in Auftritt fünfzehn, sie bleibt also während der ersten zwei Drittel des Dramas unbeantwortet. Welche Bedeutung hat dieser Umstand für die Interpretation? Sowohl in der Aufklärung als auch zur Zeit der Weimarer Klassik galt der Dialog als ideale Konfliktlösung. Beginnend mit Lessings ‚Nathan der Weise’ behauptete sich diese Vorstellung bis zu Goethes ‚Iphigenie auf Tauris’. In der Auseinandersetzung zwischen Griechen und Amazonen wird der Dialog als Konfliktlösungsstrategie aber offenbar nicht angewandt. Andernfalls hätte die erste Frage der Griechen darauf abgezielt, die Ursache des Krieges zu erfahren. Damit stellt Kleists ‚Penthesilea’ eine Abkehr von der Idee, über Dialoge ließen sich Konflikte lösen, dar, einen Gegenentwurf also zu Goethes ‚Iphigenie auf Tauris’. In diesem Zusammenhang fällt ferner auf, dass gemäß den Voraussetzungen des Stücks ein Dialog durchaus zu einem Friedensschluss hätte führen können. Denn es existiert kein unüberwindbarer Interessen­gegensatz. So ließe sich das Ziel, das die Amazonen mit ihrem Angriff verfolgen, beschreiben als: Sex zum Zwecke der Zeugung möglichst vieler Nachwuchs-Amazonen. Seinerseits gibt Achill zu Beginn des Dramas jedoch zu erkennen, dass er gemeinsamem Sex nicht abgeneigt wäre:

Ihr wisst’s, zu Willen jeder war ich gern:

Und wenn ich dieser mich gesperrt bis heute,

Beim Zeus, des Donners Gott, geschah’s, weil ich

Das Plätzchen unter den Büschen noch nicht fand. (Vers 601-604).

Ein gravierender Interessenkonflikt trägt also nicht die Schuld daran, dass der Konflikt nicht mit Hilfe eines Dialoges beigelegt wird; schließlich wäre eine äußerst einvernehmliche Einigung durchaus denkbar. Verantwortlich müssen daher die Protagonisten selbst sein bzw. die Gesellschaftsstrukturen, denen sie entstammen. Wie ist es aber zu erklären, dass Kleist 1807 in seiner ‚Penthesilea’ mit der Idee, Konflikte durch Dialog zu lösen, bricht? War nicht historisch unmittelbar zuvor der Mensch im Rahmen der Aufklärung als vernunftbegabtes Wesen erkannt worden, das seine Auseinander­setzungen ausschließlich auf der Ebene des Dialoges austrägt? Beantworten lassen sich diese Fragen mit einem Blick auf den Verlauf der französischen Revolution, die 1789 begann und zunächst von den Anhängern der Aufklärung als politische Realisierung ihrer Ideen gefeiert wurde.[5] Als Reaktion auf die Septembermorde von 1792, die Enthauptung König Ludwigs XVI und die bis 1794 andauernde Schreckensherrschaft der Jakobiner schlug die anfängliche Begeisterung jedoch in Abscheu und offene Kritik um.[6] Offenbar führte die Verwirklichung der Ideen der Aufklärung nicht zu einer gerechteren und besseren Welt sondern in die Hölle einer auf Terror fußenden Diktatur. Im Drama spiegelt sich diese zeitgenössische Erkenntnis unter anderem darin wider, dass Griechen und Amazonen ihren Konflikt nicht auf dem Wege der Vernunft lösen.

Auch die Schlüsselszene des Trauerspiels[7], die unter 2.2 eingehender analysiert wird, gewinnt ihre Brisanz aus dem Scheitern des Dialogmodells. Denn wie hätte wohl ein Autor der Aufklärung oder der Weimarer Klassik das entscheidende Duell zwischen Achill und Penthesilea gestaltet? Statt den nur mit einem Speer bewaffneten Achill entgegen seiner festen Überzeugung „Sie tut mir nichts, sage ich!“ (Vers 2471) zu massakrieren, hätte Penthesilea vielleicht vor Beginn der Feindseeligkeiten ein klärendes Ge­spräch begonnen.[8]

Dass die Stimme der Vernunft in der Regel kein Gehör (mehr) findet, wird auch an verschiedenen weiteren Stellen des Dramas dargestellt. So wird beispielsweise Prothoes Ratschlag, Penthesilea möge die weitreichende Entscheidung über Krieg oder Frieden nicht im Zustand emotionaler Erregung treffen, wiederholt ignoriert.[9] Ihrerseits sind auch die griechischen Könige nicht in der Lage, Achill zu rationalem Handeln zu bewegen. „Lasst uns vereint, ihr Könige, noch einmal Vernunft keilförmig, mit Gelassenheit, auf seine rasende Entschließung setzen.“ (Vers 229-231) Nicht einmal durch diese gemeinsame Initiative aller Könige läßt sich Achill vom notwendigen militärischen Rückzug überzeugen.

2.2 Gewalt provoziert weitere Gewalt

Seit jeher verstehen Menschen Krieg als eine Ausnahmesituation, als mehr oder weniger kurze Unterbrechungen des Normalzustandes Frieden. Gleich zu Beginn von Kleists ‚Penthesilea’ wird jedoch deutlich, dass sich die Verhältnisse verkehrt haben. Krieg, der zuvor als Ausnahme galt, ist jetzt normal. Diese Umkehrung der Verhältnisse zeigen insbesondere die beiden Anfangsverse des Dramas, in denen Antilochus die Griechenkönige Odysseus und Diomedes willkommen heißt: „Seid mir gegrüßt, ihr Könige! Wie geht’s, seit wir zuletzt bei Troja uns gesehen?“ (Vers 1-2). Die joviale Wortwahl bildet auf den ersten Blick einen scharfen Kontrast zur Situation, in der sich die drei Könige befinden. Immerhin ist kurz zuvor ein Krieg zwischen Griechen und Amazonen entbrannt. Sollten die politischen Führer der Griechen nicht etwas dem Ernst der Lage entsprechendes sagen, anstatt sich mit einem lockeren „Wie geht’s“ zu begrüßen? Dieses Verhalten läßt sich nur dadurch erklären, dass Krieg für die drei Feldherrn und Könige eben keine Ausnahme­situation darstellt, sondern vielmehr als Normalzustand angesehen wird. Die Tatsache, dass sich die drei „zuletzt bei Troja“ gesehen haben, unterstützt diese Schlussfolgerung. Denn von Homer wissen wir bekanntlich, dass die Griechen auch dort dem Kriegs­handwerk nachgingen.

[...]


[1] Eine ausführliche Darstellung der Ereignisse findet sich bei Müller, Helmut M.: Schlaglichter der deutschen Geschichte. Leipzig und Mannheim 2002. (künftig zitiert: Schlaglichter deutscher Geschichte)

[2] Gönner, Gerhard: Von „zerspaltenen Herzen“ und von der „gebrechlichen Einrichtung der Welt“. Versuch einer Phänomenologie der Gewalt bei Kleist. Stuttgart 1998. S. 1. (künftig zitiert: Gönner)

[3] Die Datierung der Dramen stützt sich auf die Rowohlt-Monographie zu Heinrich von Kleist.

[4] Zitate nach: Kleist, Heinrich von: Penthesilea. Ein Trauerspiel. Stuttgart 2001.

[5] Hegel beispielsweise beschreibt in seiner ‚Geschichtsphilosophie’ die unmittel­baren Reaktionen auf die Ereignisse der französischen Revolution wie folgt: „Es war dieses somit ein herrlicher Sonnenaufgang. Alle denkenden Wesen haben diese Epoche mitgefeiert. Eine erhabene Enthusiasmus des Geistes hat die Welt durch­schauert.“ Zitiert nach: Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschafts­geschichte. Bd 1. München 1989. S. 351. (künftig zitiert: Deutsche Gesellschafts­geschichte)

[6] Vgl. Deutsche Gesellschaftsgeschichte. S. 351.

[7] Unter „Schlüsselszene des Dramas“ verstehe ich den Zweikampf zwischen Achill und Penthesilea, an dessen Ende Achill von seiner Geliebten und ihren Hunden zerfleischt wird.

[8] Goethes König Thoas etwa wählt zu diesem Zweck die Worte: „Keiner beschädige den Feind, solange wir reden.“ (Vers 2023-2024, Goethe, Johann Wolfgang: Iphigenie auf Tauris. Stuttgart 1994.)

[9] Vgl. zum Beispiel die Verse 656 ff. und 788 ff.

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Details

Titel
Kleists Dramen
Untertitel
Kleists Dramen „Penthesilea“, „Die Hermannsschlacht“ und „Prinz Friedrich von Homburg“ ergeben zusammen ein umfassendes Bild über die Natur des Krieges
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Deutsche Philologie II)
Veranstaltung
Hauptseminar Kleists Dramen
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
23
Katalognummer
V135326
ISBN (eBook)
9783640432301
ISBN (Buch)
9783640432240
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich von Kleist, Dramen, Penthesilea, Die Hermannsschlacht, Prinz Friedrich von Homburg, Krieg
Arbeit zitieren
Malte Peters (Autor:in), 2003, Kleists Dramen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135326

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