Zu: Die Marquise von O...


Hausarbeit, 2005

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Reaktion des Publikums

3. Rechtsnorm

4. Frauenbild um 1800, Familie, Ehe

5. Die Frau als Festung

6. Der Graf F... und sein Schwan

7. Die Familienstruktur in der Novelle der Marquise von O...

8. Ohnmacht oder Verdrängung der Realität?

9. Die Gebärde des Errötens in der Novelle der Marquise von O...

10. Versöhnung, Heirat und Wiedergutmachung
10.1. Versöhnung
10.2. Heirat
10.3. Wiedergutmachung

11. Die Ironie in der Novelle der Marquise von O...

12. Kant und weitere Deutungen

13. Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

Die Marquise von O...

1. Vorwort

Heinrich von Kleists Novelle über die Marquise von O... erschien 1808 in der Literaturzeitschrift „Phöbus“ und ist nach Goethes Definition die Darstellung einer sich ereignenden unerhörten Begebenheit. Diese ist einerseits die ominöse unerklärliche Schwangerschaft einer „Dame von vortrefflichem Ruf“ und andererseits das darauf folgende Inserat in der Zeitung, mit welchem sie versucht den Vater des Kindes ausfindig zu machen und bereit ist diesen zu heiraten.[1] Die Marquise geht mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit, was in der damaligen Zeit völlig undenkbar war.

Gleich im ersten Satz des Werkes benennt Kleist konkret diese unerhörte Begebenheit. Die verwirrende Annonce und die nach und nach aufgerollte Vorgeschichte steigern kontinuierlich die Spannung. Dieses analytische Verfahren der Erzählung, bei welchem der Leser gleich zu Beginn die entscheidende Information erhält, ist aus der dramatischen Dichtung bekannt, so zum Beispiel bei Sophokles´ Ödipus[2].

Kleist nutzt lediglich Abkürzungen für Namen und Orte, um die Authentizität der Geschichte zu wahren. Dem Leser wird suggeriert, dass es sich um eine tatsächliche Begebenheit handelt und die wahre Identität der Personen und die vollständigen Ortsangaben nur aus Rücksicht verschwiegen werden. Kleist übernimmt dieses Stilmittel, mit dem die Neugier des Publikums angeregt werden soll, aus „moralischen Erzählungen, Prozessberichten und Kriminalgeschichten seiner Zeit“.[3] Ebenso deutet der Untertitel, „Nach einer wahren Begebenheit“, mit dem die Novelle erschien, auf einen realen Hintergrund hin.

Auch durch die Widersprüche, die sich ergeben soll das Leserinteresse sofort geweckt werden. Denn wie kann eine verwitwete Dame „von vortrefflichem Ruf [...] ohne ihr Wissen in andere Umstände gekommen“[4] sein? Zudem ist sie scheinbar bereit aus „Familienrücksichten“ den Vater des Kindes zu heiraten, andererseits gefährdet sie gerade mit der öffentlichen Anzeige den Ruf ihrer Familie. Jede andere Frau in ihrer Lage hätte die Öffentlichkeit gemieden, um sich und ihre Familie zu schützen. Erst nach und nach erfährt der Leser die Beweggründe der Marquise und wie es zu dieser Schwangerschaft gekommen ist.

Dem Leser könnte der Inhalt der Novelle bekannt vorkommen, da es schon im 16. Jahrhundert eine ähnliche Erzählung gab, welche aus Montaignes „Essais“ stammt. Es liegt nahe, dass auch Kleist diese Quelle kannte und die Grundstruktur übernahm. Bei Montaigne handelt es sich ebenfalls um eine Witwe, welche ohne ihr Wissen schwanger geworden ist und schließlich den Kindsvater heiratet. Allerdings ist es bei ihm eine Bäuerin, die in der Kirche von der Kanzel aus nach dem Vater des Kindes sucht, welcher ein Knecht und kein Graf ist.[5] (Textausschnitt aus Montaignes „Essais“: siehe Anhang)

2. Reaktion des Publikums

Die Veröffentlichung der Novelle war geradezu ein Skandal, da die Marquise nicht der Norm entsprechend handelt, indem sie das Zeitungsinserat in Auftrag gibt. Sie geht mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit, was in der Zeit um 1800 nahezu undenkbar war. Als Öffentlichkeit bezeichnete man die „Institution, die die Journale druckt und die Intelligenzblätter liest, in die die Marquise ihre schockierende Annonce einrücken läßt“[6], das Großbürgertum.

Eine andere Frau in ihrer Situation hätte wahrscheinlich unter den gesellschaftlichen Zwängen ihr Kind heimlich zur Welt gebracht und weggegeben oder es sogar getötet. Denn es galt als Verletzung der Ehre ein uneheliches Kind in die Welt zu setzen. Gelangte so etwas an die Öffentlichkeit wurde die Mutter mitsamt dem Kind verstoßen und damit ihre Zukunft ruiniert.

Zum empörten Publikum zählt auch der Kritiker Karl August Böttiger, welcher in Bezug auf die im Phöbus erschienene Novelle schreibt: „Nur die Fabel derselben angeben, heißt schon, sie aus den gesitteten Zirkeln verbannen.“ Selbst Dora Stock, bei der Kleist häufig zu Besuch war meint: „ Seine [Kleists] Geschichte der Marquise von O. kann kein Frauenzimmer ohne Erröten lesen. Wozu soll dieser Ton führen?“ Im Gegensatz dazu hat Adam Müller, Mitarbeiter beim Phöbus, an der „in Kunst, Art und Stil gleich herrlichen Novelle“ nichts auszusetzen.[7]

3. Rechtsnorm

Der Begriff Vergewaltigung existierte in der Zeit um 1800 noch nicht. Der Täter wurde lediglich als „Verführer“ bezeichnet. Das Allgemeine Preußische Landrecht sah es vor, dass dieser „Verführer“ die „Geschädigte“ als eine Art Wiedergutmachung heiratet oder falls dies nicht möglich war mindestens für ihre finanzielle Absicherung sorgt. Eine Verweigerung der Ehe von Seiten des Opfers ist damals als unwahrscheinlich erachtet worden. Kleist hat beide Ausführungen in seiner Novelle verarbeitet und die Charaktere der Personen, wie auch ihre Handlungen passen in den geschichtlichen und sozialen Hintergrund.[8] Er sichert sie finanziell, durch das Testament und die Schenkung an den Sohn ab und heiratet sie.

Johann Gottlieb Fichte hat dazu eine ähnliche Meinung. Er definiert die Ehe unter anderem durch den Geschlechtsverkehr. Dieser kann auch vor einer Heirat stattfinden. In solch einem Fall wird dann der Mann um eine öffentliche Erklärung gebeten. Nach seiner Ansicht ist die Ehe bereits durch den Geschlechtsverkehr vollzogen. Wenn sich die Frau dem Manne allerdings verweigert, wird dies als Mangel an Liebe und als fehlende Unterwerfung angesehen und gilt als Trennungsgrund. Nach einer Vergewaltigung schließt Fichte eine Heirat aus, denn ein erzwungener Geschlechtsverkehr begründet seiner Auffassung nach keine Ehe. Er spricht sich dafür aus, dass der Vergewaltiger dem Opfer als eine Art Entschädigung sein gesamtes Vermögen übergibt.[9]

Ist der Graf nach der Rechtsnorm des 18. Jahrhunderts schuldig und gibt es überhaupt eine Straftat? Um 1800 wurde zwischen Vorsatz (dolus) und Schuld (culpa) unterschieden. Dabei ist Vorsatz „der Entschluß zur Wirklichmachung eines vorgestellten Zweckes“ und Schuld ist der „Entschluß zu einer gewissen die Rechtsverletzung nicht bezweckenden Thätigkeit oder Unthätigkeit, mit dem wirklichen oder möglichen Bewußtsein ihrer nach den Naturgesetzen wahrscheinlichen rechtsverletzenden Folgen“[10] Die Frage ist, ob sich der Graf einer Vergewaltigung schuldig gemacht hat oder ob es nicht vielleicht eine Einwilligung seitens der Marquise gab. Der Tatbestand der „Nothzucht“ ist gegeben, wenn der Täter die Wehrlosigkeit seines Opfers vorsätzlich herbeiführt. Der Graf nutzte die Ohnmacht aus, aber führte sie nicht selbst herbei. Ihm musste aber bewusst sein, dass er nach der Strafgesetzgebung des ARL zur Verantwortung gezogen werden könnte, denn „jede Mannsperson, die sich eines außer der Ehe gepflogenen Beyschlafs bewußt ist, muß auf die Folgen, welche die Handlung bei der Geschwächten hervorbringen kann, aufmerksam seyn“.[11] Strafbar ist ebenfalls „das Herbeiführen des außerehelichen Beischlafs durch einen Mann gegen den Willen der Frau“.[12] Fraglich ist, ob eine Einwilligung seitens der Marquise vorlag. Der Graf könnte diese angenommen haben, da sie in ihrer Bewusstlosigkeit in seine Arme fiel, welches er als liebende Umarmung und als Zeichen bewusster Hingabe gedeutet haben könnte.[13] Nach zeitgenössischer Ansicht wäre er zu entschuldigen, da er annimmt, dass die Marquise keineswegs abgeneigt war. Er zeigt im Nachhinein eine gewisse Reue, welche dennoch kein Indiz für eine moralische Schuld darstellt.[14]

4. Frauenbild um 1800, Familie, Ehe

Bis ins 18. Jahrhundert war die Familie eine patriarchalisch organisierte Großfamilie. Der „pater familias“, das Familienoberhaupt, galt als Hausgesetzgeber und versinnbildlicht die Gesellschaft. Der Verweis der Marquise von O... aus dem Elternhaus durch den Vater kann auch als Verstoß aus der Gesellschaft betrachtet werden. Indem sie sich mit dem Vater versöhnt und den Grafen heiratet, wird sie wieder in die Gesellschaft integriert.

Liebe und Gefühl galten um 1800 nicht als Heiratsgrund, der Hauptzweck der Ehe nach dem preußischen Recht war die Zeugung und Erziehung von Kindern. Der Ehefrau kam neben Mann nur ein minderberechtigter Platz zu.

Kant hingegen sieht den Zweck der Ehe im gegenseitigen Besitz der unterschiedlichen Geschlechtseigenschaften. Die Zeugung von Kindern ist seiner Meinung nach lediglich der Zweck der Natur, da die Ehen schließlich nicht nach der Kindererziehung aufgelöst werden. Für Fichte ist die Ehe die unbegrenzte Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes, sie gehört nicht mehr sich selbst an, sondern dem Mann. Er wird ihr rechtlicher Vormund. Fichte sagt außerdem, dass erst in der Ehe die besten menschlichen Wesensmerkmale hervortreten. „Es ist absolute Bestimmung eines jeden Individuums beider Geschlechter, sich zu verehelichen. Der physische Mensch ist nicht Mann noch Weib, sondern er ist beides; ebenso der moralische. Es gibt Seiten des menschlichen Charakters, und gerade die edelsten desselben, die nur in der Ehe ausgebildet werden können. [...] Die unverheiratete Person ist nur zur Hälfte ein Mensch.“[15]

Im Laufe des 18.Jahrhunderts erfährt dieser Familienbegriff einen Wandel. Es entwickelt sich die Kleinfamilie, welche intim und emotional geprägt ist und die Liebe gilt nun als Grundvoraussetzung einer Ehe. Dennoch war die Frau dem Manne weit untergeordnet und ihre einzige Existenzmöglichkeit war die bürgerliche Ehe. Denn die freie Liebe konnten sie kaum ausleben, da eine uneheliche Schwangerschaft unweigerlich zum Herabsinken im öffentlichen Ansehen und zur Rechtslosigkeit geführt hätte. Der Vater ist aber nach wie vor Repräsentant der Gesellschaft. Das Verhalten der Marquise von O... verweist auf das Frauenbild der Zukunft, denn durch das Erkennen ihrer Unschuld wird sie zu einer starken Persönlichkeit, sie handelt selbstbewusst und entschließt sich ihre Kinder allein zu erziehen. So wendet sie sich vom üblichen Familienleben in patriarchalischer Ordnung ab.

[...]


[1] Kleist, Heinrich von: Die Marquise von O... S. 3.

[2] Schmidt, Jochen ( 1998): Die Marquise von O... S. 68.

[3] Moering, Michael (1972): Witz und Ironie in der Prosa Heinrich von Kleists. S. 237.

[4] Kleist, Heinrich von: Die Marquise von O... S. 3.

[5] Schmidhäuser, Eberhard (1986): Das Verbrechen in Kleists „Marquise von O...“. S. 156-157.

[6] Moering, Michael (1972): Witz und Ironie in der Prosa Heinrich von Kleists. S. 234.

[7] Moering, Michael (1972): Witz und Ironie in der Prosa Heinrich von Kleists. S. 235-237.

[8] Internet: http://www.kleist.org/textarchiv/Frank,MaritaFamilieundFraubeiKleistinderNovelleL.pdf. S.9 f.

[9] Internet: http://www.kleist.org/textarchiv/Frank,MaritaFamilieundFraubeiKleistinderNovelleL.pdf. S. 10.

[10] Bunia, Remigius (2004): Vorsätzliche Schuldlosigkeit- Begnadete Entscheidungen. S. 47.

[11] Bunia, Remigius (2004): Vorsätzliche Schuldlosigkeit- Begnadete Entscheidungen. S. 57.

[12] Bunia, Remigius (2004): Vorsätzliche Schuldlosigkeit- Begnadete Entscheidungen. S. 55.

[13] Schmidhäuser, Eberhard (1986): Das Verbrechen in Kleists „Marquise von O...“. S. 162 - 164.

[14] Bunia, Remigius (2004): Vorsätzliche Schuldlosigkeit- Begnadete Entscheidungen. S. 56.

[15] Internet: http://www.kleist.org/textarchiv/Frank,MaritaFamilieundFraubeiKleistinderNovelleL.pdf. S. 7 f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Zu: Die Marquise von O...
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Seminar III: Text und Tat. Zur Kulturgeschichte des Verbrechens
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V134934
ISBN (eBook)
9783640429745
ISBN (Buch)
9783640429622
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marquise
Arbeit zitieren
Daniela Kirchert (Autor:in), 2005, Zu: Die Marquise von O..., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134934

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