Sozialkritik in amerikanischen Zeichentrickserien

Am Beispiel der Simpsons, South Park und Futurama


Magisterarbeit, 2008

102 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Das Sitcom-Format
2.1. Entwicklung eines sozialen Gewissens
2.2. Die erste Animated Sitcom

3 THE SIMPSONS – Prototyp der Animated Sitcom
3.1. Ausgangssituation – Die maximale Durchschnittlichkeit
3.2. Die amerikanische Familie
3.3. Der Unternehmer und der Angestellte
3.4. Die Isolation des Individuums
3.5. Fernsehen und Populärkultur

4. SOUTH PARK – Gesellschaftskritik in Extremform
4.1. Ausgangssituation – Die Kleinstadt als trügerisches Idyll
4.2. Todesfälle und wirkliche Tragödien
4.3. Das religiöse Leben der Gemeinde
4.4. Die Konsumgesellschaft
4.5. Die Stimme der Vernunft

5. FUTURAMA – Der kritische Blick in die Zukunft
5.1. Ausgangssituation – Der Bruch mit klassischen Familienstrukturen
5.2. Willkommen in der Welt von heute
5.3. Umweltverschmutzung
5.4. Das Fernsehen als Informationsvermittler
5.5. „Cartoons don’t have any deep meaning”

6. Schlussbetrachtung – Wie unabhängig sind Animated Sitcoms?

7. Bibliographie

1. Einleitung

„Oh Marge, cartoons don’t have any deep meaning. They’re just stupid drawings that give you a cheap laugh.“ (Homer J. Simpson, Mr. Lisa goes to Washington)

Würde die Behauptung Homer J. Simpsons stimmen, dann wären dumme Zeichnungen und billige Lacher der Gegenstand dieser Arbeit. Zeichentrickserien eignen sich nach Homers Ansicht als seichte Kinderunterhaltung und banales Vormittagsprogramm. Das Augenmerk soll hier allerdings dem verneinten „ deep meaning “ gelten, der tieferen Bedeutung des Zeichentricks.

In den letzten zwei Jahrzehnten setzen sich Animationsserien verstärkt mit den Mechanismen der Massengesellschaft auseinander, hinterfragen Familienstrukturen, Konsumverhalten oder auch die Umweltpolitik. Am Beispiel dreier Serien soll aufgezeigt werden, wie intensiv und tiefgründig sich deren Autoren und Zeichner mit solchen Themen auseinandersetzen, welche Gesellschaftsentwürfe sie dem Rezipienten präsentieren und welchen Motiven sie dabei folgen.

Bei den ausgewählten Werken handelt es sich um die amerikanischen TV-Produktionen THE SIMPSONS, SOUTH PARK und FUTURAMA. Sie sind die prominentesten Vertreter des Genres Animated Sitcom, das sich an ein jugendliches und erwachsenes Publikum richtet und dementsprechend im Abendprogramm gesendet wird. Da die drei Serien gemeinsam mehr als 16.000 Sendeminuten umfassen, würde eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen darin behandelten sozialkritischen Themen den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Aus diesem Grund wird anhand von ausgewählten Aspekten die Methodik der Serienmacher herausgearbeitet.

Die Arbeit gliedert sich in drei Hauptkapitel. Im ersten Teil werden ausgehend vom Intro der Serie Formen der Sozialkritik in den THE SIMPSONS analysiert. Die Serie gilt heute als Prototyp einer Animated Sitcom und hat 1989 das Genre überhaupt zum Leben erweckt. Hierauf wird der Fokus auf die Serie SOUTH PARK gelenkt, die seit ihrem Sendestart 1997 eine andere, weitaus extremere Herangehensweise an gesellschaftliche Probleme nutzt. Die Wahl der behandelten Aspekte orientiert sich hier an den markanten Eigenschaften der vier Hauptcharaktere. Bei der Analyse werden rückbezogen auf THE SIMPSONS auch immer Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Produktionen pointiert. Das letzte Kapitel des Hauptteils führt schließlich die Science-Fiction-Serie FUTURAMA ein und wirft damit einen Blick in die Zukunft der in Animationsserien beschriebenen Gesellschaften. Jedem Hauptkapitel ist eine kurze Einleitung vorangestellt, die den Produktionsprozess und die Rezeption der Serien thematisiert. Zudem wird die Ausgangssituation jeder Serie detailliert beschrieben, die wichtige Informationen zu Figurenkonstellationen, Handlungsorten oder auch der Erzählperspektive enthält. Die Schlussbetrachtung hinterfragt, inwieweit die Animated Sitcoms als Massenkulturprodukte einen oppositionellen Standpunkt zur Konsumgesellschaft glaubhaft vertreten können.

Vorab soll allerdings mit einer kurzen Übersicht sozialkritischer Sitcoms begonnen werden, die den drei behandelten Animated Sitcoms als Vorbild dienten, um damit auch das Genre Sitcom näher zu beleuchten.

2. Das Sitcom­Format

Die Abkürzung Sitcom steht für Situation Comedy. Ihr Markenzeichen sind die schnelle Abfolge komischer Situation und Pointen, die in eine dramatische Handlung eingebettet sind. Klassische Sitcoms spielen in Familienhaushalten und thematisieren häusliche Probleme wie Streit unter Geschwistern oder Ehepartnern auf humoristische Weise. Typische Auslöser hierfür sind ein vergessener Hochzeitstag oder ein unangemeldeter Besucher.1 In klassischen Sitcoms entspringen die Charaktere einem konservativen Milieu und bilden einen traditionellen Familienverbund: „ [...] a male dad, a female mom, and, ideally a son and daughter. They are white, middle class and live in the suburbs rather than the city or country.”2 Der Vater hat die Funktion des Ernährers, während die Mutter ihrer Arbeit als Hausfrau nachgeht. Diese Arbeitsteilung ist für klassische Sitcoms typisch und wird auch so an die Kinder weitergegeben. Die Häuser, in denen Sitcom-Familien leben, haben zumeist zwei Stockwerke. Im Erdgeschoss befinden sich die Küche und das Wohnzimmer, der Essbereich ist integriert. Die Wohnzimmercouch nimmt eine zentrale Rolle im familiären Leben ein. Die Eingangstür ist sich links oder rechts der Couch, die Treppe ins obere Geschoss hinter ihr. Dort finden sich die Schlafzimmer und ein Badezimmer. Die Häuser sind aufgeräumt und organisiert, alle Bücher stehen feinsäuberlich sortiert in den Regalen. Das ist besonders auffällig, weil die Faulheit mindestens eines Seriencharakters ein wiederkehrendes Thema ist. Kontroversere Aspekte wie Politik oder Religion werden in klassischen Sitcoms wie I LOVE LUCY (1951-57) oder FATHER KNOWS BEST (1954-60) ausgelassen.3 Die Serien präsentieren eine heile Welt. Die Protagonisten haben ein soziales und moralisches Verantwortungsbewusstsein und leben – trotz allwöchentlicher Probleme – in einer intakten Familie. Die Väter sind Angestellte, die in weißen Kragenhemden arbeiten und deshalb White-collar Worker genannt werden. Wenige Sendungen präsentieren sogenannte Blue-collar Worker, also einfache Arbeiter aus noch einfacheren Verhältnissen. Beispielhaft hierfür ist die Serie THE HONEYMOONERS (1955-56), die die Geschichte eines frustrierten Busfahrers erzählt.

Sitcoms sind bei jungen und erwachsenen Zuschauern ein beliebtes Genre. Seit der Erstausstrahlung von I LOVE LUCY listet das Nielsen-Rating, das amerikanische Einschaltquotensystem, jedes Jahr Sitcoms als erfolgreichstes Fernsehformat. Während Western nur zeitweise in der Zuschauergunst vorne liegen, zieht sich das Interesse an Sitcoms wie ein roter Faden durch die amerikanische TV-Geschichte.4

2.1. Entwicklung eines sozialen Gewissens

In den 70er Jahren werden erstmals Sitcoms gedreht, die kontroversere Fragen behandeln und deshalb über ein „soziales Gewissen“5 verfügen. Die beiden herausragenden Vertreter sind ALL IN THE FAMILY (1971-79) und M*A*S*H (1972-8 3). Die erstgenannte Serie erzählt ebenfalls aus dem Leben einer Arbeiterklassefamilie und gilt als kontroverseste und sozialkritischste Familien-Sitcom dieser Zeit. Wenn die Hauptfigur Archie Bunker mit ihrem Schwiegersohn Michael Stivic politische Themen diskutiert, prallen traditionelle Wertvorstellungen und die Gegenkultur der 68er aufeinander. Vor der Erstausstrahlung schaltet der Sender einen Hinweis, dass die Serie sich über Schwächen und Vorurteile der Gesellschaft lustig macht und damit deren Absurdität pointieren möchte. Protagonist Bunker bezeichnet Homosexuelle abfällig als „ fags “, auch über Juden, Schwarze und Frauen äußert er sich negativ. Die Serie behandelt sogar Themen wie Abtreibung, Antisemitismus und Mord, was in traditionellen Sitcoms undenkbar ist. Auch hört man in der Serie erstmals Flüche wie „ God damn it “ oder das Geräusch einer Toilettenspülung. Es wurde angenommen, dass derartige Inhalte und politische Themen zahlreiche Zuschauer verschrecken würden, der kommerzielle Erfolg der Serie beweist aber das Gegenteil.6 M*A*S*H verfolgt einen noch radikaleren Ansatz. Die Handlung spielt nicht in einem Familienhaushalt, sondern einem Kriegsgebiet. Die Hauptcharaktere dienen im Koreakrieg gemeinsam in einem Militärlazarett. Durch das Mise-en-scène sind Krieg und Tod in allen 251 Serienfolgen ein zentrales Thema. Charaktere werden im Serienverlauf verwundet und gar getötet. Häufiger erleben Protagonisten Nervenzusammenbrüche, wenn Verbrennungsopfer behandelt werden müssen. Sogar Selbstmordgedanken werden thematisiert, bereits die Titelmusik hat den Namen Suicide is painless. Die Serie beinhaltet viel Situationskomik und wird dementsprechend vom Fernsehsender CBS als Sitcom-Serie direkt nach ALL IN THE FAMILY ausgestrahlt. Die Macher wechseln in jeder Episode mehrmals die Stimmungslage, lassen auf ernste überaus lustige Szenen folgen. Sarkastische und ironische Kommentare der Ärzte lockern zudem die Handlung auf. Die beiden CBS-Serien unterscheiden sich von klassischen Sitcoms auch durch den Verzicht auf einen sogenannten Laugh Track, dem Einspielen von Lachern vom Band. Diese Lacher manipulieren den Zuschauer in seiner Wahrnehmung, was einem von Theodor Adorno und Max Horkheimer bereits 1949 formulierten Vorwurf an das Massenmedium entspricht: „ Der Zuschauer soll keiner eigenen Gedanken bedürfen: das Produkt zeichnet jede Reaktion vor7. M*A*S*H spielt in Operationsszenen generell keine Lacher ein, in sonstigen Szenen nur auf Anweisung des Senders. Für ALL IN THE FAMILY werden die Reaktionen eines Studiopublikums aufgezeichnet und als Geräuschkulisse ausgestrahlt. Dadurch lassen die Macher das Publikum selbst das Urteil über die Serieninhalte fällen.8

In den 80er Jahren zeigen Sitcoms vermehrt Arbeiterklassefamilien. Gerade zum Ende des Jahrzehnts werden erfolgreiche Formate ausgestrahlt, die sich mit den Problemen der Gesellschaft und der Familie im Speziellen auseinandersetzen. Die prägnantesten Beispiele hierfür sind MARRIED WITH CHILDREN (1987-97) und ROSEANNE (1988-97). In MARRIED WITH CHILDREN wird von der dysfunktionale Familie eines Schuhverkäufers erzählt. Zwar wird in der Serie wie in den 60er Jahren eine 4-köpfige, weiße Familie gezeigt, allerdings erfüllt keine der Figuren ihre klassische Rolle. Weder kann der Vater mit seiner Arbeit die Familie ausreichend versorgen, noch sorgt die Mutter als Hausfrau für Recht und Ordnung. Sohn und Tochter lernen von ihren Eltern keine moralischen Werte. Gesellschaftliche Probleme wie Armut werden in der Serie ausnahmslos auf humoristische und überspitzte Weise angerissen, so auch wenn die Kinder Hundefutter essen müssen. Die Sitcom ROSEANNE nähert sich auf ernstere Weise gesellschaftskritischen Themen. Dazu tragen neben ernsten Dialogpassagen die realistischere Kleidung der Figuren und der Schauplatz bei. Zudem beschreibt die Serie eine episodenübergreifende Handlung, wodurch die Charaktere weniger statisch und damit glaubwürdiger scheinen. So verlieren die Eltern längerfristig ihre Arbeitsplätze und die Kinder laufen für mehrere Folgen von zu Hause weg. Durch diese Handlungsstränge werden Probleme komplexer beschrieben, beispielsweise steigert sich der Alkoholkonsum eines Charakters von Episode zu Episode, bis er später alkoholisiert seine Frau misshandelt. Neben Armut und Gewalt werden Drogenmissbrauch, Abtreibung, Masturbation und Tod in der Serie thematisiert und kritisch von den Figuren diskutiert. Auf Grund dieser Inhalte begeht die Serie einen ähnlichen Spagat wie M*A*S*H und schwankt häufiger zwischen ernsten und lustigen Situationen.

2.2. Die erste Animated Sitcom

Die SIMPSONS9 gelten heute als Prototyp des Genres Animated Sitcom. Sie sind eines der erfolgreichsten und zugleich kritischsten Fernsehformate aller Zeiten und ebnen den Weg für ähnliche Formate wie KING OF THE HILL (1997-HEUTE), FAMILY GUY (1999-HEUTE), AMERICAN DAD (2005-HEUTE) und auch die anderen beiden in dieser Arbeit behandelten Serien. Allerdings erfinden die SIMPSONS das Genre nicht, sondern erwecken es nach über zwei Jahrzehnten wieder zum Leben. Bereits im September 1960 strahlt der Fernsehsender ABC erstmals die Serie THE FLINTSTONES (1960-66) aus. Die Serie erzählt aus dem Leben des Steinbrucharbeiters Fred Feuerstein und seiner Gattin Wilma. Weitere Hauptcharaktere sind die Nachbarn Barney und Betty Geröllheimer.

„The show was formally structured like a sitcom, complete with single half-hour narrative episodes, suburban setting, domestic plots, and even a laugh track, deriving primary character and situational inspiration from The Honeymooners.”10

Während die traditionelle Sitcom THE HONEYMOONERS in ihrer Zeit spielt und damit die Kosten für Bühnenbild und Ausstattung möglichst niedrig hielt, bieten die FLINTSTONES als Animationsserie ihren Machern kreative Freiheiten. Erste Scripts der Sendung verlegen die Handlung in die amerikanische Siedlerzeit oder das römische Reich, letztendlich entscheiden die Verantwortlichen sich für die Steinzeit.11 Animationsserien sind günstiger zu produzieren als die realen Vorbilder, weil Szenen nicht ausgeleuchtet werden müssen, es keine Filmcrew gibt, keine Kameras und nur wenige Sprecher, die mehreren Charakteren ihre Stimme leihen.12 Wenn eine reale Sitcom wie M*A*S*H den Handlungsort variiert und koreanisches Kriegsgebiet am Strand von Los Angeles nachgestellt, dann erhöht sich der Preisunterschied sogar.

Als Sitcom wandern die FLINTSTONES nicht in das Kinderprogramm von ABC, sondern werden um 20:30 Uhr ausgestrahlt und sind damit die erste im Hauptabendprogramm präsentierte Zeichentrickserie. Hier entwickelt sich die Serie zu einem Quotenerfolg und lässt, wie die SIMPSONS dreißig Jahre später, zahlreiche Nachahmer folgen. Beispielsweise kreieren die FLINTSTONES-Erfinder William Hanna und Joseph Barbera selbst die Serie THE JETSONS (1962-63) und verlegen darin die typische Sitcom-Szenerie in die Zukunft.

Die Animated Sitcoms dieser Zeit rücken sozialkritische Aspekte nicht ins Zentrum der Handlung. Allerdings ist rückblickend festzustellen, dass sie bereits Ansätze von Satire beinhalteten, die von modernen Formaten wie den SIMPSONS ausgebaut werden. Indem die FLINTSTONES einen Steinbrucharbeiter zeigen, richtet sich die Serie bereits gegen damalige TV-Konventionen. In den 60er Jahren sind einfache Arbeiter im Fernsehen unterrepräsentiert, weil Sponsoren einen großen Einfluss auf die Inhalte von TV-Sendungen haben. Sie ziehen es vor, ihre Produkte in einem Umfeld der Mittelklasse zu offerieren, da diese auch die Zielgruppe der meisten Werbekampagnen ist.13 Hanna und Barbera nutzen den Vertreter der Arbeiterklasse allerdings nicht, um Konsumkultur und Modernität zu kritisieren. Genau wie der Mittelstand profitiert die Steinzeit-Familie von Errungenschaften wie Dusche, Geschirrspüler oder Staubsauger. Wie Fred als einfacher Arbeiter im Steinbruch genug Geld verdienen kann, um sich und seiner Frau diese Errungenschaften zu gönnen, wird in den FLINTSTONES nicht thematisiert.

The Flinstones fantasy element [...] makes it seem possible for this working-class couple to consume well beyond their means. On this program, consumer power does not seem directly tied to monetary wealth. [...] The appliances are a given; we seldom witness their purchase, and we do not see Fred and Wilma debating about what they can afford.14

So repräsentiert die Familie zwar die Arbeiterklasse, führt selbst aber das Leben einer Mittelstandsfamilie. Dennoch übt die Steinzeit-Serie mäßige Kritik an Modernität und Konsumkultur. Auch wenn Fred Feuerstein sich all die Annehmlichkeiten der Konsumgesellschaft leisten kann, so ist er doch gezwungen dafür zu arbeiten. Fred ist ein sogenannter „ White Male Working-Buffon15, der häufig unzufrieden mit seiner Arbeit ist und unter seinem Arbeitgeber leidet. Entsprechend beendet Fred im Vorspann jeder Folge eiligst seine Arbeit im Steinbruch und macht sich glücklich auf den Heimweg. Der Ton der FLINTSTONES wird kritischer, wenn Dinosaurier das Thema Arbeit kommentieren. In der Steinzeit-Sitcom ersetzen sie die Elektronik und werden damit Teil der Arbeiterklasse. Vorwiegend sind sie lustlos und verärgert und echauffieren sich über die Unselbstständigkeit der Menschen.

Die Absetzung der FLINTSTONES im Jahre 1966 setzt dem Genre Animated Sitcom ein vorläufiges Ende und kommt dem Aussterben des letzten Dinosauriers gleich. Alle weiteren im amerikanischen Abendprogramm gezeigten Zeichentrickserien sind auf Grund schlechter Quoten und fehlerhaftem Marketing eingestellt worden und die Euphorie-Welle dementsprechend längst verebbt. Die Sender sehen trotz der beschriebenen Vorteile des Genres davon ab, neue Zeichentrickserien für das Abendprogramm zu produzieren. Hierfür gibt es neben den Misserfolgen der Jahre 1963-66 mehrere Gründe. Der Samstagmorgen und damit das Kinderprogramm etablieren sich als rentabler Sendeplatz für Zeichentrickserien. Das Budget der Serien wird daraufhin beschnitten, wodurch Qualität der Drehbücher und Zeichnungen weiter sinken. Damit festigt sich das von Homer J. Simpson artikulierte Urteil der Zuschauer: „ They’re just stupid drawings that give you a cheap laugh “. Der Produktionsprozess von Animationsserien ist zudem eine Hürde für einen weiteren Anlauf auf das Abendprogramm: Die Produktion einer Zeichentrickfolge dauert mehrere Monate, Produzenten sehen das Ergebnis der kreativen Arbeit also zu spät, um Einfluss auf das Projekt zu nehmen oder die Produktion frühzeitig einzustellen.16 Unter diesen Voraussetzungen soll es nun also mehr als zwei Jahrzehnte dauern, bis ein Sender wieder eine Animated Sitcom im amerikanischen Abendprogramm präsentiert, die dann auch direkt zum Prototyp einer neuen Generation wird.

3. THE SIMPSONS – Prototyp der Animated Sitcom

Am 19. April 1987 ist die Fernsehfamilie Simpson erstmals im amerikanischen Fernsehen zu sehen. Damals nicht als eigenständige Fernsehserie, sondern als kurzer Cartoon im Unterhaltungsprogramm THE TRACEY ULLMANN SHOW (1987-90). Der Comicstrip-Zeichner Matt Groening kreiert insgesamt achtundvierzig dieser ein- bis zweiminütigen Folgen, die jeweils aus vier Szenen bestanden. Diese Szenen werden dann zwischen Sketchen oder vor Werbepausen in der Show gezeigt. Auf Grund des Erfolgs dieser Einspieler beauftragt der Fernsehsender FOX Groening mit der Produktion einer eigenständigen, halbstündigen Fernsehshow, die am17. Dezember 1989 erstmals ausgestrahlt wird.17 Seitdem laufen neue SIMPSONS-Episoden im Abendprogramm des Senders, mittlerweile gibt es 19 Serienstaffeln mit 420 Episoden. Damit sind die SIMPSONS das beständigste Sitcom-Format der amerikanischen TV-Geschichte. Die SIMPSONS sind seit ihrem Sendestart auch abseits der Mattscheibe ein erfolgreiches Produkt. Die Konterfeis der Seriencharaktere zieren alle denkbaren Artikel, vom Aschenbecher bis zur Zuckerwattestange. „ Schon 1990 hatte das Merchandise-Geschäft [...] ein Volumen von 750 Millionen US-Dollar.18 Der von Michael Jackson geschriebene und produzierte Song Do the Bartman toppt 1990 Musikhitlisten, der Kinofilm SIMPSONS - THE MOVIE (2008) die weltweiten Kinocharts.

Die SIMPSONS sind allerdings nicht nur ein kommerzieller Erfolg, sondern auch unter Kritikern geschätzt. Die Serie ist seit dem Sendestart für über fünfzig Emmy-Awards nominiert worden, von denen mehr als zwanzig gewonnen werden. 1997 erhält sie zudem den angesehenen Peabody-Award mit folgender Urteilsbegründung „ For providing exceptional animation and stinging social satire, both commodities which are in extremely short supply in television today.“19 In zahlreichen Publikationen wird die Produktion für ihre Inhalte gefeiert, das renommierte Magazin TIME nennt die SIMPSONS in der Ausgabe 01/2000 die beste TV-Show des 20. Jahrhunderts.

Die verantwortlichen Produzenten der Sendung sind Matt Groening, Sam Simon und James L. Brooks. Groening wird fälschlicherweise häufig als Autor der Serie bezeichnet, obwohl er selbst nur an wenigen Episoden mitschreibt. Er ist zwar ein wichtiger Teil des Kreativteams, fungiert aber eher als Kontrolleur der Inhalte. Hierbei achtet er vorrangig darauf, dass die Charaktere konsistent sind und die Serie ihrem Ursprung treu bleibt.20 Sam Simon stellt das Autorenteam der Sendung zusammen und steht diesem in den ersten Staffeln der Serie vor. Inzwischen haben über einhundert Autoren in diesem Team mitgewirkt, beispielsweise der Late-Night-Moderator Conan O’Brian und der Filmregisseur Brad Bird, der für seine Animationsfilme THE INCREDIBLES (2004) und RATATOUILLE (2007) mit Oscars ausgezeichnet wurde. Drehbücher werden häufig überarbeitet, die Produktion einer Episode kann daher bis zu neun Monaten dauern. Wer aus dem immer mehrköpfigen Team in diesem Zeitraum welchen Teil des Drehbuches verfasst hat, lässt sich daher nicht sagen. James L. Brooks schließlich ist eine Hollywoodgröße und wurde als Produzent, Regisseur und Autor achtmal für den Oscar nominiert. Er hat von den drei Produzenten am wenigsten mit dem Kreativprozess zu tun und zeichnet sich vor allem durch seinen Einfluss auf Senderbosse und Filmstudios aus.21

3.1. Ausgangssituation – Die maximale Durchschnittlichkeit

Ein typisches Merkmal von Sitcoms ist die Statik der Charaktere und des Schauplatzes. Die Figuren bleiben von Folge zu Folge in der gleichen Lage. An ihrem Wohnort und den Familienverhältnissen ändert sich nichts. Jede Episode beginnt in der so genannten Ausgangssituation, wodurch die Figuren im Serienverlauf statisch erscheinen. Diese Konstanz ist aus verschiedenen Gründen notwendig, vor allem bieten vertraute Charaktere und Schauplätze die Möglichkeit, in der 22-minütigen Sendezeit eine komplette Handlung zu erzählen. Alle Figuren haben eine gleichbleibende Vergangenheit, die dem Publikum für das Verständnis der Sendung nicht zwingend bekannt sein muss: „ each weeks episode is basically self-contained22. Dadurch müssen die Episoden nicht chronologisch geschaut werden, jederzeit können neue Zuschauer hinzukommen. Bei Animated Sitcoms verstärkt sich die Statik, da die Figuren nicht altern. Im Falle der SIMPSONS ändert sich die Wohnsituation der Familie in neunzehn Jahren nicht, die Kinder bleiben immer in gleichen Schuljahrgängen und das Baby sagt niemals mehr als das erste Wort. Einer der Seriencharaktere beschreibt die Situation in der Episode Homer loves Flanders treffend: „ It seems like every week something odd happens to the Simpsons. My advice is to ride it out (...) and by next week we’ll be back to where we started from, ready for another wacky adventure23.

Die Serie erzählt aus dem Leben der titelgebenden Familie, die sich aus fünf Personen zusammensetzt: Den Eltern Homer und Marge sowie den drei Kindern Bart, Lisa und Maggie. Diesen Familienverbund von verheirateten Eltern und leiblichen Kindern nennt man Kernfamilie. Das traditionelle Bild der amerikanischen Kernfamilie zeigt einen Arbeitnehmer, eine Hausfrau und – jedenfalls statistisch gesehen – 2,2 Kinder.24 Die SIMPSONS folgen diesem konservativen Bild, das vor allem für Sitcoms der 60er Jahre typisch ist, strikt. Homer ist im städtischen Atomkraftwerk angestellt und Marge kümmert sich um den Haushalt. In vielen Episoden wird die Kinderzahl des Ehepaars sogar auf 2,2 beziffert, beispielsweise in der Episode Homer’s Phopia. Das Baby hat also die Funktion, aus der durchschnittlichen Familie eine noch durchschnittlichere zu machen. Dazu passt, dass Simpson in den Vereinigten Staaten ein gängiger Familienname ist. Beim Zensus 1990 wurden 175,000 US-Bürger mit diesem Namen gezählt.25

Nicht nur die Familienstruktur erinnert an Sitcoms der 60er Jahre, sondern auch der Name des Heimatortes Springfield: In der klassischen Sitcom FATHER KNOWS BEST wohnen die Hauptcharaktere in einer gleichnamigen Stadt. Groening bestätigt, dass er den Namen als Reminiszenz an diese Sitcom wählte.26 Ist Simpson ein gängiger Nachname, so ist Springfield ein noch gängigerer Stadtname. In den Vereinigten Staaten gibt es insgesamt zweiunddreißig Städte mit diesem Namen. Indem die Familie in Springfield wohnt, wirkt sie noch durchschnittlicher.

Es wird nie aufgelöst, wo in den Vereinigten Staaten das Serien-Springfield liegt. Das Autorenkollektiv hat verschiedene Taktiken entwickelt, um die exakte Lokalisierung des Handlungsortes unmöglich zu machen. Zum einen durch Auslassung, so haben die Autos keine staatlichen Nummernschilder. Wird der Staat doch einmal von einem der Seriencharaktere auf einer Landkarte gezeigt, schiebt ein anderer Charakter in diesem Moment zufällig seinen Kopf vor die Karte (Much Apu about nothing). Die Autoren streuen oft auch falsche Hinweise ein. Homers Sozialversicherungsnummer ist aus Kalifornien (Simpson and Delilah) und die in A Tale of two Springfield genannte Telefonvorwahl ist die von Puerto Rico, ein FBI-Agent verortet Springfield hingegen im Herzen Amerikas (The Springfield Files). Gibt es in einer Folge einen Hinweis darauf, wo die Stadt liegt, so finden sich in anderen Hinweise darauf, dass Springfield sich genau dort nicht befinden kann. Wie weit die Macher bei der Verschleierung gehen, zeigt die Episode Behind the laughter: Es wird erklärt, dass die Familie im Norden von Kentucky wohnt. Allerdings wird in Wiederholungen dieser Satz ausgetauscht und gesagt, dass die Simpsons im Süden von Missouri leben.27 Auch das Klima und die Landschaft helfen bei der geographischen Einordnung nicht: In Springfield schneit es oft heftig, dann herrschen aber auch Hurrikane-Gefahr und subtropische Temperaturen. Es gibt Schluchten, einen Meereszugang, eine Wüste und Wälder.

Die Stadtgröße ist nicht eindeutig festgelegt. In den ersten Episoden ist Springfield eine ländliche Kleinstadt, später hat sie Großstadtcharakter und die Familie scheint eher in einem ruhigen Vorort zu leben. So wünscht sich Lisa „in die Stadt“ zu fahren und findet dort heraus, dass es in Springfield sogar ein russisches Viertel gibt (Lost our Lisa). In Springfield finden sich ein Hafen, ein internationaler Airport, acht Einkaufszentren und mehrere Gefängnisse. Einerseits ist die Stadt so klein, dass alle Bewohner an einem Bürgerschaftstreffen teilnehmen können, andererseits groß genug, um Fußball- und Baseballstadien zu füllen.28 Das scheinbar ländliche Springfield präsentiert sich damit aufregender und abwechslungsreicher als die Metropole Chicago in Married with Children. Die Serie zeigt allwöchentlich einen amerikanischen Mikrokosmos, in dem die Menschen mal Eishockey spielen, mal zum Rodeo gehen. Groening selbst nennt die Stadt „ Anytown U.S.A.29. Indem Springfield sich den verschiedenartigen Gegebenheiten des amerikanischen Lebens anpasst, wird die sozialkritische Aussagekraft der Serie verstärkt. Landesweit können sich Zuschauer leicht mit den Charakteren identifizieren und beziehen sozialkritische Inhalte deshalb eher auf ihr eigenes Umfeld.30 Dazu trägt auch die gelbe Hautfarbe der Protagonisten bei, da die Familie sich so Klassifizierungen wie „typisch weiße Familie“ entzieht und einen universelleren Standpunkt einnimmt.

Die Ausgangssituation einer Sitcom wird zumeist in einem Intro skizziert, das den Handlungsort und die Charaktere zeigt. Das siebzig Sekunden dauernde Intro der SIMPSONS beginnt mit einer Kamerafahrt über die Stadt und zoomt dann auf ein Fenster der Grundschule. Bart muss nachsitzen; sobald die Schulklingel ertönt, stürmt er auf seinem Skateboard ins Freie. Gleichzeitig beendet Homer seinen Arbeitstag und macht sich in seinem Auto auf den Nachhauseweg. Auch Marge, die mit ihrer jüngsten Tochter im Supermarkt einkaufen ist, und die im Musikunterricht sitzende Lisa begeben sich auf den Heimweg. Die zweite Hälfte des Intros zeigt die Figuren auf ihren Fahrten durch die Stadt, bis sie sich schließlich gemeinsam auf der Wohnzimmercouch versammeln.

Das Intro deutet bereits auf die in der Serie verwendete Erzählperspektive hin. Der Fokus liegt auf der titelgebenden Familie, hier aber nicht explizit auf einem Charakter. Während Fred Feuerstein die dominante Person im Vorspann und den Episoden der FLINTSTONES ist, wechselt diese Rolle in den SIMPSONS. Zumeist zwischen Homer und Bart, zahlreiche Episoden nutzen aber auch Marge oder Lisa als zentralen Rollen. Zudem bietet die Serie ein großes Ensemble wiederkehrender Figuren, von denen ebenfalls viele im Intro zu sehen sind, allerdings muss man sich einige Kamerafahrten hierfür in Zeitlupe anschauen. Während die Serie sich in den ersten drei Staffeln auf die Familie konzentriert, erzählen spätere Episoden auch detailiert aus dem Leben dieser Nebenfiguren. So präsentiert die Serie die Gesellschaft mal aus den Augen eines Kindes, mal aus denen einer Hausfrau, eines Immigranten, eines Homosexuellen, Verbrechers, Rentners oder Industrietycoons. Dass es sich dabei zumeist um Stereotype handelt, ist dem Genre geschuldet. Wer innerhalb von zweiundzwanzig Minuten eine abgeschlossene Geschichte erzählen und sich nicht in langen Erklärungen verlieren will, muss sich vertrauter Figuren und Klischees bedienen. Deshalb sind Gangsterbosse im Fernsehen oft italienischer Herkunft und Asiaten geschäftsorientiert.31 Trotz oder gerade wegen des stereotypen Charakters der Stadtbewohner, bietet Springfield Fernsehzuschauern eine wachsende Zahl beliebter Identifikationsfiguren. Al Jean, langjähriger Autor der Serie, hierzu:

One thing that has changed, however, is the growth of the supporting show’s cast. [...] Now the supporting cast numbers more than one hundred, and characters like Barney Gumble, Moe, Chief Wiggum, Waylon Smithers, and Ned Flanders have loyal followings among the fans.32

Animationsserien haben hier einen klaren Vorteil gegenüber traditionellen Sitcoms. Problemlos lassen sich neue Rollen einführen, auf Gagen oder Verträge muss dabei nicht geachtet werden. Auch können gesetzlich beschränkte Arbeitszeiten von Kindern oder mögliche Streitigkeiten unter Schauspielern ignoriert werden. Zudem bieten Animationsserien trotz kurzer Sendedauer den Charakteren mehr Entwicklungszeit. Während es in einer realen Sitcom durchschnittlich 7-8 Szenen gibt, kommen die SIMPSONS auf bis zu vierzig Szenen in einer Folge. Bereits im Intro gibt es fünfzehn Schnitte und mehrere schnelle Kamerafahrten; in diesem hohen Tempo geht es innerhalb der Serien weiter.

Das Intro dient in den folgenden Kapiteln als Ausgangspunkt, um vier Schlüsselthemen der Sendung zu behandeln: Familie, Arbeit, Isolation und Populärkultur.

3.2. Die amerikanische Familie

Der Titel THE SIMPSONS ist eine Hommage an die Hanna-Barbera-Produktionen THE FLINTSTONES und THE JETSONS und signalisiert, dass das Thema Familie eine zentrale Rolle in der Serie einnimmt. Zu Beginn jeder Episode sieht der Zuschauer zuerst den Familiennamen, dann werden die Familienmitglieder einzeln und schließlich gemeinsam im familiären Wohnzimmer gezeigt. Die Familie ist die kleinste soziale Einheit einer Sozialisation, die Durchschnittsfamilie Simpson der „ repräsentative Nucleus der amerikanischen Gesellschaft33.

Die erste in Deutschland ausgestrahlte Episode There is no disgrace like home verrät bereits viel über den Charakter der Familie, über die Homer sagt „ As far as anyone knows, we’re a nice, normal family “. Es beginnt mit dem bekannten Intro, in dem Homer beinahe von seinem Skateboard fahrenden Sohn, von Lisa auf ihrem Fahrrad und von Marge im Familienauto angefahren wird. Zudem wird Homer in dieser Episode von Marge am Ende des Intros von der Familiencouch gestoßen. Auch der Folgentitel deutet an, dass es sich bei den Simpsons um keine Musterfamilie aus einer 60er-Jahre-Sitcom handelt. In der Folge selbst wird Homer von seiner Familie auf einem Unternehmenspicknick bloßgestellt. Enttäuscht beschließt er, gemeinsam einen Familienpsychologen aufzusuchen. Hier wird jeder Simpson an ein Stromsystem angeschlossen und erhält die Möglichkeit, seinen Verwandten leichte Elektroschocks zu verpassen. Allerdings verlieren die Simpsons den erzieherischen Sinn der Übung schnell aus den Augen: Sie streiten und quälen sich gegenseitig so lange mit Elektroschocks, bis das Stromsystem der Stadt zusammenbricht. Szenen häuslicher Gewalt sind in der Serie nicht ungewöhnlich, manche entwickeln sich sogar zu beliebten Running Gags, amüsanten Szenen also, die sich im Serienverlauf wiederholen. So gerät Homer oft – auch auf dem Firmenpicknick – in Rage und würgt seinen Sohn. Die Szenen wirken amüsant, weil es sich um eine in freundlichen Farben gehaltene Animationsserie handelt. Es entstehen Konfliktsituationen, die Zuschauer aus anderen Unterhaltungssendungen nicht kennen: „ The Simpsons [...] have been able to explore darker, subversive aspects of family life thanks mainly to the possibilities of the cartoon aesthetic34.

Als der Familienpsychologe die Simpsons in einer anderen Szene darum bittet, ihre größte Sorge aufzumalen, zeichnen Bart, Lisa und Marge jeweils ein Bild von Homer. Bereits die erste Szene der Folge deutet darauf hin, dass die familiären Dissonanzen eng mit der Vaterfigur verknüpft sind. Lisa und Bart streiten lautstark im Wohnzimmer, als ihr Vater hinzukommt.

Homer: Hey! What’s the problem here?

Lisa: We were fighting over which one of us loves you more.

Homer: You were? Well, go ahead.

Bart: You love him more!

Lisa: No, you!

Bart: No I don’t! (There is no Disgrace like Home)

Ursachen für das schlechte Verhältnis zwischen Vater und Kindern werden in der Serie viele präsentiert. Am deutlichsten wird das an Homers Beziehung zu Maggie, da man dem Baby nur schwerlich eine Mitschuld an den familiären Problemen geben kann. In der Episode Homer Alone muss Homer sich um seine jüngste Tochter kümmern. Dabei präsentiert er sich nicht als vorbildlicher Vater, fixiert er die Windeln seiner Tochter mit einem Tacker, setzt sich beim Fernsehschauen auf sie und füttert sie beinahe drei Stunden zu spät. Homer verhält sich nicht nur unvorsichtig und nachlässig, er scheint sich auch nicht für das Kind zu interessieren. Häufig vergisst er ihren Namen schlichtweg oder beschreibt in Brawl in the family seine Familie mit den Worten: „ Look, the thing about my family is there’s five of us: Marge, Bart, girl Bart, the one who doesn’t talk, and the fat guy”. Dass das Verhalten des Vaters Auswirkungen auf Maggies Psyche hat, macht das Baby allerdings auch ohne Worte deutlich. Als Homer mit seiner Tochter einen Familienschwimmkurs besucht, ist sie das einzige Baby, das sich nicht vertrauensvoll in die Arme des Vaters fallen lässt. Als Homer und Nachbar Ned Flanders um Maggies Gunst buhlen, krabbelt sie nach kurzer Überlegung zu Ned (Home Sweet Home – Diddily-Dum-Doodily). Die Serie präsentiert die Kernfamilie allerdings nicht durchweg als gescheitert und Homer exemplarisch nicht anhaltend als Anti-Vater. So wird in einer Rückblende gezeigt, dass er seine Anstellung in einer Bowlingbahn opferte, um im Atomkraftwerk genug Geld für den Nachwuchs zu verdienen. Um seinen Arbeitstag dort zu überstehen, hängt er überall Fotos seiner Tochter auf (And Maggie makes three). In der Picknick-Episode wird zudem deutlich, dass Homer sich nach einer Lösung der familiären Probleme sehnt. Die mitunter gegensätzlichen Beschreibungen seines Charakters machen Homer zu der komplexesten Figur in der Sendung oder einfach zu „ America’s latest, greatest Everyman35. Da Springfield ein amerikanischer Mikrokosmos und er das Oberhaupt einer amerikanischen Durchschnittsfamilie ist, handelt es sich dabei um einen passenden Titel.

He is the most American of Simpsons, with all his crassness, confusion, complexity and contradiction that this implies. (...) Homer is pure American: loud, brash and boorish, quick to anger and even quicker to act, as sure of himself as he is certain that nothing’s really his fault, but endlessly fascinating and ultimately well-meaning and often even lovable all the same.36

Auch dank dieser Charaktereigenschaften rückt die Familie am Ende aller 420 Serienfolgen immer wieder zusammen. Homer verbucht damit durchaus Erfolge als Vater, so lautet das einzige in 9660 Sendeminuten gesprochene Wort seiner Tochter Maggie „Daddy“37.

Wegen derartiger Momente und dem präsentierten traditionellen Familienbild attestieren viele Zuseher der Sendung einen konservativen Charakter. Die Serie verankere die Instistution Familie als Eckpfeiler eines glücklichen Lebens38 und Jeremy Butler schreibt: „ The Simpsons does appear to chop away the foundations of the conventional family, but in the end it comes to reaffirm those foundations39. Dabei gilt aber zu beachten, dass die Happy Ends der Serie dem statischen Charakter des Genres geschuldet sind. Selbst wenn die Familienmitglieder sich gegenseitig Stromschocks verpassen, müssen die SIMPSONS nach dreiundzwanzig Sendeminuten schließlich wieder den Status Quo erreichen. Dass dieser Status Quo eine vereinte Kernfamilie in einem Mittelklassehaushalt zeigt, lässt die Serie auf narrativer Ebener wirklich traditionell erscheinen. Die Familie harmoniert aber auch in diesem Status nicht wirklich, was das rücksichtslose Verhalten im Intro ja bereits aufzeigt. Die familiären Probleme sind damit unlösbar und erscheinen so noch erdrückender. Zudem ist das Verhältnis zum erweiterten Familienkreis gestört. Die Serie beschreibt eine räumliche Trennung zwischen den beiden Familienbereichen. Während die Kernfamilie zusammen in einem großen Haus lebt, wohnt Homers Vater Abraham alleine in einem Altenheim. Versuche von Abraham, Zeit mit seinen Verwandten zu verbringen scheitern zumeist, weil Homer kein Interesse daran hat. Müssen Charaktere am Episodenende also nicht wieder zusammenfinden, dann tun sie es auch nicht.

Zudem lohnt sich eine genauere Analyse der Happy Ends, da die Autoren der Sendung hier oft kritische Töne einfließen lassen. In der Episode Kidney Trouble nimmt Homer seinen Vater ausnahmsweise mit auf einen Familienausflug. Weil Abraham während der Reise kein WC aufsuchen darf, platzen ihm die Nieren. Es gibt nur eine Möglichkeit: Homer soll eine Niere spenden und seinem Vater damit das Leben retten. Allerdings hat er Angst und flüchtet kurz vor der Operation aus dem Krankenhaus. Homer wird in einen Autounfall verwickelt und selbst verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, wo die Ärzte ihm ohne seine Einwilligung eine Niere entnehmen. Später wacht Homer im Kreis seiner Familie auf:

Lisa: Dad, you did a wonderful thing!

Marge: Yes, you’ve shortened your life significantly so someone else can have a slight extension of theirs.

Homer: Yes, I guess you’re right. Give me a hug! [Alle umarmen Homer] I don’t need two kidneys. I have everything I need right here. (Kidney Trouble)

Es scheint sich um ein eindeutiges Happy End zu handeln: Abrahams Leben ist gerettet, alle verzeihen Homer die verängstigte Flucht und er begreift, dass er nur seine Familie braucht. Allerdings ist diese Feststellung doppeldeutig, da Homer bei der Umarmung, als er „ I have everything I need right here “ sagt, Barts Niere ertastet. Zudem stellt Marge die Sinnhaftigkeit des operativen Eingriffs mit ihrem Statement unbewusst in Frage. Derartige Enden sind für die SIMPSONS typisch und von den Autoren bewusst gewählt.

The Simpsons does not resolve the large structural problems of American culture in twenty-three minutes [...]; instead, the show suggests that the culture’s flaws are too deep and longstanding to admit of simple answers.40

Ein eindeutiges und politisch korrektes Ende gibt dem Zuschauer das Gefühl, dass die behandelten Probleme gelöst sind. Das entbindet ihn von der Aufgabe, gesellschaftliche Realitäten kritisch zu hinterfragen. Zweideutige Enden regen ihn hingegen zum Nachdenken an.41

Die Macher verlassen sich nicht darauf, dass alle Zuschauer von der Zusammensetzung der Familie auf deren Durchschnittscharakter schließen. Deshalb betonen die Figuren diesen Umstand auch in There is no disgrace like home selbst. Marge beschreibt ihre Familie mit den Worten: „ I sense greatness in my family. Well, it's a greatness that others can't see... but it's there, and if it's not true greatness we have, we're at least average”. In einer anderen Szene diskutieren die Simpsons am Esstisch über ihre familiären Probleme:

Homer: Sometimes I think we're the worst family in town.

Marge: Maybe we should move to a larger community.

Lisa: The sad truth is, all families are like us. (There is no disgrace like home)

Der Einwand der Tochter bewahrheitet sich im Serienverlauf. So trennen sich die Eltern von Barts Schulfreund Millhouse, Homers Boss Mister Burns meidet den Kontakt zu seinem Sohn und Lisas und Barts Schuldirektor wird von seiner Mutter unterdrückt. Das Gefühl, dass alle Familien wie die Simpsons sind, wird durch den in der Serie verwendeten Zeichenstil verstärkt. Alle Bewohner haben ähnlich gezeichnete Augenpartien und einen Überbiss, zudem ähneln sich die Wohnhäuser in der Stadt.

Die Episode There is no Disgrace like home präsentiert jedoch auch scheinbar funktionierende Familien. Homer blickt auf dem Unternehmenspicknick neidisch auf die Familie eines Kollegen, dessen Kinder beide tolle Schulnoten haben, höflich miteinander umgehen und ihren Vater liebevoll küssen. Als Homer der Familie nach dem Fest fasziniert nachblickt, haben sie in seiner Vorstellung Engelsflügel und Heiligenscheine und fahren mit ihrem Wagen zum Himmel empor. Allerdings handelt es sich beim perfekten Äußeren nur um eine Fassade. Wenn die Simpsons die Praxis des Familienpsychologen betreten, sieht man dort im Wartezimmer auch die scheinbar tadellose Familie sitzen. Gerade diese im Bildhintergrund versteckten Details erschließen den Handlungen in der Serie oftmals verschiedenartige Deutungsmöglichkeiten.

In einer anderen Szene erkunden die Simpsons die Nachbarschaft. Durch ein großes Fenster blicken sie in ein aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem eine Familie gerade ihr Abendessen verspeist:

Homer: Look at that, kids! No fighting, no yelling.

Bart: No belching.

Lisa: Their dad has a shirt on!

Marge: Look! Napkins! (There is no disgrace like home)

Durch die Augen der Simpsons erblickt der Zuschauer eine an Familiensitcoms der 60er Jahre erinnernde Szenerie. Die Familie wirkt durch das Wohnzimmerfenster betrachtet ebenso unecht und unerreichbar wie die TV-Vorbilder. Bart kommentiert das Gesehene schließlich mit den Worten „ These people are obviously freaks “. Wieder wird das Bild der perfekten Familie abschließend kritisch beäugt.

Der Blick in das Wohnzimmer der Sitcom-ähnlichen Familie verrät einen entscheidenden Vorteil der Animationsserie gegenüber realen Sitcoms: Während in klassischen Sitcoms mit drei Kameras gearbeitet wird – zwei für die Großaufnahmen der sprechenden Charaktere, eine für die Szenerie – genießen Animationsserien hier Freiheiten. Während der Zuschauer in realen Sitcoms das Geschehen also immer aus der gleichen Perspektive sieht, wodurch Monotonie und Distanz aufgebaut wird, wird er in den SIMPSONS und den anderen analysierten Serien stärker in die Geschehnisse einbezogen.

3.3. Der Unternehmer und der Angestellte

Die ersten im Intro zu sehenden Bauwerke Springfields sind die Kühltürme des städtischen Atomkraftwerks. Das Kraftwerk überragt alle anderen Gebäude der Stadt, was auch der wirtschaftlichen Bedeutung des Baus entspricht. Übt die Serie Kritik am amerikanischen Wirtschafts- oder Arbeitsleben, fungiert es zumeist als Handlungsort. Die negativen Assoziationen, welche die meisten Zuschauer mit einem Atomkraftwerk verbinden, werden gleich zu Beginn durch aus den Schornsteinen steigende Smogwolken intensiviert. Dass das Bild des Kraftwerks dann mit der Kamerafahrt durch eine bunte und scheinbar friedvolle Kleinstadt kontrastiert wird, verstärkt den schlechten Eindruck des Zuschauers, bevor in der Serie auch nur ein Wort gesprochen wird. Das derartige Spielen mit Bildern gehört in den SIMPSONS und den anderen behandelten Animationsserien zu den Spezialitäten der Zeichner.

Montgomery Burns ist der Boss des Atomkraftwerks und auch im Intro für wenige Sekunden zu sehen, als Homer seinen Arbeitstag beendet. Er ist eine der zahlreichen Nebenfiguren und partizipiert an 230 und damit mehr als der Hälfte aller SIMPSONS- Episoden.42 Er verkörpert die wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten seit der Industrialisierung des Landes. Burns ist kein dynamischer Jungunternehmer, sondern ein dem Gilded Age entstammender Monopolist. Unter Gilded Age wird in den Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Blütezeit zwischen 1876-1890 verstanden. Im Rahmen der industriellen Revolution bildeten sich Großunternehmen, die unter der Leitung von Wirtschaftsgrößen wie Andrew Carnegie, William Randolph Hearst oder John D. Rockefeller standen. Letzterem ist die amerikanische Stimme von Burns nachempfunden.43 Das Alter des Industriemoguls wird von ihm selbst auf 104 Jahre beziffert, was seinen Geburtstag in das Jahr 1885 verlegt. Burns kennt Persönlichkeiten wie den Baseballspieler Connie Mack oder den Boxer Jim Corbett persönlich – beide feierten ihre sportlichen Erfolge im Gilded Age. Es gibt in der Serie zwar widersprüchliche Aussagen zum Alter des Industriellen, stets wird aber betont, dass er äußerst alt ist und sich immer mehr vom heutigen Zeitalter entfernt. Wie spielerisch die Autoren damit umgehen, zeigt sich in der Episode Mother Simpson, in der Burns eine Poststelle aufsucht: „ I’d like to send this letter to the Prussian consulate in Siam. Am I to late for the 4h30 autogyro ?“. Preußen gibt es seit 1934 nicht mehr, Siam heißt seit 1939 Thailand und die US Post verschickt bereits seit der Rezession keine Briefe mehr mit einem Tragschrauber.44

Wie konsequent das SIMPSONS-Ensemble Burns als industriellen Monopolisten beschreibt, wird durch seine Ähnlichkeiten zur Filmfigur Charles Foster Kane deutlich. Dieser Charakter wurde von Orson Welles im Film CITIZEN KANE (1941) verkörpert und basiert selbst auf der historischen Figur William Randolph Hearsts.45 Zahlreiche Szenen aus dem Film werden in den SIMPSONS verarbeitet. Die Villa von Burns ähnelt dem in CITIZEN KANE gezeigten Anwesen, inklusive des großen Eisentors mit dem ersten Buchstaben des Nachnamens des Besitzers. Zwei Serienepisoden greifen sogar Handlungselemente aus Citizen Kane auf. In der Episode Rosebud sucht Burns nach dem Lieblingsspielzeug aus seiner Kindheit, dem Teddybären Bobo. Im Film erinnert sich Kane in der Stunde seines Todes an seinen Schlitten aus Kindertagen, der – bereits der Titel der SIMPSONS-Episode ist eine Referenz – den Namen „Rosebud“ trägt.46 Die Episode Two Cars in Every Garage and Three Eyes on Every Fish zeigt Burns bei seiner Kandidatur für das Amt des Gouverneurs, eine Stelle, um die sich auch Kane im Film bewirbt. Nachdem Burns die Wahl verloren hat, ruft er „ You can’t do this to me. I’m Charles Montgomery Burns.“ und beginnt Möbelstücke umzuwerfen. Kane verwüstet ebenfalls ein Zimmer und ruft: „ You can’t do this to me. I’m Charles Foster Kane “. Die Serie übernimmt zahlreiche Einstellungen aus dem Vorbild, drei sind exemplarisch in Abbildung 1 gegenübergestellt. Während Ausstatter von Fernsehproduktionen derartige Einstellungen nur mit einem hohen Kostenaufwand nachstellen können, wird den Zeichnern von Animationsserien durch die Vorlage sogar die Arbeit erleichtert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Burns und Kane bei politischen Veranstaltungen und in der Stunde der Niederlage

Indem die Autoren die profitorientierte Filmfigur als Vorbild nehmen, verankern sie Burns nicht nur als Repräsentanten des Kapitalismus, sondern humanisieren ihn. Wie Kane ist Burns eine tragische Figur, die trotz ihres Reichtums kein glückliches Leben führt.47 Burns verliert in der Serie dadurch zwar nicht seinen eindimensionalen Charakter, wirkt aber reeller.

Da der Charakter eng mit Springfields Ökonomie verknüpft ist, schwingt in den Beschreibungen der Figur auch immer Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem mit. Burns wird konsequent als boshaft beschrieben. Er ist machtbesessen, gierig und geizig.

Als Resultat gestaltet sich nach einem Attentat auf den Industriemogul die Suche nach dem Tater schwierig, weil ausnahmslos jeder in Springfield einen Grund hatte, ihn umzubringen (Who shot Mr. Burns Part II). Lisa nennt ihn in The old man and the Lisa treffend „the worst person in the world" und trifft damit den Kern seines Charakters. Das hangt eng mit dem Zeitalter zusammen, dem er entstammt. Mark Twain nutzte den Terminus Gilded Age bereit 1873 in seinem Roman THE GILDED AGE: A TALE OF TODAY. Ubersetzt bedeutet er nicht Goldenes Zeitalter sondern Vergoldetes Zeitalter - damit wird der nur oberflachliche Glanz des wirtschaftlichen Erfolgs pointiert. So verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen einfacher Arbeiter. Fur weniger Lohn musste mehr gearbeitet werden, zudem wurden Arbeiten gefahrlicher. Im Buch Wealth of Nations benennt Adam Smith die Ausbeutung von einfachen Arbeitern als Kerneigenschaft des Kapitalismus, weil erfolgreiche GroBunternehmer profitgierig sein mussen.48 Zu seinen Arbeitern hat Burns entsprechend ein unterkuhltes Verhaltnis, begruBt sie mit den Worten „Hi, Ho, faceless employees"" (Two Cars in Every Garage and Three Eyes on Every Fish) oder liest ihre Namen auf dem thematisierten Unternehmenspicknick von Notizzetteln ab. Den Namen von Homer vergisst er als Running Gag generell, wodurch auch die konsequente Beibehaltung der Ausgangssituation betont wird.

Burns: Who is this, Smithers?

Smithers: That's Homer Simpson, sir.

Burns: Simpson? New man?

Smithers: Actually, sir, he thwarted your campaign for governor, you ran over his son, he saved the plant from meltdown, his wife painted you in the nude...

Burns: Doesn't ring a bell. (Last Exit Springfield)

Indem die Autoren die Rolle des Kapitalisten mit Burns besetzen, wird dieses negative Bild von Unternehmern exakt bedient. Der Serie wird deshalb unterstellt, sie propagiere Kommunismus. Diese Kritik ist allerdings ungerechtfertigt. Zeigen die SIMPSONS Kommunisten, dann zumeist in wenig schmeichelhaften Rollen. So sagt Homer in der Episode The trouble with trillions nach einem Ausflug ins kommunistische Kuba: „It's hard to believe there's a place worse than America, but we found it!".

The Simpsons mocks certain abuses in the capitalist economic system but does so in a lighthearted manner and does so only to expose the ways in which certain individuals take advantage of our economic system. The system is depicted as functional and conducive to a productive society.49

Wieso wurde Burns nun aber nicht zum Leiter eines Zugunternehmens oder Automobilkonzerns gemacht? Das hatte seine Rolle noch enger mit dem Zeitalter der Industrialisierung verknupft. Indem die Autoren ihn zum Boss eines Atomkraftwerks machen, gliedern sie ihn ins 20. Jahrhundert ein und zeigen, dass es sich bei rucksichtslosen Firmenbossen nicht um Relikte vergangener Tage handelt. Es ist bis heute so, dass die wichtigen Industriezweige in den Vereinigten Staaten von einigen wenigen GroBunternehmen kontrolliert werden50, in Springfield gibt es sogar Firmen, welche die Schaufel- und Fettwirtschaft beherrschen (Lart of the Dance). Zudem wird durch die Atomkraft die Bedrohlichkeit des Charakters verstarkt. Inspekteure stellen im Kraftwerk 342 Sicherheitsmangel fest, deren Behebung $65 Millionen kosten wurde. Nachdem er erfolglos versucht die Inspekteure zu bestechen, entscheidet er sich, fur das Amt des Gouverneurs zu kandidieren, um nach einem Sieg die Sicherheitsregeln zu lockern (Two Cars in Every Garage and Three Eyes on Every Fish). Die Gefahr eines atomaren Zwischenfalls ist bei den SIMPSONS ein wiederkehrendes Element, beispielsweise heiBt die liebste Comicfigur von Bart Radio Active-Man. Indem die Rolle des Sicherheitsinspektors mit Homer besetzt ist, der von Atomkraft nachweislich nichts versteht, wird die Bedrohung fur die Stadt immanent. Bereits im Intro ist zu sehen, wie Homer unachtsam nukleares Material aus dem Kraftwerk transportiert, zudem verantwortet er zahlreiche atomare Zwischenfalle.

Homer ist mit seiner Arbeit nicht nur uberfordert, er mag sie auch nicht sonderlich. Die Macher der Serie greifen damit ein gesellschaftliches Problem auf, dass sich seit dem Gilded Age stetig vergroBert. Einfache Arbeiter - die Blue-collar Worker - entfremden sich von ihrer Arbeit, weil sie zum von ihnen produzierten Produkt in keinem engen Verhaltnis stehen. Sie sind zumeist nur an einem Fertigungsschritt beteiligt und deshalb austauschbar. Die Qualitat der Arbeit hat mindere Bedeutung, weil der Arbeiter nicht direkt vom Firmenerfolg profitiert. In der Gruppe der White-collar Worker ist dieses Symptom noch starker verankert, da sie uberhaupt nicht mehr selbst produzieren. Es handelt sich hierbei um Angestellte wie Homer, der in seiner Funktion als Sicherheitsinspektor passenderweise ein weiBes Kragenhemd tragt. Er sitzt an den Hebeln des Atomkraftwerks und weiB weder wofur diese gut sind, noch wofur das Kraftwerk gut ist. Deshalb fuhlt er sich mit seiner Arbeit nicht verbunden und beschreibt, was Erwachsene machen sollten, die ihre Arbeit nicht mogen: „They just go in every day and do it really half-assed. That's the American way" (The PTA disbands). Entsprechend wird Homer in der Gouverneurs-Episode mehrmals schlafend an seinem Arbeitsplatz gezeigt oder bei einer Diskussion mit Marge am Fruhstuckstisch:

Homer: Well, if I was governor, I'd sure find better things to do with my time.

Marge: Like what?

Homer: Like getting Washington's Birthday and Lincoln's Birthday back as separate paid holidays. [...] I bust my butt day in and day out.

Marge: You're late for work, Homer.

Homer: So? Someone will punch in for me. (Two Cars in Every Garage and Three Eyes on Every Fish)

Oft versucht Homer als Selbststandiger FuB zu fassen, was ihm allerdings nie gelingt. Finanzielle Grunde drangen ihn dann seine Arbeit im Atomkraftwerk fortzufuhren. Wahrend die Figuren in den FLINTSTONES sich nie Geldsorgen machen mussen, werden diese in den SIMPSONS haufiger thematisiert. So gesteht Homer bereits in der ersten produzierten Serienepisode Simpsons Roasting on an open fire einem Freund, dass er nur $13 fur Weihnachtsgeschenke zuruckgelegt hat. Da er an seinem Arbeitsplatz keinen SpaB empfindet, widmet sich Homer in der Freizeit verstarkt der Unterhaltung und sagt: Movies are the only escape from the drudgery of work' (Beyond Blunderdome).

Amusement ist die Verlangerung der Arbeit unterm Spatkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem machanisierten Arbeitsprozess ausweichen will, um ihm von neuem gewachsen zu sein.51

Arbeit wird im 20. Jahrhundert als Notwendigkeit wahrgenommen, um sich und seiner Familie SpaB zu ermoglichen. Die Menschen arbeiten, um zu leben, sie leben nicht mehr, um zu arbeiten.52 Die Entwicklung dieser Arbeitseinstellung wird bereits in der Hanna-Barbera-Produktion THE JETSONS in den 60er Jahren angedeutet: Die Hauptfigur George Jetson arbeitet in der Zukunftsgesellschaft - das Jahr wird nie genauer terminiert - nur noch drei Stunden pro Tag und das auch nur drei Tage pro Woche.

[...]


1 Vgl. Nilsen, Allen Pace u. Don Nilsen: Encyclopedia of 20th-Century American Humor, Phoenix 2000, S. 278-279.

2 Stabile, Carol A. u. Mark Harrison: Prime Time Animation. Television Animation and American Culture, London 2003, S. 7.

3 Vgl. Ozersky, Josh: Archie Bunker’s America: TV in an Era of Change, 1968-78, Carbondale 2003, S. 64.

4 Vgl. Stabile: Prime Time Animation, S. 81-83.

5 Turner, Chris: Planet Simpson. How a cartoon masterpiece documented an era and defined a generation, London 2003, S. 46.

6 Vgl. Ozersky: Archie Bunker’s America, S. 63-72.

7 Horkheimer, Max u. Theodor W. Adorno: Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. In: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. M. 1969, S. 145.

8 Vgl. Ozersky: Archie Bunker's America, S. 81-83.

9 Folgend wird der englische Artikel bei der mehrmaligen Nennung eines Serientitels ausgelassen.

10 Stabile: Prime Time Animation, S. 45.

11 Vgl. Mullen, Megan: The Simpsons and Hanna-Barbera Animation Legacy. In: Alberti, John: Leaving Springfield. The Simpsons and the Possibility of Oppositional Culture, Detroit 2004, S. 65.

12 Vgl. Alberti: Leaving Springfield, S. XIII.

13 Vgl. Mullen: The Simpsons and Hanna-Barbera Animation Legacy, S. 64-67.

14 Mullen: The Simpsons and Hanna-Barbera Animation Legacy, S. 70.

15 Turner: Planet Simpson, S. 46.

16 Vgl. Stabile: Prime Time Animation, S. 76-79.

17 Vgl. Turner: Planet Simpson, S. 17-19.

18 Ernst, Emanuel: Little Shop of Homers. In: Guteser, Michael u. Thomas Klein: Subversion zur Prime-Time. Die Simpsons und die Mythen der Gesellschaft, Marburg 2002, S.83.

19 Internet Movie Database: Simpsons Awards. URL: http://german.imdb.com/title/tt0096697/awards (Stand 22.08.2008)

20 Mother Jones Magazin: Matt Groening interviewed by Brian Doherty. URL:
http://www.motherjones.com/arts/qa/1999/03/groening.html (Stand: 12.09.2008)

21 Vgl. Turner: Planet Simpson, S. 25-26.

22 Butler, Jeremy: Television: Critical Methods and Applications, Mahwah 2002, S. 27.

23 Diese Arbeit beinhaltet ausnahmslos Zitate der englischen Originalsprachfassungen. An einem prägnanten Beispiel wird in Kapitel 4.3. erläutert, wieso sich dieser Schritt trotz guter Synchronisationen empfiehlt. Die englischen Episodentitel werden direkt im Fließtext angegeben. Der deutsche Titel und das Erstausstrahlungsdatum finden sich in der Bibliographie.

24 Vgl. Kachel, Jörg C.: Topographie Americana. In: Guteser, Michael u. Thomas Klein: Subversion zur Prime-Time. Die Simpsons und die Mythen der Gesellschaft, Marburg 2002, S. 168.

25 Mongobay, Most common surnames in the U.S. URL: http://names.mongabay.com/most_common_surnames.htm (Stand 19.07.08)

26 Vgl. Turner: Planet Simpson, S. 31.

27 Vgl. Sloane, Robert: Who wants Candy. In: Alberti, John: Leaving Springfield. The Simpsons and the Possibility of Oppositional Culture, Detroit 2004, S. 171.

28 Vgl. Koenigsberger, Kurt M.: Commodity Culture and its Discontents. In: Alberti, John: Leaving Springfield. The Simpsons and the Possibility of Oppositional Culture, Detroit 2004, S. 42.

29 Turner: Planet Simpson, S. 31.

30 Vgl. Koeningsberger: Commodity Culture and its Discontents, S. 45.

31 Vgl. Nilsen: Encyclopedia of 20th-Century American Humor, S. 291.

32 Jean, Al, zitiert nach: Keslowitz, Steven: The World according to the Simpsons, Naperville 2006, S. 80.

33 Kachel, Jörg C.: Topographie Americana, S. 168.

34 Stabile: Prime Time Animation, S. 141.

35 Turner: Planet Simpson, S. 87.

36 Turner: Planet Simpson, S. 87.

37 Die Episode heißt “Lisa’s first word”, weil hier hauptsächlich von Lisas erstem Wort in Rückblenden erzählt wird.

38 Keslowitz: The World according to the Simpsons, S. XV.

39 Butler: Television: Critical Methods and Applications, S. 7.

40 Dettmar, Kevin J. H.: Learning Irony with the Simpsons. In: Alberti, John: Leaving Springfield. The Simpsons and the Possibility of Oppositional Culture, Detroit 2004, S. 88.

41 Brook, Vincent: Myth or Consequences. In: Alberti, John: Leaving Springfield. The Simpsons and the Possibility of Oppositional Culture, Detroit 2004, S. 182-183.

42 Internet Movie Database, Montgomery Burns, URL: http://www.imdb.com/character/ch0003020/filmoseries#tt0096697 (Stand 01.07.2008)

43 Vgl. Turner: Planet Simpson, S. 169.

44 Ebd. S. 168.

45 Mehr Informationen zu den Parallelen zwischen Hearst und Kane finden sich in der Oscar-nominierten Dokumentation „ The Battle over Citizen Kane “ (1995).

46 Turner: Planet Simpson, S. 170-171.

47 Vgl. Turner: Planet Simpson, S. 171.

48 Vgl. Keslowitz: The World according to the Simpsons, S. 176-177.

49 Keslowitz: The World according to the Simpsons, S. XVI.

50 Larkin, Ralph W.: Suburban Youth in Cultural Crisis, New York 1979, S. 28-29.

51 Horkheimer, Max u. Theodor W. Adorno: Kulturindustrie. Aufklarung als Massenbetrug, S. 145.

52 Vgl. Larkin: Suburban Youth in Cultural Crisis, S. 59.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Sozialkritik in amerikanischen Zeichentrickserien
Untertitel
Am Beispiel der Simpsons, South Park und Futurama
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Kinder- und Jugendbuchforschung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
102
Katalognummer
V134776
ISBN (eBook)
9783640475766
ISBN (Buch)
9783640475759
Dateigröße
1942 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Simpsons, South Park, Futurama, Television, Serie, Comedy, Fernsehen, TV, Kritik, Gesellschaftskritik, Konsum, Populärkultur
Arbeit zitieren
Andreas Cirikovic (Autor:in), 2008, Sozialkritik in amerikanischen Zeichentrickserien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134776

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