Tiefenpsychologie des Stotterns

Standortbestimmung und ätiologische Wirkungsmacht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

52 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zur Vorgehensweise in dieser Arbeit

2. Änigma Stottern und die Auswirkungen

2.1. wissenschaftliches Rätselraten
2.2. therapeutisches Dilemma

3. Das ungeliebte Stiefkind – mögliche Gründe für das Ausblenden psychosozial-tiefenpsychologischer Ansätze innerhalb der Stotterforschung

4. Psychologische Dynamik– mehr als lediglich ein aufrechterhaltender Faktor ?
4.1. Erste Indizien
4.1.1. Kulturanthropologie des Stotterns
4.1.2. Stottern und situative Abhängigkeit
4.2. Ein psychodynamisches Ursachentheorie des Stotterns
4.2.1. Die Großeltern
4.2.2. Die Eltern
4.2.2.1. Die Mutter
4.2.2.2. Der Vater
4.2.3. Die Familiensituation
4.2.3.1. Die Beziehung zwischen den Eltern
4.2.3.2. Die Familienatmosphäre
4.2.3.3. Die Eltern-Kind Beziehung
4.2.3.4. Die Kommunikation zwischen Eltern und Kind
4.2.4. Das Kind
4.2.4.1. Narzissmus, Selbst und Angst
4.2.4.2. Die Auswirkungen

5. Was kann eine tiefenpsychologische Theorie wirklich leisten?

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„ Das Stottern ist die gemeinste und fieseste Sache auf dieser Welt. Das Monster hat auf seinem riesigen Kopf zwei schwarze H ö rner. Ein b ö sartiger Blick und b ö sartige Augen. Das gezackte Maul soll darstellen, dass schon jemandem, der neben ihm angekettet ist, die Haut abgezogen wurde. Das rote Blut soll zeigen, dass es seine m ä chtigen Rei ß er schon in jemanden versenkt hat. Das Skelett soll warnen, weil es gesagt hat, das Monster g ä be es nicht, und musste daf ü r mit dem Leben bezahlen. Das Monster tr ä gt ein Gruselkost ü m. Darunter ist ein normaler Mensch, der alles nur spielt."

(Maximilian, 15 Jahre )[1]

1. Zur Vorgehensweise in dieser Arbeit

„Ich sehe normal aus. Habe normale Freunde und ein normales Abitur. Ich wirke selbstbewusst. Nur eines ist anders: Ich habe Angst zu sprechen.“[1] (Leynie 23, Studentin)

Es gibt Männer, die können auf öffentlichen Toiletten nicht urinieren. Es gibt Männer, die können auf öffentlichen WCs nur urinieren, wenn sie alleine sind, oder keiner neben ihnen steht. Und es gibt Männer, bei denen spielen diese Faktoren keinerlei Rolle. Allen gemeinsam ist, dass sie zu Hause ohne Probleme, wann sie wollen, Wasser lassen können. Dieses Problem wird in der Fachsprache Paruresis genannt. Von ihm sind ca. 7% der Weltbevölkerung (m:w = 9:1) betroffen.[2]

Was glauben Sie, ist die Paruresis eher organisch-physiologischen oder psychologischen Verursachungsfaktoren zuzuschreiben?

Es gibt Menschen, die bereits rot werden wie eine Tomate, wenn sie beim Bäcker nach dem Kassenbon fragen. Andere hingegen scheinen auch in den peinlichsten Situationen entweder gar nicht rot zu werden, oder allenfalls sehr leicht. Manche werden schon allein vom Gedanken rot, dass sie erröten könnten. Das krankhafte Erröten wird in der Medizin Erythrophobie genannt – ca. 1,5 % der Bevölkerung ist davon betroffen.[3]

Könnten Sie sich vorstellen, dass psychologische Verursachungsfaktoren bei dieser Krankheit ein Rolle spielen, oder glauben Sie, dass die Erythrophobie rein physiologische Ursachen hat?

Manche Menschen brauchen um einen Satz einem anderen mitzuteilen mehr als eine Minute, voller Silbenwiederholungen, Dehnungen, Blockierungen und muskulären Verkrampfungen, sofern sie ihn überhaupt zu Ende führen und nicht schon vorher entmutigt aufgeben. Die gleichen Menschen können diesen Satz, wenn sie flüstern, ihn zu einem Tier sagen, im Chorsprechen oder für sich alleine sind, nahezu ohne Probleme, zum Teil sogar völlig Beschwerde frei aussprechen. Diese Menschen sind Stotterer. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung beträgt ca. 1 %.

Halten Sie es für möglich, dass psychologische Faktoren Stottern verursachen können, oder glauben sie, dass die Störung rein organische Gründe hat?

Während sich die Wissenschaft darüber einig ist, dass bei der Paruresis soziale Phobien und keine organischen Gründe krankheitsauslösend sind und auch bei der Verursachung der Erythrophobie eine psychische Störung maßgeblich beteiligt ist, werden tiefenpsychologische Überlegungen in der ätiologischen Stotterforschung nahezu überhaupt nicht beachtet, oder sogar ausgeschlossen.[4]

Warum dem so ist, soll unter anderem im Verlauf der vorliegenden Arbeit „Tiefenpsychologie des Stotterns“ kritisch hinterfragt werden. .

Die nun folgenden Ausführungen zur Rolle der Tiefenpsychologie innerhalb der ätiologischen Stotterforschung haben sich vor allem an drei Leitfragen orientiert:

(i) Wie ist die theoretische Sachlage in der Ursachenforschung momentan und wie sieht es in der Stottertherapie aus?
(ii) Welche Gründe kann es geben, dass die Tiefenpsychologie in der ätiologischen Bedeutungslosigkeit verschwunden ist?
(iii) Wie müsste eine aktuelle tiefenpsychologische Ursachentheorie des Stotterns aussehen und welches Potenzial brächte diese mit?

Bevor man sich mit tiefenpsychologischer Theorie und den Gründen einer etwaigen ätiologischen Verdrängung auseinandersetzt, ist es vorab notwendig einen Istzustand der wissenschaftlichen Stotterszene zu konstatieren, der gleichzeitig eine erste Positionsbestimmung der Tiefenpsychologie innerhalb dieser darstellen soll. Dies wird in Kapitel 2 unter besonderer Berücksichtigung der Frage (i) geschehen. Unter Punkt 2.1. erfolgt ein Überblick über die traditionellen wie aktuellen ursachentheoretischen Strömungen innerhalb der Stotterforschung. Punkt 2.2. wird im Anschluss näher auf die momentane therapeutische Praxis eingehen.

In der Ursachendiskussion ist es seit längerer Zeit verdächtig ruhig um die Tiefenpsychologie geworden. Welche Gründe könnte es hierfür geben? Kapitel 3 wird die Frage beantworten.

Nachdem zu Beginn des Kapitels 4 zunächst erste Indizien präsentiert wurden, die eine tiefenpsychologische Verursachung des Stotterns nahelegen, wird unter Punkt 4.2. eine psychodynamische Ursachentheorie des Stotterns entwickelt. Den Ausführungen liegen hierbei metaanalytische Ergebnisse aus einer Menge von 59 Forschungen zugrunde. Ist am Ende des vierten Kapitels bereits die erste Teilfrage aus (iii) geklärt, verbleibt Kapitel 5 das ätiologische Potenzial dieser entworfenen Theorie abschließend zu beurteilen und zur Diskussion zu stellen.

Mit Blick auf den begrenzten Umfang dieser Hausarbeit, den es mit Hinblick auf die Komplexität des Themas nicht übermäßig zu strapazieren gilt, sind einige Einschränkungen zugunsten einer vertiefenden Darstellung der ausgewählten Aspekte unumgänglich.

So ist es nicht möglich, eine umfassende Einführung in die tiefenpsychologische Terminologie in dieser Arbeit unterzubringen. Die Kenntnis dieser wird insbesondere für Kapitel 4 vorausgesetzt. Eine Übersicht über einen Großteil der Begrifflichkeiten, wie sie auch in dieser Arbeit verstanden werden, ist in den Anhängen 4 – 6 zu finden. Für nähere Ausführungen zu komplexeren Terminologien z. B. dem Unbewussten, der Lieb und Aggression oder der Neurose sei auf das Kapitel 10.3. in Kollbrunner 2004 verwiesen. Lediglich eine Ausnahme hierzu bietet das Kapitel 4.2.4.1., dass die Begriffe Narzissmus, Selbst und Angst nochmals enger fassen wird.

Gegenstand hiesiger Ausführungen ist nicht das Stottern, das durch offensichtliche Einflüsse – z. B. Stottern nach einem Infarkt, eines schrecklichen Erlebnisses, etc. – verursacht ist. Es geht um die weit häufigeren Fälle, bei denen keine ostensive Ursache feststellbar ist.

2. Änigma Stottern und die Auswirkungen

2.1. wissenschaftliches Rätselraten

Die Erforschung des „Stotterns“gibt seit nahezu 2300 Jahren der episteme immer neue Rätsel auf. In den Schriften des Hippokrates (460-370 v.Chr.), des Begründers der akademischen Medizin, wird das „Stottern“(gr. i öxuo4wuia) erstmals wissenschaftlich thematisiert und nach den Lehren der Humoralpathologie[5] auf ein „[...] Ungleichgewicht des Gemüts [...]“[6] zurückgeführt. Von diesem Zeitpunkt an, bis heute, wurden unzählige Theorien zur Ätiologie, Genese, Symptomatik und Therapie des „Stotterns“entworfen und diskutiert, deren alleinige historische Darstellung Bücher füllt.[7] Mit welchem Ergebnis? Es hat sich eine undurchsichtige Vielzahl an zum Teil obskuren Begriffen und Definitionen für das Stottern herausgebildet[8], die heute kaum noch sinnvoll diskutiert werden können. Im Folgenden sollen die fundamentalen theoretischen Richtungen - die ihrerseits in verschiedenste Kategorien und unzählige Subtheorien zerfallenkurz dargestellt werden[9]:

1. breakdown-Hypothesen

Nach den breakdown-Theorien wird das Symptom „Stottern“durch ein temporales Versagen der Sprachsystems aufgrund eines hirnorganisch-neurologischen Funktionsdefizites verursacht, das sich besonders unter Stress auf die Koordination der Artikulations-, Phonations- und Atemmuskulatur, der Gestik und Mimik verhindernd oder stark beeinträchtigend auswirkt.[10] Der Cortex ist nicht in der Lage, synchrone Steuerungsimpulse an die am Sprechen beteiligten Muskelgruppen zu senden, was zu krampfähnlichen Erscheinungen in der Sprachproduktion führt.

Für einen organisch motivierten „breakdown“ werden verschiedenste Gründe verantwortlich gemacht, zum Beispiel:

a) Lateralisierungshypothese / zerebraler interhemisphärischer Konflikt (Travis 1978)
b) Hypothese der auditiven Interferenz (Webster & Lubker 1968, Van Riper 1982, Fiedler & Standop 1992)
c) Überaktivität von Hirnstammreflexen (Zimmermann 1980)

Der breakdown-Ansatz ist stark von der Annahme einer genetischen Prädisposition des „Stotterns“ geprägt, die davon ausgeht, „ [...] dass nicht das Stottern an sich, jedoch die [physiologische] Veranlagung dazu vererbt wird.“[11]

2. psycholinguistische Hypothesen

Die Vertreter psycholinguistischer Hypothesen nehmen an, dass das Stottern auf eine gestörte Sprachentwicklung des Kindes in Folge ungenügender neuro- und kognitionspsychologischer Sprachkapazitäten zurückzuführen ist. Der Segmentierungsprozess sprachlichen Inputs, das Erkennen von Sprachmustern und –regeln, die Sprachproduktion sowie das Vernetzen von Altem mit neuem Sprachwissen können hierbei nur mangelhaft erfolgen.[12]

Beispiele psycholinguistischer Theorien sind:

a) covert repair hypothesis (Postman & Kolk 1993)
b) phonetic transition defect (Wingate 1976)
c) Dysfunktion der linguistischen Segmentierung während des Sprechens (Moore & Haynes 1980)
d) Dyssynchronizität zwischen linguistischen und paralinguistischen Systemen (Perkins, Kent & Curlee 1991)

Auch im Zusammenhang mit der Sprachentwicklung wird eine genetische Disposition vermutet.[13]

3. psychologische Hypothesen:

Das Spektrum der psychologischen Ursachenerklärungen zum Stottern reicht von rein behavioristischen Konditionierungsansätzen, über psychosoziale und tiefenpsychologische Theorien, bis hin zu lernpsychologischen Überlegungen. Einige Beispiel hierfür sind:

a) Neurosentheorie (u.a. Fernau-Horn 1969, Coriat 1943)
b) Störung der Eltern – Kind Interaktion (u.a. Glauber 1951, Anzieu 1982, Klaniczay 2001)
c) Lerntheorien[14], Antizipationstheorien / z. B. diagnosogenic Theorie (Johnson 1959) anticipatory-struggle (Bloodstein 1970)

Auf die Frage nach der Bedeutung psychologischer Theorien für die aktuellen Stotterforschung wird in Kapitel 3 näher eingegangen.

Keine der drei oben dargestellten Forschungsrichtungen vermochte jedoch eine umfassende und allgemein akzeptierte Ursachentheorie des Stotterns hervorzubringen. Bis heute wurde kein Weg gefunden, die organischen, psychischen und linguistischen Theorien integrativ zu verbinden. „Auf theoretischer Ebene, vor allem dann, wenn es um Ursachen ging, blieben über Jahrzehnte unterschiedliche Theorien einfach nebeneinandergestellt, scheinbar unverbunden, wie Berichte aus verschiedenen Welten.“[15] Die Forderung der Pragmatiker nach einer allgemein akzeptierten, wissenschaftlichen Fundierung ihrer Arbeit wurde immer lauter, sodass die Stotterforschung der letzten zwei Dekaden kurzer Hand aus ihrer Not eine Tugend machte: Wenn das Stottern nicht durch eine monokausale Theorie zu erklären ist, so müsse man akzeptieren, „[...] dass es das Stottern als homogenes Störungsbild mit allergrößter Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht gibt [...]“[16]. Das monokausale Denken wird heute weitestgehend durch die multifaktorielle Perspektive ersetzt. Diese Sichtweise geht statt von „der“ Ursache, von einem Ursachenbündel aus, in welchem „neurophysiologische, soziale, linguistische, konstitutionelle und vererbte Faktoren zusammenwirken.“[17]

Zu den wohl bekanntesten multifaktoriellen Modellen zählen das Anforderungs-Kapazitäts-Modell von Steakwater 1987 sowie dessen Weiterentwicklung von Adams 1990. Diese polyätiologisch ausgerichteten Modelle haben jedoch unübersehbaren Mangel. Sie vermögen es zwar alle potenziellen Theorien unter einem Dach zu berücksichtigen, können aber auch nicht das ätiologische Kardinalproblem des Ursache-Wirkungszusammenhangs lösen, da sie es nicht schaffen, das bisherige Wissen in einer sinnvollen Theorie zu integrieren und die bisherigen Erkenntnisse umfassend zueinander in Beziehung zu setzen. Sie bilden momentan lediglich eine Art theoretisches Sammelbecken, das „[...] zu interessanten Einblicken in einzelne Funktionszusammenhänge [verhilft] [...], aber [...] nichts zur Integration dieses Wissens und somit zum Verständnis des Stotterns [...]“[18] beiträgt und so bestenfalls eine therapeutische Planungshilfe zur Therapie mit stotternden Kindern darstellt[19], jedoch „[...] [nicht als] Theorie dieser Störung [...]“[20] gelten kann. Diese Schwäche zeigt sich praktisch mitunter darin, dass eine polyätiologische Definition des Stotterns über die Oberflächensymptomatik des temporär gestörten Redeflusses hinaus bis heute nicht gefunden ist. Multikausale Definitionen stellen bis dato lediglich Stotterdeskriptionen dar, aus denen nicht „[...] erkennbar [ist], welche Kräfte auf welche Art und Weise zusammenwirken müssen, damit das Oberflächenphänomen entsteht.“[21] Einen zweiter, aktueller Standpunkt, der eng mit der multikausalen Sichtweise verknüpft ist, verkörpert die „idiografische Betrachtungsweise“ des Stotterns. Unzufrieden mit der Streuweite der Multikausalmodelle versuchten zunächst vor allem die pragmatisch orientierten Amerikaner, die Population der Stotterer in homogene Subgruppen zu unterteilen, für die sich ein gemeinsames ätiologisches Modell konstruieren ließe. Diese Untergruppenbildung blieb jedoch weitestgehend unbefriedigend, was Motsch 1983 schließlich zu einer ebenso genial anmutenden, wie extremen Idee anregte. Er vertrat die Ansicht, dass das Stottern eine so individuelle Störung sei, dass jeder Stotterer im Subgruppensystem als eigene Subgruppe mit der Anzahl n=1 zu betrachten ist, wobei für jeden Betroffenen eine ganz eigenes Ursachengefüge für das Stottern anzunehmen sei. Folgt man diesem Ansatz, scheint die „[...] ätiologische Bankrotterklärung [...]“[22] wohl endgültig perfekt. Diese Herangehensweise war, abgesehen von Strakeweathers „Anforderungs-Kapazitäten-Modell“ nicht sehr gewinnbringend. Wissenschaftstheoretisch ist Motschs Theorie mehr als fragwürdig. „Motsch vergisst [...], dass jede ätiologische Theorie darauf ausgerichtet [...] [sein muss], die gemeinsamen Faktoren hinter den stets interindividuell unterschiedlich ausgeprägten Phänomenen zu erklären.“[23] Indem ich alles individualisiere, ist selbstverständlich jedes Strukturproblem gelöst. Motsch erschafft keine neue Theorie, sondern er treibt eine eklektische Entwicklung auf die Spitze. Wo kämen wir hin, wenn beispielsweise in der Medizin alle Krankheiten, die noch nicht hinreichend erforscht oder zufriedenstellend theoretisiert werden konnten, zu Einzigartigkeiten unter dem Dach eines gemeinsamen Namens erklärt würden?

Es ist ganz klar, dass – wie jede Krankheit – auch das Stottern individualistische Züge hat, mit individualistischen Entstehungseinflüssen und Ausprägungen. Aber eine Ursachenforschung, die ernst genommen werden will und zudem nicht nur Forschung um des Theoretisieren willens, sondern mit einer klar alltagspraktischen Nutzenstiftung betreibt, ist ab dem Zeitpunkt verloren, ab dem sie davon absieht, Strukturen und ihre Zusammenhänge verstehen und beschreiben zu wollen. Kollbrunner bringt diese Entwicklung in einer Analogie etwas überspitzt auf den Punkt:

„Statt nur dem Motorengeräusch zuzuhören, werden jetzt im >>idiografischen Ansatz<< die Motorhaube geöffnet und die dort befindlichen Gegenstände betrachtet: Motorblock, Zündspule, Vergaser, Batterie, Kühler, und jede Menge Schläuche und Drähte aber keine Ahnung, wie das alles zusammen funktioniert. Und aus irgendeinem Grund fallen die Forscher-Mechaniker sofort in Erstarrung: Statt verstehen zu lernen, wie Kraftstoffversorgung, Zündsystem, Kurbelwelle und Ventile zusammenspielen wird bei jedem Automodell nur festgestellt, dass die Anordnung der Elemente im Motorraum unterschiedlich sind, ja sogar, dass die Bauteile verschieden groß und verschieden farbig sind. So führt die Blockierung des Verstehens schließlich zur überwältigenden Einsicht: Jeder Autotyp ist anders! Die therapeutische Schlussfolgerung daraus ist sogar logisch: Da man einen Motor als Ganzes nicht verstehen kann, muss man bei jedem defekten Motor schauen, welche Teile auffällig scheinen (zu groß oder zu farbig) und diese dann umlackieren oder ersetzen. Das bringt zwar nicht viel Erfolg, aber manchmal doch.“[24]

In jüngster Zeit, scheint die Stotterforschung wieder einmal die Seiten zu wechseln und einem keinesfalls unumstrittenen Trend[25] zu folgen. Wie viele verwandte Disziplinen erhoffen sich auch die Stotterforscher den ersehnten Quantensprung durch die Neuro- und Genforschung. Diese Richtung, - exemplarisch in persona Ehud Yairi -, versucht unter intensivsten Anstrengungen ein oder mehrere Gene des Stotterns zu identifizieren. Wo diese Entwicklung hinführt und vor allem handfeste Resultate bleiben abzuwarten.

Die Frage, ob Stottern die Krankheit selbst (Genetik, Physiologie, Psycholinguistik), oder nur das Symptom einer tiefer gehenden Krankheit (Tiefenpsychologie) ist, bleibt in Ermangelung einer allgemein anerkannten ätiologischen Theorie bislang weiter unklar. Die aktuelle Ursachendiskussion ist in einem Spannungsfeld gefangen, irgendwo, zwischen zukunftsfroher Prophetie den baldigen Durchbruch erwartend[26] und der nüchternen Bilanz: „Die Ursache des sich in der Kindheit entwickelnden Stotterns ist unbekannt.“[27]

Was bedeutet dies für die therapeutische Praxis? 2.2. therapeutisches Dilemma Eine mangelhaft verstandene Theorie bedingt in der Regel immer eine eingeschränkte, suboptimale Praxis. Derzeit kursieren circa zwischen 250 und 300 Einzeltherapieverfahren[28], wobei kein logopädisches Störungsbild so viele Therapieansätze aufzuweisen hat, wie das Stottern.[29] Wie passt das zusammen?

Eine Therapie, die theoretisch von einer multiplen aber theoretisch unverbundenen Verursachung oder gar idiografischen Sichtweise im Sinne Motschs[30] ausgeht, ist gezwungen ein möglichst breites Spektrum an Behandlungsformen herauszubilden, nimmt sie ihre Theorie ernst und beabsichtigt auf nahezu jeden potenziellen Faktor reagieren zu können. Eine multidimensionale Theorie zwingt somit zu multifaktorieller Therapieformen, die zwar theoretisch entwickelt werden, aber mittlerweile eine Menge und Multidimensionalität erreich haben, dass sie von Therapeuten und schon längst nicht mehr zu durchschauen, geschweige denn praktisch anwendbar sind – ein „[...] Therapiesalat [...]“[31].

„Die Methodenkombination ist keine Gewähr für eine größere Effektivität der Therapie. Die Addition von Falschem und Unnötigen führt nicht notwendigerweise zum Besseren.“[32]

Ein Zahnarzt, der nicht weiß, wo die Wurzel des Problems genau zu finden ist, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er verlässt sich auf sein „Gefühl“ sowie seine Erfahrung und zieht den Zahn - mit dem Risiko mehr zu schaden, als zu nutzen. Oder er begnügt sich damit, den akuten Schmerz zu lindern, bekämpft das Symptom und versucht dieses so lang wie möglich zu unterdrücken. Letztere Vorgehensweise, ein „Herumdoktern“ an Oberflächensymptomen, scheint die aktuell gängige Praxis in der Stottertherapie darzustellen.

Die heute am häufigsten verwendeten Therapieformen sind zwei grundsätzlichen Richtungen zuzuordnen:

Der „stuttering-modification“ sowie dem „fluency-shaping“.

Die stuttering-modification Methode zählt zu den non-avoidance Ansätzen. Diese Therapiemethode zielt in erster Linie nicht darauf ab, das Stottern abzustellen, sondern es grundsätzlich als Teil der Persönlichkeit akzeptieren zu lernen. Dies wird als wichtige Voraussetzung betrachtet, um in einem darauffolgenden Schritt Stotterformen zu lernen, die die Artikulation für den Betroffenen wie den Zuhörer weniger belastend gestaltet und Sekundärsymptome – z. B. ausfallende Gestik, Gesichtsverzerrungen etc. – mit der Zeit überflüssig werden lässt. Van Riper, Wendlandt oder Sheehan stellen nur einige der prominenten Vertreter dieser Methode dar. Deren Vorteile liegen zum einen darin, dass durch ein „Outing“ als Stotterer, diesem zum Teil die Furcht und die Scham genommen wird. Erst diese Akzeptanz gibt das Sichtfeld wieder frei auf persönliche Stärken und ermöglicht somit den Aufbauen von Selbstsicherheit und Zuversicht. Der stuttering-modification Ansatz setzt in nahezu allen Phasen auf die Arbeit mit Ängsten, Emotionen und Selbstakzeptanz (z. B. 1. Stufe Identifikation, 2. Stufe Desensibilisierung, 4. Stufe Stabilisierung) die mit dem Stottern einhergehen und gesteht somit der psychologischen Komponente einen wichtigen ätiologischen Einfluss zu. Sie führt diesen Gedanken aber nicht konsequent zu Ende und verweilt in ihrer praktischen Ausführung mit Formen wie z. B. der reinen Desensibilisierung, lediglich an der Oberfläche, statt zu erwägen, dass Angst-, Scham- und Schuldgefühle nur die Spitze des Eisberges sein könnten, unter dem sich im Verlauf der Stotterentwicklung viel mehr angestaut, vielleicht erst zum Stottern geführt hat.

Der zweite Ansatz nennt sich „fluency-shaping“ und ist von einer weitaus mechanistischeren Denkweise geprägt. Diese Methode geht davon aus, dass es möglich ist, Stottern mittels spezieller Sprechtechniken zu beseitigen, oder zumindest zu lindern. Hierbei kommen die verschiedensten Verfahren zum Einsatz. Zu den relativ Sanften zählen diejenigen Mittel, die durch prolongiertes, silbenbetontes Sprechen mit weichem Onset versuchen, das Stottern in eine kontrolliert melodische Artikulation zu überführen, um es dann, ausgehend von dieser Basis, unter Zuhilfenahme von Audio und Videokontrolle in ein weitestgehend „normales“ stotterfreies Sprechen zu verwandeln. Oft kommen hierbei spezielle Atem- und Entspannungstechniken zum Einsatz. Das Sprechen unter Störgeräuschen (masking) oder mit Metronom- und Haptometereinsatz ist ebenfalls gängige Praxis. Der Trend alles zu technologisieren macht jedoch auch – oder besonders – vor der fluency-shaping Methode nicht halt. Immer mehr Geräte kommen auf den Markt, mit denen der Stotterer bei der Sprechkontrolle unterstützt wird und über die er bei jedem noch so kleinen Fehlern sofortige Rückmeldung per delayed-auditory feedback (DAF), frequency-shifted auditory feedback (FAF) oder masked-auditory feedback (MAF) erhält. Viele dieser technischen Fortentwicklungen mögen wirkliche Hilfen für diese Therapiemethode darstellen, hinterlassen jedoch einen schalen Beigeschmack des Kommerzes.[33] Die Grenze zwischen dem klassischen operanten Konditionieren und dem Einsatz dieser Technologien sind sicherlich fließend. Gegen den Einsatz eines Atemfeedbackgerätes, oder einem simplen „gut“, als Verstärker nach einem gelungenen Satz, mag noch nichts wirklich einzuwenden sein. Auch das Token-System (materielle Belohnung für Erfolg) ist im Vergleich zu anderen Formen zwar lerntheoretisch kritisch zu betrachten, aber noch harmlos. Psychologisch wie ethisch höchst bedenklich ist es jedoch , wenn man versucht psychisch labile Menschen wie Stotterer über Bestrafung – im günstigen Fall über ein „falsch“ bzw. „stopp“, im Ungünstigen über einen unerträglichen akustischen Reiz per Kopfhörer (600Hz mit 105 dB) -, oder das „Time-out“ Verfahren[34], zu flüssiger Sprache anzuleiten. Sicherlich sind diese letzten Beispiele Extrema und mittlerweile eher die Ausnahme, als die Regel in der vernünftigen Therapiepraxis geworden. Dennoch kamen und kommen sie noch heute zum Einsatz und verdeutliche, was wohl Krause meint, wenn er sagt: „Es gibt wohl kaum eine Patientengruppe, die mit solcher Hartnäckigkeit die unangenehmsten und abenteuerlichsten Therapieverfahren auf sich nimmt und erduldet.“[35]

Diese Methoden sind heute jedoch nur noch selten in der eben geschilderten Reinform zu finden. Häufig werden sie nach verschiedensten Arten kombiniert und in Subformen variiert. Gemeinsam stellen sie aber die meist verbreitete Therapieform dar.

In Kontrast zu dem eben gezeichneten Bild, soll an dieser Stelle auf einen ausgewählten – aus psychologischer Perspektive - Lichtblick unter den Therapieansätzen hingewiesen werden, der jedoch bei Weitem noch nicht in der Intensität rezipiert wurde, wie die gerade genannten. Es handelt sich hierbei um Lena Rustins Interaktionstherapie. Sie berücksichtigt in ihrer Therapie linguistische, kognitive und psychosoziale Faktoren, wobei sie die psychosoziale Komponente – die Eltern-Kind Interaktion – bewusst in den Vordergrund stellt. Die Methode bezieht die Eltern intensiv in die Therapien mit ein und berücksichtige somit nicht nur deren immense Rolle bei der kindlichen Sprachentwicklung, sondern auch, dass das Erreichen des Therapieziels in großem Maße davon abhängt, wie das Kind im Alltag das Gelernte zum Transfer nutzen kann.[36] Häufigstes Therapieziel bleibt jedoch bis heute, die reine, mechanisch-geprägte Reduktion der Stottersymptome.

Therapeuten und Logopäden spüren häufig in ihrer alltäglichen Praxis, dass hinter dem Stottern des Kindes mehr steckt, als ein reines Sprechproblem – hierfür kann das Bild zu Anfang dieser Arbeit lebhaft aber nur exemplarisch Zeugnis sein.

Phlegmatisch betrachtet scheint es sicher so, als würden psychologische Aspekte immer mehr in den therapeutischen Alltag integriert. Ein genauer Blick lässt jedoch erkennen, dass diesen oft nicht mehr Bedeutung als „auch wichtig“ zukommt und viele Therapeuten in diesem Bereich meist intuitiv, unsystematisch und ungezielt agieren. Hierfür ist den Logopäden jedoch der geringste Vorwurf zu machen. Solange die Theorie kein schlüssiges Konzept mit psychologischer Durchschlagskraft konzipiert, können solche auch nicht in die Ausbildung einfließen. Die Logopäden sind oftmals verunsichert, wie sie sich wohl am besten verhalten sollten, wenn die Eltern nach ihrer Schuld am Stottern des Sprösslings fragen, oder Kinder unter Tränen wie aus dem Nichts ihre scheinbar infantilen Angstfantasien schildern. Eine fundierte, auf den logopädischen Alltag zugeschnittene psychologische Ausbildung der Therapeuten, käme nicht nur den Behandelnden in solchen Situationen zugute und ließe sie selbstsicherer und zielführender auftreten, sondern würde diesen auch ermöglichen, mit den eigenen psychischen Belastungen, die der Beruf als Therapeut unweigerlich mit sich bringt, eventuell leichter umzugehen. Die Tatsache, dass 1992 laut dem Mitgliederverzeichnis des Deutschen Bundesverband für Logopädie (DBL) nur noch 11 % aller deutschen Logopäden/innen bereit waren, Stotternde zu behandeln[37], sollte Warnsignal genug sein, schnellst möglich über festgefahrene Muster nachzudenken. Eine stabile Verbindung zwischen Forschung, Theorie und Therapie scheint in den meisten Fällen schon lange verschwunden.[38]

Doch das Fehlen einer klaren Ursachentheorie bleibt in seiner negativen Auswirkung nicht nur auf die Therapie beschränkt. Übernimmt man die Dreiteilung der Prävention nach Sandrieser[39] in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention[40], ergibt sich insbesondere für die Primärvorsorge ein sehr düsteres Bild. Solange die Forschung es nicht schafft, sich zumindest halbwegs auf einen Konsens, eine stotterverursachende Grundstruktur zu einigen, sondern sich in multifaktorieller Hypothetik, verzweifeltem Individualismus und theoretischem Scheuklappendenken verliert, wird es bestenfalls möglich sein, sekundärpräventiv das aufkeimende Stottern (immer wieder) zu ersticken, primär wird man diesem aber niemals den Nährboden entziehen.

Der letzte Punkt in diesem Kapitel bezieht sich auf die Variable „Erfolg“ und deren Bedeutung für die Stottertherapie. Bereits anhand der oben exemplifizierten stuttering-modification und fluency-shaping Ansätze wird deutlich, dass die Vielfalt der oftmals grundlegend verschiedenen, teils sich sogar ausschließenden Therapiekonzepte, es unmöglich macht, über „den Erfolg“ eine klare Aussage zu treffen.

Das Ziel der stuttering-modification Methode ist es, den Stotterer zu einem „selbstbewussten“ Stotterer zu machen, der sich nicht weiter ängstigt, zurückzieht oder schämt. Therapeuten, die einen solchen Ansatz verfolgen, beurteilen „den Erfolg“ mit Sicherheit anhand ganz anderen Kriterien, als es Vertreter der fluency-shaping Schule tun. Diese Problematik gilt sicher auch für den intermethodischen Vergleich von Rückfallquoten. Kann man beim fluency-shaping Verfahren relativ leicht einen Rückfall anhand wieder schlechter werdender Sprechflüssigkeit erkennen, ist eine Zunahme des Schamgefühls oder der Sprechangst weitaus schwerer zu messen.

Wenn man aktuell vom „Therapieerfolg“ spricht, orientiert man sich in der Regel am Kriterium der Sprechflüssigkeit. Nach allgemein akzeptierter und gern zitierter Ansicht geht man davon aus, dass gut ein Drittel der Stotterer die älter als circa sechs bis acht Jahre sind, erfolgreich „geheilt“ werden kann.

Bei circa einem weiteren Drittel kann eine Verbesserung des Redeflusses erzielt werden, wohingegen das letzte Drittel nach der Therapie keine positive Veränderung, mitunter sogar eine Verschlechterung der sprachlichen Performanz zeigt.[41] Wenn bei 66% der Betroffenen, nach der therapeutischen Behandlung, ein Rückgang oder sogar keinerlei Stottersymptom mehr zu erkennen ist, scheint dies eine sehr positive Bilanz zu sein.

Hinterfragt man diese Werte und ihre Entstehung jedoch kritisch, ergibt sich schnell ein ganz anderes Bild. „Erfolgreich geheilt“ bedeutet im Bezug auf das Stottern keineswegs – wie man unbehelligt vermuten wird –, dass das Stottern für immer verschwunden ist, sondern lediglich, dass der Patient nach der Therapie einige Jahre flüssig und unauffällig spricht. Je länger man jedoch die Nachuntersuchungsperiode wählt, desto klarer kristallisiert sich heraus, dass ein Stotterer keinesfalls zum „Normal-Sprecher“ therapiert werden konnte, sondern dass sich der „Erfolg“ lediglich – je nach Patient – als eine etwas mehr oder weniger lange Phase der Symptomunterdrückung entpuppt.[42] Seit Stottern behandelt wird, zeigt sich nicht nur, „[...] da1 ein wesentlicher Teil der Klienten flüssiges Sprechen nach Ablauf der Therapie nicht aufrechterhalten kann [...]“[43], sondern auch, „[...] da1 die Resultate um so besser [...] [sind], je schneller die Therapieeffekte gemessen würden.“[44] Von Heilung zu sprechen, scheint in diesem Zusammenhang ein Euphemismus ohne gleichen zu sein.[45] Was es für die Wissenschaft und Therapie bedeutet, dass sich diese „Drittel-Perspektive“ seit Nadoleczny 1926 nur leicht zum Positiven verschoben hat[46], bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung.

3. Das ungeliebte Stiefkind – mögliche Ursachen für das Ausblenden psychosozial-tiefenpsychologischer Ansätze innerhalb der aktuellen Stotterforschung

Psychosozialen Faktoren wird in der aktuellen Stotterforschung bestenfalls eine aufrechterhaltende oder chronifizierende Bedeutung zugebilligt. Tiefenpsychologische Überlegungen sind – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Krause (1981) oder Anzieu (1982) – spätestens seit Ende 70er Jahre aus dem Kreis diskussionswürdiger Ursachenfaktoren verschwunden. Um die Psyche des Stotterers machen die meistens Experten wie Therapeuten lieber einen weiten Bogen. Weshalb?

Gegner der Psychologie verweisen bei dieser Frage gerne auf eine Reihe von empirischen Untersuchungen, mittels derer die Möglichkeit psychosozialer wie tiefenpsychologischer Verursachung eindeutig widerlegt worden wäre. Setzt man sich mit diesen Studien kritisch auseinander, wird schnell deutlich, dass die Sachlage keineswegs so klar ist, wie sie gerne von den Skeptikern dargestellt wird. Eine beachtliche Zahl der Forschungen, die als Beweis gegen eine psychologische Ätiologie gehandelt werden, wei1 en bei näherer Betrachtung nicht nur eklatante Mängel, sondern auch erhebliche perspektivische Einseitigkeit auf.[47] An dieser Stelle soll zugunsten einer ausführlicheren Darstellung der Kapitel 3 und 4 nur exemplarisch auf zwei der meist zitierten Studien eingegangen werden.

Cox, Seider und Kidd (1984) untersuchten in ihrer Studie „high-density“ Stotterfamilien[48] auf Differenzen im psychosozialen Umgang miteinander und verglichen diese Ergebnisse mit denen einer Kontrollgruppe von zehn Familien, in denen Stottern nicht vorkam. Zur Datenerhebung verwendeten sie anamnestische Interviews sowie vier Fragebögen zum Verhalten der Eltern und den Persönlichkeitsmerkmalen der Kinder. Im Vergleich der Gruppenergebnisse fanden die Autoren auf allen 124 untersuchten Variablen keinerlei Gruppendifferenzen. Ein Ergebnis, an dessen Validität allerdings gezweifelt werden darf. Zum einen verwendete die Forschergruppe statt das bei psychosozialen Studien mit multiplen Test übliche Signifikanzniveau von p < 0,001, die Irrtumswahrscheinlichkeit von p < 0,0004. Aufgrund dieses absonderlichen Ma1 es, ist es kein Wunder, dass Variablen, die nach dem allgemein angewandten Wahrscheinlichkeitswert sehr wohl signifikante Unterschiede aufweisen würden, keinerlei Besonderheiten zeigen. Zum anderen wird bei genauem Lesen der Studie deutlich, dass die Daten der Kinder, die stottern, auf einem Gro1 teil der Variablen gar nicht mit denjenigen nicht stotternder Kindern aus den Kontrollfamilien, sondern mit denen der nicht stotternden Kinder aus den high-density Familien verglichen worden sind. Trotz dieser wirklich entscheidungsschweren Mängel verkündeten die Verfasser, dass angesichts ihrer Resultate, der Einfluss von psychosozialen Faktoren bei der Entstehung des Stotterns immer unwahrscheinlicher werde.[49]

Im Jahre 1969 vertraten Quarrington, Seligman und Kosower die Ansicht, dass die Studie von Goldman & Shames (1964) – diese fanden fünf Jahre zuvor einen signifikant höhere Leistungserwartung von Eltern stotternder Kinder im Vergleich zu Eltern von Nichtstotterern – keineswegs ein Beweise dafür sei, dass Stottern auf psychosoziale oder tiefenpsychologische Auffälligkeiten zurückgeführt werden könne , sondern dass diese höchstens eine Folge des kindlichen Stotterns darstelle. Ihre Ansicht schien mehr als bestätigt, als die Untersuchungsergebnisse nicht nur den Schluss zuließen, dass von Eltern stotternder Kinder keinerlei höheren Leistungsdruck auf ihre Kinder ausgeübt wurde, sondern auch, dass Stotterermütter mit ihrer Erwartungshaltung signifikant unter dem Niveau von Müttern nicht stotternder Kinder lagen. Doch das, was Quarrington et alter als genaue Replikation der Studie von Goldman & Shames ausgaben, entsprach in keiner Weise einer exakten Wiederholung des Forschungsaufbaus von Goldman et alter. Im Unterschied zur Ursprungsstudie hatten die Forscher die Population von Eltern, deren Kinder Stotterer waren, nicht aus einer Menge von Kindern gewonnen, die bereits als Stotterer diagnostiziert wurden, sondern sie per Zeitungsannonce geworben. Des Weiteren haben die Autoren den Untersuchungsablauf um einen Abschnitt gekürzt und offensichtlich so extrem unterschiedliche und den Versuchsablauf beeinflussende Hilfswissenschaftler eingesetzt, dass die Daten, die von jenen gewonnen wurden, in einer sich anschließenden Untersuchungsphase nochmals korrigiert werden mussten. Doch auch die Art, wie Quarrington et alter zum Teil ihre Resultate interpretieren, scheint unsauber. Zu dem Ergebnis von Goldman & Shames, dass die Väter der Stotternden ihre Erwartungshaltung nach Misserfolgen der Kinder nicht veränderten, entdeckten Quarrington und sein Team das mütterliche Komplement. Die Mütter von nicht stotternden Kindern korrigierten nach Erfolgen ihres Sprösslings ihr Anforderungsniveau. Im Gegensatz dazu behielten die Mütter Stotternder ihre niedrige Erwartung auch nach erfolgreichen Leistungen des Kindes bei. Ein Aspekt, der zusammen mit Goldmans Feststellungen aus psychodynamischer Perspektive durchaus interessant und stimmig ist[50]. Doch Quarrington schien dieses Ergebnis, wie auch etwaige psychodynamische Überlegungen, zu wider zu laufen, sodass er lediglich darauf verwies, dass dieses verwirrende Resultate noch der späteren Aufklärung bedürfen.

Vermögen die eben ausgeführte Beispiele – denen noch viele weitere hinzugefügt werden könnten - zwar erste Zweifel an den Argumenten der tiefenpsychologischen Gegner und dem berechtigten Fehlen der Psychologie in der ätiologischen Diskussion aufkommen lassen, so erklären sie jedoch noch nicht hinreichend, weshalb eine durchaus vorhandene Vielzahl an Studien mit psychodynamisch positiven Befunden[52], in der wissenschaftlichen Diskussion offensichtlich ausgeblendet werden.

Ein weiterer Faktor, der zum schweren Stand der Tiefenpsychologie innerhalb der Humanwissenschaft generell und der Stotterforschung im Besonderen, beigetragen hat, ist die aktuelle Popularität der genetischen und neurologischen Forschung. Auf diesen Gebieten sind in den letzten Jahren bahnbrechende Erfolge gelungen – hier sei nur an den aktuellen Nobelpreis 2007 für Medizin[53] oder das Klonschaf Dolly aus dem Jahr 1996 erinnert – die jeder Beachtung wert sind. Doch hat sich seit geraumer Zeit aufgrund dieser Erfolge ein gefährlicher wissenschaftlicher Trend entwickelt, der nicht nur den Ursache-Wirkungszusammenhang mittlerweile oft umkehrt, sondern auch die gesamte Wissenschaftstheorie nahezu an den Rand der Subjektivität und Eindimensionalität drängt.

Was ist damit gemeint?

Normalerweise stellt sich die Beachtung und Förderung nach dem Erfolg ein. In der Gunst der Gesellschaft, wie der Wissenschaft, hat sich jedoch mittlerweile die Haltung etabliert, ungelöste Probleme der Medizin oder Psychologie vorschnell - im wahrsten Sinne des Wortes auf Kredit - auf genetisch oder neurophysiologisch Ursachen zurückzuführen und deren Forschungsarbeit bevorzugt zu unterstützen.[54] Forschungsrichtungen die sich großer, moderner Gerätschaften mit noch größeren Namen wie Positronen-Emissions-Tomografie oder funktionale Magnetresonanztomografie bedienen, ist nicht nur größere Medienaufmerksamkeit sicher, sondern wird auch leichter Forschungsbudget zugestanden, wobei die wirkliche Sinnhaftigkeit der Projekte und ihrer Methoden immer häufiger vom Glanz der Publicity überstrahlt wird. So profitieren zweifellos auch die genetisch-neurophysiologisch orientierten Stotterwissenschaftler von den Ergebnissen ihrer Kollegen in anderen Forschungszweige und der allgemeinen Hoffnung in der Entschlüsselung der DNS nicht nur den ersehnten Quantensprung in der Stotterforschung, sondern im Hinblick auf die gesamte phylogenetische Forschung. Konkrete Resultate bleiben die Stottergenetiker jedoch bis heute schuldig. Ein Forschungszweig wie die Psychoanalyse, die sich mit schwer Greifbaren - wie bspw. dem Unbewussten - auseinandersetzt, die Menschen mit ihren Schwächen wie Ängsten konfrontiert und zudem nur schwer naturwissenschaftlichen Standards entspricht, hat es schwer mit Disziplinen mitzuhalten, die eindrucksvolle Bilder von „K.O.-Mäusen“ oder zwei identischen Schafen bieten können.

Was ist mit dem Begriff wissenschaftstheoretischer Eindimensionalität gemeint?

Die Tiefenpsychologie gilt aufgrund ihrer methodischen Vorgehensweise als unwissenschaftlich und wird deshalb – vor allem von den Naturwissenschaften - als „nicht ganz ernst zunehmen“ und höchst spekulativ abgelehnt. Diese fehlerhafte Annahme erhält, begünstigt durch den Boom der Naturwissenschaften, immer weiter Auftrieb. Ohne zu weit ins Detail gehen zu können oder in die aktuelle Verteidigung der Geisteswissenschaften einzustimmen, sei dieser Trugschluss im Folgenden grob erläutert. Die Naturwissenschaft gründet ihre Methodik auf die nomothetische Erkenntnistheorie. Diese ist vom Falsifikationsprinzip des kritischen Rationalismus bestimmt und arbeitet verstärkt mit Datenmengen und Statistiken. Doch wie nicht nur die Naturwissenschaften allein zu den Wissenschaften zählen, ist der nomothetische Weg nicht der allein erkenntnistheoretisch legitime. Die Wissenschaft gliedert sich in ihrer gröbsten Auslegung in die Naturwissenschaften und in die Geisteswissenschaften. Den geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft, der Kunstgeschichte oder der Philosophie ist es im Grunde unmöglich, über Messverfahren und reduktive Datenanalysen Erkenntnisfortschritte zu erzielen. Hierfür hat die Geisteswissenschaft einen eigenen wissenschaftstheoretischen, den idiografischen Weg herausgebildet. Dieser basiert auf den Prinzipien der Hermeneutik und ist von einer stärkeren Subjektivität und interpretativen Kraft geprägt. Die Positionen der Wissenschaftler sind zunächst rein subjektive Vermutungen, begründet auf eigene Beobachtungen und Studien. Mit Kraft der dialektischen Diskussion innerhalb der Wissenschaft wird über die Zeit hinweg dieses Wissen immer wieder überprüft, ergänzt, abgeändert und zunehmend multiperspektivisch objektiviert, bis die Grenzen des aktuellen Wissens erreicht sind. Am Ende dieses hermeneutischen Zirkels wird dann aus einer zuvor subjektiven „Vermutung“ eine hinreichend kritisch hinterfragte Theorie. Auch die Naturwissenschaften müssen ab einem gewissen Punkt von diesem Weg Gebrauch machen. Statistische Verfahren vermögen lediglich, statische und säkularisierte Punkte zu messen und zu erkennen. Möchte man jedoch die Beziehung zwischen den Ergebnissen, ihre dynamischen Interdependenzen und die Gesamtstruktur verstehen, kommt man nicht umhin die Datenmengen interpretieren zu müssen sowie erste subjektive Vermutungen aufzustellen, um die Verbindungslinien zwischen den Punkten freizulegen. Diese Interpretationen müssen im Folgenden ebenso dialektisch und mit immer neuem Wissen und Daten angereichert, diskutiert werden, bis zu einem Punkt, ab dem alles Wissen in die Diskussion eingebracht wurde und man aus dieser eine Hypothese deduziert. So gesehen sind diese beiden Wege nicht, wie oft dargestellt, antagonistisch zu betrachten, sondern erkenntnistheoretisch konvergent. Da sich die Tiefenpsychologie mit dem Unbewussten beschäftigt, ist sie auf idiografisch interpretative Wege festgelegt. Ebenso wenig, wie man davon ausgeht, dass es keine Ursache gibt, weil sie sich der Messbarkeit entzieht, sollte man davon ausgehen, dass die Tiefenpsychologie unwissenschaftlich ist, bloß weil ihr Forschungsgegenstand nur sehr schwer auf naturwissenschaftlichen Wege zugänglich ist.

[...]


[1] Heap 2007, S. 37

[1] vgl. http://www.neon.de/kat/fuehlen/psychologie/184563.html, Stand 15.10.2007 04:03 Uhr

[2] vgl. http://www.mediport-online.de/pdf/paruresis.pdf, Stand 15.10.2007 19:17 Uhr

[3] vgl. http://www.welt.de/print-welt/article231005/Erroeten_kann_man_verlernen.html, Stand 15.10.2007 21:01 Uhr; Gerlach 1997

[4] vgl. Kollbrunner 2004, S. 146 - 157

[5] Humoralpathologie = Viersäftelehre; medizinisches Erklärungsmodell der Antike, das bis ins 19 Jh. eine beherrschende Rolle spielt. Einen Zweig dieses Modells stellt die Temperamentenlehre dar, deren Termini (melancholisch, phlegmatisch, cholerisch, sanguinisch) bis heute verwendet werden.

[6] Braun 1997, S.12

[7] vgl. Braun 1997

[8] Zur exemplarischen Darstellung vgl. Anhang 1

[9] Aufgrund des begrenzten Umfanges der Arbeit und zugunsten einer vertiefenden Darstellung der Kapitel 3 und 4 kann an dieser Stelle nur ein exemplarischer Auszug der aktuell diskutierten Theorien erfolgen. Des weiteren sei darauf hingewiesen, dass die hier erfolgte Dreiteilung nur eine von vielen Kategorisierungsvarianten darstellt (z. B. vgl. Kuhr 1991 dysphemisch vs. Entwicklungs- und Lerntheorie; vgl. Kollbrunner 2004 organisch- physiologisch vs. psychosozial; vgl. Bloodstein 1993 breakdown hypothesis vs. anticipatory-struggle hypothesis vs. unconscious-need hypotheses; vgl. Rodenwaldt 1988 Dysphemietheorie vs. Neurosentheorie vs. Verhaltenstheorie).

[10] vgl. Natke 2000, S. 79 – 83; Bloodstein 1993, S. 8ff; Kollbrunner 2004, S. 24; Baumgartner 1997, S. 224

[11] Ptok 2006, S. A 1216

[12] vgl. Baumgartner 1997, S. 226

[13] vgl. Natke 2000, S. 82

[14] Diese Arbeit geht davon aus, dass die Lerntheorien / Antizipationstheorien zu den psychologischen Theorien zu zählen sind, da ihre Definitionen ( z. B. diagnosogenes Stottern = erlerntes Verhalten (Sprechangst) , ausgelöst durch überstarke Intervention der Eltern gegenüber dem Kind in der Phase des normalen „Entwicklungsstottern“) mehr als deutliche psychosoziale wie tiefenpsychologische Momente aufweist.

[15] vgl. Kollbrunner 2004, S. 80

[16] Johannsen 1989, S. 11

[17] Kollbrunner 2004, S. 85

[18] Kollbrunner 2004, S. 85

[19] vgl. Natke 2005, S. 77

[20] Natke 2005, S. 76

[21] Kollbrunner 2004, S. 86

[22] Kollbrunner 2004, S. 15

[23] Kollbrunner 2004, S. 83

[24] Kollbrunner 2004, S. 84

[25] Hierbei sei nur exemplarisch auf die hitzige Debatte in der Psychologie hingewiesen, die seit einigen Jahren um das immer dominantere – manche sagen populistische – Auftreten der Neuropsychologie zum Nachteil der klassischen Felder wie der Kognitions- oder Entwicklungspsychologie entfacht ist.

[26] vgl. Motsch 1992, S. 21

[27] Sommer 2001, S. 14

[28] vgl. Kollbrunner 2004, S. 15

[29] vgl. Sandrieser 2001, S. 98

[30] An dieser Stelle sei angemerkt, dass Motsch einem schwerwiegenden Missverständnisses des Begriffsbewusst oder unbewusst – aufsitzt, wenn er idiografisch ausschließlich als einzelfallorientiert auffasst. Durch dieses Verständnis wird ein unverzichtbarer Teil der Wortbedeutung unter den Teppich gekehrt. Das Adjektiv idiografisch meint nicht nur den Einzelfall, sondern auch historisch orientiert (vgl. Kollbrunner 2004, S. 84; Duden 2007, S. 435). In Bezug auf den Menschen also ein Interesse an der Biografie des Einzelnen. Die Bedeutung dieses Aspektes wird im
Verlauf der Arbeit noch deutlicher werden.

[31] Rothe zit. Baumgartner 2000, S. 121

[32] Bindel 1996, S. 38

[33] So kostest z. B. das Pocket-Fluency-System für DAF, MAF und FAF 695 $, die günstigere Variante des Voice-Changers – ein FAF Gerät formähnlich einem Megafon mit Kopfhörern – nur 99 $. (vgl. Kollbrunner, S. 116)

[34] Nach dem moderne Time-Out Verfahren wird dem Kind beim Auftreten des Stotterns die soziale Zuwendung - z. B. durch Unterbrechen des Blickkontaktes oder gezieltes Wegdrehen des Kopfes bzw. der Person, entzogen und für wenige Sekunden ein Sprechverbot auferlegt. Unter Umständen zuvor erhalten Token werden wieder weggenommen (vgl. Kollbrunner 2004, S. 116-117). In der Therapie mit stotternden Erwachsenen kommt dieses Time-Out Verfahren in der Form zum Einsatz, dass beispielweise jeder nur so lange sprechen darf, bis beim ihm die erste Sprechstörung auftritt. Danach ist der Nächste dran (vgl. Fiedler 1994, S. 235).

[35] Krause 1980, S. 309

[36] Sandrieser 2001, S. 141

[37] vgl. Siewing 1993, 223

[38] vgl. Kollbrunner 2004, S. 118

[39] Sandrieser 2001, S. 62

[40] primäre Prävention = grundsätzliche Vermeidung der Störung

sekundäre Prävention = frühestmögliche Erkennung der Störung, mit dem Ziel Folgeprobleme sowie eine Behinderung (Chronifizierung) durch eine Beratung oder Therapie zu vermeiden tertiäre Prävention = Verminderung der Behinderung mittels einer Therapie, in der die Begleitsymptomatiken (z. B. Verzerren des Gesichtes, unkontrollierte Gestik, Übersprungshandlungen, psychische Auswirkungen wie Scham, Angst, sozialer Rückzug etc.) abgebaut werden.

[41] Kollbrunner 2004, S. 17

[42] vgl. Kuhr 1991, S. 136-137

[43] Kuhr 1991, S. 136

[44] Kuhr 1991, S. 137

[45] An dieser Stelle soll natürlich nicht verschwiegen werden, dass bei stotternden Kindern im Vorschulalter die Chancen auf eine dauerhaft positive Veränderung der Sprechflüssigkeit oder sogar der Stotterfreiheit bei 80 % liegt. Allerdings ist auch dieses sehr gute Ergebnis mit Blick auf das Late Talker bzw. Late Bloomer Phänomen kritisch zu hinterfragen.

[46] vgl. Kollbrunner 2004, S. 17

[47] Für eine umfassende Darstellung vgl. Kollbrunner 2004, S. 66-75.

[48] high-density Familien = Familien in deren Geschichte mindesten fünf nachgewiesene Stotterfälle vorkommen

[49] vgl. Kollbrunner 2004, S. 68

[50] Die Ergebnisse von Goldman und Quarrington ergänzen sich insofern, indem sie zeigen, dass Eltern Stotternder nichtrealistische Erwartungen an ihre Kinder stellen. Die Väter scheinen ihr Erwartungsniveau unabhängig von den Leistungen des Kindes unveränderlich festgelegt zu haben. Die Mütter schätzen das Leistungspotenzial ihrer Kinder immer zu niedrig ein und sind auch nicht bereit dieses bei Erfolgen ihrer Kinder grundsätzlich nach oben zu korrigieren. Der Grund einer solchen obligatorischen Unterschätzung der eigenen Kinder könnte in der übersteigerten Angst einer narzisstischen Mutter liegen, dass sie das Kindihr Liebesobjekt – um so schneller verlieren würde, je selbstständiger dieses wird, worauf sie mit einem krampfhaften Überbehüten des Kindes reagiert. In Folge dieser gefährlichen mütterlichen Überbehütung erfährt das Kind ein entscheidendes Entwicklungsdefizit, welches ab einem gewissen Grad im Vatervor allem wenn er unbeirrt hohe Ansprüche hegt, als auch in der Mutter, erneut Angst auslöst, ihr Kind könnte im Leben nicht bestehen. Auf diese neuerliche Angst reagieren sie plötzlich mit einer zu hohen Erwartungshaltung, die das Kind scheinbar plötzlich in eine höchst verunsichernde Situationen versetzt. Diese psychische Verunsicherung bietet die Basis, auf der sich das spätere Stottern entwickelt (vgl. Kollbrunner 2004, S. 71; Kapitel 4)

[51] vgl. Quarrington 1969, S. 441

[52] siehe Kapitel 4 bzw. Anhang XX

[53] vgl. Zeit online 2007

[54] An dieser Stelle sei exemplarisch auf die zuletzt entstandene Diskussion um das „Verbrechergen“ hingewiesen.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Tiefenpsychologie des Stotterns
Untertitel
Standortbestimmung und ätiologische Wirkungsmacht
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Deutsches Seminar)
Veranstaltung
Sprachund Sprechstörungen
Autor
Jahr
2007
Seiten
52
Katalognummer
V134674
ISBN (eBook)
9783640426942
ISBN (Buch)
9783640425174
Dateigröße
7518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stottern, Tiefenpsychologie, Stotterätiologie
Arbeit zitieren
Dominic Hand (Autor:in), 2007, Tiefenpsychologie des Stotterns , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134674

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