Helmuth von Moltke und der deutsch-französische Krieg von 1870/71

Der Einfluss des preußischen Generals auf die Kriegsplanung und –führung und der kriegsbedingte Wandel seines operativen Planungsverhaltens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

29 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kriegstheorie im Wandel vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg
1.1) Der Begriff des Krieges
1.2) Der Übergang vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg
1.3) Kriegstheorie und Kriegsgeschichte bei Moltke

2. Wirkung und Bedeutung des Generalfeldmarschalls von Moltke
2.1) Leben und Wirkung Helmuth von Moltkes
2.2) Operatives Denken bei Moltke

3. Moltkes Einfluss auf die Kriegsplanung und Kriegsdurchführung am Vorabend des Krieges von 1870/71
3.1) Vorbemerkungen..11 3.2) Moltkes Denkschrift vom Januar
3.3) Brief an Kriegsminister General der Infanterie von Roon (Mai 1867)
3.4) Moltkes Denkschrift vom Winter 1868/69
3.5) Moltkes Operationsplan gegen Frankreich
3.6) Moltkes Einfluss auf die Planung des Krieges

4. Moltkes Rolle im deutsch-französischen Krieg
4.1) Die Emser Depesche und Moltkes Reaktion auf die Kriegserklärung
4.2) Die Kriegsverlauf bis zur Schlacht von Sedan
4.3) Der allmähliche Wandel zum Volkskrieg

5. Die Veränderung von Moltkes Planungsverhalten als Folge des deutsch- französischen Krieges
5.1) Moltkes „Geschichte des deutsch-französischen Krieges von 1870/71“
5.2) Moltkes verändertes operatives Denken

Abschließende Bemerkung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war der letzte der so genannten deutschen Einigungskriege, in dessen Folge es zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches kam. Nach dem Sieg des Norddeutschen Bundes (unter der Vorherrschaft Preußens) und der mit ihm verbündeten süddeutschen Staaten über Napoleon III. formierte sich auf kleindeutscher Grundlage ein deutscher Nationalstaat. Nach dem endgültigen Zusammenbruch des maroden Alten Reiches 1806 (das allerdings eher als loser übernationaler Verband hunderter von Klein- und Kleinststaaten zu gelten hatte) war es im Zuge der Befreiungskriege in ganz Europa zu Nationalstaatsbewegungen gekommen, wobei den Deutschen ein einheitlicher eigener Nationalstaat aufgrund preußisch-österreichischer Rivalitäten zunächst verwehrt blieb. Erst mit dem Sieg über Frankreich konnten die innerdeutschen Rivalitäten insofern aus dem Weg geräumt werden, als dass die süddeutschen Staaten, die den Norddeutschen Bund gegen Napoleon III unterstützt hatten, zu einer Reichsgründung unter der Vorherrschaft eines preußischen Kaisers bewegt werden konnten, obwohl sie 1866 im Deutschen Krieg auf Seiten Österreichs gegen Preußen gefochten hatten.

Erst durch den deutsch-französischen Krieg konnte Bismarck die deutsche Einigung vollenden, expliziter formuliert durch den schnellen Sieg der Truppen Preußens und seiner Verbündeter. Dieser resultierte vor allem aus der exakten Planung der preußischen Generalität unter Helmuth von Moltke. Doch wer war Moltke und welche Bedeutung hatte er für den deutschen Sieg? Welchen Einfluss hatte er auf die Kriegsplanung und Kriegsdurchführung, welche Rolle nahm er im Kriegsgeschehen ein? Welches operative Denken lag ihm zugrunde und wie änderte sich dieses durch die von ihm gemachten Erfahrungen in Frankreich? Mit diesen Fragen setzt sich die vorliegende Hausarbeit auseinander.

Diesbezüglich werden im ersten Abschnitt zunächst grundlegende Elemente der Kriegstheorie bei Clausewitz und Moltke erläutert, wobei auch auf den Begriff des Krieges und die Unterscheidung zwischen Volkskrieg und Kabinettskrieg eingegangen wird.

Während sich das zweite Kapitel dann allgemein mit der Wirkung und Bedeutung Helmuth von Moltkes auseinandersetzt, analysiert der zentrale dritte Absatz dieser Arbeit den tatsächlichen Einfluss Moltkes auf die Kriegsplanung am Vorabend des Konfliktes.

Der nächste Passus befasst sich daraufhin mit der Rolle Moltkes im Kriegsgeschehen selbst. Als Thema des fünften und letzten Teils dieser Hausarbeit kann schließlich die Veränderung von Moltkes Planungsverhalten und sein verändertes operatives Denken benannt werden.

1.) Kriegstheorie im Wandel vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg

Im folgenden Kapitel wird zunächst auf den Begriff des Krieges an sich im historischen Kontext des 18. und 19. Jahrhunderts, einer Zeit des Umbruchs und des Wandels vom Kabinetts- zum Volkskrieg, eingegangen, bevor grundlegende Aspekte der Kriegstheorie und Kriegsgeschichte bei Clausewitz und Moltke analysiert werden, welche für das Verständnis der Person Moltke und seinem operativen Denken gerade im Bezug auf den deutsch-französischen Krieg als unabdingbar bezeichnet werden können.

1.1) Der Begriff des Krieges

Krieg in Form eines bewaffneten und gewalttätigen Auseinandersetzungen hat es seit jeher in allen Kulturkreisen der Erde gegeben, so wie auch spezifische Kriegstheorien und Strategien über die explizite Kriegsführung.1 Als bedeutendster Militärtheoretiker der Neuzeit kann sicherlich Carl von Clausewitz bezeichnet werden, dessen Werk Vom Kriege2 bis heute in Militärakademien gelehrt und rezipiert wird.

Für Clausewitz war der Krieg „ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“.3 Gleichzeitig dient der Krieg der Politik: „Der Krieg ist eine bloJ3e Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“.4

In Anknüpfung an Clausewitz betrachtete auch Moltke den Krieg als politische Angelegenheit und als konsequente Weiterführung der Politik:5

„Die Politik bedient sich des Kriegs für die Erreichung ihrer Zwecke, sie wirkt entscheidend auf den Beginn und das Ende desselben ein, so zwar, daJ3 sie sich vorbehält in seinem Verlauf ihre Ansprüche zu steigern oder aber mit einem minderen Erfolg sich zu begnügen.“ Darüber hinaus hielt er den Krieg jedoch auch für ein unabdingbares Lebensgesetz und für politisch „notwendig“, da der „Ewige Friede“ in seinen Augen nichts weiter als ein infantiler, nicht zu verwirklichender Traum sei.6

1.2) Der Übergang vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg

Das 19. Jahrhundert, in welchem Helmuth von Moltke lebte und wirkte, kann als Episode des allmählichen Wandels der Kriegstypen bezeichnet werden. Der Kriegstyp der Kabinettskriege, der Europa nach dem Westfälischen Frieden dominiert hatte, wurde mehr und mehr durch Volkskriege verdrängt.7

Kennzeichnend für den Kabinettskrieg waren vor allem seine (zeitliche und räumliche) Begrenztheit und seine (weitgehende) Heraushaltung und Schonung der Zivilbevölkerung, womit er im denkwürdigen Gegensatz zu den Religionskriegen der Frühen Neuzeit stand und wohl auch als Lehre aus diesen resultierte, da z.B. der Dreißigjährigen Krieg verheerendes Unheil über die Zivilbevölkerung mit sich brachte und ganze Landstriche entvölkerte.

Weitere Eigenschaften des Kabinettskriegs waren seine typischen (vergleichsweise) kleinen stehenden Heere, dessen Offizierskorps meist (so z.B. in Preußen) adlig waren, seine beschränkten Kriegsziele und das Streben nach einer (kriegsbeendenden) Entscheidungsschlacht.8

Auch für Moltke bestand der Grundsatz, dass Kriege so schnell wie möglich beendet werden sollten, weswegen „das Streben nach einer raschen Vernichtungsschlacht von größter Bedeutung“9 für ihn war, was anhand des Deutschen Krieges, für dessen Planung und Durchführung er auf Seiten Preußens wesentlich verantwortlich war, verdeutlicht werden kann. So konnte Österreich in der Entscheidungsschlacht von Königgrätz (3. Juli 1866) nicht nur militärisch, sondern auch politisch besiegt werden, der Krieg war hiernach beendet.

Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung begann sich jedoch das Kriegsbild entscheidend zu wandeln, immer schneller konnten Massenheere ausgehoben werden, wodurch sich der klassische Kabinettskrieg in einen Abnützungskrieg von langer Dauer transformierte. Durch das Erstarken nationalistischer Bestrebungen in den europäischen Staaten entwickelte sich zudem ein zunehmender Volkskriegscharakter. Mehr und mehr wurden Kriege nicht mehr nur zwischen Kombattanten ausgetragen, sondern auch hinter der Front in Form von Partisanen- und Guerillakriegen weitergeführt10. Als neuartiger Kriegstypus zeigte sich der Volkskrieg (und später in der Form des industrialisierten Volkskriegs) nach der levée en masse der französischen Revolutionskriege und der Massenmobilisierungen in den Befreiungskriegen gegen Napoleon immer häufiger.

Auch Moltke, der die Befreiungskriege als Kind erlebt hatte, war die Entwicklung nicht entgangen, allerdings vermochte er es nicht wirklich, die richtigen Konsequenzen zu ziehen, da er in seinem militärischen Denken weiterhin Entscheidungsschlachten plante, das „Nichtgreifbare“ in Form des unkalkulierbaren Volksaufstandes oder Partisanenkrieges jedoch ausklammerte.11 Rein militärisch huldigte er dem klar planbaren, mit einer Vernichtungsschlacht beendbaren Kabinettskrieg, da er den nichtplanbaren (und auch sehr viel brutaleren) Volkskrieg fürchtete.12

Auch der deutsch-französische Krieg von 1870/71 kann in diesem Zusammenhang nicht mehr als reiner Kabinettskrieg bezeichnet werden, da nach der Entscheidungsschlacht bei Sedan das französische Heer zwar geschlagen war, die Franzosen kapitulierten und Napoleon III. abdanken musste, die neue provisorische Regierung unter der Leitung Léon Gambettas jedoch wenig später zum bewaffneten Volkskrieg gegen die Deutschen aufrief.13 Obwohl dieser Moltkes Planungen zuwiderlief, hatte auch er (wenn auch unbewusst) seinen Anteil am Übergang zum Volkskrieg, da auch er in Frankreich den „Erbfeind“ sah, mit dem abgerechnet werden sollte.14 „Ein Krieg gegen diesen westlichen Nachbarn war für den Generalstabschef deshalb mehr als nur ein lästiger Kabinettskrieg, sondern eine nationale Notwendigkeit und daher der Nationalkrieg. Bei Moltke selbst kam damit jener Nationalismus zum Ausdruck, der zum Volkskrieg trieb.“15

1.3) Kriegstheorie und Kriegsgeschichte bei Moltke

Im Gegensatz zu Clausewitz existiert im schriftlichen Werk Moltkes keine systematische Theorie zur Kriegsführung, da er es stets abgelehnt hatte, „verbindliche Richtlinien für die militärische Führung festzulegen. Für ihn war die Strategie ‚ein System der Aushilfen’ , also rational kaum fassbar, nichts anderes als ‚die Anwendung des gesunden Menschenverstandes auf die Kriegsführung’ .“16

Während Clausewitz tatsächlich eine theoretische Schrift über das Wesen des Krieges verfasst hat, die eigentlich als Theorie der Strategie zu verstehen ist, müssen die meisten Abhandlungen Moltkes als militärische Lehrtexte und dienstliche Anweisungen verstanden werden, in welchen militärische Abläufe erklärt werden. Tatsächlich prägte Moltke das Führungsdenken des preußisch-deutschen Generalstabes, indem er Operationsabläufe akribisch genau festhielt.17

Bei Moltke nimmt die Kriegsgeschichte den Platz der Theorie ein, die nur sekundär abgehandelt wird, weswegen er auch nicht als Militärtheoretiker oder Schöpfer neuer strategischer Ideen bezeichnet werden kann. Hingegen war er ein äußerst geschickter aber auch akribischer Vordenker, der durch detailliert ausgearbeitete Aufmarschpläne schon Monate vor Kriegsbeginn den Ort der späteren Entscheidungsschlacht bei Königgrätz (Sadowa) auf wenige Kilometer und auf einen Tag genau vorausbestimmte.18

Aufgabe der Kriegsgeschichtsschreibung Moltkes war die Aufklärung des Generalstabes über Operationsabläufe des Krieges, weswegen sie folgende Charakteristika enthielt: „Detailgenauigkeit, Klarheit in der Darstellung der Truppen- und Führungsstruktur und der chronologischen Abfolge, vor allem aber auch eine anschauliche Schilderung der Ereignisse, die, anders als die heute bisweilen übliche ‚anonyme’ Militärgeschichte, auch die handelnden Personen und ihre Bedingtheiten nicht übersieht.“19

Alles in allem hat Moltke zwar keine systematische Theorie entwickelt, aber mehrere militärische Bereiche nachhaltig geprägt, darunter die Offiziersausbildung, die Modernisierung der Armee, die Auftragstaktik und die operative Führung.

2.) Wirkung und Bedeutung des Generalfeldmarschalls von Moltke

2.1) Leben und Wirkung Helmuth von Moltkes

Helmuth Karl Bernhard von Moltke wurde, einem alten Adelsgeschlecht abstammend, am 28. Oktober 1800 in Parchim geboren, einer Kleinstadt im damaligen Herzogtum Mecklenburg-Schwerin. Elfjährig trat er in die Landkadettenanstalt nach Kopenhagen ein, 1818 bestand er die dänische Offiziersprüfung mit Auszeichnung und diente im Oldenburgischen Infanterieregiment in Rendsburg.20

1822 wechselte er in die preußische Armee, in der er von 1823 bis 1826 die preußische Kriegsakademie besuchte, die damals unter der Leitung von Generalmajor Carl von Clausewitz stand. 1833 trat er in den Großen Generalstab (bis zur Reichsgründung noch Generalstab genannt) ein, der nach der preußischen Niederlage in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt im vierten Koalitionskrieg im Zuge der preußischen Reformen gegründet wurde und die oberste Heeresleitung bei der Planung militärischer Operationen unterstützen sollte. Von 1835 bis 1839 hielt er sich dienstlich im Osmanischen Reich auf, wo er an einem Kurdenfeldzug teilnahm und im Auftrag des Sultans eine Heeresreform durchführte. 1857 bis 1888 war er selbst Leiter des Generalstabes. Ab 1866 nach der Ernennung zum General erhielt er das Recht, im Auftrag des Königs direkt Befehle an das Heer zu erteilen, wodurch er die von ihm geplanten Operationen auch selbst leiten konnte. In dieser Position war er maßgeblich an der Planung und Durchführung der drei deutschen Einigungskriege beteiligt, weswegen er 1871 zum Generalfeldmarschall ernannt wurde. 1891 starb der über neunzigjährige Moltke in Berlin.

2.2) Operatives Denken bei Moltke

In seinem Aufsatz „Über Strategie“21 von 1871 geht Moltke explizit auf die Begriffe Taktik, Operation und Strategie ein und setzt diese in Wechselwirkung zueinander.

Die Funktion der Strategie wird hierbei folgendermaßen erläutert:22 „Die nächste Aufgabe der Strategie ist die Bereitstellung der Streitmittel, der erste Aufmarsch der Armee“ und des weiteren „die kriegerische Verwendung der bereitgestellten Mittel, also bei den Operationen.“ Hauptaufgabe der Strategie ist also die Bereitstellung der Truppen und der militärischen Ausrüstung, sowie die kriegerische Verwendung ebendieser, also der Kampf an sich, wobei die Strategie immer auf das höchste Ziel gerichtet ist, welches von der Politik definiert wird. Ansonsten beschreibt Moltke die Strategie aber verallgemeinernd als „System von Aushilfen“ und als „die Anwendung des gesunden Menschenverstandes auf die Kriegsführung.“23

Nach Moltke besteht das vordergründige operative Ziel aller militärischen Handlungen in der schnellen Vernichtung des feindlichen Heeres:24

„Der Sieg in der Waffenentscheidung ist der wichtigste Moment im Kriege. Der Sieg allein bricht den Willen des Feindes und zwingt ihn sich dem unsrigen zu unterwerfen. Nicht die Besetzung einer Strecke Landes oder die Eroberung eines festen Platzes, sondern allein die Zerstörung der feindlichen Streitmacht wird in der Regel entscheiden. Diese ist daher das vornehmste Operationsobjekt.“

Ganz in Tradition der Kabinettskriege sollte nach Auffassung Moltkes das operative Primärziel, also die Vernichtung des feindlichen Heeres, durch eine rasche Entscheidungsschlacht herbeigeführt werden, um den Krieg möglichst schnell zu beenden, und die Verluste an Mensch und Material gering zu halten: „Der Charakter der heutigen Kriegsführung ist bezeichnet durch das Streben nach großer und schneller Entscheidung. Die Stärke der Armeen [...] die Kostspieligkeit des bewaffneten Zustandes [...] alles drängt auf rasche Beendigung des Krieges.“25

Kennzeichnend für Moltkes operatives Denken war die konsequente Nutzung moderner technischer Mittel. So forderte er frühzeitig den massiven Ausbau von Eisenbahntrassen innerhalb der deutschen Länder, um Truppenverbände im Kriegsfall rasch an der Front stationieren zu können. Auch die Erweiterung des elektrischen Telegraphienetzes zur schnellen Nachrichtenübermittlung zwischen den Truppenverbänden und der Heeresleitung bzw. der leitenden Generalität und der politischen Führung in Berlin sollte aus Sicht Moltkes oberste Priorität haben.26

Zentrales Anliegen Moltkes und zentraler Platz seines Denkens und seiner Kriegsplanung war die „Ordre de Bataille“, also die Kriegsgliederung: Auf dem vorgesehenen Instanzwege gelangen die Befehle des höchsten Kommandierenden sicher bis auf den letzten Mann des Heeres, so lange die Ordre de Bataille nicht unterbrochen wird.“27 Als Konsequenz des Krieges von 1866, als beim Anmarsch Verbände durch Mischung und Teilung zerrissen wurden und nicht mehr einheitlich lenkbar waren, ermahnte Moltke die unbedingte Einhaltung der Kriegsgliederung.28 Sollte es in einer Situation, die ein Handeln erfordert aus vielerlei Gründen keine Befehle geben, sollten die einzelnen Offiziere nicht auf Befehle warten, sondern eigenständig handeln dürfen, wofür die unbedingte Disziplin der Truppe unerlässlich scheint: „Die Disziplin ist der Grundpfeiler der Armee und ihre strenge Aufrechterhaltung eine Wohltat für Alle.“29

Allgemein forderte Moltke, dass die militärischen Führer zu selbstständigen Handeln angehalten werden sollten, wobei sich die Politik aus den militärischen Operationen herauszuhalten habe. Zwar dient der Krieg der Politik zur Erreichung ihrer Ziele, da „der Krieg [...] zum Zweck [hat] die Politik der Regierung mit den Waffen durchzuführen“30, sie ist aber tatsächlich nur bedeutend für den Beginn und das Ende des Krieges. So lehnte Moltke z.B. im deutsch-französischen Krieg Bismarcks Vorschlag, Paris zu bombardieren, zunächst ab, da es ihm als unangebrachte Einmischung eines „Zivilisten“ erschien, der sich, obwohl er der politische Führer auf Seiten Preußens war, aus der Kriegsführung heraushalten sollte.31

In Bezug auf die Kriegsvorbereitung wurden Schlachtfelder von Moltke hauptsächlich nach Geländegesichtspunkten im Voraus ausgewählt, wobei nicht taktische, sondern strategisch-operative Überlegungen im Vordergrund standen. Er war allgemein der Auffassung, dass weniger die Planung der reinen Kampfhandlung als vielmehr die einleitenden Maßnahmen für die strategische Ebene von höchster Wichtigkeit sind, da ohne Plan ein Aufmarsch nicht zu bewerkstelligen ist und Fehler bei der Aufmarschplanung im Kampf kaum wieder gut zu machen sind,. wobei Pläne kaum über das erste Zusammentreffen mit dem Feind hinausreichen können und Planung deswegen zwingend an Grenzen stößt.32 Im Gegensatz zu Clausewitz, der eine strategisch-operative Defensive und eine taktische Offensive präferierte, bevorzugte Moltke bei der Aufmarschplanung eine eher strategisch-operative Offensive in Verbindung mit einer nur taktisch operierenden Defensive.33

[...]


1 Vgl. z.B. Wolfrum, Edgar: Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 10-14.

2 Für die vorliegende Arbeit wurde auf folgende Ausgabe zurückgegriffen: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Auswahl. Hg.: Marwedel, Ulrich, Stuttgart 1994.

3 Clausewitz: I. Buch, Kapitel I, 2, S. 17.

4 Ebenda, S. 24.

5 Moltke: „Über Strategie“, erschienen in: Großer Generalstab (Hg.): Moltkes Militärische Werke II, Taktisch-strategische Aufsätze, Bd. 2, Berlin 1900. Hier zitiert nach: Stumpf, Reinhard (Hg.): Kriegstheorie und Kriegsgeschichte. Carl von Clausewitz, Helmuth von Moltke, Frankfurt am Main 1993, S. 429.

6 Vgl. z.B. Foerster, Roland G.: Das operative Denken Moltkes des Älteren und die Folgen, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.): Operatives Denken bei Clausewitz, Moltke, Schlieffen und Manstein, Freiburg im Breisgau 1989, S. 35f.

7 Als typische Kabinettskriege können an dieser Stelle z.B. der Nordische Krieg (1700-1721), der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714) und der Siebenjährige Krieg (1756-1763) benannt werden.

8 Für einen allgemeinen Überblick zum Thema Kabinettskrieg vgl. Fiedler, Siegfried: Kriegswesen und Kriegführung im Zeitalter der Kabinettskriege, in: Ortenburg, Georg (Hg.): Heerwesen der Neuzeit Bd.2, Koblenz 1986. Vgl. auch: Göse, Frank: Der Kabinettskrieg, in: Beyrau/ Hochgeschwender/ Langewiesche (Hgg.): Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, S. 121-148.

9 Foerster 1989, S. 36f.

10 Vgl. Langewiesche, Dieter: Zum Wandel von Krieg und Kriegslegitimation in der Neuzeit, in: Journal of Modern European History 1 (2004), 2, S. 5-27. Zum volkskriegstypischen Partisanenkampf vgl. auch: Schmitt, Carl: Theorie der Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963.

11 Kaulbach, Eberhard: Der Feldzug 1870 bis zum Fall von Sedan. Zur deutschen Führung in heutiger Sicht, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.): Entscheidung 1870. Der deutsch-französische Krieg, Stuttgart 1970, S. 96. Vgl. auch Foerster 1989, S. 37f.

12 Förster, Stig (Hg.): Moltke. Vom Kabinettskrieg zum Volkskrieg, Eine Werksauswahl, Bonn u.a. 1992, S. 183f.

13 allgemein: Langewiesche, Dieter/ Buschmann, Nikolaus: „Dem Vertilgungskriege Grenzern setzten“: Kriegstypen des 19. Jahrhunderts und der deutsch-französische Krieg von 1870/71. Gehegter Krieg – Volks-und Nationalkrieg – Revolutionskrieg – Dschihad, in: : Beyrau/ Hochgeschwender/ Langewiesche (Hgg.) 2007, S. 163-196.

14 Stadelmann, Rudolf: Moltke und der Staat, Krefeld 1950, S. 179-183.

15 Förster, Stig: Helmuth von Moltke und das Problem des industrialisierten Volkskriegs im 19. Jahrhundert, in: Foerster, Roland G.: Generalfeldmarschall von Moltke. Bedeutung und Wirkung, München 1991, S. 109f.

16 Foerster 1989, S. 21. Moltke nach Foerster zitiert.

17 Stumpf 1993, S. 676f (Clausewitz und Moltke- Kriegstheorie und Kriegsgeschichte).

18 Naso, Eckart von: Moltke. Mensch und Feldherr, Hamburg 1937, S. 315-317. Erwähnt bei Foerster 1989, S. 28. Bei Nasos biographischem Werk handelt es sich jedoch mehr um einen Roman als um eine wissenschaftliche Abhandlung.

19 Ebenda, S 681.

20 Alle biographischen Angaben sind Stumpf 1993, S. 872-891 entnommen.

21 Wie Anmerkung 5: Stumpf 1993, S. 429-432.

22 Ebenda, S. 429.

23 Vgl. Foerster 1989, S. 21. In seiner Schrift „Aus den Verordnungen für die höheren Truppenführer vom 24. Juni 1869“ schreibt Moltke: „Die Lehren der Strategie gehen wenig über die ersten Vordersätze des gesunden Verstandes hinaus; man darf sie kaum eine Wissenschaft nennen; ihr Wert liegt fast ganz in der konkreten Anwendung.“

24 Moltke: Aus den Verordnungen für die höheren Truppenführer vom 24. Juni 1869, in: Stumpf 1993, S. 436.

25 Ebenda.

26 Vgl. z.B. Salewski, Michael: Moltke, Schlieffen und die Eisenbahn, in: Foerster 1991, S. 67-88. In teressant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Moltke durch seine Forderung der Nutzung moderner technischer Mittel indirekt den Wandel des industrialisierten Volkskrieges vorantrieb, obwohl er diesen ansonsten ablehnte und sogar fürchtete.

27 Wie Anmerkung 23: Stumpf S. 437.

28 Meier-Dörnberg, Wilhelm: Moltke und die taktisch-operative Ausbildung im preußisch-deutschen Heer, in: Foerster 1991, S. 44f.

29 Wie Anmerkung 23: Stumpf, S. 438.

30 Ebenda, S. 446.

31 Zwischen Bismarck und Moltke entbrannte ein erbitterter Streit über die Frage, wie Paris erobert werden sollte. Während Bismarck eine Bombardierung der französischen Hauptstadt forderte, um ein schnelles Kriegsende herbei zuführen, da er die Einmischung des Auslandes und einen wachsenden Widerstand der Zivilbevölkerung fürchtete, präferierte Moltke als militärisch optimale Lösung die Aushungerung der Pariser Bevölkerung, da er in Ermahnung an die Schlacht von Sewastopol im Krimkrieg bei einer raschen Bombardierung hohe eigene Verluste fürchtete. Schließlich beugte sich Moltke aber der Politik.

32 Meier-Dörnberg, S. 46f.

33 vgl. Foerster 1989, S. 26f.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Helmuth von Moltke und der deutsch-französische Krieg von 1870/71
Untertitel
Der Einfluss des preußischen Generals auf die Kriegsplanung und –führung und der kriegsbedingte Wandel seines operativen Planungsverhaltens
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Historisches Seminar, Abteilung für Neuere und Neueste Geschichte)
Veranstaltung
HS: "Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 und der Ethno-Nationalismus"
Note
1-
Autor
Jahr
2009
Seiten
29
Katalognummer
V134427
ISBN (eBook)
9783640426201
ISBN (Buch)
9783640423354
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Helmuth, Moltke, Krieg, Einfluss, Generals, Kriegsplanung, Wandel, Planungsverhaltens
Arbeit zitieren
Joachim Graf (Autor:in), 2009, Helmuth von Moltke und der deutsch-französische Krieg von 1870/71, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134427

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