Die Spiegelung der deutsch-polnischen Verhältnisse in dem Roman von Andrzej Szczypiorski: "Die schöne Frau Seidenman"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

21 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Titeldeutung

3. Die Strukturanalyse

4. Das geschichtliche Bild der Entstehung von deutsch-polnischen Stereotypen.

5. Die Spiegelung der deutsch-polnischen Verhältnisse.
5.1. Der geschichtliche Hintergrund.
5.2. Das Bild von Deutschen und ihre Einstellung zu Polen.
5.3. Polen und ihre Einstellung zu Deutschen.

6. Biographie von Andrzej Szczypiorski

7. Die Rezeption des Romans in Polen und in Deutschland

8. Resume

9. Literaturverzeichnis
9.1. Primärliteratur
9.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Andrzej Szczypiorski nimmt in dem Roman „Die Schöne Frau Seidenman“ die Zeit von den Jahren der Beherrschung Polens durch die Nationalsozialisten, über die Zeit der russischen Besetzung, bis hin zur Verhängung des Kriegszustandes durch Jaruzelski ins Visier. Er fokussiert seine Aufmerksamkeit jedoch nicht auf die Geschichte an sich, sondern beschreibt in den 21 Kapiteln mehr als zwanzig unterschiedliche ganz normale Menschen, die in die Geschehnisse der Okkupation verstrickt sind. Die verschiedenen deutschen, polnischen und jüdischen Lebensschicksaale, die sich im Laufe der Handlung überkreuzen und zwar um den Knotenpunkt der Rettung der schönen Jüdin, werden nicht nach Klischeevorstellungen dargestellt. In dem Roman gibt es einen Deutschen, der Polen liebt, viele fromme Polen, die die malträtierten Juden neugierig anglotzen und einen Juden ohne Gewissen, der seine Landsmänner verrät, um sein eigenes Leben zu retten. Der Autor wirft dabei die Frage nach der individuellen Schuld vor dem Hintergrund des kollektiven Verbrechens auf.

Aus dem breiten Panorama, verschiedenen Lebensschicksaalen und Handlungen, rücken zwei Fäden in den Vordergrund: die Rettungsaktion von Irma Seidenman und von Joasia Fichtelbaum.

Das Thema dieser Hausarbeit beschränkt sich jedoch auf einen besonderen Aspekt der vielen aufgeworfenen Fragen, nämlich auf die Spiegelung der deutsch-polnischen Verhältnisse.

Den Hintergrund für die Interpretation liefert die Weltanschauung von Szczypiorski, sein ethisches Wertesystem und der Glaube an Gott. Der Weg zu Gott führt, ihm zufolge, nur über Nächstenliebe, deren Objekt jedes menschliche Wesen ist. Daraus resultiert auch das Bedürfnis andere nicht rücksichtslos zu beurteilen, sondern sie zu verstehen, selbst wenn sie Verbrecher sind. Liebe, Freiheit des menschlichen Individuums, Toleranz sowie tiefer Humanismus determinierten seine Welt. Sie bestimmen auch seine Darstellungsweise der Polen, Deutschen und Juden im besetzten Warschau. Seine Lebensphilosophie führt auch zur Überprüfung der polnischen nationalen Mythen, zur Auseinandersetzung mit den polnischen Phobien gegenüber anderen Nationen (ganz besonders mit dem Antisemitismus) sowie zum Streben nach einer Versöhnung mit Deutschen, Juden, Ukrainern, Litauern, Weißrussen und Tschechen.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema fängt mit der Titeldeutung an umso mehr, dass der ursprüngliche polnische Titel anders ist als der deutsche und viel mehr Interpretationen zulässt. Danach folgt eine strukturelle Analyse des Werkes, wobei betont werden muss, dass der Bau auch einen gewissen Sinn hat und sich später in der Interpretation widerspiegelt. Das nächste Kapitel widmet sich dem Thema der historischen Entstehung der deutschen Stereotypen in Polen. Dieser Aspekt scheint von Bedeutung zu sein, umso mehr, dass sich Szczypiorski seit vielen Jahren für die deutsch-polnische Versöhnung einsetzt und auch dieser Roman diesem Thema gewidmet ist. Um zu verstehen, dass die deutsch-polnischen Verhältnisse eben durch die starren, in Bewusstsein beider Völker verankerten Stereotype und Vorurteile geprägt sind, muss zuerst der geschichtlichen Überblick über ihre Entstehung unter die Lupe genommen werden. Erst dann kann das eigentliche Thema ausgearbeitet werden. Anhand den vielen polnischen Figuren und zwei deutschen Repräsentanten lässt sich ein Bild von beiden Nationen erstellen und ihre gegenseitige Einstellung überprüfen. Danach wird noch eine kurze Biographie von Szczypiorski beigefügt. Die Erfahrung der deutschen Besatzung, des Warschauer Aufstands sowie des KZ´s Sachsenhausen machen seinen Roman und seine Sendung noch glaubwürdiger und ausdruckvoller.

Zum Schluss kommt ein kurzer Beitrag zu der erfolgreichen Rezeption des Romans in Deutschland.

2. Titeldeutung

Der Roman „Początek“ (der Anfang) von Andrzej Szczypiorski wurde im Jahre 1986 im Exilverlag „Instytut Literacki“ in Paris herausgegeben, weil der Autor zu dieser Zeit in Polen Schreibverbot erhielt.

Die deutschsprachige Ausgabe erschien dagegen unter dem Titel: „Die schöne Frau Seidenman“. Die Titeländerung erfolgte auf Vorschlag von Daniel Keel, der damals den Schweizer Verlag „Diogenes“ leitete, mit der Begründung, dass das deutsche Wort „der Anfang“ keine zusätzlichen Konnotationen zulässt. In der polnischen Sprache dagegen, beinhaltet es mehrere Bedeutungen, wie z.B. etw. einleiten, ein neues Kapitel öffnen; es gibt auch das Buch „Genesis“, das auf Polnisch „das Buch des Anfangs“ heißt und Schöpfung bedeutet. Der deutsche Titel indessen, der auf eine Romanze einer schönen Jüdin hindeutet, wirkt irreführend und lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers in eine ganz andere Richtung. Die schöne, von einem polnischen Juden denunzierte und der Gestapo überlieferte Jüdin, die von einem gutherzigen zuverlässigen Deutschen gerettet wird, weckt im Leser die Erwartung auf „sex and crime“.[1] Außerdem ist Irma Seidenman keine Hauptfigur im Roman, sondern nur eine von vielen Protagonisten.

Die Sinngebung des polnischen Titels, wird dem Leser dagegen erst nach den ersten Kapiteln bewusst.

Ist es möglich, dass er schon damals den Eindruck eines Anfangs hatte, nicht eines Endes? Ist es möglich, als er in dem Moment, als Henryks Stilhoutte seinen Augen entschwunden war, verstand, dass nun ein neues Kapitel beginnen und ohne Ende fortdauern würde, sein ganzes Leben lang? (…) Gerade an jenem Tag, dachte er später vielfach, habe ich verstanden, dass die Zeit der Trennungen, Abschiebe und ewigen Ängste anfing. [2]

Mit diesen Worten beginnt Paweł seinen Monolog – einer der Protagonisten, der seinen jüdischen Freund Henryk hilflos zum Ghetto begleitet hat. Es geht demnach um etwas Neues, um die neue Art der nationalen Existenz. Diese erste schmerzvolle Empfindung bedeutet nicht nur Trennung mit dem besten Freund, vielmehr deutet sie auf den Anfang von Vernichtung des ganzen jüdischen Volkes hin. Nach der Besetzung Polens, der Ermordung tausender unschuldiger Menschen war nichts mehr so, wie es früher mal war. Alles was neu entstand, war nicht mehr in der aus dem Zusammenleben vieler Völker entstandenen Geschichte verwurzelt. Das frühere Polen, in dem viele Völker zusammen lebten, das Zuflucht für Verfolgte war, existierte nicht mehr. Der neue Staat, der gleich nach dem Krieg entstanden ist, war einsprachig, konfessionell einheitlich und erhielt neue Grenzen.

Der Zweite Weltkrieg beendete die alte Epoche, in der gute, alte, politische und moralische Prinzipien herrschten und es begann eine neue, schlechtere Zeit, die Zeit der Totalitarismen. Der Faschismus -laut Szczypiorski- war der am meisten grausame und blutige, aber zugleich auch das dümmste und primitivste System. Danach folgten raffiniertere Systeme, wie z.B. der Kommunismus, welcher den Menschen Ihre Ehre raubte.

Für Pawełek, Henryk, viele junge Leute und Kinder bedeuteten diese politischen und sozialen Wandlungen den Anfang des Erwachsenseins.

Folglich scheint der polnische Titel adäquater zum Inhalt zu sein, als der deutsche. Jedoch trug ausgerechnet diese Konfrontation des geschickt gewählten Titels mit dem vielseitigen, bedeutungsvollen Inhalt, mit der Kritik- und Rezensentenstimmen in Deutschland zum riesigen Erfolg des Romans bei.

3. Die Strukturanalyse

Der Roman ist in 21 Kapiteln gegliedert, die jeweils übergangslos neu beginnen, einen Erzählfaden wieder aufnehmen. Auf diese Art und Weise entsteht ein dichtes Netz von verschiedenen und unabhängigen, aber zugleich gleichberechtigten Schicksaalen, Ereignissen und Handlungen, die doch miteinander über den „Irma Seidenman - Faden“ verknüpft sind. Jeder Abschnitt wurde um eine Person gebaut, wobei es keine Haupthelden gibt. Die entscheidenden Ereignisse finden 1942/43 in dem durch die Deutschen besetzten Warschau statt. Diese Szenerie wird auch durch die Porträtierung einzelner Personen aufgezeigt, mehr als zwanzig brüchigen, widersprüchlichen, ganz normalen Menschen. Der Autor schenkt ihnen unparteiisch seine Aufmerksamkeit, beschreibt sie ohne Pathos, Sentimentalität, dennoch mit viel Verständnis für menschliche Ängste und Träume. Diese Darstellung erfolgt in den, für sie entscheidenden, Wendepunkten.

Schon in den ersten Sätzen kommt der allwissende Erzähler zum Vorschein. Er spricht in dritter Person, ist überall anwesend, kennt die Vorgeschichte der Figuren und teilt sie gerne bei jeder Gelegenheit mit.[3] Sein Erzählstill ist sehr charakteristisch. Der tolerante, intime Umgang mit den Figuren geht mit der ironischen Distanz einher. Die auktoriale Erzählsituation spiegelt sich nicht nur in der Handlungsdarstellung wieder, sondern auch durch Einführung vieler Kommentare, Belehrungen und Zureden des Autors. Seine Haltung und Humor mildern das geschilderte Grauen.

[...]


[1] Vgl. Popen, A.: Engagiert gegen den Willen? S. 275.

[2] Szczypiorski, A.: Die Schöne Frau Seidenman. S. 160.

[3] Vgl. Kijowska, M: Andrzej Szczypiorski. S.4f.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Spiegelung der deutsch-polnischen Verhältnisse in dem Roman von Andrzej Szczypiorski: "Die schöne Frau Seidenman"
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln)
Veranstaltung
KZ- und Holocaustliteratur
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V134378
ISBN (eBook)
9783640425990
ISBN (Buch)
9783640423071
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spiegelung, Verhältnisse, Roman, Andrzej, Szczypiorski, Frau, Seidenman
Arbeit zitieren
Kamila Motz (Autor:in), 2007, Die Spiegelung der deutsch-polnischen Verhältnisse in dem Roman von Andrzej Szczypiorski: "Die schöne Frau Seidenman", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134378

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