Der Lebensraum im Osten in Hitlers Tischgesprächen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung: Die Tischgespräche im Führerhauptquartier

2. Hitlers Vorstellungen vom Lebensraum im Osten
2.1. Englands Kolonialreich in Indien als Vorbild
2.2. Hitlers Geschichtsbild im Zusammenhang mit der Expansion nach Osten
2.3. Die Größe und Sicherung des deutschen Siedlungsraums im Osten
2.4. Die deutschen Siedlungen im Osten
2.5. Der Umgang mit den Einheimischen
2.6. Die Ausbeutung von Rohstoffen
2.7. Die verkehrstechnische Erschließung

3. Anmerkungen, Widersprüche und offene Fragen

4. Hitlers Biographen zu den Lebensraum-Plänen in den Tischgesprächen

5. Resümee

6. Literatur

1. Einleitung: Die Tischgespräche im Führerhauptquartier

Henry Picker, geboren 1912 in Wilhelmshafen, von Adolf Hitler im März 1942 als Jurist ins Führerhauptquartier befohlen, liefert mit seinen Mitschriften der Tischgespräche zwischen 21.7.1941 und 31.7.1942[1] bis zu seinem Ausscheiden eine der umfassendsten Quellen von Äußerungen des Führers in engster Runde.

Während der Tischgespräche im Kreise seiner wichtigsten Mitarbeiter in den verschiedenen Führerhauptquartieren spricht Hitler über die verschiedensten Themen aus Politik, Verwaltung, gesellschaftlichen Fragen, aber auch zu Kunst und Kultur, Religion und Kirchen, der Rolle der Frau und gibt Einblicke in sein Geschichts- und Weltbild. Einer der zentralen Punkte in seinen Monologen ist die Frage nach der Erschließung und Besiedelung der gerade eroberten oder noch umkämpften Gebiete im Osten.

Den Begriff „Lebensraum“ verwendet Hitler kontinuierlich während seiner politischen Laufbahn. In „Mein Kampf“ fordert er die nationalsozialistische Bewegung auf, „unser Volk und unsere Kraft zu sammeln zum Vormarsch auf jener Straße, die aus der heutigen Beengtheit des Lebensraums dieses Volk hinausführt zu neuem Grund und Boden und damit auch für immer von der Gefahr befreit, auf dieser Erde zu vergehen oder als Sklavenvolk die Dienste anderer besorgen zu müssen...“.[2]

Vor allem die relativ ungezwungene, private Atmosphäre in der Hitler, ohne Rücksicht auf eine Öffentlichkeit nehmen zu müssen, seinen Einfällen und Gedanken freien Lauf lässt, machen das Zeugnis der Tischgespräche aus erster Hand so bedeutsam, da sie einen viel tieferen Einblick in die Hitlersche Gedankenwelt zulässt, als öffentliche Dokumente oder Reden. Für den Führer waren die meist abendlichen täglichen Tischgespräche, treffender eher als Monologe zu bezeichnen, eine der wenigen Gelegenheiten zu Entspannung und Geselligkeit. Der Leser lernt Hitler auch von seiner privaten Seite kennen, erfährt ihn prägende Erfahrungen, Wünsche, Zielvorstellungen, verschiedene Facetten seiner Persönlichkeit und Wertewelt, lernt aber über Angewohnheiten und Abneigungen, sowie gewinnt Einblicke in seine Lebensphilosophie und sein Selbstbild.

Neben den Tischgesprächen veröffentlicht Picker auch noch zwei Geheimreden Hitlers, eine vom 23.11.1937 vor dem politischen Führernachwuchs, eine vom 30.5.1942 vor dem militärischen Führernachwuchs, die weitere Aufschlüsse und Interpretationshilfen liefern.[3]

Gerade diese nicht für die breite Öffentlichkeit gedachten Äußerungen Hitlers zu seinen Plänen für den Lebensraum im Osten für die Zeit nach dem Krieg geben Aufschluß über Hitlers menschenverachtende Ideen und die Grundlage seines Handelns.

Im folgenden sollen die vielfältigen Aspekte seiner Überlegungen in einem systematischen Zusammenhang zunächst unbewertet dargestellt und anschließend analysiert werden. Dabei steht vor allem die Frage im Mittelpunkt des Interesses, inwieweit diese Äußerungen reine Utopien oder Tagträumereien auf dem Höhepunkt der Kriegserfolge sind oder ob es Hinweise auf konkrete und realisierbare Pläne gibt.

Da es in der verfügbaren Literatur praktisch keinen umfassenden Kommentar zu den Tischgesprächen im allgemeinen bzw. den Äußerungen zu diesem Thema im speziellen gibt, hat sich der Autor darauf konzentriert, die relevanten Äußerungen zusammenzustellen, sie einer Bewertung zu unterziehen und sie den (relativ knappen) Ausführungen der Hitlerbiographen Fest, Bullock und Kershaw zu diesem Thema gegenüberzustellen.

Die Textbelege beziehen sich auf die 3. Auflage der Tischgespräche, die sich, abgesehen von leicht veränderten Kommentaren und Einführungen, sowie der erst seit der 2.Auflage erfolgten chronologischen Anordnung von den anderen Auflagen nicht unterscheidet.

2. Hitlers Vorstellungen vom Lebensraum im Osten

Adolf Hitler verstand den Kampf gegen die slawischen Völker des Ostens, vor allem gegen die Sowjetunion, einerseits als einen Weltanschauungskampf gegen Juden / Bolschewisten. Andererseits sprach er von einen Kampf des deutschen Volkes, bzw. Germanischen Volkstums um Lebensraum in Abwehr gegen eine neue Invasion von asiatischen Völkern (ähnlich dem Hunnensturm[4] ). Zum Germanischen Volkstum zählten für ihn auch u.a. Norweger, Dänen, Schweden, Deutschschweizer, Holländer und die deutschen Minderheiten in Osteuropa.[5] Sie alle sollten im „Germanischen Reich Deutscher Nation“ unter deutscher Vorherrschaft, ähnlich wie 1870/71 die deutschen Gliedstaaten unter Führung Preußens, vereinigt werden[6] und über die unterworfenen Völker des Ostens herrschen.

2.1. Englands Kolonialreich in Indien als Vorbild

Des öfteren äußerte der Führer seine Bewunderung für die Kolonisationsleistung der Engländer in Indien. Vor allem die Beherrschung riesiger Räume und Menschenmassen (300 Millionen) durch eine äußerst geringe Anzahl an Soldaten und Verwaltungsbeamten (60000) imponierte ihm.[7] Genauso bewunderte er Härte und den Herrschaftswillen, denn „wer Blut vergossen hat, hat auch das Recht, die Herrschaft auszuüben“[8]. Die Absichten seiner Eroberungspolitik werden klar, wenn er meint: „Was für England Indien war, wird für uns der Ostraum sein.“[9]

2.2. Hitlers Geschichtsbild im Zusammenhang mit der Expansion nach Osten

In Hitlers Geschichtsbild konnte nur der stärkere die Herrschaft erringen und erhalten. Einen Dualismus (sei es mit England als zweiter Weltmacht, sei es mit der Sowjetunion) könnte es nicht geben.[10] Bezeichnend ist das berühmte Zitat, „ die Erde sei eben wie ein Wanderpokal und habe deshalb das Bestreben, immer in die Hand des Stärksten zu kommen.“[11] Deswegen müsste auch das deutsche Volk, wenn es sich auf Dauer durchsetzen soll, ein Soldatenvolk bleiben.[12]

Die Gründe für die notwendige Besiedelung des Ostens sah er in der hohen Bevölkerungsdichte Deutschlands, seiner Armut an weiterem Siedlungsland, etwa für zweit- und drittgeborene Bauernsöhne, die keinen eigenen Hof bekommen können.[13] Seiner Meinung nach würde im Osten das Volk auch seine „Bewegungsfreiheit“ wiedergewinnen und die Geburtenrate steigen.[14] Die Geburt vieler Kinder würde den Drang nach Osten zusätzlich rechtfertigen.[15]

Vorbild in der Geschichte waren ihm die Deutschordensritter, die als „Glaubenskämpfer“ mit Schwert und Bibel Härte und Durchsetzungswillen zeigten.[16] Das Großdeutsche Reich[17] mit all seinen Stämmen würde auf den Schlachtfeldern dieses Krieges zusammengeschmolzen.[18] Die „Viertelmillion Tote und 100000 Verkrüppelte“, die der Krieg fordere, würden in vielfacher Weise durch den Geburtenüberschuß der Siedler in den neuen Ostgebieten kompensiert werden.

Er verglich seine Ostexpansion auch mit der Karls des Großen und anderer Kaiser als eine Einigung Europas oder mit den Kriegen Friedrichs II., seinem großen Vorbild.[19] Jedoch vertrat er die Auffassung, dass die Politik der Kaiser grundsätzlich nur gen Süden gerichtet war, während er die erste wirkliche Ostexpansion betreiben würde.[20]

Hitler fand die preußische Siedlungspoltik im Osten stark kritikwürdig. So sollte etwa die Versetzung von Beamten in den Osten nicht wie einst als Strafe, sondern als Auszeichnung und Aufstiegsmöglichkeit zu gestalten sein.[21]

2.3. Die Größe und Sicherung des deutschen Siedlungsraums im Osten

Hitler sprach im Tischgespräch Nr.181 von einem „Ostwall“, im Gespräch Nr. 7 nennt er die chinesische Mauer als Beispiel für eine Schutzanlage gegen anstürmende “mittelasiatische Massen“.[22] Picker erwähnt, dass der Führer sich zeitweise mit den Plänen für die Errichtung einer Verteidigungslinie, ähnlich dem in Frankreich realisierten Westwall auf der ungefähren Linie Astrachan - Archangelsk beschäftigte. Diese Linie war auch nach Wehrmachtsplänen als Ziellinie für eine siegreiche Invasion der Sowjetunion vorgesehen. Nach Hitlers Vorstellungen sollte sie also die östliche Begrenzung des zu entstehenden „Germanischen Reichs Deutscher Nation“ werden, wobei er auf Karelien und Finnland verzichten wollte (s. 2.5.). Laut Pickers Bemerkung zu Gespräch Nr.105 solle nach Hitlers Auffassung die Krim und der Kaukasus die südliche Grenze der Eroberungen darstellen, vor allem aus klimatischen Gründen.[23] Die Krim hätte als ein stark befestigter Vorposten das Schwarze Meer und den Zugang zu den Dardanellen sichern sollen.[24]

Hitler meinte zudem, dass er die Finnen, die ihn darum gebeten hätten, deutsches Protektorat zu werden (!), nicht in das Germanische Reich eingliederrn wolle. Vielmehr hätten sie ja durch ihren heldenhaften Kampf gegen die Sowjetunion gezeigt, dass man ein derartiges Volk besser als Bundesgenossen und Flankenschutz (ebenso wie die Türkei) bräuchte. Zudem sei Karelien zu kalt.[25]

Er meinte zudem: „Am Ende ist die beste Mauer immer noch ein lebender Wall.“ Damit spielte er auf die von ihm vorgestellte Ansiedlung von Deutschen und anderen germanischen Völkern in Wehrdörfern an (s.unten).

2.4. Die deutschen Siedlungen im Osten

Insgesamt etwa 100 Millionen Menschen sollten nach Hitlers Auffassung einst im Osten leben. Dazu sollte schrittweise die Umsiedlung von Millionen, vor allem junger Deutscher erfolgen, deren Planung und Durchführung Himmler als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums unterstand.[26]

Nach Hitlers Meinung sollten auch die deutschen Minderheiten, etwa in Rumänien oder Ungarn in das neu eroberte Gebiet im Osten umgesiedelt werden. Der Führer war der Überzeugung, dass diese Volksgruppen in ihren angestammten Siedlungsgebieten durch Inzucht rassisch minderwertig geworden seien und nun in großen Räumen im Osten, entlang einer neu zu errichtenden Autobahn, etwa auf guten Böden in der Ukraine angesiedelt werden müßten.[27] Auch die deutschsprachigen Südtiroler, Anlaß für einem latenten Konflikt mit dem verbündeten Italien, sollten umgesiedelt werden – auf die Krim.[28]

Anders als in Deutschland sollten die neuen „Reichsbauernhöfe“ im Ostland unteilbar sein und nur vom fähigsten Sohn in der Familie übernommen werden. Die anderen Nachkommen „müssten sich ihren Weg durchs Leben selbst bahnen“.[29]

Die deutschen Siedlungen und Höfe, streng getrennt von den Einheimischen, hätten sich auf jeden Fall von letzteren stark abheben. Auf keinen Fall sollten Deutsche unter den Einheimischen leben oder gar für eine Verbesserung des dortigen Lebensstandards sorgen.[30] Vielmehr würde ein Netzwerk deutscher Wehrbauerndörfer die Beherrschung und wirtschaftliche Ausbeutung des gesamten Territoriums und der einheimischen Bevölkerung sicherstellen.[31]

Auch müßte es eine Reihe schöner Städte geben, um den Osten anziehender zu machen.[32]

In seiner grundsätzlichen Abneigung gegenüber Juristen meinte der Führer auch, dass diese daran gehindert werden sollten, in den Ostgebieten zu viel zu reglementieren.[33] Anders als im Altreich dürfte nicht jedes Detail zentral von oben bestimmt werden, sondern den Gebietskommissaren könnte größere Autonomie für die Entscheidungen vor Ort gegeben werden.[34]

2.5. Der Umgang mit den Einheimischen

Ähnlich wie im Habsburgerreich würde die deutsche Minderheit die slawische Mehrheit regieren.[35] Letztere gewann ihre Daseinsberechtigung nur aus ihrem Helotentum, um vom germanischen Herrenvolk wirtschaftlich ausgebeutet zu werden.[36]

Bewundernd erwähnte Hitler die Stalinschen Herrschaftsmethoden, da so die vielen Völkerschaften in einer straffen Organisation zusammengefasst würden[37], beispielsweise in Form von Brigaden.[38] Als Schlussfolgerung daraus seien deswegen nun gerade individuelle Freiheiten weitestgehend zu gewähren, staatliche Organisation zu vermeiden und die Angehörigen dieser Völkerschaften auf einem niedrigen Kulturniveau zu halten.[39] Höchstens auf Dorfebene sollten die notwendigsten Verwaltungsorgane geschaffen werden, um keine größere Gemeinwesen, die Widerstand organisieren könnten, zu schaffen.[40]

Im Kaukasus müsste aufgrund der dort herrschenden Blutrache hart durchgegriffen werden, um nicht die wirtschaftliche Ausbeute, vor allem an Erdöl zu gefährden.[41]

[...]


[1] Die Tischgespräche bis zum 21.3.1942 wurden anhand der Stenogramme von Pickers Vorgänger als FHQ-Juristen, Heinrich Heim, von Picker niedergeschrieben.

[2] Vgl. Kammer/Bartsch, 1992, S.119 und „Mein Kampf“ S.731f.

[3] Eben zu diesem Zweck waren sie Picker von Bormann übergeben worden.

[4] Vgl. Picker, 1999, S. 131.

[5] Vgl. ders., S.94., Zahlen nach ders., S.248.

[6] Vgl. ders., S.275.

[7] Vgl. ders., S. 93.

[8] Zit. nach ders., S. 164.

[9] Vgl. ders., S.93.

[10] Vgl. ders., S.257 f.

[11] Zit. nach ders., S.387.

[12] Vgl. ders., S.332 f.

[13] Vgl. ders., S. 406.

[14] Vgl. ders., S.142.

[15] Vgl. ders., S.137f.

[16] Vgl. ders., S. 405.

[17] Hitler gebrauchte den Begriff Großdeutsches Reich, Germanisches Reich u.a. entgegen dem offiziellem Sprachgebrauch in den Tischgesprächen oft synonmym, ähnlich unpräzise benutzte er auch z.B. mit den Begriffen Rußland, Sowjetrußland, Sowjetunion usw.

[18] Vgl. Picker, 1999, S.451.

[19] Vgl. ders., S.665.

[20] Vgl. ders. S.230f.

[21] Vgl. ders. S.403.

[22] Vgl. ders., S.631. und S.94.

[23] Vgl. ders., S.386.

[24] Vgl. ders., S.412f.

[25] Vgl. ders., S.269.

[26] Vgl. ders., S. 403f. und 675f.

[27] Vgl. ders., S.156.

[28] Vgl. ders., S.581.

[29] Zit. und vgl. ders., S. 230.

[30] Vgl. ders., S.652f.

[31] Vgl. ders., S.284.

[32] Vgl. ders., S.265.

[33] Vgl. ders., S.646.

[34] Vgl. ders., S.653.

[35] Vgl. ders., S.119.

[36] Vgl. ders., S.302.

[37] Vgl. ders., S.301f.

[38] Vgl. ders., S.625.

[39] Vgl. ders., S.302.

[40] Vgl. ders., S.302f.

[41] Vgl. ders., S. 389.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Lebensraum im Osten in Hitlers Tischgesprächen
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft)
Veranstaltung
HS Hitler als biographische Persönlichkeit
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V13416
ISBN (eBook)
9783638190831
ISBN (Buch)
9783638757997
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tischgespräch, Henry Picker, Führerhauptquartier, Lebensraum im Osten, Drang nach Osten, Slawen, Untermenschen, Kolonialismus, SS, Rasse, Eindeutschung
Arbeit zitieren
Maximilian Spinner (Autor:in), 2001, Der Lebensraum im Osten in Hitlers Tischgesprächen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13416

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