Politisch-satirische Zeitschriften in den Umbrüchen der deutschen Geschichte von 1871-1923

Der "Kladderadatsch" und der "Simplicissimus"


Hausarbeit, 2003

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Bemerkungen zum Gegenstand, zur Unter-suchungsmethode und zur Quellengrundlage

2 Begriffsbestimmungen

3 Inhaltsanalysen von Kladderadatsch und Simplicissimus
3.1 „Hurrah dem Deutschen Reiche!“ – Die Reichsgründung 1871
3.2 „Heil Dir, o Fürst!“ – Die Entlassung Bismarcks im März 1890
3.3 „Auf, deutsche Brüder, die Hunnen kommen!“ – Der Ausbruch des 1.Weltkriegs im August 1914
3.4 „Wir weinen ihm keine Träne nach.“ – Der Übergang von der Monarchie zur Republik 1918
3.5 „Noch eine Minute bis zwölf - dann wird der Gashahn aufgedreht.“ - Das Krisenjahr 1923

4 Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis.

Abkürzungsverzeichnis

(Die beiden Hauptquellen werden im Text abgekürzt. Wenn das Kladderadatsch ausgeschrieben ist, dann handelt es sich um die Figur des Kladderadatsch, der in Karikaturen auftritt.)

K. Kladderadatsch

S. Simplicissimus

1 Bemerkungen zum Gegenstand, zur Unter-suchungsmethode und zur Quellengrundlage

In der Zeit des Zweiten Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik wurden die entscheidenden „Weichen“ für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte im 20.Jahrhundert gestellt. Für die vorliegende Arbeit wurden aus dem Zeitraum von 1871-1933 fünf besonders herausragende Ereignisse ausgewählt, die einen Umbruch- oder Krisencharakter hatten. Es handelt sich um die Staatsformwechsel von 1871 und 1918, den Kanzlerwechsel 1890, den Beginn des 1. Weltkriegs 1914 und das Krisenjahr der Weimarer Republik 1923.

Die nachfolgende Darstellung machte es sich zur Aufgabe, politisch-satirische Zeitschriften zum Zeitpunkt dieser fünf Umbrüche im Hinblick auf folgende These inhaltlich zu analysieren: Die politisch-satirische Zeitschrift in Deutschland verhielt sich in den Phasen des politischen Umbruchs im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gegenüber den innenpolitischen Akteuren zunehmend opportunistisch. Zum Ausgleich für die abnehmende innenpolitische Kritik, richtete sich die Satire der Kommunikatoren gegen außenpolitische Akteure. Diese Anpassung führte zum Verlust von Rezipienten, womit die langfristig sinkenden Auflagenzahlen der politisch-satirischen Zeitschriften in Deutschland zu erklären sind.[1]

Die Auswahl der Quellen orientierte sich an den „drei großen deutschen Satirezeitschriften“[2]: Die fliegenden Blätter, Kladderadatsch und Simplicissimus. Allerdings widmeten sich die 1844 in München gegründeten Fliegenden Blätter vorwiegend dem unterhaltenden Humor. Sie verzichteten auf die politische Satire[3] und sind deshalb für diese Arbeit ungeeignet. Der S. und der K. dagegen, wurden von Wilmont Haacke in seiner Darstellung zur Geschichte der politischen Zeitschrift diesem Typus zugerechnet.[4] Deshalb beschränkte sich die Untersuchung auf diese beiden Zeitschriften, die zudem sehr gut in den Berliner Bibliotheken verfügbar waren. Die Auswahl der jeweiligen Ausgaben von beiden Blättern erfolgte durch eine Konkretisierung der Umbrüche und Krisen auf folgende Daten: Ausrufung des Kaiserreiches am 18.Januar 1871, Entlassung Bismarcks am 20.März 1890, Kriegserklärungen des Deutschen Reiches an Russland am 1.August und an Frankreich am 3.August 1914, die Verkündung der Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik am 9.November 1918. Unter Berücksichtigung der Redaktionszeiten wurden die unmittelbar auf das Ereignis folgenden Ausgaben herangezogen. Da im Jahr 1923 eine Vielzahl von Schwierigkeiten und inneren Problemen kumulierten, die es in der späteren Beurteilung zu dem Krisenjahr der Weimarer Republik werden ließen, war es schwierig ein vergleichbares Schlüsseldatum zu definieren. Deshalb wurden für 1923 die Jahresendausgaben analysiert, die eine Gesamtbilanz der Ereignisse zogen. Da der S. erstmals im Jahre 1896 in München erschien, beschränkte sich die Analyse der ersten beiden Wendepunkte auf den 1848 im Zuge der Märzrevolution in Berlin gegründeten Kladderadatsch.

2 Begriffsbestimmungen

Da in der Forschungsliteratur verschiedene Definitionen der Begriffe Satire und Karikatur existieren, ist es zunächst notwendig die Begriffsbestimmungen vorzustellen, von denen die nachfolgende Analyse ausgeht.

Emil Dovifat bezeichnete die Satire als Darstellungsform und fasste ihre Absicht so zusammen: Sie „will durch Spott, Ironie, karikierende Überzeichnung oder gar Schmähung Personen bloßstellen, menschliche Schwächen aufdecken und Ereignisse entlarven.“[5] Die Intention der Satire sei dabei nicht negativ, sondern positiv, denn sie „klärt auf, beschreibt kritisch und [...] politisch motiviert die Zeitläufte, die Haupt- und Staatsaktionen, ihre Nutznießer und ihre Opfer.“[6] Man unterscheidet die Wortsatire, die in gereimter und ungereimter Form auftritt, und die Bildsatire, die sich der Zeichnungen und vor allem der Karikatur bedient.

Karikieren, von dem italienischen Wort caricare abgeleitet, heißt seiner wörtlichen Bedeutung nach beladen, belasten.[7] Eine Karikatur ist also „eine künstlerische Darstellung, bei der die natürliche Harmonie, das Gleichgewicht der einzelnen Teile zu stark belastet, übertrieben, eben karikiert erscheint [...].“[8] Die politische Karikatur bezieht sich dabei auf das aktuelle innen- und außenpolitische Geschehen und nimmt dazu Stellung.[9] Sie ist „Stimmungsbarometer“ für das gesellschaftliche Klima und „nachträglicher Kommentar in Bildformeln“[10].

3 Inhaltsanalysen von Kladderadatsch und Simplicissimus

3.1 „Hurrah dem Deutschen Reiche!“ – Die Reichsgründung 1871

Am 18.Januar 1871 wurde König Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Nach drei Kriegen, darunter auch der 1870 begonnene deutsch-französische Krieg, der noch bis zum Februar 1871 andauerte, war es Bismarck gelungen die deutschen Länder zur Reichseinheit zu führen.

Unter der großen betont dekorativen Kopfleiste des K., in deren Mitte ein mondrunder Kopf, der personifizierte Kladderadatsch, schmunzelnd die Leser anschaute, nahm meist ein Titelgedicht, in der Funktion eines „Leitartikels“, die verbleibende erste Seite ein. In der Ausgabe vom 29. Januar 1871 endete das Titelgedicht, das den ins Reich heimkehrenden „Baiern“ gewidmet war, mit dem Ausruf „Hurrah dem Deutschen Reiche!“.[11] Außer einer in einem Wortspiel versteckten Anspielung auf die Beförderung der „Könige zu Kaisern“[12] wurde das Ereignis der Reichsgründung nicht weiter thematisiert. Die „stehenden Figuren“[13] des Blattes, die Berliner Typen Schultze und Müller waren in der Nr. 8 von 1848 zum erstenmal aufgetaucht und unterhielten sich seitdem Woche für Woche über politische Tagesfragen. Im Januar 1871 wurden sie mit preußischer Uniform und Gewehr dargestellt.[14] Die Ausgabe stand fast durchgehend noch im Zeichen des deutsch-französischen Krieges. Den deutschen Sieg über den ehemaligen französischen Kaiser Napoleon III. feierte ein Spottgedicht („Vor dem Löwenzwinger.“), in dem es über ihn hieß:

„Besiegt, gefangen, hohn- und schmerzbeladen,

Der Herrschaft und des Lichts beraubt,

Sein Leben fristend nur von Feindes Gnaden –

Welch elend Leben für solch hehres Haupt!“[15]

In einer Karikatur, überschrieben mit „Ins eigene Fleisch geschnitten“, verspottete der K. Frankreich, das nicht nur den Krieg verloren, sondern dadurch auch wirtschaftliche Einbußen erlitten hatte. Darin klagte die französische Nationalfigur Marianne über ihre schlechte ökonomische Lage. Der Kladderadatsch schob ihr in seiner Antwort die Kriegsschuld zu:

„Aber, Madamchen, wie kann auch Jemand, der so ein blühendes [...] Geschäft hat, Prügelei anfangen? Sie haben alles nur sich selbst zuzuschreiben.“[16]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Wechsel der Staatsform in der Ausgabe kaum thematisiert wurde. Eine innenpolitische Kritik, z.B. an der „Staatsgründung von Oben“, war nicht zu finden. Der K. begrüßte jubelnd die Einheit Deutschlands und das neue Deutsche Kaiserreich. Dagegen wurde der Kriegsgegner Frankreich scharf kritisiert und als der eigentliche Kriegstreiber herausgestellt.

3.2 „Heil Dir, o Fürst!“ – Die Entlassung Bismarcks im März 1890

Persönliche Gegensätze zwischen dem fast fünfundsiebzig-jährigen Bismarck und dem wesentlich jüngeren Kaiser Wilhelm II., sowie innen- und außenpolitische Meinungs-verschiedenheiten führten am 20.März 1890 zur Entlassung des Kanzlers, der zuvor seinen Abschied erbeten hatte.

Das Titelgedicht des K. vom 30.März 1890 war eine einzige Huldigung an den ehemaligen Reichskanzler, dem in Anerkennung seiner Leistungen zur Reichseinigung zweimal der Ausruf „Heil Dir, o Fürst!“ entgegengebracht wurde.[17] Das sich das Gedicht direkt an Bismarck wendete, war kein Zufall, denn er galt als Leser des Blattes.[18] Auch die Figuren Schultze und Müller lassen ihn hochleben.[19] Verabschiedet wurde Bismarck mit einer Karikatur, auf der er seine „Insignien“, drei Haare auf der Glatze, mit denen er seit 1863 in allen Illustrationen des Blattes gezeichnet wurde, an den weinenden Kladderadatsch zurückgab.[20] Der Spott des K. richtete sich gegen den Nachfolger Bismarcks Leo von Caprivi, einen General, der auf einer Karikatur bei der militärischen Musterung seines Kabinetts zu sehen war.[21] Außerdem wurden die innenpolitischen Gegner Bismarcks, darunter vor allem die linksliberale Deutsche Freisinnige Partei, in mehreren Wortsatiren angegriffen.[22] Die außenpolitische Satire beschränkte sich wiederum auf die Franzosen. Eine ganzseitige Bilderfolge karikierte ihre misslungene Kolonialpolitik in Dahomey, dem heutigen Benin.[23]

[...]


[1] Siehe Auflagezahlen bei: Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000, S.247.

[2] Stöber, Pressegeschichte, S.248.

[3] Vgl.: Robertson, Ann:. Karikatur im Kontext, Frankfurt a.M. 1992, S.96.

[4] Vgl.: Haacke, Wilmont/ Pötter, Günter: Die politische Zeitschrift 1900-1965, Stuttgart 1982, S.25f.

[5] Dovifat, Emil: Zeitungslehre II, 6. neubearb. Aufl. Berlin u.a. 1976, S.102.

[6] Haarmann, Hermann: „Pleite glotzt euch an. Restlos“. Satire in der Publizistik der Weimarer Republik. Ein Handbuch, Opladen 1999, S.17.

[7] Vgl.: Gerd Unverfehrt: Karikatur - Zur Geschichte eines Begriffs, in: Langemeyer, Gerhard u.a. (Hgg.): Bild als Waffe. Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten, München 1984, S.346-348.

[8] Fuchs, Eduard: Die Karikatur der europäischen Völker. Bd.1: Vom Altertum bis 1848. 3.Aufl. Berlin 1904, S.4. Vgl.: Reumann, Kurt: Die Karikatur, in: Dovifat, Emil (Hg.): Handbuch der Publizistik Bd.2, Berlin 1969, S.65-70.

[9] Vgl.: Siebe, Michael: Von der Revolution zum nationalen Feindbild. Frankreich und Deutschland in der politischen Karikatur des 19.Jahrhunderts, Münster/ Hamburg 1995, S.16.

[10] Schmoll gen. Eisenwerth, J. Adolf: Macht und Ohnmacht der politischen Karikatur, in: Simplicissimus. Eine satirische Zeitschrift München 1896-1944, München 1978, S.21.

[11] Kladderadatsch Nr.5, Jg.24, 29.Januar 1871, S.17.

[12] Kladderadatsch Nr.5, Jg.24, 29.Januar 1871, S.19.

[13] „Stehend“, hier verwendet im Sinne von feststehend, wiederkehrend. Die „stehenden Figuren“ eines Blattes sind Erkennungs- und Markenzeichen.

[14] Kladderadatsch Nr.5, Jg.24, 29.Januar 1871, S.19.

[15] Kladderadatsch Nr.5, Jg.24, 29.Januar 1871, S.18.

[16] Kladderadatsch Nr.5, Jg.24, 29.Januar 1871, S.20.

[17] Kladderadatsch Nr.14/15, Jg.43, 20.März 1890, S.53-54.

[18] Vgl.: Koch, Ursula E.: Der Teufel in Berlin. Von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Illustrierte politische Witzblätter einer Metropole 1848-1890, Köln 1991, S. 210.

[19] Kladderadatsch Nr.14/15, Jg.43, 20.März 1890, S.59.

[20] Kladderadatsch Nr.14/15, Jg.43, 20.März 1890, S.60.

[21] Kladderadatsch Nr.14/15, Jg.43, 20.März 1890, S.60.

[22] Kladderadatsch Nr.14/15, Jg.43, 20.März 1890, S.54, S.55, S.58, Erstes Beiblatt S.2.

[23] Kladderadatsch Nr.14/15, Jg.43, 20.März 1890, Erstes Beiblatt S.1.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Politisch-satirische Zeitschriften in den Umbrüchen der deutschen Geschichte von 1871-1923
Untertitel
Der "Kladderadatsch" und der "Simplicissimus"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Fachbereich Publizitik und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Ausgewählte Quellen zur Geschichte der öffentlichen Kommunikation
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V13412
ISBN (eBook)
9783638190794
ISBN (Buch)
9783656469186
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeitschriften, Umbrüchen, Krisen, Geschichte, Eine, Analyse, Ausgaben, Kladderadatsch, Simplicissimus, Ausgewählte, Quellen, Geschichte, Kommunikation
Arbeit zitieren
René Schlott (Autor:in), 2003, Politisch-satirische Zeitschriften in den Umbrüchen der deutschen Geschichte von 1871-1923, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13412

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