Skizzen des Übergangs von der Erwerbsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 1999

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

0)Exposition

1)Armut und Arbeitslosigkeit: Die „verdeckte Armut“ der 'working poor' in der (wiedervereinigten) Bundesrepublik Deutschland 1983-1990 (1991 & 1995)

2)Von Strukturmodellen zu konkreten Initiativen zur Abschmelzung von verfestigter Dauer- und Sockelarbeitslosigkeit in der BRD
2.1) „Bürgergeld“ und „negative Einkommensteuer“ als grundlegendes Element einer pekuniären Grund(ab)sicherung und eines sozialstrukturellen Wandels
2.2) Das sog. „Mainzer Modell“- Wege aus dem Mißbrauch geringfügiger Beschäftigungs- hältnisse
2.3) Monetäre und nichtmonetäre Formen der Anerkennung von gemeinnütziger Arbeit
2.4) Das „Sero-System“ der Abfallwirtschaft in der ehemaligen DDR: Nachhaltigkeit als Prinzip ökologisch- bewußter Zukunftsgestaltung und Quelle neuer Arbeitsplätze

3)Die unverändert hohen Ressourcen gesellschaftlichen Engagements in der BRD: Eine ge- sellschaftlich unterschätzte und oft verkannte Größe

4) Epilog

0)Exposition

„Visionen für die Arbeitsgesellschaft von morgen“[1] - davon gibt es viele. Das gewaltige und in seiner sozialen Sprengkraft kaum überschätzbare Problem einer sich nicht nur in der Bundesrepu-blik Deutschland seit 25 Jahren zunehmend verfestigten Sockelarbeitslosigkeit braucht aber mehr als Denkmodelle und Visionen. Diese waren notwendig und brauchten ihre Zeit, um von Menschen mit politischer und sozialer Phantasie entwickelt zu werden. Doch muß sich der am politisch-sozialen Diskurs Beteiligte verantworten vor einer nicht unbegrenzt zur Verfügung stehenden Zeit,

vor Menschen, die unter nichts mehr leiden als unter der bekümmernden Realität, keine Arbeit (mehr) zu haben. „Alles hat seine Stunde, ... eine bestimmte Zeit“, wie uns der griechische Weisheitslehrer Kohelet zu ermahnen weiß. So können eine planvolle und zielgerichtete Evaluation der maßgeblichen Ausgangslage eines Problems und die entwickelten, theoretisch denkbaren Lösungsstrategien auch in ihrer Unvollständigkeit nicht davon dispensieren, allmählich in eine pragmatische Phase überzugehen. Dies gebietet zum einen die zunehmende Bedrängnis, in die der Sozialstaat durch steigende Erwerbslosenzahlen geraten ist, dann die Angst jedes Menschen, der abhängig beschäftigt ist, davor, arbeitslos zu werden und die generationsübergreifenden Folgen, die eine Gesellschaft unter dem bedrückenden Vorzeichen anhaltender Dauerarbeitslosigkeit zu erwarten hat. Aufbrüche in eine neue Arbeitswelt, die der wirtschaftlichen wie demographischen

Realität näherkommen unter der Berücksichtigung dynamischer familiärer und familienähnlicher Lebensformen, sie wollen einerseits gut überlegt sein, andererseits wird erst die Konfrontation mit der Realität zeigen, wie nachhaltig sie dazu beitragen, Arbeitslosigkeit zu vermindern. Der Blick in andere europäische Länder, nach Dänemark, in die Niederlande oder auch nach Irland kann helfen,

an Erfahrungen mit einzelnen Projekten zu partizipieren.

Mit einem „Bündnis für Arbeit“, in dessen Umfeld Verantwortliche aus wirklich allen politischen,

sozialen und tarifvertraglichen Gremien zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, nämlich die Arbeitslosigkeit dauerhaft und nachhaltig zu reduzieren, ist ein guter Anfang gemacht.

Und es bleibt zu hoffen, dass auch dieses Bündnis die erste und entscheidendste pragmatische Hürde überwindet, die eine ökologische Steuerreform lange Zeit verhindert hat und die sich nun ihrer entscheidenden Bewährung, der Realität, zu stellen hat.

Der christliche Glaube ist entscheidend geprägt von der Vorstellung, dass all unser Tun und Unter-lassen vom kairos bestimmt ist[2]. Dieser gibt keinen Zeit punkt an, sondern die Notwendigkeit des Tuns, eines (ge-) rechten Tuns- mit Blick auf die Inhalte der Botschaft Jesu. Dies ermutigt- zum Tun. In dieser Verantwortung stehen nicht nur die politischen wie sozialen Institutionen, sondern, nach christlichem Menschenbild, jeder einzelne. Dies hat mich mitunter zur Erstellung dieser Hausarbeit motiviert, die das Thema Arbeitslosigkeit vor dem Hintergrund eines neuen Umgangs mit der Zeit,[3] der Lebens arbeitszeit des Menschen, beleuchten soll und in den in ihrer Relevanz oft unterschätzten Verwirklichungsformen menschlichen Tuns innerhalb des sog. Dritten Sektors.

1) Armut und Arbeitslosigkeit: Die „verdeckte Armut“ der 'working poor' in der (wiedervereinigten) Bundesrepublik Deutschland 1983-1990 (1991 & 1995)

Der Begriff „working poor“ bezeichnet erwerbstätige[4] Personen, deren „Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um ein soziokulturelles Existenzminimum zu sichern“.[5] Sie gehen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit aus, deren Monatsnettoverdienst aber den Bezug von Leistungen aus der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt aber nicht ausschließt. Entsprechende Untersuchungen belegen, dass diese Personengruppe dann insbesondere von der Gefahr „verdeckter Armut“ bedroht ist, wenn der Haushalt des einzig Erwerbstätigen mehrere Haushaltsangehörige, z.B. Kinder oder Pflegebedürftige umfaßt, die für ihr eigenes Einkommen nicht aus eigener Kraft aufkommen können, oder aber wenn es sich um einen alleinerziehenden Menschen handelt.[6]Verdeckt arm“ sind diese Menschen deswegen, weil ihr monatliches Einkommen unterhalb der festgelegten Sozialhilfeschwelle liegt und die trotz ihres bestehenden, potentiellen Rechtsanspruches[7] keinerlei oder aber nur teilweise Leistungen aus der gesetzlichen Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Eine nur teilweise Einlösung sozialer Rechtsansprüche läge beispielsweise bei Wohngeldbezug vor, den regulärer Sozialhilfebezug begleiten könnte.

Diese Menschen erscheinen verständlicherweise in keiner öffentlichen Statistik, daher läßt sich ihre reelle Zahl nur annäherungsweise schätzen. Außerdem wurden bislang diesbezüglich auch kaum wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt.[8] „Verdeckte Armut“ betrifft in statistisch stärkerem Maße Familien oder familienähnliche Lebensgemeinschaften von Unverheirateten mit Kindern, „Kindern unter und ab 16 Jahren“.[9] Knapp drei Prozent der erwerbstätigen Personen in Gesamtdeutschland (auf der Datenbasis von 1995), also rund 900 000 Menschen, leben demzufolge unterhalb des ihnen gesetzlich zugesicherten Existenzminimums, dessen grundgesetzliche Grundlage der Art. 20 Abs. 1 ist. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Eckregelsatz für den Haushaltsvorstand zuzüglich evtl. Mehrbedarfszuschläge, insbesondere bei haushaltszugehörigen Kindern. Ein Forschungsbericht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung (ISL) in Frankfurt (s. Literaturverzeichnis) aus dem Jahr 1995 belegt, dass die Armutsquote dieser working poor in Ostdeutschland um ein gutes Prozent höher lag als im Vergleichszeitraum für den Westen Deutschlands. Gehen Neumann und Hertz im Bericht des ISL von einer mutmaßlichen Dunkelziffer der verdeckten Armut[10] von knapp über 50 Prozent aus, dann waren gemäß einer früheren Untersuchung aus dem Jahr 1991[11] davon knapp 56 Prozent der Menschen aus dieser Personengruppe der Meinung, dass neben dem regelmäßigen Bezug von monatlichem Erwerbseinkommen ein Bezug von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nicht möglich sei. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass es offenbar unabweisbar unmittelbare Zusammenhänge zwischen (Dauer-)Arbeitslosigkeit und „offener“ wie „verdeckter“ Armut in der Bundesrepublik gibt. Der Unterschied zwischen beiden Arten der Armut leitet sich jedoch vornehmlich aus der Praxis sozialpolitischer Interventionen ab, die sich maßgeb-lich der Bekämpfung offener Armut verschreiben.[12]

2) Strukturmodelle und konkrete Initiativen zur Abschmelzung von verfestigter Dauer- und

Sockelarbeitslosigkeit in der BRD

2.1) „ Bürgergeld “ und „ negative Einkommensteuer “ als einheitlicher Weg einer sozialen

Grundsicherung

„Wenn allen Menschen eine Wirtschaftsperspektive geboten werden soll, dann muß man ein Tabu brechen: jenes nämlich, daß nur ein Einkommen erzielt, wer erwerbstätig ist.“[13]

Bürgergeld oder negative Einkommensteuer sind zwei Seiten der im Grunde gleichen Medaille, die Modelle für Wege einer sozialen Grundabsicherung für alle Bürger[14] eines Landes sind, unabhängig vom Grad ihrer Erwerbsfähigkeit und –tätigkeit. Gleichzeitig wollen sie die Prinzipien des Leistungsanreizes und der Leistungsgerechtigkeit im Blick behalten. Wie dies anhand eines konkreten Modells aussehen kann, will ich im folgenden zeigen.

Der existentielle Grundbedarf, den das Bürgergeld decken soll (im folgenden sei die negative Einkommensteuer[15] immer mitgemeint), setzt sich aus der Bestreitung elementarster Lebensbedürfnisse des einzelnen zusammen: Monatliche Miete, Wasser, Strom, Nebenkosten, Ver-pflegung etc.. Mehrbedarfsanprüche könnten in das Modell integriert werden beispielsweise für Haushalte mit schulpflichtigen Kindern oder Kindern in Ausbildung, oder aber für Pflegefamilien.[16]

Wie sieht das nun in konkreten Zahlen aus? Gehen wir von einem monatlichen Sockelbetrag von

1 200, 00 DM aus, pro Kind kämen 300,00 DM hinzu. Eigenes Einkommen jedes Bürgers wird zu

50 Prozent mit dem Sockelbetrag verrechnet.

Situation 1: Hannah M., geschieden und alleinerziehend, ist mit ihrer Tochter ganz auf staatliche Unterstützung angewiesen, bis diese „auf eigenen Füßen“ stehen kann. Da es ihr auch nicht möglich ist, in ihrem früheren Beruf einen Teilzeitarbeitsplatz zu bekommen und ihr früherer Ehemann nur unregelmäßig Unterhalt für die Tochter zahlt, wäre sie nach geltendem Sozialhilferecht in die Kategorie „bedürftig“ einzustufen und würde monatliche Hilfe zum Lebens-unterhalt aus Steuermitteln erhalten. Also zahlt ihr das Finanzamt jeden Monat 1 200,00 DM zzgl. 300,00 DM für ihre minderjährige Tochter. Darüber hinausgehende Ansprüche aus anderen sozialen Transferleistungen (außer Wohngeld) hätte sie nicht. Mit 1 500,00 DM plus Wohngeld hätte sie den monatlichen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Situation 2: Der ebenfalls alleinerziehende Horst B. hat einen schulpflichtigen Sohn. Dank einer kirchlichen Kinderbetreuungseinrichtung ist es ihm möglich, teilzeit zu arbeiten, 20 Stunden die Woche, was ihm monatlich gut 1 300,00 DM in die Haushaltskasse bringt. Auch ihm stehen zunächst 1 200,00 DM und dann 300,00 DM für seinen Sohn zu, also zusammen 1 500,00 DM. Dieser Betrag wird gekürzt um die Hälfte seiner Teilzeiterwerbstätigkeit, also um 650,00 DM. Somit stünden den beiden noch 850,00 DM zu den 1 300,00 DM Arbeitslohn und dem Wohngeld zur Verfügung.

Situation 3: Vera S.ist staatlich anerkannte Krankenschwester, ledig und kinderlos. Netto verdient sie jeden Monat durchschnittlich 2 500,00 DM. Kürzt man ihr Anrecht auf 1 200,00 DM Bürgergeld um 50 Prozent ihres Monatsverdienstes, so zeigt sich, dass sie kein Bürgergeld vom zuständigen Finanzamt ausgezahlt bekäme, da ihr Verdienstanteil die Höhe des Bürgergeldes um 50,00 DM überschreitet. Bei 2 500,00 DM monatlichem Alleineinkommen dürfte eine zusätzliche staatliche Existenzsicherung auch nicht sozial gerechtfertigt sein.

[...]


[1] Stellvertretend für viele sei von christlicher Seite aus genannt: Publik-Forum Manifest: „Einschiffen statt Ausbooten - Das Jobwunder ist möglich“ in: PF 4/98 v. 27.02.98 (Heftmitte); Hg. Leserinitiative Publik e.V.

[2] Vgl. die m.E. sehr hilfreichen Überlegungen diesbezügl. von Claus Eurich, a.a.O., die mehr praktischen Stellenwert verdienten, auf S. 74: „Zeitpunkte sind meßbar, bestimmbar, vorhersagbar, inhaltlich neutral. Der Augenblick charakterisiert demgegenüber die personengebundene Wahrnehmung, das personengebundene Bewußtsein und daraus resultierendes Begreifen. Das blickende Auge realisiert Zeit, Raum und Situation gleichzeitig, in eins, erspürt den Kairos- Gehalt, den die Zeit grundsätzlich trägt, auch für sich, nimmt ihn wahr und an als Gnade und Schicksal.“

[3] Vgl. zu diesen Überlegungen insbesondere den Beitrag von Gerd Mutz: Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit, in: PolZ 9/99 v. 26.02.1999, S.3-11. Seine Hauptthese, insbesondere unter Punkt IV.entfaltet, lautet: „Die Neue Arbeitsgesellschaft ist eine Zeitgesellschaft“.

[4] Erwerbstätig sind diese Personen , die „regelmäßig voll- oder teilzeiterwerbstätig sind“, Auszubildende miteingerechnet, ohne unregelmäßig Beschäftigte, Saisonarbeitskräfte, Wehr - und Zivildienstleistende (Neumann (1999),S.31, Anm. 16).

[5] Neumann, a.a.O., S.31.

[6] Palentien u.a., S.34, Tabelle 1.

[7] Neumann, a.a.O., S.27.

[8] Dto..

[9] Dto., S.31.

[10] Sie entspricht dem Quotienten aus dem Anteil der verdeckt Armen im Verhältnis zum Anteil der Leistungsbezieher nach dem BSHG (laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von ständigen Einrichtungen).

[11] Vgl. Richard Hauser/Werner Hübinger: Arme unter uns. Teil 1: Ergebnisse und Konsequenzen der Caritas-Armuts-untersuchung, Deutscher Caritasverband e.V. (Hg.), Freiburg i.Br. 1993, S.122-129. Grundlage dieser Untersuchung war eine repräsentative Befragung von Klientes der Caritas von 1991.

[12] So Neumann, S.27.

[13] PF-Manifest, S.6. Siehe dort auch zu den folgenden Anregungen die „Visionen für die Arbeitsgesellschaft von morgen“ .

[14] An diesem Punkt müßte natürlich auch die Frage bedacht werden, ob auch (noch) nicht eingebürgerte Ausländer zu den Bürgergeldempfängern zu rechnen wären oder ob deren Rechtsansprüche wie bisher im Rahmen des BSHG zu finanzieren wären.

[15] Eine vergleichbare Zielrichtung verfolgt auch der im Buch von Giarini/Liedtke (S.181f) aufgegriffene Vorschlag von Gary Becker eines EITC (E arned I ncome T ax C redit) in Form eines 40 %-igen Steuerfreibetrags auf Erwerbseinkünfte, der bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe auf das Einkommen sozial schwacher Familien angerechnet (einkommen-steuerfrei gestellt) werden soll. Steigt das Einkommen, sinkt in gleicher Weise der Steuerfreibetrag.

[16] Bundes- oder Landespflegegeldleistungen blieben wie Wohngeld- und Mutterschaftsansprüche vom Bürgergeldan-spruch unberührt, vgl . PF-Manifest, S.6.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Skizzen des Übergangs von der Erwerbsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (FB Theologie)
Veranstaltung
Arbeitslosigkeit aus sozialethischer und ökonomischer Sicht
Note
2,3
Autor
Jahr
1999
Seiten
17
Katalognummer
V13401
ISBN (eBook)
9783638190695
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeit
Arbeit zitieren
Markus Stutzenberger (Autor:in), 1999, Skizzen des Übergangs von der Erwerbsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13401

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